12.27

Abgeordneter Mag. Thomas Drozda (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Vizekanzler! Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuseherinnen und Zuse­her auf der Galerie! Bei der gegenständlichen Novellierung geht es, wie wir gehört ha­ben, darum, die Nutzerfreundlichkeit dieses Instruments, der Europäischen Bürgerini­tiative, deutlich zu verbessern. So soll beispielsweise in Zukunft OrganisatorInnengrup­pen der Europäischen Bürgerinitiative vonseiten der Kommission ein kostenloses On­linesammelsystem zur Verfügung gestellt werden. Zudem sollen Unterstützungsbekun­dungen auch mittels elektronischer Signaturen möglich sein.

Wenn wir uns heute für Verbesserungen im Rahmen des Europäische-Bürgerinitiative-Gesetzes aussprechen, dürfen wir aber nicht aus den Augen verlieren, warum dieses Thema so wichtig ist.

Warum Bürgerinitiativen wichtig sind, erkennt man, wenn man sich konkrete Beispiele vor Augen führt. Ich zitiere Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Be­handlung oder Strafe unterworfen werden.“ – Da würden wohl alle sehr rasch und problemlos behaupten, dass wir dem zustimmen. Die Wahrheit ist aber – ich spreche über die Causa Julian Assange –, dass europäische Regierungen in den letzten Jahren zugeschaut haben, wie genau das passiert ist. Assange hat Folter aufgedeckt, er wur­de selbst gefoltert und könnte in den USA gefoltert werden. Was, wenn nicht das, sollte in meinen Zuständigkeitsbereich fallen?, hat der UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer Anfang dieses Jahres in einem Interview gesagt. Im selben Interview zeichnet er er­schütternd nach, wie rechtliche Vorwürfe gegen Assange kreiert, Zeugenaussagen ma­nipuliert wurden und Assange die Möglichkeit genommen wurde, sich zu verteidigen. Die Interviews lesen sich wie eine Anklage, zuerst gegen Schweden und in weiterer Folge gegen alle Staaten Europas und der EU. Sehen wir zu und lassen wir zu, was Assange passiert ist, dann akzeptieren wir auch, dass jeder Bürgerin und jedem Bürger in Europa das gleiche passieren kann.

Wenn Regierungen sich irren oder vorsätzlich das Falsche tun, ist es notwendig, dass sich die Menschen Europas dagegen auflehnen. Mit heutigem Stand haben deutlich mehr als 400 000 Menschen eine Petition gegen die Auslieferung an die USA unter­schrieben. Im Interesse unseres Kontinents, unserer Werte und unseres Menschenbil­des hoffe ich, dass es noch viel mehr sein werden und dass wir uns heute auch dazu durchringen können, einen weitgehenden Antrag anzunehmen. Wenn wir heute akzep­tieren, dass Assange ausgeliefert wird, was akzeptieren wir dann morgen? Welche Ein­schränkung der Meinungsfreiheit und der Bürgerrechte ist dann der nächste Schritt?

Abschließend möchte ich daran erinnern, dass es ein amerikanischer Präsident war, Truman, der vor dem Hintergrund der Schrecken des Zweiten Weltkrieges folgenden Satz prägte: Wenn nur ein einziger unbescholtener Amerikaner, der nichts falsch ge­macht hat, Angst haben muss, frei zu denken und seine Meinung offen zu äußern, dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem alle Amerikaner in Gefahr sind. – Zitatende.

Geben wir den Bürgern und Bürgerinnen Europas mehr Möglichkeit, nicht in Angst und Gefahr zu leben!

Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Thomas Drozda, Dr. Nikolaus Scherak, MA, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Förderung der Bürgerbeteiligung an der europäischen Politik, Stärkung der Grundrechte, Freilassung von Julian Assange aus der Haft“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den europäischen Politikprozessen zu fördern und die Bürgerbeteiligung bestmög­lich zu unterstützen.

Die Bundesregierung wird darüber hinaus aufgefordert, für die ungeteilte Achtung der europäischen Grundrechte in allen Mitgliedsstaaten der EU einzutreten, seien auch rechtliche Maßnahmen hierfür notwendig.

Die Bundesregierung wird schließlich aufgefordert, sich ungeachtet der Vorwürfe, die Julian Assange gemacht werden, gegenüber der britischen Regierung aus menschen­rechtlichen und medizinischen Gründen für eine umgehende Entlassung Julian As­sanges aus der Haft einzusetzen, damit er unter fachärztlicher Aufsicht genesen und seine Grundrechte ungehindert ausüben kann,

sich gegenüber der britischen Regierung dafür einzusetzen, dass Julian Assange nicht an die USA ausgeliefert wird und

im Rahmen der EU aktiv um Unterstützung für diese Anliegen zu suchen.“

*****

Vom Antrag, der von den Regierungsfraktionen in den nächsten Minuten eingebracht werden wird, unterscheidet sich unser Antrag in zwei Punkten: Es geht um die Frage der Freilassung und es geht um die Frage und um die Möglichkeit der Nichtauslie­ferung. Genau das ist es auch, was im Europäischen Parlament beschlossen wird und wofür wir eintreten. Ich ersuche daher sehr, für diesen weitergehenden Antrag zu stim­men. (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)

12.32

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Thomas Drozda, Dr. Nikolaus Scherak, MA, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Förderung der Bürgerbeteiligung an der europäischen Politik, Stärkung der Grundrechte, Freilassung von Julian Assange aus der Haft

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Verfassungsausschusses über den Antrag 275/A der Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl, Mag. Jörg Leichtfried, Mag. Ul­rike Fischer, Dr. Nikolaus Scherak, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Durchführung von Europäischen Bür­gerinitiativen (Europäische-Bürgerinitiative-Gesetz – EBIG), BGBI. I Nr. 12/2012, zu­letzt geändert durch das Bundesgesetz BGBI. I Nr. 32/2018, geändert wird (43 d.B.)

