Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 64. Sitzung / Seite 76

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Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Van der Bellen. – Bitte, Herr Abgeordneter.

13.25

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Mühlbachler hat natürlich in einem recht, nämlich darin, daß das Jahr 1995 das Katastrophenjahr der österreichischen Budgetpolitik war. Was er allerdings nicht dazugesagt hat, ist, daß das nicht ganz von ungefähr gekommen ist. Denn: Was ist denn das Besondere am Jahr 1995? – Das war das erste Jahr der EU-Mitgliedschaft Österreichs.

Anläßlich der Beitrittspropaganda – Sie alle wissen ja, daß ich ein Befürworter des EU-Beitritts war, und zwar trotz und nicht wegen dieser Propaganda – haben Sie sich, wie ich meine, im Laufe der Zeit in die eigene Tasche gelogen und haben am Ende selbst geglaubt, was Sie der Bevölkerung vor dem Juni 1994 weismachen wollten.

Ich erinnere Sie daran – darüber gibt es offizielle Dokumente des Finanzministeriums –, daß damals die offizielle Rechnung lautete: 29 Milliarden Beitrittskosten, Rückflüsse aus Brüssel rund 17 Milliarden, ergibt eine Nettobelastung von 12 Milliarden oder einem halben Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das war damals die offizielle Rechnung – aber allen Insidern war nach einer Schrecksekunde von ungefähr zwei Monaten klar, daß diese Rechnung nicht stimmen kann.

Es hat vor dem Juni 1994 Pressekonferenzen von Prof. Breuss, aber auch von mir persönlich gegeben, in denen wir darauf hingewiesen haben, daß die fiskalische Belastung für alle drei Gebietskörperschaften zusammengenommen wahrscheinlich um die 40 Milliarden Schilling liegen würde, für den Bund allein bei 30 Milliarden Schilling. Diese Vorschauen haben sich nicht nur bestätigt, sondern wurden von der Wirklichkeit noch übertroffen, und zwar nicht unerheblich.

Tatsächlich geworden sind es 1995 rund 48 Milliarden Schilling insgesamt. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den Beitrittskosten im engeren Sinn, den innerösterreichischen Anpassungshilfen – an die Landwirtschaft und so weiter –, den Mehrwertsteuerausfällen und so weiter und so fort.

Dieser Ausgabenschub beziehungsweise Einnahmenentfall blieb nicht ohne Folgen für die Budgetdefizite, und zwar im Grunde genommen weniger beim Bund, sondern vor allem bei den Ländern. Das wurde unzureichend vorausgeplant. Sonst wäre es ja auch nicht möglich, daß genau im Jahre 1995 eine gewaltige Lücke klafft, nämlich zwischen den Budgetvoranschlagsdaten und den Bundesrechnungsabschlußdaten.

Wir haben heute eine zum Teil historische Debatte, deswegen verwende ich die Zeit auch noch einmal dazu, zu wiederholen, was vor zwei Jahren passiert ist. Das ist nicht vom Himmel gefallen, das haben sich die Koalitionsparteien damals selber eingebrockt. Ich habe nach langem Rätseln darüber, wie das alles möglich war, den Eindruck gewonnen, daß Sie eben Ihre eigenen Angaben im Laufe des Jahres 1994 geglaubt haben und 1995 nicht rechtzeitig auf die tatsächliche Situation reagiert haben.

Im Endeffekt – der Bundesrechnungsabschluß geht darauf kaum ein, allenfalls in einigen verbalen Sätzen – war das relevante Maastricht-Defizit des Bundessektors um 11 Milliarden Schilling höher als in den Voranschlägen vorgesehen, und das Maastricht-Defizit des Staates insgesamt war um rund 30 Milliarden Schilling höher als ursprünglich vorgesehen.

Das ist nicht nur für sich genommen alarmierend gewesen, sondern das war auch alarmierend im Vergleich zu den Vorjahren, die schon schlimm genug waren, ganz im Gegensatz zu dem, was Herr Mühlbachler gesagt hat. Es war auch alarmierend im internationalen Vergleich, weil damals, im Jahr 1995, die österreichischen Defizitwerte nur von Griechenland, Schweden, Italien und Spanien überschritten wurden, also nur von den typischen, klassischen Weichwährungsländern.


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