Irmtraut KARLSSON: Ich hab irgendwie gesagt, da sitzt man in einem Kabäuschen. Und der zuständige Dienst meinte, dass es dieses Wort nicht gibt.
Leopold FRUHMANN: Die Abgeordneten haben gesehen, da gibt es Leute, die haben da einen Bleistift in der Hand und schreiben das mit, was ich da sage.
Clemens HAIPL: Herzlich willkommen zurück im Gedächtnis des Parlaments. In diesem Podcast hören Sie persönliche Erinnerungen und Anekdoten von ehemaligen Mitgliedern des National- und Bundesrats, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der parlamentarischen Klubs und von der Parlamentsdirektion aus den Archiven des Parlaments aus den letzten Jahren. Können Sie den ganzen Satz in 40 Sekunden mitschreiben? Wenn ja, dann gratuliere, herzlichen Glückwunsch. Sie können jederzeit im Parlament als Stenografin oder Stenograf anfangen. Was das genau bedeutet, darum geht es heute.
Intro Jingle
HAIPL: Es ist so: Bei Sitzungen des National- oder Bundesrats sind nicht nur die Abgeordneten und die vorsitzenden Präsidenten anwesend und hakeln was, sondern eine ganze Reihe von anderen Leuten, die dazu beitragen, dass so eine Plenarsitzung gut abläuft. Eine Personengruppe, die da enorm wichtig ist, sind die Parlamentsstenografen und -stenografinnen. Die brauchen für ihre Arbeit eigentlich nur Bleistift und Papier, um zur Demokratie und zur Transparenz was beizutragen. Denn die erstellen die Protokolle und Transkripte der Sitzungen im Parlament, die noch am gleichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Bei einer Plenardebatte im österreichischen Parlament sitzen Stenografinnen und Stenografen sehr präsent vorm Rednerpult. So können sie die Abgeordneten gut sehen und sie symbolisieren quasi die Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger an den Verhandlungen der von ihnen gewählten Volksvertreter:innen. Und es ist wahrscheinlich ein Grund, warum der Theophil Hansen bei der Planung des Parlaments die Plätze der Stenografen so präsent vorgesehen hat. Das Ding ist, Stenografinnen und Stenografen arbeiten sehr schnell, weil, wenn Abgeordnete in Sitzungen debattieren, ist alles, was vor 15 Uhr gesagt wird, noch in derselben Nacht online veröffentlicht und nachlesbar. Der Beruf des Stenografen und Stenografinnen ist also alles andere als eine gmahte Wiesn. Damals wie heute. Und heute wird bei der Aufnahmeprüfung schnelles Erkennen von Fehlern, also Grammatik, Rechtschreibung und so weiter, Textverständnis und politische Bildung getestet. Stenografinnen müssen 120 Silben in der Minute im Eignungstest mitschreiben können. Das sind zwei Silben pro Sekunde. Früher haben sie sogar bei der Aufnahmsprüfung 240 Silben pro Minute stenografieren müssen. Das sind vier Silben pro Sekunde. Also dreimal den langen Satz vom Anfang in einer Minute mitschreiben. Nicht schlampert. Klingt abschreckend? Nicht zwingend zum Beispiel auch nicht für den Herrn Leopold Fruhmann. Der spätere Parlamentsstenograf entdeckt nämlich im Jänner 1981 eine Stellenanzeige für einen Studentenjob am schwarzen Brett seiner Uni. Da steht drauf "Tonbandabschriften" und "spätere Einstellung möglich". Und schon kurze Zeit später wurde aus dem Studentenjob seine Berufung:
FRUHMANN: Dann ist einige Monate später im Laufe des Jahres 1981 der Hofrat Krammer gekommen. Und hat mir angeboten mich zum Parlamentsstenografen auszubilden. Und das war für mich ein Riesenangebot, das war wirklich schicksalhaft. Und er hat mir gleich gesagt, das dauert mindestens vier Jahre bis zur Kammerstenografenprüfung von 240 Silben. Das habe ich aber gerne auf mich genommen, weil das mit meinem Studium und mit meinem Verständnis von Sprache, Geschichte, Politik, alles, was da so eine Rolle gespielt hat in meinem akademischen Studium damals… Das war der erste Studentenjob, wo es da einen Zusammenhang gegeben hat.
