17.20
Abgeordneter Dr. Alfred J. Noll (JETZT): Frau Präsidentin! Herr Vizekanzler! Frau Ministerin! Hohes Haus! Sachlich wird man den Worten des Herrn Vizekanzlers wenig hinzufügen müssen. Wer auch nur einigermaßen juristisch bei Verstand ist, hat bemerkt, dass damit den ehemaligen Regierungsparteien die Sache tatsächlich ins Gesicht geschlagen wurde. (Beifall bei JETZT und SPÖ sowie der Abg. Krisper.)
Politisch gesehen – und da zeichnet sich unser Vizekanzler durch eine Höflichkeit und Zurückhaltung aus, die mir in dieser Sache eher fernsteht – ist das einfach reaktionärer Schrott (Abg. Deimek: Reaktionär ist ein bekennendes Wort! Die DDR ...!), juristisch gesehen ist es Stümperei und kriminalsoziologisch gesehen ist es kontraproduktiv. (Beifall bei JETZT und SPÖ sowie bei Abgeordneten der NEOS.) Wir werden dieses Gesetz deshalb natürlich ablehnen.
Höhere Strafen für junge Erwachsene sind kontraproduktiv, der Ausschluss der bedingten Strafnachsicht bei Vergewaltigung ist absehbar unheilvoll, die Ausweitung der Strafdrohungen und der eingeführten Mindeststrafen sind kriminalpolitisch nicht sinnvoll, und Professor Tipold hat im Begutachtungsverfahren genau das gesagt, was hier den Punkt trifft – ich zitiere –: „Das ist keine rationale Kriminalpolitik, sondern reiner Aktionismus.“ – Genieren Sie sich dafür! (Beifall bei JETZT und SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Deimek.)
Der Abänderungsantrag zur Anzeigepflicht hat ein gewisses Einsehen in die berechtigte Kritik der Öffentlichkeit, der Fachverbände und der Expertinnen und Experten gezeigt, nur fragt man sich: Wieso benötigt man denn überhaupt eine derartige Anzeigepflicht, wenn sie letztlich so aufgeweicht wird? – Das ist also wiederum nur ein wahlkampftaktisches Placebo auf einem Gebiet, das sehr viel heikler ist und sehr viel mehr Sorgfalt bedürfte.
Schließlich – und das wurde bis jetzt noch nicht erwähnt – haben wir im Rahmen des Begutachtungsverfahrens auch eine Studie zum Thema Strafpraxis gesehen. Diese Studie hat die Taskforce Strafrecht beauftragt. Ergebnis dieser Studie war, dass eine Anhebung der Strafen derzeit nicht sinnvoll sei. Die ÖVP und die FPÖ haben demgegenüber immer wieder ventiliert: Ja, ja, ja, höhere Strafen seien notwendig. – Ich kann vor dem Hintergrund dieser Erfahrung den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Österreich nur empfehlen, nie wieder für die ÖVP oder die FPÖ Studien zu erstellen, wenn sie nicht als Feigenblatt für eine derartige postfaktische Politik herhalten wollen. (Beifall bei Abgeordneten von JETZT sowie bei SPÖ und NEOS. – Abg. Deimek: ... DDR war postfaktisch!)
Bei diesem Gewaltschutzgesetz ist in Wirklichkeit das interessant, was fehlt; und wir wissen seit Jahren, was auf diesem Gebiet fehlt: Es fehlt an Geld. Die Gerichte sind teilweise so marod, dass im Sommer Zeugen und Parteien kollabieren, weil nicht einmal für die Klimatisierung der Gerichtssäle Sorge getragen werden kann. Das Kanzleipersonal befindet sich mitunter längst im Burn-out, und Staatsanwälte sehen mitunter vor lauter Aktenbergen durch ihr Fenster die Sonne nicht mehr. Was die Justiz braucht, ist einfach: Sie braucht Geld.
Daher bringen ich folgenden Antrag ein:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Alfred Noll, Dr. Peter Wittmann, Kolleginnen und Kollegen
betreffend „ein höheres Justizbudget für einen zielgerichteten Schutz der Menschen vor Straftaten“
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird ersucht, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dem Justizressort ein um 250 Mio Euro erhöhtes jährliches Budget zuzuweisen.
