Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll34. Sitzung, 4. Juli 2018 / Seite 137

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genug haben, denn sie brauchen auch – nicht nur, aber auch – die Unterstützung aus Österreich, und von Sebastian Kurz werden sie diese mit Sicherheit nicht kriegen.

Jetzt ist die Frage: Wozu das alles in der Flüchtlingspolitik? – Das ist eine Frage poli­tischen Kalküls. Einen Punkt verstehe ich noch immer nicht: Sie sitzen vor wenigen Tagen in Linz bei einer gemeinsamen Sitzung der bayerischen Regierung mit der österreichischen Bundesregierung und applaudieren Ihren bayerischen Freunden laut bei deren Projekt, die Südgrenze Deutschlands in Bayern dicht zu machen und Asylwerber dort abzuweisen. Jetzt gibt es nur noch eine Möglichkeit: dass Sie nicht gewusst haben, dass auf der anderen Seite dieser Südgrenze Österreich liegt. (Heiter­keit und Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Gehen wir aber davon aus, Sie haben gewusst, auf der anderen Seite liegt Österreich. Warum applaudieren Sie da? Sie sind einer der seltsamsten politischen Trittbrettfahrer, der sagt: Ich fahre auf Trittbrettern mit, die mir selbst noch schaden!

Wie ist denn das mit den Visegrád-Staaten, bei denen der Vizekanzler schon 2016 Mitglied werden wollte und bei denen Sie derzeit praktisch eine De-facto-Mitgliedschaft vorbereiten? Wir als Nettozahler zahlen bis zu 20 Prozent in die polnischen und ungarischen Budgets ein und kriegen dann Tag für Tag und Woche für Woche ein Nein zu gemeinsamen europäischen Anliegen: Nein, wir nehmen keine Flüchtlinge, nein, wir beteiligen uns nicht an gemeinsamen Projekten, wir wollen das Geld! – Und dann tritt Sebastian Kurz auf und sagt: Toll, wir sind zwar Nettozahler, aber ich bin jetzt der Fahrschullehrer der Trittbrettfahrer und zeige ihnen, wie es in Europa geht!

Herr Bundeskanzler, ich glaube, das ist ausschließlich innenpolitisches Kalkül und sonst nichts. Das ergibt in der Flüchtlingspolitik keinen Sinn. Vernünftige Flüchtlings­politik macht man ganz anders, da beginnt man bei den Fluchtursachen. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wir haben in den Neunzigerjahren in diesem Haus – noch drüben am Ring – einige Male gemeinsam mit internationalen Expertinnen und Experten diskutiert und festge­stellt, dass es circa 15 bis 20 Jahre braucht, bis Maßnahmen und große Unterstüt­zun­gen in Afrika flächendeckend greifen. Wir wissen, dass es mit einigen Maßnahmen schnel­ler geht, aber Sie, Ihre Vorgänger, eine Kette von österreichischen Bundes­regierungen, von deutschen und europäischen haben nichts getan. (Abg. Wöginger: Applaudiert die SPÖ jetzt auch?) Wir haben Afrika im Stich gelassen und wundern uns, dass heute die Flüchtlinge kommen.

Wenn Sie schon einmal den Ratsvorsitz haben, Herr Bundeskanzler Kurz, dann wäre das genau der Tag, an dem Sie aufstehen und sagen: Ja, ich habe einen Plan! Ja, ich habe einen Plan und versuche, alle in Europa davon zu überzeugen! Ja, ich habe einen Plan, wie wir die Lasten aufteilen! Ja, ich habe einen Plan, wie wir Integration schaffen! Ja, ich habe einen Plan, wie wir mit den vielen jungen Menschen umgehen, die ohne ein Wort Deutsch zu können, aber mit allen ihren Kräften Chancen suchen, um etwas Neues in Österreich zu beginnen! Ja, ich habe einen Plan – so müsste jeder Satz von Ihnen beginnen; aber jeder Satz von Ihnen beginnt mit: Schuld an allem sind die Flüchtlinge, und wir müssen sie abwehren!

Herr Bundeskanzler Kurz, Sie werden kein einziges europäisches Problem damit lösen – kein einziges! Sie werden nur eines tun: Sie werden Europa weiter spalten. Und Sie sollten sich eines überlegen, bevor Sie sich das nächste Mal mit Orbán, Seehofer und vielleicht Salvini gegen Angela Merkel und deren Freunde in Paris und anderen Städten verbünden: Es gibt für kleine Staaten wie Österreich nur eine Chance, und die heißt: gemeinsam, denn die Alternative zu gemeinsam ist allein, und Ihre Politik zielt darauf ab, dass Österreich irgendwann allein ist. (Abg. Gudenus: Herr Pilz weiß, wie das ist!) Wir werden manchmal Nutzen daraus ziehen, wenn wir vielleicht


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