HAIPL: Dass da die Erfordernisse sehr hoch waren, berichtet auch zum Beispiel Olga Viklicky, die 1967 im Parlament zum Arbeiten beginnt.
Olga VIKLICKY: Und es war ein großes Anstellungserfordernis. Also man musste wirklich sehr schnell und gut stenografieren können und natürlich auch Maschinenschreiben. Damals noch auf der mechanischen Schreibmaschine und man musste dann natürlich gut übertragen können. Und da war ich natürlich schon sehr aufgeregt. Und Frau Dr. Müll, das war dann meine Chefin, die hat mich dann getestet. Und das war eine sehr, sehr strenge Frau und die war auch sehr gefürchtet im ganzen Haus. Sie war wirklich sehr, sehr streng, aber ich habe sehr, sehr viel bei ihr gelernt und die war dann ganz begeistert und ich musste dann gar nicht mehr, wie es sonst üblich gewesen wäre, im Stenografen-Dienst, beim Leiter des Stenografen-Dienstes, waren die üblichen Aufnahmsprüfungen, wenn man so sagen will. Aber das musste ich dann gar nicht machen, weil diese Frau Dr. Müll war eine Kapazität und eben eine führende Kraft und der hat man vertraut.
HAIPL: Wie es dann möglich geworden ist, Audio aufzunehmen ist es natürlich auch im Parlament verwendet worden. Ab 1960 sind Audioaufzeichnungen in der Parlamentsstenografie in Österreich eingesetzt worden. Das hat den Beruf zwar verändert, aber nicht dahingehend, dass Stenografen überflüssig werden, sondern im Gegenteil es ist ganz anders gekommen.
FRUHMANN: Das Sprechtempo hat sich rasant vermehrt. Und der Personaldruck im Stenografenbüro ist so groß geworden, dass man sich... Nicht mehr leisten konnte, drei- oder fünfminütige Partien zu schreiben. Das Minimum war zehn Minuten.
HAIPL: Transkriptionen, die mit Audioaufzeichnung erstellt werden, gleichen das aus, was die beschleunigte Redezeit an Arbeitsaufwand erhöht, meint der Leopold Fruhmann.
FRUHMANN: Das ist schon ein Unterschied, ob man jetzt weiß, ich muss praktisch jedes Wort mitschreiben können, oder wenn ich eine Lücke habe, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die vom Tonband abgedeckt ist, groß. Das hat die Fähigkeit, auch längere Partien zu bewältigen, erhöht. Das war eine unglaubliche Rationalisierung natürlich, die notwendig war, weil der Personalstand nie erhöht wurde. Als ich dort eingetreten bin in das Stenoamt, waren sogar Planstellen frei und unbesetzt bei den Stenografen, weil man gesagt hat, die kriegen eh Tonbänder, nicht?!
HAIPL: Heute ist der Stenograf oder eine Stenografin dafür da, dass die gesamte Rede authentisch und verständlich nachlesbar ist. Dazu gehört auch der Applaus, hochgehaltene Tafeln, Gegenstände, die während der Debatte verwendet werden und Zwischenrufe.
FRUHMANN: Man hat oft in einer Partie 20, 30, 50 Zwischenrufe, die muss man dann an den richtigen Ort stellen können. Das kann man nicht, wenn man nicht auch die Rede mitschreibt. Ein Stenograf schreibt die Rede mit. Sobald der Zwischenruf kommt, hört er auf, die Rede zu schreiben und schreibt den Zwischenruf. Der ist ganz wichtig. Der ist auf keinem Tonband drauf, auch heute noch nicht. Daher geht‘s ohne Stenografie nach wie vor nicht, weder bei uns noch in anderen Parlamenten, wenn man den Anspruch hat, eine entsprechende Dokumentation der gesamten Debatte zu haben.
