Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 98. Sitzung / Seite 177

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In dieser Hinsicht stehen wir, glaube ich, noch vor vielen Herausforderungen, nämlich dort, wo es gilt, historisch, kulturell und soziologisch Bedingtes und ungleich Gewordenes eben nicht gleich zu behandeln, ohne aber wieder gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen.

Auch ich war ein wenig irritiert, als ich das Interview mit Botschafter Gruša, das im "Kurier" von heute veröffentlicht wurde, gelesen habe. Es hat der sonst als besonnen geltende Wissenschaftler darin Dinge ignoriert, und ich meine, dass das, was da in einem verknappten Interview ausgesprochen wurde, nicht unbedingt als Standpunkt Tschechiens gelten muss, als Standpunkt, der unrevidierbar für alle Zeiten gilt.

Es hat zum Thema Vertreibung der Sudetendeutschen und Beneš-Dekrete der Völkerrechtler Professor Rotter vor kurzem im "Kurier" meiner Meinung nach sehr eindrucksvoll Stellung bezogen. Er hat dabei auch mich an einen Platz verwiesen, wo ich eingestehen muss, dass ich in Geschichte nicht wirklich gut bin. Er hat aufgezeigt, wie sehr die Beneš-Dekrete mit den Münchner Verträgen von 1938 und mit Saint Germain zusammenhängen, wie sehr da eine Verkettung von Ungerechtigkeiten und individuellen und nationalen Beleidigungen zu einer nicht nachvollziehbaren Entscheidung geführt hat.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bundesministerin! Ich würde sagen: Wenn das Recht, gemeint sind die Beneš-Dekrete, noch nicht ganz tot ist, töten wir es und begraben wir es endlich – ich hoffe, dass diese Metapher gestattet ist – und widmen wir uns auch – das ist eine Anregung, die ich an die Universitäten weitergeben möchte, was ich hoffentlich auch mit Unterstützung des Hohen Hauses tun darf – der gemeinsamen historischen Aufarbeitung in interdisziplinären und internationalen Projekten.

Machen wir ein Symposium – angeregt durch den Menschenrechtsausschuss –, und überlegen wir, wie wir mehr Klarheit und mehr Wahrheit in diese Sache bringen können. Als Kind einer sudetendeutschen Familie weiß ich, dass Parteilichkeit manchmal den Blick vernebelt und dass man daher auch sehr stark mit dem Auge des anderen sehen und mit den Gedanken des anderen überlegen muss, um relativ objektiv zu sehen. Ein wichtiges Wort am richtigen Ort kann mehr Wunder wirken als revanchistische Ansprüche auf Grund, Geld und Eigentum. – In diesem Sinne danke. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der Freiheitlichen und der Grünen.)

20.07

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dietachmayr. – Bitte.

20.07

Abgeordneter Helmut Dietachmayr (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zur Petition Nummer 16 Stellung nehmen, mich also mit der Situation der Sudetendeutschen und mit den Beneš-Dekreten beschäftigen. In den letzten Wochen waren ja die Medien voll von Meldungen darüber. Ich glaube, dass es ganz gut war, dass eine breite Öffentlichkeit mit diesem Problem konfrontiert wurde. Mit jeder Meldung kann man eigentlich – auch mir geht es so wie meiner Vorrednerin – geschichtlich etwas dazulernen.

"Dass die Beneš-Dekrete heute noch immer (partei-)politisch benutzt werden können, liegt ebenso an dem verzwickten historischen Verhältnis zwischen Wien und Prag wie an der zwiespältigen Beziehung Österreichs zu seiner jüngeren Vergangenheit." – Mit diesem Satz leitet Josef Kirchengast einen Artikel im "Standard" vom 24. Jänner zum Reizwort "Beneš-Dekrete" und zum Thema "Die Tücken der Geschichte" ein. Ich glaube, dass dieser Satz sehr viel aussagt.

Lassen Sie mich aber trotzdem auch ein paar grundsätzliche Feststellungen zu diesem Problem treffen.

Die ČSR-Behörden haben nach Kriegsende mit Zustimmung und Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung das Eigentum von Millionen Menschen beschlagnahmt, bevor diese aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Das ist eine Tatsache, und es ist schwierig, das anders als


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