Parlamentskorrespondenz Nr. 198 vom 13.04.2000

START DER PARLAMENTARISCHEN BERATUNGEN ÜBER VP-FP-"DEMOKRATIEPAKET"

Wien (PK) - Das von ÖVP und FPÖ gemeinsam eingebrachte "Demokratiepaket" wird in einem parlamentarischen Unterausschuss eingehend beraten. Darauf einigten sich heute die Mitglieder des Verfassungsausschusses. Zentrale Punkte des Antrags der Koalitionsparteien sind die Einführung der Briefwahl, verpflichtende Volksabstimmungen bei ausreichend unterstützten Volksbegehren, die Möglichkeit von Gesetzesinitiativen durch die Volksanwaltschaft sowie eine transparentere Vorgangsweise bei der Bestellung von Höchstrichtern.

Da es sich bei diesen Themen um Verfassungsmaterien handelt, benötigen ÖVP und FPÖ für die Umsetzung ihrer Vorhaben die Zustimmung der SPÖ. SPÖ-Klubobmann und Ausschussvorsitzender Peter Kostelka betonte in der heutigen Sitzung, im Antrag seien durchaus einige Punkte enthalten, "die sinnvollerweise diskutiert werden sollen". Vor allem im Bereich des Wahlrechts hält er die Vorschläge aber für "sehr punktuell" und nicht ausreichend. Kostelka rechnet daher mit Ergänzungen und Abänderungen im Unterausschuss und kündigte an, die SPÖ werde einige Vorschläge einbringen.

Konkret soll dem  V-F-Antrag zufolge künftig bei allen bundesweiten Wahlen, aber auch bei Landtags- und Gemeinderatswahlen die Möglichkeit der "brieflichen Stimmabgabe im Postweg" eröffnet werden, um, wie es in den Erläuterungen heißt, auch jenen Wahlberechtigten, die auf Grund einer Krankheit, hohen Alters, eines körperlichen Gebrechens oder aus anderen wichtigen Gründen das Wahllokal nicht aufsuchen können, die Stimmabgabe zu erleichtern. Den immer wieder geäußerten Bedenken, wonach die Briefwahl gegen die Grundsätze des geheimen und persönlichen Wahlrechts verstoße, will man mit dem Erfordernis einer eidesstattlichen Erklärung des Briefwählers/der Briefwählerin begegnen, der zufolge das Wahlrecht tatsächlich persönlich und unbeobachtet ausgeübt wurde.

Volksbegehren, die von mehr als 15% aller Stimmberechtigten unterstützt wurden, sollen einer obligatorischen Volksabstimmung zugeführt werden, wenn Nationalrat und Bundesrat keine entsprechenden Beschlüsse zur Umsetzung der Anliegen fassen bzw. wenn sie ihre Verhandlungen darüber nicht innerhalb von neun Monaten abgeschlossen haben. Ausgenommen davon wären allerdings jene Gegenstände der Gesetzgebung, welche nur verfassungsrechtlich geregelt werden können, weil sie Kompetenzen des Bundes überschreiten oder sonst gegen geltendes Bundesrecht verstoßen; weiters jene, die Regelungen des europäischen Gemeinschaftsrechts widersprechen, die gegen völkerrechtliche Verpflichtungen verstoßen oder die zu wesentlichen finanziellen Mehrbelastungen des Bundes, der Länder oder der Gemeinden führen. Der Verfassungsgerichtshof hätte in einem Vorprüfungsverfahren festzustellen, ob alle Voraussetzungen zur Durchführung einer Volksabstimmung vorliegen. Volksabstimmungen sollten dabei entweder am zweiten Sonntag im März oder am zweiten Sonntag im Oktober, den so genannten "Bürgersonntagen", stattfinden.

Weiters sieht der Antrag die Möglichkeit der Gesetzesinitiative auch durch die Volksanwaltschaft vor, wenn dieser legistische Änderungen im Zuge ihrer Prüfungstätigkeit als wünschenswert und notwendig erscheinen. Bei Verfahrensverzögerung in gerichtlichen Verfahren ist geplant, der Volksanwaltschaft auf Antrag die Möglichkeit der Überprüfung einzuräumen, ohne dass dadurch in die Rechtsprechung eingegriffen werden darf. Es sollen aber Disziplinarverfahren angeregt oder Anträge zur amtswegigen Fristsetzung gestellt werden können.

