Parlamentskorrespondenz Nr. 299 vom 24.05.2000

WEGE AUS DER ISOLATION

Wien (PK) – Den Rahmen einer aktuellen Aussprache nutzte heute der Aussenpolitische Ausschuss zu einer eingehenden Diskussion über mögliche Ausstiegsszenarien aus der derzeitigen Situation Österreichs innerhalb der EU. Angesprochen wurden dabei sowohl die diesbezüglichen Vorstellungen der Bundesregierung wie auch die Alternativvorschläge von SP-Vorsitzendem Gusenbauer.

Zu Beginn der Sitzung berichtete Außenministerin Dr. FERRERO-WALDNER von ihrem Erfolg auf den Azoren, wo die Aussenminister von sechs Staaten erklärt hatten, es sei an der Zeit, die Sanktionen zu überdenken. Die österreichische Bundesregierung habe daraufhin sofort reagiert und bemühe sich, die Sanktionen bis zum Rat in Feira beenden zu können. Der Umstand, dass sich diese Boykott-Maßnahmen pauschal gegen Österreich und seine Bevölkerung richteten, stimme sie, Ferrero-Waldner, besorgt, wie sie auch den europäischen Partnern gegenüber immer wieder betone. Derlei sei dem europäischen Integrationsprozess sicher nicht dienlich.

Leider komme auch dem „deutsch-französischen Motor“ in dieser Angelegenheit keine Antriebswirkung zu; dennoch sei sie, Ferrero-Waldner, überzeugt, dass es der Regierung gelingen werde, die übrigen Mitgliedsstaaten der EU von ihrem Standpunkt zu überzeugen, sodass positive Resultate in Bälde erzielt werden könnten. Der „Fünf-Punkte-Plan“ des Abgeordneten Gusenbauer sei aber in dieser Frage eher nicht die richtige Vorgangsweise. Sie präferiere andere Strategien. Ihrer Meinung nach könnte beim Rat in Feira ein Bericht der Kommission vorgelegt werden, auf welchen sodann die Staats- und Regierungschefs entsprechende Beschlüsse zur Aufhebung der Sanktionen fassen könnten.

Nachdem sich Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) seiner Vorrednerin inhaltlich angeschlossen hatte, thematisierte Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) die innenpolitische Dimension der Sanktionen und beklagte, dass seitens der Regierung keinerlei Anerkennung der Bemühungen der Opposition, zur Verbesserung der Situation beizutragen, erfolge. Es stelle sich die Frage, ob das jetzige Agieren der Opposition nicht klüger sei als der ehedem von der Regierung geforderte „Schulterschluss“. Überdies sprach Lunacek die Lage in Zimbabwe und Äthiopien an.

Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F) bezweifelte den zählbaren Erfolg der Aktivitäten Gusenbauers. Alles, was man aus jenen Ländern, in denen er zu Gast war, gehört habe, sei gewesen, dass die Sanktionen nicht noch weiter verschärft würden. Dies könne man wohl kaum als Fortschritt ansehen. Bewegung sei in die Sache nur deshalb gekommen, weil sich die Außenministerin „rund um die Uhr“ für Österreich einsetze. Bewegung gebe es aber auch deshalb, weil die EU mittlerweile selbst erkannt habe, dass es ein Fehler war, Sanktionen über ein Land zu verhängen, wo eine demokratische Regierungsbildung nach einer demokratischen Wahl erfolgte.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) sagte, die nun sich vollziehende Bewegung sei genährt aus der innenpolitischen Lage der einzelnen Länder, die Frage sei jedoch, ob aus dieser Bewegung ein neuer Konsens resultiere. Es sei eine Illusion zu glauben, dass hier irgendeine österreichische „Aufgeregtheit“ einen Beitrag zum Ausstieg aus den Sanktionen leisten könne. Es gebe zwar in vielen Staaten Bereitschaft zu Veränderungen, aber kaum jemand wolle dazu die Initiative ergreifen. Insofern seien die Aussagen des portugiesischen Ratspräsidenten von einer neuen Qualität.

