Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 66. Sitzung / Seite 90

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zu danken. Erst wenn man sich auch mit verschiedenen anderen Berichten auseinandergesetzt hat, weiß man die Übersichtlichkeit des Sozialberichtes sehr zu schätzen! (Beifall bei der SPÖ.)

14.29

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Als nächste Wortmeldung liegt die des Herrn Abgeordneten Dr. Kier vor. – Bitte, Herr Abgeordneter. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten.

14.30

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich möchte mich außerordentlich kurz fassen, weil wir heute bereits eine an sich grundsätzliche sozialpolitische Debatte hatten. Dessen ungeachtet möchte ich aber auf einige Aspekte eingehen. Insbesondere möchte ich den Dank meiner Vorrednerin unmittelbar aufgreifen und ihn an die Spitze meiner Ausführungen stellen. Der Bericht ist eine wertvolle Hilfe, er wird pünktlich vorgelegt, und das ist angenehm für die Arbeit. Den Verfassern und Autoren gilt daher unser Dank.

Gleichzeitig ist dieser Bericht aber auch ein Dokument, das uns zeigt, daß unsere sozialen Sicherungssysteme außerordentlich an Leistungsfähigkeit einbüßen. Darüber kann der Datenbefund, der da oder dort Verbesserungen darstellt, nicht hinwegtäuschen. Die Leistungsfähigkeit eines sozialen Sicherungssystems ist nämlich an seiner Effizienz, an seiner Treffsicherheit und auch an seiner Nachvollziehbarkeit zu messen, und zwar deshalb, weil wir bei sozialen Sicherungssystemen vital darauf angewiesen sind, daß sie von einem breiten Bevölkerungskonsens getragen werden. Wenn sie nämlich von einem breiten Konsens getragen werden, dann kommt eine Debatte, in der das Wort "Sozialschmarotzer" benützt wird, gar nicht erst auf.

Daß solche Vorurteile auf fruchtbaren Boden fallen können, ist ein erster Indikator dafür, daß der soziale Konsens abzureißen beginnt. Daß es hinlänglich politische Kräfte in unserem Land gibt, die daran interessiert sind, daß dieser soziale Konsens bricht, wissen wir. Daher wären wir aus diesem Grund und aus Gründen der Menschlichkeit gut beraten, uns Reformen zu überlegen, die bewirken, daß niemand in diesem Land im Stich gelassen wird. Wir tun letzteres aber dann zunehmend, wenn wir nur mit Kategorisierungen arbeiten, und zum Beispiel dadurch, daß wir an einer ganz bestimmten Form der gesetzlichen Krankenversicherung festhalten, in Kauf nehmen, daß eine wachsende Zahl von Menschen überhaupt nicht mehr gesetzlich krankenversichert ist.

Der Befund in der Arbeitswelt zeigt, daß die Zahl derer, die nachhaltig keine Arbeit haben, möglicherweise weiter steigen wird, insbesondere dann, wenn wir keine Reformen durchführen. Und selbst dann, wenn wir Reformen machen, wird das Tempo dieser Reformen möglicherweise nicht schnell genug sein, um das Tempo von Rationalisierungseffekten zu überholen.

Wir nehmen in Kauf, daß immer mehr Leute vor dem Problem stehen, daß sie nicht nur unter der Armutsgrenze leben müssen, sondern im Krankheitsfall auch nicht wirklich gesichert sind, denn alles läßt sich über die Konstruktion der Mitversicherung nicht lösen.

Frau Kollegin Reitsamer hat sich auf das Pflegegeld bezogen und gemeint, sie mache sich Sorgen, weil es gelegentlich zweckentfremdet wird. Dazu muß ich ihr sagen, sie hat recht, und wenn man sich in diesem Punkt Sorgen macht, dann muß man dieses Problem eben mit berücksichtigen. Aber ich muß ihr auch sagen, daß ein Riesenfeld der Zweckentfremdung des Pflegegeldes – eine Zweckentfremdung von seiner grundsätzlichen Philosophie her – in der bisherigen Diskussion nicht einmal angeschnitten wurde.

Machen Sie sich bitte bewußt: Wenn jemand, der Pflegegeldbezieher ist, ins Krankenhaus kommt, dann ist das jetzt so geregelt, daß unmittelbar ab dem Zeitpunkt der Einlieferung mit ganz kurzen Fristen das Pflegegeld ruht.

Wenn jemand in ein Pflegeheim der öffentlichen Hand kommt, dann wird das Pflegegeld dazu benützt, um quasi als "grauer Finanzausgleich" von einer Gebietskörperschaft zur anderen zu fließen. Wir haben ja deutlich erlebt, daß unmittelbar nach Einführung des Pflegegeldes – das ich hier als große Errungenschaft bezeichnen möchte – die Tarife in den öffentlichen Pflegeeinrichtungen angehoben wurden. Das Geld wurde unmittelbar dafür genützt, um vom Bund


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