Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 25. Oktober 2018 / Seite 21

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„Welche konkreten Punkte im UN-Migrationspakt sind so kritisch, dass jetzt die Nicht-Annahme des Paktes diskutiert wird?“ (Abg. Leichtfried: Sehr gute Frage! Eine sehr gute Frage!)


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.


Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres Dr. Karin Kneissl: Ja, eine Frage, die viele beschäftigt – vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Zadić. Vielen Dank auch, Herr Mag. Leichtfried; wenn Sie noch eine Zusatzfrage haben, stehe ich dann gerne bereit, das noch zu vertiefen.

Um Ihre Frage zu beantworten: Als Völkerrechtlerin habe ich mich auch viel mit dem Phänomen Völkergewohnheitsrecht beschäftigt, und die Möglichkeit, dass da Völkerge­wohnheitsrecht entsteht, wird gegenwärtig geprüft. Wir brauchen dafür zwei Elemente, das ist einerseits die Opinio iuris, also das Bewusstsein, dass da Völkerrecht entsteht, und andererseits eine Staatenpraxis.

Die Judikatur des Internationalen Gerichtshofes und viele andere Instanzen bezie­hungs­weise auch die Literatur haben sich in weitem Umfang mit Völkergewohn­heits­recht beschäftigt, und genau das prüfen wir jetzt dahin gehend, inwieweit es dazu kommen könnte, beziehungsweise schauen wir uns auch Votumserklärungen an, wie sie beispielsweise der Schweizer Bundesrat gemacht hat, der bereits eine Debatte dazu hatte.

Wir wissen, dass in weiten Teilen der österreichischen Bevölkerung auch eine Debatte geführt wird, auch eine Besorgnis da ist, dass es zur Einschränkung der Souveränität Österreichs und zu internationalen Verpflichtungen – da bin ich wieder beim Völkergewohnheitsrecht – wie auch zur Verpflichtung für weitere Sozialleistungen für Migranten kommen könnte. Das alles ist derzeit in Prüfung.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Zadić, bitte.


Abgeordnete Dr. Alma Zadić, LL.M. (PILZ): Völkergewohnheitsrecht entsteht ja, wenn man ein Recht mit der Überzeugung anwendet, dass es verbindlich ist. (Bun­desministerin Kneissl: Genau!) Jetzt ist ja in der Präambel dieses Paktes ausdrücklich festgehalten, dass er eben nicht verbindlich ist. Daher ist die Frage, warum davon ausgegangen wird, dass er verbindlich sein könnte, und wer die Verantwortung dafür trägt, wenn dieser Pakt nicht unterzeichnet wird – schließlich haben wir ja eineinhalb Jahre verhandelt, ohne kundzutun, dass wir damit nicht einverstanden sind.


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Frau Bundesministerin.


Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres Dr. Karin Kneissl: Die beiden Fragen darf ich wie folgt beantworten: Wenn wir an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte denken, auch – unter Anführungszeichen – „nur“ eine Deklaration, hat diese aber bereits vieles zusammengefasst und zu Papier gebracht, was in ge­wisser Weise Prinzipien des Völkerrechtes waren. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat sich dann – und ich möchte die beiden jetzt in keiner Weise gleichsetzen, nur als Illustration – immer stärker in eine Verpflichtung entwickelt. Daraus können wir auch Ius cogens, also verpflichtendes Völkerrecht, ableiten.

Wenn wir jetzt den Migration-Compact, den Pakt für Migration, lesen, dann kann man sehr vieles hereinlesen, man kann vieles herauslesen. Es finden sich Staaten wieder, es finden sich Staaten nicht wieder, und diese Debatte findet nicht nur in Österreich statt. Wir hatten genauso eine sehr intensive Debatte in Bern in den letzten Monaten, wir haben eine Debatte in Warschau, es wird auch in Australien heftig darüber de­bat-


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