Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll55. Sitzung, 9. April 2008 / Seite 111

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Da von Herrn Klubobmann Westenthaler gesagt wurde, es gäbe den sogenannten Plattenbau Europas: Was will er uns damit erzählen, meine sehr verehrten Damen und Herren? – Er stellt offensichtlich das heutige, freie Europa auf dasselbe Niveau wie die seinerzeitige Deutsche Demokratische Republik, die als Wohnbauform diese Platten­bauten hatte. Ich sage Ihnen deutlich, Herr Westenthaler: Das heutige, freie Europa ist eine Antwort auf diese Vergangenheit, kein Plattenbau, sondern eine gute Heimat sei­ner Menschen. Das ist die Wahrheit! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Wie viel Angstmache, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir seit dem Beitritt oder auch schon vor dem Beitritt in Österreich gehört? Was wurde alles be­hauptet? Es werden die „roten Schildläuse“ im Joghurt drinnen sein, es gibt die „Blut­schokolade“, es gibt die verpflichtende Abtreibung, es gibt die Abwanderung der Betrie­be und der Arbeitsplätze, Österreich wird verarmen, Österreich wird abgeschafft wer­den, es wird die Todesstrafe eingeführt werden – die Liste all dieser Angstparolen ist unendlich lang. Und was ist die Wahrheit? Keine einzige dieser Angstparolen hat sich in der Realität jemals bewahrheitet. Die Wahrheit ist: Seit Österreich Mitglied der Euro­päischen Union ist, ist Österreich reicher geworden. Es gibt hunderttausende Arbeits­plätze mehr in Österreich. (Abg. Dr. Graf: Der Schilling wird bleiben, die Neutralität wird bleiben!)

Österreich ist sicherer geworden. (Abg. Strache: Der Schilling ist verschwunden! Der „Ederer-Tausender“ ist ausgeblieben!) Österreich ist freier geworden, und in Wahrheit ist die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union eine Erfolgsgeschichte – eine Erfolgsgeschichte, die wir mit dem heutigen Tag weiterschreiben wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Abg. Dr. Graf: Daher Volksabstimmung!)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler! Einen Moment, bitte! – Die Herren Abgeordneten des BZÖ ersuche ich, das Plakat wieder einzurollen. Sie haben es ausreichend gezeigt.

Herr Bundeskanzler, Sie sind am Wort. (Abg. Dr. Graf: Angesichts dieser Erfolgsge­schichte – warum machen Sie denn keine Volksabstimmung?)

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer (fortsetzend): Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird darüber gesprochen, dass berechtigte Kritik ernst genommen wer­den soll. – Jawohl, die soll ernst genommen werden! Wenn gleichzeitig gesagt wird, was alles in diesem Vertrag nicht drinnen steht, dann muss ich Ihnen folgende Frage stellen: Wie wäre die Geschichte Europas verlaufen, wenn die Gründer der Europäi­schen Union, diejenigen, die schon vor uns Europa weiterentwickelt haben, immer nur dann etwas vertraglich vereinbart hätten, wenn es zu 100 Prozent perfekt gewesen wä­re? Wäre es dann jemals zum Ausgleich zwischen Deutschland und Frankreich ge­kommen? Wäre es jemals zur einheitlichen europäischen Akte gekommen? Wäre es jemals zur Wirtschafts- und Währungsunion oder zum Schengen-Abkommen gekom­men?

Wenn immer erst dann, wenn etwas zu 100 Prozent perfekt gewesen wäre, Verträge abgeschlossen worden wären, dann hätte sich Europa für den Stillstand entschieden, denn die Wahrheit ist, dass Europa auch die Weiterentwicklung anhand von Kompro­missen ist. Ich würde mir auch bedeutend mehr Europa in diesem Vertrag wünschen, aber ich sehe ein, dass unter den gegebenen Bedingungen die 27 Mitgliedstaaten heu­te noch nicht zu mehr bereit sind und dass daher dieser Reformvertrag das Beste ist, was wir unter den heutigen Bedingungen erreichen können. (Abg. Strache: Eine ge­fährliche Drohung!)

 


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