Dieses erhöhte Budget ist vom Justizminister für
• zusätzliche Planstellen für RichterInnen, StaatsanwältInnen, RichteramtsanwärterInnen, RechtspflegerInnen, exekutives und nicht-exekutives Personal in Vollzugsanstalten, Kanzlei- und IT-Personal sowie Planstellen am Bundesfinanz- und am Bundesverwaltungsgericht im Asyl- und Fremdenrecht,
• eine Verbesserung des Parteienservices an Gerichten und bei Staatsanwaltschaften
• eine Erhöhung der Aus- und Fortbildungsmaßnahmen im Justizbereich,
• notwendige Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten in Gerichten, Straf- und Maßnahmenvollzugsanstalten
• eine Erhöhung der Gebührensätze für Dolmetscher und Sachverständige sowie
• die ausreichende Finanzierung für Erwachsenenschutzvereine, den Verein Neustart, Opferschutzeinrichtungen und die Familien- und Jugendgerichtshilfe
zu verwenden.“
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So, das war die Pflicht. Da das heute auch meine Abschiedsrede hier im Hohen Haus ist, werde ich Sie freilich auch noch mit einer kleinen, aber meines Erachtens notwendigen Kür verwöhnen.
Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert, mit dem zu vergleichen sich unser Herr Präsident aus guten Gründen wohl scheuen würde (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPÖ), hat in seiner Abschiedsrede davon gesprochen, dass sich die Praxis des Deutschen Bundestages – ich zitiere – „unter den Mindestansprüchen“ bewegt, „die ein selbstbewusstes Parlament für sich gelten lassen muss.“
Es liegt mir klarerweise fern, von dieser Stelle die deutschen Verhältnisse zu qualifizieren. Hätte er dies über die österreichischen Verhältnisse und den österreichischen Nationalrat gesagt: Wir müssten ihm wohl zustimmen! Nach zwei Jahren hier im Hohen Haus weiß ich: Es gibt kein Parlament. Die Rede vom Parlament ist in Österreich eine kontrafaktische Unterstellung. Tatsächlich erweist sich der Nationalrat als jenes botmäßige Vehikel, das den schönfärberisch Regierungsvorlagen genannten Regierungsdekreten bloß noch das Mäntelchen der Gesetzlichkeit überwirft.
Hätten wir statt der 183 Abgeordneten nur noch die Klubobleute, die natürlich heute bei dieser Diskussion allesamt fehlen – von Wöginger bis Hofer, von Meinl-Reisinger bis Rendi-Wagner –, dann wäre nichts anders, außer dass wir uns die Peinlichkeit mancher Auftritte ersparen würden. (Abg. Zarits: Deinem!) Von dieser Stelle wird für Leute geredet, die selten zuhören, und hier hören Leute zu, zu denen nicht gesprochen wird.
Vieles in diesem Haus ist defizitär. Es fehlt an parlamentarischer Courage, an intellektueller Beweglichkeit, an sachlicher Interessiertheit, an demokratischer Vehemenz und an gesellschaftspolitischer Aussichtsfähigkeit. In Tateinheit mit dem politischen Teleshopping, das unseren Wahlkampf prägt, führt der parlamentarische Kleinmut, der in diesem Haus grassiert, zu notorischer Unwahrhaftigkeit, zu politischer Ideenlosigkeit und – ich sage das ganz ausdrücklich – zu verbrecherischen Unterlassungen.
Sie sind durch Unterlassung mit schuld, dass unserem Planeten irreversibler Schaden zugefügt wird; Sie sind durch Unterlassung daran beteiligt, die bestehenden sozialen Ungerechtigkeiten weiter bestehen zu lassen; Sie sind durch Unterlassung daran beteiligt, dass das demokratische Versprechen unserer Verfassung weiterhin ohne partizipativer Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger belassen wird; und Sie sind auch daran schuld, dass es nicht zu mehr Transparenz und zu mehr Kontrolle kommt.
