17.45

Abgeordnete Dr. Irmgard Griss (NEOS): Frau Präsidentin! Herr Vizekanzler! Frau Bundesministerin! Zuerst möchte ich Ihnen, Herr Vizekanzler, sehr herzlich für diese klaren Worte danken. (Beifall bei NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.) Dem ist ei­gentlich nichts hinzuzufügen, erlauben Sie mir dennoch, dass ich doch ein paar Worte anbringe.

Für mich ist dieses Gewaltschutzgesetz eine Mogelpackung. (Ruf bei der SPÖ: Ja!) Wissen Sie, was eine Mogelpackung ist? – Von einer Mogelpackung spricht man, wenn die Aufmachung nicht dem Inhalt entspricht; Sie haben eine große Bonbonniere und drinnen sind nur einige mickrige Zuckerln. Im Wettbewerb zwischen Unternehmen sind Mogelpackungen verboten, als Richterin habe ich einige Male damit zu tun ge­habt. Leider gibt es ein solches Verbot in der Politik nicht, daher müssen wir uns heute hier mit einer fast klassischen Mogelpackung beschäftigen.

Sie nennen dieses Gesetz Gewaltschutzgesetz, aber es schützt nicht vor Gewalt, denn all die Straferhöhungen, die Sie vorsehen, die Strafverschärfungen werden aller Wahr­scheinlichkeit nach keine einzige Gewalttat verhindern. Das muss man nicht extra be­gründen, denn kein potenzieller Gewalttäter erkundigt sich, bevor er zuschlägt, wie hoch die Mindeststrafe oder die Höchststrafe ist. (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Abgeordneten von JETZT. – Abg. Heinisch-Hosek: Genau!) – Das ist mein erster Kri­tikpunkt.

Mein zweiter Kritikpunkt ist: Wozu gibt es überhaupt Begutachtungsverfahren? Wozu werden Fachleute eingeladen, um zu einem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen? – Die müssen das doch als Affront empfinden, dass man auf diese begründeten Einwen­dungen überhaupt nicht eingeht. (Zwischenruf der Abg. Steinacker.) Wenn man dann sagt: Wir haben das gemeinsam mit Experten erarbeitet!, ist das – verzeihen Sie mir diesen Ausdruck (in Richtung Präsidentin Bures), darf man blanker Hohn sagen, das weiß ich nicht? – jedenfalls etwas, was absolut nicht angemessen ist.

Mein dritter Kritikpunkt ist: Das ist Stammtischpolitik in Reinkultur. Man schaut dem Volk aufs Maul, das heißt, man liest die Facebook-Kommentare, und redet ihm dann nach dem Mund. Für mich ist das organisierte Unverantwortung. (Beifall bei NEOS und SPÖ.) Verantwortungsvolle, vernunftgeleitete, anständige Politik schaut anders aus. (Abg. Duzdar: Finde ich auch!)

Anständige, seriöse Politik überlegt, wie man einen Missstand beheben kann, sie ist evidenzbasiert und sie fragt, welche Maßnahmen das gewünschte Ergebnis erreichen können. In diesem Zusammenhang, wenn man Gewaltverbrechen verhindern will – das ist ein absolut legitimes und notwendiges Ziel –, muss man zuerst fragen: Was sind denn die Ursachen? (Ruf bei der SPÖ: Genau!) Und wenn man fragt, was die Ursa­chen sind, dann wird man in vielen Fällen in der frühen Kindheit von späteren Gewalt­tätern Verhältnisse finden, die eine Entwicklung in eine kriminelle Richtung begünstigt haben. Das heißt, wenn man Gewalt verhindern will, dann muss man sehr viel in So­zialarbeit bei gefährdeten Familien investieren, dann muss man sehr viel in Gewalt­prävention in Schulen investieren, dann muss man etwas dafür tun, dass eine friedliche Konfliktlösung möglich ist. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Man wird aber durch Gewaltprävention nicht alle Verbrechen verhindern können, das ist eine Illusion, und das zu glauben, wäre naiv.

Was hindert aber einen Verbrecher daran, tatsächlich eine Tat zu begehen? – Ist es nicht das Risiko, erwischt und eingesperrt zu werden? Muss man daher nicht sicher­stellen, dass die Strafverfolgungsbehörden rasch und effizient tätig werden können? Ist nicht das die wirksamste Abschreckung?

