Der Zusammenbruch der Monarchie, die Errichtung einer demokratischen Republik und die Folgen des Ersten Weltkriegs veränderten die Bedingungen für jüdische Partizipation im österreichischen Parlament grundlegend.
Die 1911 gewählten deutschen Reichsräte bildeten die Provisorische Nationalversammlung 1918/19. In dieser waren weniger jüdische Abgeordnete vertreten, da Fraktionen, in denen sie stärker repräsentiert waren, nicht mehr oder in geringerem Ausmaß am parlamentarischen Geschehen des neuen Staates teilnahmen.
In der Konstituierenden Nationalversammlung 1919/20 war der Anteil von Abgeordneten jüdischer Abstammung aufgrund der Zuwächse unter den sozialdemokratischen Mandatar:innen dennoch relativ hoch. Diese Tendenz setzte sich während der gesamten Ersten Republik fort.
Veränderung in der Berufsstruktur und wachsende Verarmung führten viele jüdische Wähler:innen zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). Sie bot Juden und Jüdinnen außerdem fast die einzige Möglichkeit für eine politische Karriere, da alle anderen parlamentarischen Kräfte mehr oder weniger antisemitisch ausgerichtet waren.
In der Ersten Republik waren damit fast alle Abgeordneten zum Nationalrat jüdischer Herkunft Sozialdemokrat:innen, wie beispielsweise Otto Bauer, Robert Danneberg und Julius Deutsch. Die Einführung des passiven Frauenwahlrechts ermöglichte auch zwei Parlamentarierinnen jüdischer Herkunft den Einzug in den Nationalrat.
Therese Schlesinger vertrat die SDAP und die zum Katholizismus konvertierte Hildegard Burjan die Christlich-Soziale Partei. Burjan und der fraktionslose Robert Stricker, der als Vertreter des Nationaljudentums den Einzug ins Parlament schaffte, waren die einzigen Nicht-Sozialdemokrat:innen unter den im Verzeichnis erfassten Abgeordneten der Ersten Republik.
Durch die Machtübernahme der autoritären "Ständeregierung" 1933/34 wurde das parlamentarische System Österreichs ausgehebelt. Die Berufung jüdischer Repräsentanten in machtlose Staatsorgane – Desider Friedmann wurde in den Staatsrat und Salomon Frankfurter in den Bundeskulturrat entsandt – bewirkte, dass Teile der jüdischen Bevölkerung das autoritäre Regime als Bollwerk gegen eine Machtübernahme der Nationalsozialisten sahen.
Die ständisch-autoritäre Verfassung von 1934 gestand Juden und Jüdinnen Religionsfreiheit und bürgerlicher Rechte zu und erschien damit als eine Gegenposition zum Nationalsozialismus. Trotzdem war der Antisemitismus fester Bestandteil der politischen Landschaft in Österreich.
Die Vertreibung und Ermordung der österreichischen Juden und Jüdinnen durch das nachfolgende nationalsozialistische Regime beendete die fast 100-jährige Beteiligung jüdischer Politiker:innen am parlamentarischen Geschehen in Österreich.
Die Mehrzahl der jüdischen Abgeordneten zum Nationalrat flüchtete ins Exil. Andere, wie Robert Danneberg, starben im Konzentrationslager. Nach 1945 waren jüdische Abgeordnete auch aufgrund ungenügender Bemühungen um die Remigration von Juden und Jüdinnen nach Österreich nie mehr in diesem Maße im Parlament vertreten.