Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll164. Sitzung / Seite 89

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Solidarität wird eingefordert! – Ja, Solidarität für jemanden, der sich nicht selbst helfen kann, hat einen Sinn. (Präsident Neugebauer gibt das Glockenzeichen.) Aber Solidari­tät als Anreiz dazu, keine Reformen durchzuführen, keine schmerzhaften Änderungen durchzuführen, das ist Unsinn und führt genau zu dem, was wir ablehnen, nämlich eine Schuldenunion und letztendlich eine unbegrenzte Haftung für Schulden fremder Staa­ten. (Beifall bei der FPÖ.)

12.36


Präsident Fritz Neugebauer: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Van der Bel­len. – Bitte.

 


12.36.56

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Der Bundes­kanzler, so habe ich ihn eigentlich verstanden, wollte eine Erklärung zu den zwei Gip­feln vom vergangenen Wochenende abgeben. Zu zwei Gipfeln, weil es ja ein Treffen der Staats- und Regierungschefs der 27 gegeben hat, also der gesamten Europäi­schen Union, und einen anschließenden Gipfel der Eurozone-Regierungschefs. Letzte­rer Gipfel ist, sofern ich mich nicht irre, um 4 oder 5 Uhr früh zu Ende gegangen, und es gibt dazu ein Kommuniqué – ohnehin nur eine Seite –, das ziemliches Aufsehen er­regt hat.

Mit diesem Kommuniqué haben die Staats- und Regierungschefs ihren Mund ziemlich voll genommen, finde ich. Und es werden sich zukünftig einige „Besenkammern“ die­ses Parlaments auch mit diesen Fragen zu beschäftigen haben – ich zitiere sinnge­mäß, natürlich einen FPÖ-Abgeordneten.

Der eine Punkt ist die Frage „Bankenunion, Europäische Bankenaufsicht“. Das hat der Herr Bundeskanzler erwähnt, das ist schön und gut. Ich sage nur dazu: Es fehlen im­mer noch eine Konkursordnung und eine Europäische Einlagensicherung dazu.

Der Punkt, auf den ich zu sprechen kommen wollte, ist aber folgender: Es wird im Rah­men des Kommuniqués der Regierungschefs überlegt, die Banken-Rekapitalisierung direkt vorzunehmen – derzeit bei der EFSF, künftig beim ESM –, statt über den Umweg des Staates. Das ist schön und gut, darüber kann man diskutieren. Ich weise nur da­rauf hin, dass Artikel 15 Absatz 1 des ESM-Vertrages – und über den stimmen wir heu­te ab, nicht über das Kommuniqué der Regierungschefs – das ausdrücklich nicht vor­sieht, sondern der Kredit an den Staat vergeben werden muss, der ihn seinerseits dann an seine Banken weitergibt.

Falls dieser Punkt geändert werden soll, muss der Gouverneursrat des ESM künftig darüber debattieren, und die „Besenkammer“ des Parlaments muss dann vorher sa­gen: ja oder nein, Frau Ministerin Fekter darf dieser Änderung zustimmen oder nicht.

Das Gleiche gilt für die Frage – das wäre der nächste Absatz –, dass Kredite an Spa­nien, die derzeit diskutiert werden, zuerst vom EFSF vergeben werden, dann an den ESM sozusagen übergeben werden sollen, „without gaining seniority status“.

Das ist auch ein heikler Punkt. Nach dem derzeitigen ESM-Vertrag haben ESM-Kredite „seniority status“. Das ist aber nicht ein eigentlicher Vertragsbestandteil, sondern ist Punkt 13 der Präambel. Also, ob das dann eine Vertragsänderung darstellt oder ob ein Beschluss der Regierungschefs hier genügt, ist zu prüfen. Wieder werden sich die „Be­senkammern“ des Parlaments damit auseinanderzusetzen haben. Und noch viel mehr gilt das für den dritten – und mit Recht am meisten aufsehenerregenden – Absatz, nämlich die Frage, ob nicht künftig der ESM ohne Einschaltung der Troika, ohne das relativ komplizierte Prozedere, das derzeit für Finanzhilfen, für den Einsatz der Finanz­instrumente des ESM vorgesehen ist, Hilfen geben kann. Gedacht wird dabei in erster Linie an Primärmarktinterventionen oder Sekundärmarktinterventionen. Dieser Absatz wurde von den Medien als Sieg von Mario Monti über Kanzlerin Merkel interpretiert.

 


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