15.28

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (JETZT): Willkommen, Herr Bundeskanzler! Beginnen wir bei der Menschenrechtskonvention: Ich begrüße es, aber ich halte es auch für eine Selbstverständlichkeit, dass Sie gesagt haben: Die Menschenrechtskonvention ist – und ich glaube, ich habe Sie richtig verstanden – nicht nur ein Teil unserer Bundes­verfassung, sondern einer der wenigen Grundpfeiler unserer Bundesverfassung.

Ich möchte noch eine nicht unwesentliche Kleinigkeit hinzufügen: Die Europäische Menschenrechtskonvention entspricht Punkt für Punkt der europäischen Grundrechtecharta, und auf dieser europäischen Grundrechtecharta ist unser friedliches Nachkriegseuropa aufgebaut. Diese europäische Grundrechtecharta ist die Basis von all dem, was wir als gemeinsame europäische Errungenschaften betrachten. Wer diese europäische Grundrechtecharta negiert, plädiert für den Öxit, nicht nur aus der Europäischen Union, sondern auch aus der Wertegemeinschaft Europas. – Das ist einmal der erste wichtige Punkt.

Der zweite ist: Herr Bundeskanzler, Sie haben erklärt, alle Mitglieder der Bundesregie­rung haben die Verfassung zu achten. – Jetzt stelle ich Ihnen nur eine Frage: Was passiert, wenn ein Mitglied der Bundesregierung die Verfassung nicht achtet? Was passiert dann? Was passiert, wenn ein Mitglied der Bundesregierung dezidiert sagt: Ich denke nicht daran, die Verfassung zu achten!? (Abg. Steger: Wer hat das gesagt?) – Bitte mir die beiden Plakate von meinem Sitzplatz zu bringen! (Ruf bei der FPÖ: Haben wir in der Aufregung was vergessen? – Ein parlamentarischer Mitarbeiter überreicht dem Redner zwei Tafeln.)

Sie stellen mir jetzt eine gute Frage, und die möchte ich Ihnen mit zwei Tableaus be­antworten. (Ruf bei der ÖVP: Wieso bringt die denn nicht ...?) Diese beiden Tableaus zeige ich Ihnen gleich (zwei Tafeln, auf denen Screenshots zu sehen sind, nacheinander in die Höhe haltend): Kennen Sie das noch? – Heinz-Christian Strache, FPÖ-Bundesparteiobmann:  „100 FPÖ-Forderungen zur Beseitigung der Fairness-Krise“, präsentiert vom jetzigen Verkehrsminister Hofer am 13. September 2017, kurz vor der Nationalratswahl. (Abg. Belakowitsch: Das war gut, ja!) Da gibt es im Namen des Bundesparteiobmanns und jetzigen Vizekanzlers eine Garantie: „Österreicher ver­dienen Fairness“, und darunter: „Evaluierung der Europäischen Menschenrechts­konven­tion und gegebenenfalls Ersatz durch eine ,Österreichische Menschenrechts­konvention, die auch das Heimatrecht der Österreicher schützt“. (Abg. Rosenkranz: Bravo!)

So, das war kein Ausrutscher, meine Damen und Herren und Herr Bundeskanzler, das ist das Wahlprogramm der Freiheitlichen Partei! (Beifall bei JETZT und SPÖ.) Und erzählen Sie mir nicht, Herr Bundeskanzler, dass Sie das Wahlprogramm der Frei­heitlichen Partei und die Versprechen nicht des Innenministers, sondern des Partei­obmanns und jetzigen Vizekanzlers nicht gekannt haben!

Sagen wir aber einmal, Sie haben es nicht gekannt, Sie haben den Wahlkampf verschlafen, Sie haben nicht aufgepasst und erfahren es erst jetzt. (Ruf bei der SPÖ – auf den mit seinem Handy hantierenden Bundeskanzler Kurz weisend –: Am Handy?) Dann wissen Sie zumindest ab jetzt: Das war kein Kickl-Ausrutscher, das ist ein frei­heitlicher Plan und ein freiheitliches Versprechen.

Was beinhaltet dieses Versprechen? – Schritt eins: Wir ersetzen die Europäische Menschenrechtskonvention durch eine österreichische Menschenrechtskonvention, also die EMRK durch eine ÖMRK. Was aber ist die ÖMRK? – So wie wir die Freiheitliche Partei kennen alles andere, nur keine Menschenrechtskonvention. Also wird das wohl eine österreichische freiheitliche Konvention sein.

Reden wir darüber, was das in der Praxis heißt! – Herr Bundeskanzler, was tun Sie nicht mit einem Innenminister, sondern mit einem Vizekanzler, der gemeinsam mit seiner ganzen Partei in Form eines politischen Versprechens öffentlich verbindlich angekündigt hat, sich gegen die Europäische Menschenrechtskonvention zu stellen und an ihrer Abschaffung zu arbeiten? Gehen Sie jetzt wieder zur Tagesordnung über?

