Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll34. Sitzung, 4. Juli 2018 / Seite 136

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Europa lösen können, zieht sich der Kanzler zurück, hat er keinen Afrikaplan, hat er keinen Russlandplan, hat er keinen Plan der Auseinandersetzung mit den USA, hat er keinen Demokratisierungsplan der Europäischen Union, hat er keinen Plan für eine Sozialunion – hat er nichts. Er hat einen einzigen Plan, das ist der Plan zur Flüchtlings­abwehr. Das hat er bei Orbán gelernt, das hat er in Polen gelernt und das hat er bei seinen neuen Freunden in München gelernt.

Das ist die Gefahr, die in diesem EU-Ratsvorsitz verborgen ist, und das ist auch der tiefere Grund dafür, warum Ihre eigenen Parteifreunde Ihre Rede boykottiert haben: weil eine Gegenachse München–Wien–Budapest zur zentralen europäischen Eini­gungs­achse Paris–Berlin das Dümmste ist, was der Europäischen Union in der jetzigen Situation passieren kann. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das ist so ein abgrundtiefer Unfug, dass man sich fragen muss: Was steht dahinter?

Ich gehe einmal darauf ein und sage: Nehmen wir es ernst!, obwohl es schwerfällt. Nehmen wir es ernst und tun wir alle gemeinsam so, als ob die Flüchtlingsfrage jetzt die allerwichtigste Frage Europas wäre! Ich habe selbst immer wieder bei anderen Fragen – Kriminalität, politischer Islam – betont, wie wichtig es ist, sich mit den konkreten Problemen zu beschäftigen; aber nehmen wir einmal an, Sebastian Kurz hat recht, die Flüchtlingsfrage ist die allerwichtigste Frage, und sonst gibt es nichts. Dieses nächste halbe Jahr österreichischer Ratsvorsitz: Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge; Abwehr, Abwehr, Abwehr!

Okay. Wie wird es gemacht? – Erster Punkt, denn dort fängt die Kette für Sebastian Kurz an: Lager in Afrika. – Schon wieder Lager in Afrika! Niemand kann es mehr hören, niemand glaubt es, jeder weiß, ein Staat nach dem anderen sagt Nein, und nach Libyen, Herr Bundeskanzler, werden Sie es doch nicht ein zweites Mal versuchen. Das ist eine Kette von Fata Morganas.

Der zweite Punkt ist wesentlich ernster, weil er realistisch ist, und das ist ein guter Vorschlag von Ihnen, der da heißt: Hilfe vor Ort, denn wir wissen – wir haben das durchgerechnet –, wir müssen nur ein Zehntel vor Ort investieren, damit die Menschen nicht nach Europa, nicht nach Österreich kommen müssen und in der Nähe ihrer Heimat bleiben. Das sind gute Investitionen, menschlich und wirtschaftlich. – Aber was passiert konkret? Was passiert konkret bei den Flüchtlingen?

World Food Programme: Wir hatten diesbezüglich jahrelang in diesem Haus diesen Streit mit Ihnen als Staatssekretär, als Außenminister. Beim World Food Programme liegt Österreich heuer mit 603 865 Dollar auf Platz 43 der Spenderliste, hinter Lesotho, hinter Luxemburg, hinter Island. Schauen Sie zum UNO-Flüchtlingshilfswerk, UNHCR: für 2018 eine Zusage von 283 754 Dollar! Wissen Sie, was die Schweiz zahlt? – 50 Millionen Dollar an das World Food Programme; selbstverständlich, weil sie wissen, dass dort investiert werden muss, weil sie wissen, dass viele der Flüchtlinge, die zu uns kommen und das Ertrinken im Mittelmeer in Kauf nehmen, Hungerflüchtlinge sind. Und Sie lassen sie verhungern, aber dafür nehmen Sie sich mehr als 30 Millionen Euro zu Ihrer eigenen Verfügung, für das Bundeskanzleramt, für zusätzliche Projekte. (Zwi­schenruf bei der ÖVP.) Auf jeden Euro Nahrungsmittelhilfe von Österreich kommen 30 Euro im Budget zusätzliche Hilfe für den Bundeskanzler im Bundeskanzleramt. Das sind die Verhältnisse, so schaut es aus. Dabei lasse ich noch den Auslands­katastro­phenfonds weg, der auch um 25 Prozent gekürzt worden ist, und ich lasse die Deutsch­stunden weg, und ich lasse die gekürzten Integrationsmaßnahmen weg und vieles andere auch.

Ja, Sie dürfen sich nicht wundern, wenn Sie einer derjenigen sind, die ständig Hilfe vor Ort versprechen und niemals Hilfe vor Ort leisten, dass dann die Leute irgendwann


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