News in einfacher Sprache 02.10.2024, 14:40

Wie wird man Nationalrats-Präsident:in?

Zwischen Geschäftsordnung und gelebter Praxis

  • Welche Regeln gibt es für diese Wahl?
  • Was ist im Parlament üblich?
  • Wie läuft die Wahl genau ab?

In der Geschäftsordnung des Parlaments steht: "Nach der Angelobung wählt der Nationalrat aus seiner Mitte den Präsidenten, den Zweiten und den Dritten Präsidenten."

Das bedeutet:

  • Es gibt 3 Präsident:innen.
  • Jede:r Abgeordnete kann Präsident:in werden.
  • Es ist aber üblich, dass die 3 Präsident:innen aus den 3 Parteien mit den meisten Stimmen kommen.

In der Geschichte des österreichischen Parlaments hat es noch nie eine Nationalrats-Präsidentin oder einen Nationalrats-Präsidenten gegeben, der nicht zur Partei mit den meisten Abgeordneten gehörte.

Seit dem Jahr 1920 gab es 19 verschiedene Nationalrats-Präsident:innen. Sie gehörten alle der ÖVP oder der SPÖ an. Oder den Vorgänger-Parteien von ÖVP oder SPÖ. Unter den 19 Präsident:innen waren

  • 3 Frauen
  • 3 Männer mit dem Vornamen Leopold

Das Präsidium besteht immer aus 3 Personen. Insgesamt waren bis jetzt 52 Personen Mitglieder im Präsidium.

Bis zum Jahr 1983 bekam die drittstärkste Partei keinen Sitz im Präsidium.

Die Partei mit den meisten Abgeordneten bekam den Posten des 1. Präsidenten. Und auch den Posten des oder der 3. Präsident:in. Am meisten Abgeordnete hatte früher immer die ÖVP oder die SPÖ.

Nach der Nationalrats-Wahl im Jahr 1983 war zum 1. Mal ein Mitglied einer anderen Partei im Präsidium: Gerulf Stix von der FPÖ wurde 3. Nationalrats-Präsident.

Begriffe einfach erklärt

Die Arbeit im Parlament ist sehr umfangreich und vielfältig. Es gibt viele Fachbegriffe. Diese Begriffe werden auf der Parlaments-Website einfach verständlich erklärt: 

Begriffe einfach erklärt

Es gibt immer wieder spezielle Fälle:

Einmal war der Nationalrats-Präsident nicht von einer Regierungs-Partei. Das war von 1999 bis 2002. Die Regierung bestand aus ÖVP und FPÖ. Der Nationalrats-Präsident war aber Heinz Fischer von der SPÖ. Die SPÖ hatte die meisten Abgeordneten.

In der gleichen Zeit war Thomas Prinzhorn von der FPÖ 2. Nationalrats-Präsident. Die FPÖ und die ÖVP hatten damals gleich viele Abgeordnete, aber die FPÖ hatte einige 100 Stimmen mehr bekommen. Das war das einzige Mal, dass die FPÖ den 2. Präsidenten bekam.

Auch nach der Nationalrats-Wahl im Jahr 2006 gab es eine andere sehr knappe Entscheidung. Die FPÖ hatte gleich viele Abgeordnete wie die Grünen. Die FPÖ hatte aber ein paar Stimmen weniger. Deshalb wurde Eva Glawischnig‑Piesczek von den Grünen 3. Präsidentin.

In der 18. Gesetzgebungs-Periode kamen die Mitglieder des Präsidiums sogar aus insgesamt 4 Parteien. Denn die 3. Präsidentin Heide Schmidt war am Anfang Abgeordnete der FPÖ. 1993 trat sie aus der FPÖ aus und gründete das Liberale Forum. Heide Schmidt isttrotzdem 3. Präsidentin geblieben.

Die (fast immer) geheime Wahl

Die Geschäftsordnung des Nationalrats schreibt auch vor, wie die 3 Präsident:innen gewählt werden. Die Wahl ist geheim. Das heißt, die Abgeordneten wählen mit einem Stimmzettel in einer Wahlzelle. Die Klubs geben vorher Wahlvorschläge in der Nationalratskanzlei ab. Es kann aber auch jede:r andere Abgeordnete gewählt werden. Vor der Wahl gibt es immer eine Debatte.

Für die Wahl genügt eine einfache Mehrheit, also eine Stimme mehr als die Hälfte. Wenn keine Person diese einfache Mehrheit erreicht, gibt es einen 2. Wahl-Durchgang. Wenn auch dann niemand eine einfache Mehrheit erhält, kommen die beiden Abgeordneten mit den meisten Stimmen beim 2. Durchgang in die Stichwahl. Wenn 2 Abgeordnete gleich viele Stimmen erhalten haben, entscheidet das Los. Das Präsidium wird für die gesamte Gesetzgebungs-Periode gewählt. Eine Abwahl ist nicht möglich.

