Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 106. Sitzung / Seite 71

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1992 war der Abschluss des Südtirolpaketes keine Selbstverständlichkeit; das muss man in Erinnerung rufen. Das internationale Umfeld war beileibe nicht so günstig für eine Lösung einer Frage wie der Südtirol-Frage, wie man es heute oft unterstellt. Es gab die Krise durch die Selbständigkeit von Kroatien und Slowenien, die Nationalismus und Nationalisten, auch in Südtirol, auch in Österreich, neuen Auftrieb gab und verstärkt dazu bewog, nicht zu den bis zu diesem Zeitpunkt schon erreichten Erfolgen zu stehen. Es gab Proteste, und es gab ein Wiederaufleben eines nationalistischen Diskurses. Es gab damals Bossis Padanien, und es gab eine sich abzeichnende Wende in Italien, die natürlich auch klarmachte, dass es vielleicht in wenigen Jahren nicht mehr möglich sein würde, die Konsenspolitiker auf beiden Seiten anzutreffen, die fähig waren, dieses Projekt zu tragen und gegen die Kritiker in den eigenen Reihen und im eigenen Land auch durchzutragen.

Es gab den Missbrauch des großen Schlagwortes der Europaregion, das zum Rütteln an der Deutschen Eiche missbraucht wurde. Das waren zweifellos alles Störungen, die von den weitblickenden Politikern und Politikerinnen damals überwunden wurden.

1992 wurde eine sichere Basis geschaffen für eine Entwicklung in Südtirol dahin gehend, dass erstens Südtirol seine Dinge selbst erledigen können würde, ohne vorher in Wien oder in Rom zu antichambrieren, und dass zweitens die Konsensmethode, der institutionalisierte Respekt für Minderheitenrechte, es ermöglichen würde, Schritte in Richtung Zusammenleben zu machen. Südtirol wurde so zu einem anerkannten Modell, das eine sichere Basis für eine Weiterentwicklung und auch für eine Respektierung zum Beispiel neu entstehender gemischter Identitäten in Südtirol bilden kann. Das ist auch die Anforderung an Österreich als Schutzmacht, diese Prozesse zu unterstützen und ständig im Kontakt mit diesen Entwicklungen zu bleiben.

Zum Abschluss: Ein Modell wie Südtirol ist ein schützenswertes und unterstützenswertes Modell, weil es auch Vorbild für viele Konfliktregionen in Europa ist. In Zeiten des Rechtspopulismus halte ich es für extrem wichtig, die Worte in "nationalen Fragen" – unter Anführungszeichen – bedachtsam zu wählen – und wir haben heute nicht nur bedachtsame Worte gehört – und solche Erfolgsmodelle von einer Rückwendung zu nationalistischen Denkmustern nicht gefährden zu lassen. Eine Realität in Südtirol kann nicht einbalsamiert werden, sondern sie muss auf der Basis dieser Verträge für ein gedeihliches Zusammenleben weiterentwickelt werden. Österreich und Italien können stolz auf dieses gemeinsame Modell sein! – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

12.37

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Von der Regierungsbank aus hat sich Frau Vizekanzler Dr. Riess-Passer zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Vizekanzler.

12.37

Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport Vizekanzler Dr. Susanne Riess-Passer: Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freunde aus Südtirol! Hohes Haus! Als 1992 der Paket-Abschluss erfolgte und die Streitbeilegungserklärung abgegeben wurde, konnte niemand von uns mit Sicherheit sagen, ob es zehn Jahre später Grund zum Feiern geben wird. Es gab damals auch Sorge und Skepsis. Aus heutiger Sicht erscheint diese positive Entwicklung fast selbstverständlich. Wenn man aber die Geschichte der letzten Jahrzehnte kennt, dann wird man schnell zu der Erkenntnis kommen, dass das Erreichte alles andere als selbstverständlich war.

Es ist das Ergebnis – es ist heute schon mehrfach gesagt worden – des unermüdlichen Einsatzes einer ganzen Reihe von Politikern aus Südtirol, Italien und Österreich. Es hat in den letzten zehn Jahren nicht nur keine Einschränkungen von Seiten Roms gegenüber der Autonomie gegeben, sondern im Gegenteil, es sind in verschiedenen Bereichen auch Zuständigkeiten dazugekommen. Die Südtirol-Autonomie ist damit von einem Konfliktfall zu einem herausragenden Modell des Zusammenlebens geworden. Ich glaube daher auch, dass es an der Zeit wäre, eine letzte offene Frage aus der Vergangenheit zu lösen und die letzten Aktivisten der sechziger Jahre zu begnadigen und damit auch einen Schlussstrich unter diese Vergangenheit zu ziehen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)


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