Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 135. Sitzung / Seite 206

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Wir stehen zu diesem Europa, und ich kann es am Schluss meiner Rede so formulie­ren, wie es vorige Woche ein deutsches Nachrichtenmagazin geschrieben hat: Wir haben derzeit in unserem Kerneuropa Arbeitslosigkeit und geringes Wachstum, wir haben Zukunftsängste bei der Bevölkerung durch globale und lokale Umverteilungen, und es gibt daher keine traditionellen Konzepte mehr, die greifen. Das heißt, wenn wir ja zu einem neuen Europa sagen, dann müssen andere Konzepte und andere gesell­schaftspolitische Systeme greifen. – Ich danke Ihnen herzlich. (Beifall bei der SPÖ.)

19.49


Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Von der Regierungsbank aus zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundeskanzler Dr. Schüssel. – Bitte.

 


19.50.01

Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Hohes Haus! Herr Staatssekretär! Ich darf kurz auf die bisherigen Wortmeldungen eingehen.

Zunächst freue ich mich sehr, dass es breite Zustimmung – basierend auf dem einstimmigen Empfehlungsbeschluss des Verfassungsausschusses – geben wird, die erste Phase der verfassungsmäßigen Ratifizierung heute durchzuführen, was sehr wichtig ist. Bulgarien und Rumänien waren ja in dieser Gruppe der zwölf Erweiterungs­länder mit dabei. Sie sind praktisch heute schon Teil des Policy-Making-Prozesses. Sie haben den Verfassungsvertrag mit verhandelt und mit unterzeichnet. Sie sind praktisch schon in die Beschlussfassung mit integriert.

Ganz wichtig ist dabei, dass wir auch das Versprechen einhalten, das wir den Bevölkerungen dieser beiden Länder nach reiflicher Überlegung gegeben haben. Das wurde auch hier im Hohen Haus auf den verschiedensten Ebenen immer wieder besprochen. Wir haben auch die Vorgangsweise, wie wir die Ratifikation mit Bulgarien und Rumänien jetzt in zwei Schritten vornehmen, in einem Gespräch mit den Partei­vorsitzenden aller Fraktionen gründlich ausgeleuchtet, und ich danke sehr, dass wir heute den ersten Schritt dazu setzen können.

Ich freue mich auch, dass das in Zukunft in einer etwas vereinfachten Form möglich sein wird. Wir sind da nämlich wirklich ein Ausreißer, weil wir letztlich alles vier Mal – denn der Bundesrat ist natürlich genauso mit einzubeziehen – ratifizieren müssen. Das ist, glaube ich, in Wahrheit nicht mehr zeitgemäß, und es ist gescheit, dass man hier einen gemeinsamen Weg findet, wie es ihn auch in anderen Ländern Europas gibt.

Erlauben Sie, dass ich zur Substanz selbst etwas sage, dazu, warum ich Ihnen auch persönlich aus wirklicher Überzeugung den Beitritt Rumäniens und Bulgariens emp­fehlen kann.

Erstens – ich fange nicht mit der Wirtschaft an –: Sie alle haben Recht, die Sie jetzt die Handelsbeziehungen und Österreich als Nummer-eins-Investor erwähnt haben. Für mich ist aber das Argument, dass damit die Wiedervereinigung Europas wirklich Gestalt annimmt, eigentlich noch viel wichtiger. Überlegen Sie, was es bedeuten würde, Rumänien und Bulgarien nicht aufzunehmen, sondern draußen in einer Art Grauzone zu lassen, wo niemand so recht weiß, wohin sich diese Staaten dann orientieren!

In Wahrheit gibt es ja nur zwei Möglichkeiten, sich zu orientieren. Ich überlasse es Ihrer Phantasie, sich die eine Möglichkeit selbst auszumalen. Die zweite Möglichkeit ist natürlich der Magnetkern Europäische Union. Und da sage ich ganz offen: Ich halte es bei allen berechtigten Zusatzwünschen, die im Fortschrittsbericht der Kommission sehr objektiv und nüchtern – was auch wichtig ist – angesprochen wurden, für wichtig, Bulgarien und Rumänien die gleiche Perspektive einzuräumen, was nicht immer selbst­verständlich war. Es gab Zeiten, als die Beitrittskriterien noch mit gewissen Frage-


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