Mit dem gegenständlichen Gesetzesbeschluss soll der Zugang zur europäischen Bür­gerinitiative für die Initiatoren in mehrerlei Hinsicht erleichtert werden. Die direkte Be­teiligung der Bürgerinnen und Bürger ist eine bedeutsame Komponente für das Anse­hen und den Erfolg der europäischen Politik bei den Europäerinnen und Europäern. Denn die Bürgerinnen und Bürger tragen mit ihrer Zustimmung die europäische Union.

Die Grundrechte und die ungeteilte Anerkennung derselben ist eine weitere Säule der europäischen Politikarchitektur. Mit allen Mitteln muss unternommen werden, dass die europäischen Grundrechte in allen Mitgliedsstaaten voll inhaltlich umgesetzt und ge­achtet werden. In letzter Zeit werden allerdings Sachverhalte bekannt, wo die univer­selle europäische Geltung der Grundrechte gefährdet ist. Die Europäische Union und die anderen Mitgliedsstaaten müssen auf jene Mitgliedsstaaten auch mit rechtlichen Mitteln hinwirken, sich zum vollen Umfang und zur vollen Geltung der Grundrechte zu bekennen. Eine andere Entwicklung würde das europäische Projekt gefährden.

An einem konkreten Beispiel, das gerade von besonderer Aktualität ist, kann man die Problematik exemplarisch darstellen:

Der australische Journalist und Wikileaks-Gründer Julian Assange befindet sich seit über einem halben Jahr in kritischem Gesundheitszustand im britischen Hochsicher­heitsgefängnis Belmarsh in Auslieferungshaft.

Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zum Thema Folter, Nils Melzer, for­derte eine umgehende Freilassung von Julian Assange, aus medizinischen sowie aus rechtsstaatlichen Gründen. Neben vielen Personen der Zivilgesellschaft, darunter viele JournalistInnen und Kulturschaffende, haben zuletzt 120 Mediziner und Psychologen in einem offenen Brief ein Ende der psychologischen Folter und medizinischen Vernach­lässigung von Julian Assange gefordert. Sein kritischer Gesundheitszustand sei eine Folge der jahrelangen Isolation in der ecuadorianischen Botschaft in London und im Hochsicherheitsgefängnis in London.

Der Wiki-Leaks-Gründer hatte sich aus Angst vor einer Auslieferung an die USA 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London geflüchtet. Damals lag gegen ihn ein euro­päischer Haftbefehl wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden vor. Die Ermittlun­gen dazu wurden zwischenzeitlich eingestellt.

Der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, hatte kürzlich schwere Vorwür­fe gegen die Behörden in Großbritannien, Schweden, den USA und Ecuador erhoben. Seinen Aussagen zufolge wird an Assange ein Exempel statuiert, um Journalisten ein­zuschüchtern.

Die parlamentarische Versammlung des Europarates hat im Jänner d.J. in einer Re­solution die Forderungen des UN-Sonderberichterstatters Nils Melzer unterstützt und die sofortige Freilassung von Julian Assange gefordert. Es gelte zu berücksichtigen, dass die Haft und Verfolgung von Assange einen gefährlichen Präzedenzfall für Jour­nalisten darstelle. Auch das Europäische Parlament hat sich mehrfach mit diesem Sachverhalt beschäftigt.

Da europäische Grundwerte, wie Presse- und Meinungsfreiheit, entschlossen zu vertei­digen sind, stellen die unterfertigten Abgeordneten daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den europäischen Politikprozessen zu fördern und die Bürgerbeteiligung bestmög­lich zu unterstützen.

Die Bundesregierung wird darüber hinaus aufgefordert, für die ungeteilte Achtung der europäischen Grundrechte in allen Mitgliedsstaaten der EU einzutreten, seien auch rechtliche Maßnahmen hierfür notwendig.

Die Bundesregierung wird schließlich aufgefordert, sich ungeachtet der Vorwürfe, die Julian Assange gemacht werden, gegenüber der britischen Regierung aus menschen­rechtlichen und medizinischen Gründen für eine umgehende Entlassung Julian As­sanges aus der Haft einzusetzen, damit er unter fachärztlicher Aufsicht genesen und seine Grundrechte ungehindert ausüben kann,

sich gegenüber der britischen Regierung dafür einzusetzen, dass Julian Assange nicht an die USA ausgeliefert wird und

im Rahmen der EU aktiv um Unterstützung für diese Anliegen zu suchen.“

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Präsidentin Doris Bures: Dieser Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß einge­bracht und steht damit auch mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Peter Wurm. – Bitte.