HAIPL: Also wenn es da relativ hitzig zugeht im Parlament, dann muss man als Stenograf oder Stenografin aufgrund der vielen Zwischenrufe nicht nur wahnsinnig schnell sein, sondern auch sehr genau. Obendrein kommt noch dazu, dass die Stenografie-Kürzel so ihre Tücken haben, weil wenn man nur ein kleines Zeichen oder einen Strich verändert, bedeutet das Wort oft ganz was anderes. Ernst Krammer war viele Jahre erst stellvertretender Leiter und schließlich auch Leiter des stenografischen Dienstes im Parlament und selbstverständlich auch Parlamentsstenograf. Die Details der vielen Kürzel kennt er also besonders gut.
Ernst KRAMMER: Also da gibt es nur eine Kürzung zum Beispiel dieselbe Kürzung für Österreich. Österreich, das ist ein verstärkter Strich, ein waagrechter Strich. Und wenn dieser Strich etwas schräg steht, dann heißt das gleiche Eisenbahn. Und wenn es etwas tiefer steht, heißt es Autobahn. Ja, also man muss da schon immer wieder den Kopf auch einschalten, nicht? Es ist nicht so, dass man ein Stenogramm lesen kann wie die Kronenzeitung. Das geht nicht.
HAIPL: Das sind also schon einige Hürden, die da die Stenografen und Stenografinnen zu überwinden haben. Leopold Fruhmann ergänzt.
FRUHMANN: Der Redner braucht sich nur umdrehen und mit dem Minister sprechen im Nationalratssaal, dann ist das, was er dann sagt, nicht mehr da. Weil das Mikrofon nimmt nur auf, was hineingesprochen wird. Und die Abgeordneten haben sich ausdrücklich verbeten, dass sie nicht mit Richtmikrofonen im ganzen Saal und sonst überall abgehört werden, weil sie ja in den Sitzreihen miteinander unbeobachtet sprechen wollten. Sonst hätte man dieses Problem vielleicht lösen können.
HAIPL: Was man nicht vergessen darf, ist, die Politiker und Politikerinnen haben ja alle ihre Eigenheiten wie sie sprechen. Das sind ja keine Burgschauspieler in dem Sinn. Also muss man darauf Rücksicht nehmen als Stenograf, als Stenografin. Der ehemalige österreichische Vizekanzler Herbert Haupt und die ehemalige Nationalratsabgeordnete Irmtraut Karlsson erzählen.
Herbert Haupt: Wenn ich an die Damen und Herren vom Parlamentarischen Stenografischen Dienst denke ich, neben der damaligen ÖVP-Wirtschaftssprecherin einer der gefürchtetsten Schnellredner im Parlament. Zeitweise hat es sogar geheißen, dass man bei mir drei Dolmetscher gebraucht hat, damit man mitkommt.
KARLSSON: (Lachen) Und dann war natürlich auch dadurch, dass ich sehr Wienerisch spreche und das Hochdeutsche mir eher fremd war, oft auch beim Protokoll schon Probleme waren. Und ein Streit war, ich hab irgendwie gesagt, da sitzt man in einem Kabäuschen. Und der zuständige Dienst meinte, dass dieses Wort nicht gibt, und dass das Kumbüschen heißen muss. Aber das österreichische Wörterbuch, ich liebe es, es gibt's noch immer, hatte das Kabäuschen verzeichnet. Und die haben, dann sind wir draufgekommen, dass die natürlich mit dem Duden gearbeitet haben. Und nicht mit dem österreichischen Wörterbuch. Jetzt bin ich als Linke ja nicht nationalistisch eingestellt, aber Wienerin bin ich doch.