Jetzt reden wir doch einmal offen über ein politisches Problem! Was passiert in dieser Bundesregierung und was passiert mit Ihnen? – Sie haben geglaubt, wenn Sie freiheitliche Politik machen, nicht nur im Fremden-, Asyl- und Integrationsbereich, dann nehmen Sie den Freiheitlichen den Wind aus den Segeln und dann geht’s, dann domestizieren Sie die Freiheitliche Partei. Die Antwort der FPÖ ist doch vollkommen eindeutig: Wenn die ÖVP im Nachzockeln hinter der Freiheitlichen Partei eine Grenze überschreitet und freiheitliches Terrain besetzt, dann überschreitet eben die Frei­heitliche Partei die nächste Grenze. – Und genau das passiert jetzt, genau jetzt wird die nächste Grenze überschritten! (Beifall bei JETZT und SPÖ.)

Genau jetzt wird erklärt: Ah, jetzt gehen wir gegen die Europäische Menschen­rechts­konvention, gegen die Grundsätze der Europäischen Union, und jetzt schauen wir, ob die ÖVP nachkommt; wenn nicht, haben wir das Krawallmonopol, wenn ja, dann haben wir die ÖVP wieder dort – und es gibt ja noch ein paar Grenzen, die wir überschreiten können!

Dieser Verfassungsvandalismus der Freiheitlichen Partei ist ein großes Problem, aber das wirkliche Problem ist, dass nach einer freiheitlichen Grenzüberschreitung im Nach­ziehverfahren die Österreichische Volkspartei hintennachtorkelt – verlässlich hinten­nachtorkelt! (Beifall bei JETZT und SPÖ.) Deswegen sehen Sie auch zu, wie ein In­nen­minister Woche für Woche erklärt, er denkt nicht daran, sich an die Gesetze zu halten.

Da geht ein freiheitlicher Offizier ins Abwehramt und sagt: Ich möchte im Abwehramt aufgenommen werden!, macht einen Eignungstest und fällt mit Bomben und Granaten durch, wahrscheinlich, weil er über die durchschnittlichen Qualifikationen eines Freiheitlichen verfügt. (Heftiger Widerspruch bei der FPÖ.) Damit er aber im BVT, im Verfassungsschutz - -

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka (das Glockenzeichen gebend): Herr Abgeord­neter, das ist eine Herabwürdigung. Nehmen Sie das zurück! (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (fortsetzend): Ich weiß nicht, wie ich das durchschnitt­liche Bildungsniveau freiheitlicher Funktionäre vom Rednerpult aus heben kann. Herr Präsident, das ist mir nicht möglich! (Beifall bei JETZT und SPÖ. – Widerspruch bei der FPÖ.) Ich weiß auch nicht, wie ich die Verfassungstreue von Freiheitlichen und Angehörigen der Österreichischen Volkspartei vom Rednerpult aus wiederherstellen kann. Herr Präsident, das muss der Bundekanzler machen und nicht ich! Die Her­stellung von Verfassungstreue und die Herstellung von so etwas wie politischer Anständigkeit (Beifall bei JETZT und SPÖ) und Treue zu den Grundsätzen dieser Republik und der Europäischen Union kann nicht ich vom Rednerpult aus vornehmen, das ist Aufgabe des Bundeskanzlers. Wenn er es nicht schafft, dann muss es poli­tische Konsequenzen geben.

Jetzt geht es aber um politische Konsequenzen für den Innenminister. (Anhaltende Zwischenrufe bei der FPÖ. – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.) Es vergeht kaum ein Tag, an dem der Innenminister nicht Gesetze dieser Republik bricht, und es gibt keinen Grund mehr, darauf zu vertrauen, dass sich der Innenminister in Zukunft an die Gesetze dieser Republik halten wird. Deshalb bringe ich den selbstverständlichsten Antrag dieses Hauses am heutigen Tage ein; das ist ein Antrag der gesamten Opposition: der Abgeordneten der SPÖ, der Abgeordneten der NEOS und auch der Abgeordneten meiner Liste. (Abg. Wöginger: Sind das Leibeigene?) Dieser Antrag ist ganz, ganz kurz; ich lese ihn vor:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Dr. Peter Pilz, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Versagen des Vertrauens gegen­über dem Bundesminister für Inneres“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Dem Bundesminister für Inneres wird im Sinne des Art. 74 Abs. 1 B-VG durch ausdrückliche Entschließung des Nationalrates das Vertrauen versagt.“

*****

Ich sage Ihnen auch, warum das so wichtig ist: Innenminister Kickl ist derzeit eine der größten Gefahren für die öffentliche Sicherheit. (Abg. Steger: Und Sie für Frauen!) Innenminister Kickl ist eine der größten Gefahren für die internationale Zusammen­arbeit des Verfassungsschutzes. Innenminister Kickl ist heute vielleicht die größte Gefahr für die österreichische Bundesverfassung und die Gesetzes- und Verfassungs­treue der Angehörigen der Regierung Sebastian Kurz. Innenminister Kickl ist für ein Haus, das für die Gesetze und die österreichische Bundesverfassung eine ganz beson­dere Verantwortung trägt, nicht mehr tragbar. Es gibt keine Alternative zum Rücktritt des Innenministers.