Die Bestellung von Höchstrichtern wollen ÖVP und FPÖ dem Antrag zufolge objektiver und transparenter gestalten. Zu diesem Zweck soll eine Begutachtungskommission eingerichtet werden, die die eingelangten Bewerbungen zu prüfen und eine Stellungnahme darüber abzugeben hat. Die Entscheidungsträger wären jedoch nicht an die Ansicht der Kommission gebunden. Schließlich sollen jene Petitionen und Bürgerinitiativen, welche innerhalb von sechs Monaten vor Ablauf der vorangegangen Gesetzgebungsperiode eingebracht wurden, bei Beginn einer neuen Gesetzgebungsperiode nicht mehr automatisch verfallen, sondern vom neu zusammengesetzten Nationalrat kontinuierlich weiterverhandelt werden.

Der Unterausschuss wird sich aus fünf Abgeordneten der SPÖ, je vier Mandataren von FPÖ und ÖVP und einem Vertreter der Grünen zusammensetzen.

SPÖ UND GRÜNE WOLLEN BUNDESEINHEITLICHES TIERSCHUTZGESETZ

Ein weiterer Unterausschuss des Verfassungsausschusses - ebenfalls im Verhältnis 5S : 4F : 4V : 1G - wird sich mit dem Thema Tierschutz befassen. Ein entsprechender Beschluss wurde heute mit S-V-F-Mehrheit gefasst. Als Diskussionsbasis dienen dabei insgesamt drei Anträge der SPÖ bzw. der Grünen, die alle auf die Schaffung bundeseinheitlicher Tierschutzbestimmungen abzielen. Im Unterschied zu den Grünen will die SPÖ den Ländern aber die Möglichkeit einräumen, in Ausführungsgesetzen Details zu regeln.

Derzeit fällt der Tierschutz im Wesentlichen in die Kompetenz der Länder. Eine notwendige Änderung der Bundesverfassung bedarf daher nicht nur einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, sondern auch der Zustimmung des Bundesrates. Bereits in der vorigen Gesetzgebungsperiode gab es - nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Tierschutz-Volksbegehren - Bemühungen, ein bundeseinheitliches Tierschutzgesetz zu schaffen, diese scheiterten aber am Widerstand der ÖVP. Die Volkspartei argumentiert, dass kein Grund zur Annahme besteht, dass der Bund den Tierschutz effizienter regeln würde als die Länder, und verweist außerdem auf bestehende Vereinbarungen zwischen den Ländern zur Herbeiführung einer Harmonisierung der tierschutzrechtlichen Bestimmungen.

Die beiden Anträge der SPÖ (67/A und 68/A), die nunmehr im Unterausschuss vorberaten werden sollen, haben zum einen die erforderliche Kompetenzänderung in der Verfassung, zum anderen den Entwurf eines Bundesgesetzes über den Schutz von Tieren (Tierschutzgesetz) zum Inhalt. Demnach sollen beispielsweise die Pelztierhaltung und das Halten von gefährlichen Tieren im Wohnbereich gänzlich verboten werden. Für die Haltung von Nutztieren wird als Bewertungsgrundlage ein so genannter "Tiergerechtigkeitsindex" vorgeschlagen, der sich am Wohlbefinden der Tiere orientiert. Nur wenn hinsichtlich Bewegungsmöglichkeit, Sozialkontakt, Stallklima, Licht, Betreuungsintensität etc. eine Mindestpunkteanzahl erreicht wird, wäre die Tierhaltung erlaubt. Freiwillige höhere Standards sollen mit einem Tierschutzsiegel belohnt werden.

Weiters enthält der Gesetzesentwurf Bestimmungen über Tierquälerei und über Tierheime sowie Kriterien für die Schlachtung von Tieren. Beim Bundeskanzleramt soll ein Tierschutzbeirat eingerichtet werden, den Ländern würde die Einrichtung von Tierschutzanwaltschaften obliegen. Für Verstöße gegen das Gesetz sind Strafen bis zu 50.000 S vorgesehen, die auf bis zu 100.000 S ausgedehnt werden können, wenn der Täter durch sein Verhalten einen wirtschaftlichen Nutzen erlangt hat.

