Das heißt, wir haben bereits eine Situation sehr unterschiedlicher Integrationsstufen in der Europäischen Union erreicht.
Dieser Verfassungsvertrag ist oder war der Versuch, all die Verträge, die es bisher gegeben hat, in einem Vertrag zusammenzufassen und natürlich um eine Reihe von Punkten zu erweitern. Der Hauptauftrag war ja vor allem, dass man die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union erhalten sollte auf der erweiterten Grundlage von 27.
Ich habe den Eindruck, dass es jetzt wahrscheinlich zu einer anderen Vertragstechnik kommen wird, nämlich zu einer Rückkehr zur alten Vertragstechnik, nämlich dass nicht ein neuer Vertrag alle bestehenden ersetzen wird, sondern dass der neue Vertrag eine Reihe von Vorschlägen zur Abänderung der bestehenden Verträge enthalten wird und dass daher, wenn man so will, die klassische Struktur der Europäischen Union damit weniger verändert wird, als es im Verfassungsvertrag vorgesehen gewesen wäre.
Ich glaube, für Österreich ist es wichtig, dass wir immer dann, wenn sich die Europäische Union in eine neue Integrationsstufe bewegt, dabei sind, denn – und das ist wichtig – ein kleines Land im Herzen Europas ist nur dann stark, wenn es Teil des stärksten Teils Europas ist. Daher bekennen wir uns zu einer sehr pro-europäischen Integrationspolitik, weil wir glauben, dass das auch die österreichische Position stärkt.
Ich glaube, dass die Frage des Kerneuropa durch diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der jetzigen Situation keine realistische Option ist.
Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Klubobmann Strache, bitte.
Abgeordneter Heinz-Christian Strache (FPÖ): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Dort, wo es Volksabstimmungen gegeben hat, ist ja diese EU-Verfassung in der Regel abgelehnt worden. Auch in der Bundesrepublik Deutschland kann der Bundesverfassungsgerichtshof der Ratifizierung nicht nachkommen, wie Sie wissen, nämlich aufgrund gewisser Passagen dieser Verfassung, die auch einen Angriffskrieg in der Europäischen Union möglich machen.
Werden Sie, Herr Bundeskanzler, daher im Unterschied zu Ex-Bundeskanzler Schüssel dafür Sorge tragen, dass im Falle einer neuen Ratifizierung einer neu oktroyierten EU-Verfassung auch wirklich die Österreicher im Rahmen einer Volksabstimmung entscheiden können?
Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.
Bundeskanzler Dr. Alfred
Gusenbauer: Sehr geehrter
Herr Abgeordneter! Verfassungen werden nicht „oktroyiert“,
sondern Verfassungen werden erarbeitet, beschlossen und dann ratifiziert
von den dafür zuständigen Organen – das ist in der
österreichischen Demokratie der Nationalrat, und zwar mit einer
Zweidrittelmehrheit. Daher ist völlig klar: Sollte es nur zu irgendeiner
maßgeblichen Veränderung des bereits ratifizierten Vertrages
kommen, müsste natürlich erneut in Österreich, so wie in allen
anderen Ländern, ein Ratifizierungsverfahren stattfinden. (Abg. Strache:
Keine Volksabstimmung?)
Ich gehe davon aus, dass der neue Vertrag nicht über den bisherigen Vertrag hinausgehen wird – anderes wäre, würde ich sagen, ein kleines Wunder –, sondern es ist eher damit zu rechnen, dass wir alles dazu tun müssen, die Substanz des bestehenden Vertrages zu erhalten. Und wenn sich beim alten Vertrag die Notwendigkeit einer Volksabstimmung nicht ergeben hat, dann wird sie sich beim neuen Vertrag auch nicht ergeben. Aber ich bedauere sehr, dass nicht die Grundlage für das geschaffen wurde, was eigentlich das Sinnvollste gewesen wäre, nämlich eine Grundlage für eine gesamteuropäische Abstimmung über diesen Verfassungsvertrag, denn das wäre der eigent-
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