Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 77. Sitzung / Seite 83

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aber Pearl Harbor war immerhin noch einige Tausend Kilometer vom amerikanischen Kernland, vom Festland entfernt, und es kamen im Wesentlichen amerikanische Soldaten ums Leben und nicht amerikanische Bürger und Zivilisten.

So kann man schon verstehen, dass insbesondere in den ersten Tagen ein Vergeltungswunsch bei den Bürgern und bei manchen Medien entsteht und sich äußert. Nicht so sehr kann man verstehen, wenn sich dieser Vergeltungswunsch bei wichtigen, hochrangigen Politikern durchsetzen sollte. Diese sind dazu da, kühlen Kopf und Besonnenheit zu bewahren. Es kommt also darauf an, den Amerikanern, den USA selbstverständlich das Recht auf Selbstverteidigung nicht "zuzugestehen", sondern anzuerkennen, dass sie es schon nach Artikel 51 der UNO-Satzung haben.

Aber das Recht auf Selbstverteidigung ist in diesem Fall schwierig und kompliziert geworden. Es sind nicht fremde Panzer über die Grenze gefahren, auf die man selbstverständlich zurückschießen darf – Selbstverteidigungsrecht –, sondern der Feind ist diffus, opak, im Wesentlichen unbekannt, nicht greifbar. Bis heute wissen wir nicht genau, ob und wie etwa das Taliban-Regime in Afghanistan in diese Vorfälle verwickelt ist. Deswegen ist es so wichtig, dass die USA keinen unilateralen, keinen einseitigen Weg verfolgen, sondern in die Staatengemeinschaft eingebunden sind, vor allem im Rahmen der UNO-Generalversammlung beziehungsweise des UNO-Sicherheitsrates.

Im Gegensatz zu den ersten Tagen der Entwicklung haben, so glaube ich, alle von uns das Gefühl, dass die letzten acht Tage in Beziehung auf die – wie sagt man "multilateral" auf Deutsch? – mehrseitige, umfassende, alle anderen wichtigen Staaten einbindende Politik, insbesondere im Rahmen des Sicherheitsrates, Fortschritte gebracht haben.

Wir sind aber nicht Verteidigungsminister oder Außenminister der USA oder sonst irgendetwas. Die Frage stellt sich ganz trocken: Was kann Österreich tun? – Herr Präsident! Nebenbei gesagt: Auf meiner Uhr sehe ich nicht, wieviel Redezeit ich noch habe. Ich kann nicht erst 1,5 Minuten gesprochen haben, oder doch?

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Sie haben 5,5 Minuten gesprochen, und Ihre Uhr wird zu reparieren sein. Ich habe meine Uhr unter Kontrolle. (Heiterkeit.)

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (fortsetzend): Sie bewahren kühlen Kopf und Besonnenheit. Damit wäre schon das erste Stichwort gefallen.

Was ich in den bisherigen Äußerungen ein bisschen vermisst habe, ist dieser vollkommen richtige Aufruf, kühlen Kopf zu bewahren. Dieser gilt aber nicht nur für uns Politiker, sondern dieser gilt auch für die Herausgeber, die Redakteure, die Reporter, die Kommentatoren, die über diesen Konflikt schreiben, und das gilt auch für alle anderen Menschen in diesem Land, nämlich der Aufruf, sich jetzt nicht hinreißen zu lassen zu Kreuzzug-Geschwafel, das Gott sei Dank wieder abgeebbt ist. Gerade wir – fast hätte ich "wir Christen" gesagt – sollten wissen, was für ein verheerendes Beispiel gerade die Kreuzzüge in diesem Zusammenhang gewesen wären. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Die waren aber schon vor ein paar hundert Jahren! Die brauchen wir jetzt nicht im Parlament, im österreichischen Parlament zu diskutieren!)

Sie wissen, dass sich wichtige Politiker – ich nenne jetzt keine Namen – dieses Ausdrucks bedient haben, und das nicht vor ein paar hundert Jahren, sondern erst letzte Woche. Heute sollten wir jedenfalls hin und wieder, ohne jetzt Gespenster an die Wand zu malen, an 1914 denken; das ist vielleicht besser als das Kreuzzugs-Gerede.

1914 erfolgte ein Terroranschlag, ein Mordanschlag, dem zwei Angehörige des Habsburger-Hauses zum Opfer fielen. Es folgten Ultimaten, aber ich brauche nicht im Einzelnen zu wiederholen, was dann passiert ist. Ich bin zwar kein Historiker, aber ich bezweifle, dass 1914 irgendeine der an höchster Stelle der Ministerien handelnden Personen diese Handlungen in Kenntnis des Flächenbrandes, den sie letzten Endes ausgelöst haben, gesetzt hätte. Und das Risiko ist nicht klein – auch heute nicht klein, wenn heute auch geringer als noch vor einer Woche –, dass


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