Das von den Grünen vorgeschlagene Bundes-Tierschutzgesetz umfasst ebenfalls sowohl die Haltung von Heimtieren als auch jene von Nutztieren und enthält u.a. detaillierte Bestimmungen über den Anwendungsbereich des Gesetzes, die Mitfinanzierung des Tierschutzes aus öffentlichen Mitteln, die Pflichten von Tierhaltern, die Haltung von Tieren im Allgemeinen, Tierquälerei und die Einrichtung einer Tieranwaltschaft. Beispielsweise ist vorgesehen, die Käfighaltung von Geflügel ab dem Jahr 2005 zu verbieten. Darüber hinaus sind im Gesetz auch Überwachungsmaßnahmen und Strafbestimmungen geregelt. In den Erläuterungen wird darauf verwiesen, dass es derzeit beim Tierschutz eine Rechtszersplitterung gibt und die österreichischen StaatsbürgerInnen mehrfach der Forderung nach einem zeitgemäßen bundeseinheitlichen Tierschutzgesetz Ausdruck verliehen haben.

Ein erster Versuch der SPÖ, mittels eines Antrags nach § 27 der Geschäftsordnung des Nationalrats noch in der heutigen Sitzung des Verfassungsausschusses eine Kompetenzverschiebung beim Tierschutz von den Ländern zum Bund durchzusetzen, scheiterte an der Ablehnung der beiden Koalitionsparteien. Der Antrag hätte vorgesehen, beim Tierschutz eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu schaffen, den Ländern aber die Vollziehung zu überlassen.

SPÖ WILL WIRTSCHAFTLICHE UND SOZIALE RECHTE IN VERFASSUNG ABSICHERN

Ein von der SPÖ ausgearbeiteter Entwurf für ein eigenes "Bundesverfassungsgesetz über wirtschaftliche und soziale Rechte" wird ebenfalls Verhandlungsgegenstand eines Unterausschusses sein. Einem einstimmigen Beschluss des Verfassungsausschusses zufolge sollen sich insgesamt 14 Abgeordnete (5 SPÖ, je 4 FPÖ und ÖVP, 1 G) eingehend mit dieser Materie befassen.

Mit ihrem Entwurf will die SPÖ dem Umstand begegnen, dass die Bundes-Verfassung weder soziale Grundrechte noch eine verfassungsrechtliche Verankerung des Sozialstaatprinzips enthält. Konkret ist vorgesehen, die Arbeit, selbständig oder unselbständig, entgeltlich oder unentgeltlich, unter den Schutz der Verfassung zu stellen. Jeder soll das Recht haben, seinen Beruf frei zu wählen, weiters wird ein Anspruch von Arbeitsuchenden auf unentgeltliche Arbeitsvermittlung und Berufsberatung festgeschrieben.

Die Zielvorgabe für Gesetzgebung und Vollziehung lautet dem Gesetzesentwurf zufolge "Vollbeschäftigung", außerdem hätte der Staat für sichere, gesunde, gerechte und den menschlichen Bedürfnissen entsprechende Arbeitsbedingungen ebenso zu sorgen wie für angemessenes Arbeitsentgelt, ausreichende Arbeitszeitbeschränkungen oder bezahlten Jahresurlaub. Darüber hinaus erhielten Gesetzgebung und Vollziehung den Auftrag, soziale Sicherheit, insbesondere bei Krankheit, Unfall, Mutterschaft, geminderter Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Alter und Tod, zu gewährleisten.

SPÖ-Klubobmann Dr. KOSTELKA hielt in der heutigen Sitzung fest, dass es bereits eine Einigung zwischen den Sozialpartnern und kurzfristig sogar eine Regierungseinigung über die Verankerung sozialer Rechte in der Verfassung gegeben habe. Er bedauerte, dass es derzeit in Österreich im Unterschied zu anderen Ländern "auch nicht nur die leiseste Andeutung von sozialen Grundrechten gibt".

Zu Beginn der Sitzung hatten die Grünen Kritik daran geübt, dass kein Regierungsmitglied zu den Ausschussberatungen gekommen ist. (Schluss)