Letztlich – weil das das Thema des Tagesordnungspunktes 6 ist – rühren Sie, meine Damen und Herren, tatsächlich auch keinen kleinen Finger, wenn es darum geht, das bestehende Herrschaftsverhältnis zwischen Männern und Frauen zu überwinden und Frauen aus den bestehenden und absehbaren Armuts- und Gefährdungsfallen zu befreien. (Zwischenruf des Abg. Pilz.)
Meine Damen und Herren, nach zwei Jahren sehe ich keinen Grund, mein Ausscheiden aus einem derartigen Haus groß zu bedauern. Sie sind Fürstendiener und keine Volksvertreter. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)
17.28
Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Alfred J. Noll, Johannes Jarolim, Peter Pilz, Peter Wittmann, Kolleginnen und Kollegen
betreffend ein höheres Justizbudget für einen zielgerichteten Schutz der Menschen vor Straftaten
eingebracht im Zuge der Debatte in der 89. Sitzung des Nationalrats über den TOP 6:
Antrag der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker, Mag. Harald Stefan, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz, das Namensänderungsgesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, das Jugendgerichtsgesetz 1988, die Strafprozeßordnung 1975, das Strafregistergesetz 1968, das Tilgungsgesetz 1972, die Exekutionsordnung, das Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz geändert wird und Verstöße gegen bestimmte einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre zu Verwaltungsübertretungen erklärt werden, das Ärztegesetz 1998, das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, das Hebammengesetz, das Kardiotechnikergesetz, das MTD-Gesetz, das Medizinische Assistenzberufe-Gesetz, das Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetz, das Sanitätergesetz, das Zahnärztegesetz, das Musiktherapiegesetz, das Psychologengesetz 2013, das Psychotherapiegesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Verbrechensopfergesetz und das Bundesgesetz mit dem das Bundesgesetz über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche geändert werden (Gewaltschutzgesetz 2019) (970/A)
„Die Justiz stirbt einen stillen Tod“, so hat es Justizminister Jabloner zu Recht formuliert. Aber es ist noch schlimmer. Staatsanwälte ersticken unter Anzeigenbergen. Gefängnisse platzen aus allen Nähten und verfallen, weil sie nicht renoviert werden. In den Gefängnissen gibt es nicht einmal genug Psychologen und Sozialarbeiter, um die Insassen auf ein Leben nach der Strafe vorzubereiten. Wenn Gefängnisse verfallen, ist es leichter, aus ihnen auszubrechen. Wenn Insassen nicht auf ein Leben nach der Strafe vorbereitet werden, werden sie wieder Straftaten begehen. Bei der Bewährungshilfe türmen sich die Akten. Das Budget für die Bewährungshilfe wurde seit Jahren nicht erhöht, obwohl die Bewährungshilfe das erste Bollwerk ist, das ehemalige Straftäter davon abhalten kann, wieder straffällig zu werden.
Wer sagt, Justizpolitik funktioniere auch ohne ein höheres Budget, der hat entweder keine Ahnung, wovon er spricht, oder er lügt und nimmt bewusst in Kauf, dass gefährliche Straftäter freikommen und die Straßen unsicherer werden.
aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachfolgenden
Antrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird ersucht, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dem Justizressort ein um 250 Mio Euro erhöhtes jährliches Budget zuzuweisen.
Dieses erhöhte Budget ist vom Justizminister für
• zusätzliche Planstellen für RichterInnen, StaatsanwältInnen, RichteramtsanwärterInnen, RechtspflegerInnen, exekutives und nicht-exekutives Personal in Vollzugsanstalten, Kanzlei- und IT-Personal sowie Planstellen am Bundesfinanz- und am Bundesverwaltungsgericht im Asyl- und Fremdenrecht,
• eine Verbesserung des Parteienservices an Gerichten und bei Staatsanwaltschaften
• eine Erhöhung der Aus- und Fortbildungsmaßnahmen im Justizbereich,
• notwendige Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten in Gerichten, Straf- und Maßnahmenvollzugsanstalten
• eine Erhöhung der Gebührensätze für Dolmetscher und Sachverständige sowie
• die ausreichende Finanzierung für Erwachsenenschutzvereine, den Verein Neustart, Opferschutzeinrichtungen und die Familien- und Jugendgerichtshilfe
zu verwenden.“
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