Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll34. Sitzung, 4. Juli 2018 / Seite 153

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Wenn man an Voltaire denkt: Er hat im 18. Jahrhundert dieses Europa schon in einer Dimension gelebt, von der wir heute mancherorts nur noch träumen können. Er ist durch diesen Kontinent gereist und hat als Wegbereiter der Aufklärung, als Freund und Fan der aufkeimenden parlamentarischen Demokratie sehr viele Türen geöffnet, durch die wir als Völker gegangen sind.

Dann kommen einige Generationen später Leute, die die Gnade der späten Geburt haben und so viele Türen schließen und Zäune aufbauen. Das verstehe ich nicht. Sie machen das mit einem Unterton: Ich habe keine andere Möglichkeit, ich muss das ja machen. Also frei nach Voltaire: In einem seiner Meisterwerke, „Candide oder die beste aller Welten“, beschreibt er, dass man sich nicht dem undifferenzierten Optimis­mus hingeben sollte. Das ist eine Tonalität, Sebastian Kurz, die auch bei dir immer wieder durchschlägt: Man darf sich nicht diesem undifferenzierten Optimismus, dieser Naivität hingeben, denn es ist gefährlich. – Ja, das ist die eine Seite der Medaille.

Voltaire schreibt aber in „Candide“ am Schluss – und hat es dann selbst vorgelebt, als er sich auf seine alten Tage an der französisch-schweizerischen Grenze nieder­gelas­sen hat –: Du sollst dich nicht den metaphysischen Luftschlössern hingeben, aber du sollst dich um deinen eigenen Garten kümmern. Du sollst ihn bestellen. Du sollst – und das ist ein Appell an den Herrn Bundeskanzler – soziale Felder kultivieren. – Das ist aber mehr ein Aufruf, über die Grenze zu denken und nicht den politischen Schre­bergärtner zu machen, Sebastian Kurz, und dabei noch die eigene Hecke anzuzünden, nur weil man sie mit dem Nachbarn teilt. Es ist ja dann die eigene Hecke, die ebenfalls brennt. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Sich um den eigenen Garten zu kümmern, heißt auch, zu begreifen, dass wir auf die­sem Flecken Erde, Europa, einfach eine Schicksalsgemeinschaft sind. Ich habe es schon öfters gesagt: Wenn ich meinen Kindern, als sie klein waren, Europa auf diesem blauen Planeten gezeigt und erklärt habe, dann sind sie nach 5 Minuten mit dem Globus wiedergekommen und haben gefragt, wo das denn sei.

Es ist so ein Tropfen Zeit, es sind über 500 Millionen Menschen. Wir sind kraft Geo­grafie, Geschichte, Dichte der Bevölkerung eine Schicksalsgemeinschaft. Wir können es uns nicht aussuchen. Wenn eine Hütte brennt – und wir haben das am Balkan pro­biert –, dann fackelt die Nachbarhütte mit ab. Die Leute, die drinnen sind, sind dann entweder geflüchtet oder tot. Wenn eine Grenze brennt, dann brennt die nächste Grenze mit, und am Schluss brennen alle Grenzen und dann der ganze Kontinent. Das ist einfach so.

Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft, und wir können – das wäre der Auftrag für die Ge­neration Erasmus und Interrail – und müssen diese Schicksalsgemeinschaft als Chancengemeinschaft begreifen. Wenn man das ernst meint, dann muss einem mehr einfallen, als dir bisher eingefallen ist.

Nur ein Beispiel, man könnte zum Beispiel sagen: Machen wir 1 000 Partnerstädte in Nordafrika, und ich mit meinen Netzwerken, mit meiner Autorität, nehme zwei bis drei Regierungschefs und sage: Wir gehen als Österreich voran, mit zwei, drei anderen Ländern, seien es die Niederlande, sei es Frankreich, sei es Tschechien. – Das ist nicht naiv, das bedeutet es, den eigenen Garten zu bestellen! Das wären nur 15 Städte für Österreich, das schaffen wir leicht. Eine Stadt kümmert sich in einer Partnerschaft um ein Bildungsprojekt, eine um ein Krankenhaus, um Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten, eine um Abwasserentsorgung, eine um Kriminalitätsbekämpfung, eine um Elektrizität. Das wären nur 15 Städte! Wir finden die – nicht wenn ein Oppositionsführer die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister anschreibt, aber wenn der Bundeskanzler sie anschreibt, schriebe er sie an, dann finden wir sie! Es sind 15, wenn wir das mit zwei, drei anderen Regierungschefs skalieren, dann seid ihr mit 300 Partnerstädten


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