Bei der ersten Wahl der Nationalrats-Präsident:innen nach dem Zweiten Weltkrieg hat man die Regeln nicht genau eingehalten. Damals war Karl Seitz Vorsitzender des Nationalrats. Im Protokoll vom 19. Dezember 1945 steht seine Aussage: "Nach der Geschäftsordnung ist diese Wahl mittels Stimmzettel durchzuführen. Ich wurde aber von allen Parteien verständigt, dass man sich mit der Vornahme der Wahl per acclamationem begnügt." Der Abgeordnete Leopold Kunschak (ÖVP) wurde daher mit einer gewöhnlichen Abstimmung gewählt. Die Abgeordneten haben ihre Zustimmung durch Aufstehen gezeigt. Das Ergebnis war einstimmig.

Zwischen 61 und 100 % - verschiedene National­rats-Präsident:innen mit verschiedenen Mehrheiten

Aber die Wahlen zum Nationalrats-Präsidium waren nicht immer so eindeutig wie im Jahr 1945. Die Kandidat:innen bekommen im Normalfall zwischen 61 und 100 %.

100 % aller gültigen Stimmen bekamen nach Leopold Kunschak auch Leopold Figl im Jahr 1959 und Alfred Maleta in den Jahren 1962 und 1966. Beide waren von der ÖVP. Die meisten Stimmen erhielt Anton Benya von der SPÖ im Jahr 1975.

167 Abgeordnete haben ihn gewählt. Der erste Präsident mit weniger als 90 % der Stimmen war Heinz Fischer von der SPÖ im Jahr 1994 (86 %). Seit damals ist kein:e Nationalratspräsident:in mehr mit über 90 % der Stimmen gewählt worden.

Die geringste Zustimmung hat Wolfgang Sobotka von der ÖVP erhalten. Wolfgang Sobotka wurde im Jahr 2017 als Ersatz für Elisabeth Köstinger zum Nationalrats-Präsidenten gewählt. Für ihn stimmten 106 Abgeordnete oder 61 %. Das ist der niedrigste Anteil an Stimmen und auch die niedrigste Zahl an Stimmen überhaupt. Es hat damals 65 Stimmen für den ÖVP-Abgeordneten Karlheinz Kopf gegeben, den aber niemand vorgeschlagen hatte. Das zweitschlechteste Ergebnis hat Elisabeth Köstinger selbst im November 2017 bekommen.

117 Abgeordnete haben sie gewählt, das waren 67 % der gültigen Stimmen. Auch bei dieser Wahl wollten viele Abgeordnete Karlheinz Kopf als Präsidenten, der damals 2. Präsident war. Karlheinz Kopf erhielt 56 Stimmen.

Wenn Abgeordnete mit einem Wahlvorschlag nicht zufrieden sind, können sie sich der Stimme enthalten, also wenn Abgeordnete mit einem Wahlvorschlag nicht zufrieden sind, können sie sich der Stimme enthalten, also nicht wählen, oder ungültig wählen. Die meisten ungültigen Wahlzettel hat es bei der Wiederwahl von Heinz Fischer im Jahr 1999 und bei der Wahl von Doris Bures von der SPÖ im Jahr 2014 gegeben. Doris Bures war die Nachfolgerin der verstorbenen Präsidentin Barbara Prammer von der SPÖ. Beide Male waren es 25 ungültige Stimmen.

Zweithöchstes Amt im Staat

Das Amt des Nationalrats-Präsidenten oder der Nationalrats-Präsidentin ist eine große Verantwortung. Es ist das zweithöchste Amt in Österreich und ist verbunden mit viel Macht.

In der Geschäftsordnung steht über die Aufgaben des oder der Nationalrats-Präsident:in: "Der Präsident wacht darüber, dass die Würde und die Rechte des Nationalrates gewahrt, die dem Nationalrat obliegenden Aufgaben erfüllt und die Verhandlungen mit Vermeidung jedes unnötigen Aufschubes durchgeführt werden."

Er oder sie

  • leitet die Sitzungen,
  • darf Sitzungen unterbrechen und
  • muss für Ruhe und Ordnung im Saal sorgen.

Dabei kann er sich von dem bzw. der 2. und 3. Präsident:in vertreten lassen.

Die wichtigste Aufgabe ist die "Handhabung der Geschäftsordnung". Das bedeutet, dass der oder die Präsident:in über Rechtsfragen zur Geschäftsordnung des Nationalrats entscheidet. Normalerweise versucht das Präsidium, sich darüber zu einigen. Die letzte Entscheidung trifft aber immer die oder der Nationalrats-Präsident:in.

Zu den weiteren Aufgaben zählen:

  • das Hausrecht im Parlaments-Gebäude
  • der Vorstand der Parlamentsdirektion
  • die Vertretung des Parlaments nach außen, vor allem bei internationalen Terminen
  • die Vertretung des oder der Bundespräsident:in, wenn er oder sie länger als 20 Tage sein Amt nicht ausüben kann