Ich bringe daher einen Entschließungsantrag ein, der Sie einlädt, einen „Pakt für den Rechtsstaat“ abzuschließen. Er wird gerade ausgeteilt, daher genügt es, wenn ich Ih­nen das Wesentliche sage.

Ich glaube, dass es wichtig ist, dass das Parlament sich dazu bekennt, wie wichtig ein funktionierender Rechtsstaat ist, denn ohne funktionierenden Rechtsstaat gibt es auch keine Demokratie, also gerade das Parlament muss ein Interesse daran haben. Das Parlament muss daher auch Leitlinien definieren, die für die Politik notwendig sind. Und das ist eine ausreichende Ausstattung, das ist eine Reform des Maßnahmenvollzugs, das ist eine Weiterführung der Digitalisierung in der Justiz.

*****

Ich lade Sie ein, dem zuzustimmen und die Weichen für eine verantwortungsvolle, an­ständige, seriöse Politik auch in der nächsten Legislaturperiode zu stellen. Danke. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

17.51

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Irmgard Griss, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Pakt für den Rechtsstaat

eingebracht im Zuge der Debatte in der 89. Sitzung des Nationalrats über den

Antrag der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker, Mag. Harald Stefan, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz, das Namensänderungsgesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetz­buch, das Jugendgerichtsgesetz 1988, die Strafprozeßordnung 1975, das Strafregister­gesetz 1968, das Tilgungsgesetz 1972, die Exekutionsordnung, das Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz geändert wird und Verstöße gegen bestimmte einst­weilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt und zum Schutz vor Eingriffen in die Pri­vatsphäre zu Verwaltungsübertretungen erklärt werden, das Ärztegesetz 1998, das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, das Hebammengesetz, das Kardiotechniker­gesetz, das MTD-Gesetz, das Medizinische Assistenzberufe-Gesetz, das Medizini­scher Masseur- und Heilmasseurgesetz, das Sanitätergesetz, das Zahnärztegesetz, das Musiktherapiegesetz, das Psychologengesetz 2013, das Psychotherapiegesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Verbrechensopfergesetz und das Bun­desgesetz mit dem das Bundesgesetz über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche geändert werden (Gewaltschutzge­setz 2019) (970/A)

– TOP 6

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Pakt für den Rechtsstaat

Präambel:

Der Nationalrat unterstreicht die Bedeutung des Rechtsstaats für die demokratische pluralistische Gesellschaft und die institutionelle Stabilität der Republik Österreich.

Der Nationalrat anerkennt den Wert des Rechtsstaats für die Sicherung der Freiheit und der Grundrechte.

Der Nationalrat betont, dass der Justiz die tragende Rolle für den Erhalt des Rechts­staats zukommt.

Der Nationalrat bekennt sich zu einer starken, leistungsfähigen, unabhängigen Justiz.

Der Nationalrat bringt seine Anerkennung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz zum Ausdruck, die täglich dafür arbeiten, dass der Rechtsstaat funktioniert.

Um den Rechtsstaat nachhaltig und auf Dauer zu stärken beschließt der Nationalrat ei­nen „Pakt für den Rechtsstaat“ mit nachfolgenden

Leitlinien:

1.         Die finanzielle Ausstattung der Justiz und die Ausstattung der Justiz mit qualifi­ziertem Personal, insbesondere in den Staatsanwaltschaften, den Kanzleien und der Justizwache ist zu verbessern.

2.         Die für die Digitalisierung im Sinne von „Justiz 3.0“ notwendigen Mittel sind be­reit zu stellen, und die Digitalisierung ist konsequent fortzuführen.

3.         Die dienstrechtlichen Bestimmungen für die Justizwache sind den aktuellen An­forderungen und Herausforderungen anzupassen.

4.         Der Maßnahmenvollzug ist zu reformieren, und die für den reformierten Maß­nahmenvollzug notwendigen Mittel sind bereitzustellen.

5.         Die Entlassungs- und Bewährungshilfeeinrichtungen sind so auszustatten, dass sie über ausreichend Mittel verfügen, um Rückfällen entgegenwirken zu kön­nen.

Die künftige Bundesregierung wird aufgefordert, ihre Politik nach diesen Leitlinien aus­zurichten."

*****

Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag wird gerade an die Abgeordneten verteilt; er wurde in den Grundzügen – „Pakt für den Rechtsstaat“ – erörtert und ist da­mit ordnungsgemäß eingebracht.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dipl.-Kffr. Elisabeth Pfurtschel­ler. – Bitte.