Darüber hinaus aber, Herr Bundeskanzler, haben Sie eine Frage zu klären: Auch wenn Innenminister Kickl zurücktritt – und früher oder später wird er zurücktreten müssen; es geht nicht mit ihm –, werden Sie sehen, dass die Schäden nicht nur die Republik Österreich, sondern immer mehr auch die Österreichische Volkspartei betreffen wer­den. (Abg. Rosenkranz: Was ist da das Höhere, die Republik oder die ÖVP?)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Schlusssatz bitte!

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (fortsetzend): Sie werden sehen, dass es unser gemein­sames Interesse ist, dass dieser Innenminister zurücktritt und dass Sie das Vertrauen in die Verfassung und in die Grundsätze der Europäischen Union als Bundeskanzler wiederherstellen. Ich hoffe, Sie sind dazu noch in der Lage. (Beifall bei JETZT und SPÖ.)

15.39

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Dr. Peter Pilz Kolleginnen und Kollegen

betreffend Versagen des Vertrauens gegenüber dem Bundesminister für Inneres

eingebracht im Zuge der Debatte über den dringlichen Antrag betreffend „Vertrauen des Nationalrates in die Bundesregierung“ in der 60. Sitzung des Nationalrates, XXVI. GP, am 30.1.2019

Begründung

Der Bundesminister für Inneres spricht gerne und viel über Grenzen. Etwa darüber, wer diese überschreiten darf und wer nicht. Oder welche Sanktionen greifen, wenn Grenzen missachtet werden.

Am Dienstag, dem 27. Jänner 2019, überschritt und missachtete der Bundesminister für Inneres selbst eine fundamentale Grenze, indem er in der ORF-Sendung „Report“ folgende Aussagen tätigte:

„Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht.“ Die Europäische Menschenrechtskonvention und somit ein Teil der Verfassung der Republik sei ein „seltsames rechtliches Konstrukt aus den 1950ern“.

In der offensichtlichen Ablehnung des Grundsatzes der Bindung allen staatlichen Han­delns an die Verfassung und die Gesetze verließ der Bundesminister jenen Rahmen, den ihm die Österreichische Bundesverfassung, auf die er am 18. Dezember 2017 vor dem Bundespräsidenten seinen Ministereid abgelegt hat, gibt.

Gleichzeitig hat der Innenminister durch seine Amtsführung bewiesen, dass er sich nicht an geltende Gesetze gebunden fühlt. So hat das OLG Wien am 22. August 2018 entschieden, dass der Großteil der BVT-Hausdurchsuchungen, die unter der Führung von Beamten des BMI durchgeführt wurden, gesetzwidrig war.

Wenn ein Bundesminister für Inneres österreichische Gesetze ignoriert, europäische und österreichische Grundrechte in Frage stellt und zugleich feststellt, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“, wenn er in Anspielung auf die – in Österreich im Verfassungsrang stehende – EMRK von „seltsamen rechtlichen Konstruktionen“ spricht und wenn er rechtsstaatlich ergangene Urteile als „weltfremd“ kritisiert, dann stellt er sich bewusst außerhalb des Rahmens, den Rechtstaat und Ver­fassung dem Handeln der Bundesregierung setzen.

Diese Haltung ist mit dem Amt eines Bundesministers der Republik Österreich unver­einbar. Ein Bundesminister ohne Respekt gegenüber der Bundesverfassung ist untrag­bar.

Es ist Aufgabe des Nationalrats, unmissverständlich klarzustellen:

• Die Politik hat den Grundsätzen und Bestimmungen der Verfassung zu folgen und nicht die Verfassung der Politik.

• Das Handeln von Mitgliedern der Bundesregierung hat auch nach der letzten Natio­nalratswahl ausschließlich auf der Grundlage von Art. 18 B-VG zu erfolgen.

Aus diesen Gründen stellen die unterfertigenden Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Dem Bundesminister für Inneres wird im Sinne des Art. 74 Abs. 1 B-VG durch aus­drückliche Entschließung des Nationalrates das Vertrauen versagt.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung.

Ich darf die Schüler der Höheren landwirtschaftlichen Bundeslehranstalt in Wieselburg herzlich zu einer spannenden Debatte hier im Hohen Haus begrüßen! (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Gerstl. – Bitte.