HAIPL: Neben der Funktion der Protokollierung hilft die Stenografie manchmal auch bei der Disziplinierung. Schließlich gibt es im Parlament Regeln wie zu debattieren ist. Und ein bisschen beeinflusst seien Abgeordneter von der Stenografie jedenfalls schon. Den Eindruck hat zumindest der Leopold Fruhmann
FRUHMANN: Die Texte sind da, man kann sie nachlesen. Die Abgeordneten haben gesehen, da gibt es Leute, die haben da einen Bleistift in der Hand und schreiben das mit, was ich da sage. Und ich habe bei manchen den Eindruck gewonnen, es bringt sie zum Nachdenken darüber, dass ihre sprachliche Äußerung eine ganz besondere Bedeutung hat.
HAIPL: Manche Abgeordneten möchten nach ihren Reden sogar noch einmal etwas im Stenographischen Protokoll ändern. Das geht zwar grundsätzlich, aber nur für stilistische und nicht für inhaltliche Änderungen. Ernst Krammer, den wir vorher schon gehört haben, erinnert sich an einen Fall, wo unzulässige Änderungen vorgenommen werden sollten.
KRAMMER: Ein prominenter Fall ist mir da bekannt, ist mir in Erinnerung. Da hat der Abgeordnete - als Abgeordneter hat er gesprochen - der Schleinzer. Und der hat im Plenum gesagt: "Das ist ein Missbrauch der Amtsgewalt." "Das ist Missbrauch." Da hat es einen riesigen Wirbel gegeben. Die Sozialisten, der Pittermann, hat sich zu Wort gemeldet und hat gesagt, das ist unzulässig, uns den Missbrauch der Amtsgewalt vorzuwerfen. Da können Sie höchstens sagen: "Das ist Verdacht des Missbrauchs der Amtsgewalt". Eine Viertelstunde später ist der damalige Abgeordnete Schleinzer zu mir gekommen, hat die Rede verlangt. Seine Rede verlangt und hat daraus gemacht, "Verdacht der Missbrauch der Amtsgewalt". Also eine derartige Korrektur ist natürlich nicht zulässig, weil das, was der Pittermann da gesagt hat, würde dann irgendwie in der Luft gestanden haben.
HAIPL: Die Protokolle sind also ein Kontrollinstrument der Debattenkultur und erlauben das Festhalten von wichtigen Ereignissen im politischen Diskurs. Stenographische Protokolle sind also, wie wir gesehen haben, ein sehr vielfältiges Werkzeug und ein wichtiger Beitrag zur Transparenz. Manchmal gewähren sie sogar den ein oder anderen privaten Einblick, wie im Jahr 1972, als der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer gerade Vater wird.
Heinz FISCHER: Und ich kann mich auch erinnern kurze Zeit später ist unser erstes Kind, der Philipp, zur Welt gekommen. Und ich hab dann auch noch sehr früh in meiner parlamentarischen Laufbahn irgendwo eine Rede gehalten, wo es auch über Familienpolitik und ähnliches gegangen ist. Und der frühere Vizekanzler Withalm ist in der ersten Bank gesessen, hat mir einen Zwischenruf gemacht, hat gesagt: "Herr Dr. Fischer, haben Sie überhaupt Kinder?" Und ich habe gesagt: "Gerade angefangen, Herr Vizekanzler." Und habe dann 20 Jahre später meinem Sohn gezeigt, dass er schon im Jahr 1972 im Stenographischen Protokoll indirekt vorgekommen ist.
HAIPL: Wer an noch mehr persönlichen Erinnerungen von Politikern und Politikerinnen teilhaben möchte, kann sich alle Stenographischen Protokolle seit 1918 auf der Website des Parlaments durchlesen oder in die Podcast-Folge 34 von "Parlament erklärt" einhören. Die Links dorthin finden Sie in den Shownotes.
Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, dann hinterlassen Sie doch bitte gerne ein Abo oder eine Bewertung. Fragen, Kritik oder Anmerkungen können Sie uns gerne an podcast@parlament.gv.at schicken oder auf den Social-Media-Kanälen des österreichischen Parlaments, da geht das auch. Und auf der Website parlament.gv.at finden Sie übrigens jede Menge Wissen über das Parlament und seine Geschichte.
Ich bin Clemens Haipl, freue mich aufs nächste Mal und sage Tschau Tschau.
Outro Jingle