So könne man also eine generelle Nachdenkbereitschaft orten, der gesamte Prozess werde aber sicherlich kein kurzfristiger sein. Ein Erfolg der Guterres-Initiative sei keineswegs garantiert. Vieles werde auch davon abhängen, wie sich die österreichische Bundesregierung weiter verhalte. Prinzipiell brauche es in Europa grundsätzliche Überlegungen, wie man in Zukunft in ähnlich gelagerten Fällen agieren wolle.

Gusenbauer sprach in der Folge noch die Rede des deutschen Aussenministers Fischer an, die seines Erachtens den Versuch darstelle, eine neue Dynamik in die Debatte über die zukünftige Entwicklung Europas zu bringen. Hier wäre es interessant, zu erfahren, wie sich die Bundesregierung zu dieser Kernfrage für das europäische Verständnis stelle. Weiters wollte Gusenbauer wissen, welche Rolle Österreich nach Meinung der Bundesregierung in einer erweiterten EU spielen solle. Ausschussvorsitzender SCHIEDER (S) erkundigte sich schliesslich nach der Ansicht der Bundesregierung zur Neugestaltung des EP nach einer Erweiterung der EU.

Ferrero-Waldner zeigte sich erfreut über die portugiesische Initiative, teilte aber gleichzeitig die Einschätzung Gusenbauers, dass in dieser Frage noch nicht aller Tage Abend sei. Daher gelte es, die verbleibenden Wochen bis Feira zu weiteren Schritten zu nützen. Eine Vereinbarung, wie künftig mit solchen Fragen umgegangen werden solle, etwa ein Sanktionsmechanismus gemäss den Artikel 6 und 7 des EU-Vertrages, werde zwar überlegt, es sei aber fraglich, ob es zu einer solchen Initiative komme.

Die Problemzonen Zimbabwe und Äthiopien seien bereits auf den Azoren diskutiert worden, und man habe eine gemeinsame Position der EU gefunden. Sie selbst habe auch mit der Botschafterin Zimbabwes in Österreich ein entsprechendes Gespräch geführt. Hinsichtlich Äthiopiens unterstütze Österreich die Resolution des Sicherheitsrates. Eine Einstellung der Entwicklungszusammenarbeit wäre aber kontraproduktiv, zumal diese in Regionen stattfinde, die von den gegenwärtigen kriegerischen Auseinandersetzungen nicht betroffen seien.

Zur Rede von Aussenminister Fischer merkte Ferrero-Waldner an, dieses Thema werde schon lange diskutiert, weil die Handlungsfähigkeit der EU bei 27 Mitgliedern überdacht werden müsse. Ziel sollte es sein, dass ein Teil der EU in bestimmten Belangen vorangehen könne, ohne deshalb die anderen zurückzulassen. Hinsichtlich der Osterweiterung der EU müsse man bedenken, dass noch einige Probleme, etwa die Frage der Kernkraft oder jene der Benes-Dekrete, zu lösen seien. Hier werde noch sehr viel gemeinsame Arbeit zu leisten sein. Beim EP zeichne sich im übrigen ein Konsens hinsichtlich einer Plafondierung des EP bei 700 Sitzen ab, die dann entsprechend neu verteilt werden müssten.

Nach der aktuellen Aussprache befasste sich der Ausschuss mit mehreren internationalen Abkommen, die einstimmig zur Kenntnis genommen wurden. Betroffen waren etwa ein Übereinkommen über die Sicherheit von Personal der Vereinten Nationen und beigeordnetem Personal (50 d.B. ) und ein Amtssitzabkommen zwischen Österreich und

dem Internationalen Zentrum für Migrationspolitikentwicklung, um diesem auch weiterhin eine effiziente Aufgabenerfüllung zu ermöglichen.

Demgemäß soll ein Amtssitz - ähnlich wie Gebäude diplomatischer Vertretungen - unverletzlich sein; die Angestellten werden von allen Pflichtbeiträgen an die Sozialversicherungseinrichtungen der Republik befreit, es wird den Mitarbeitern aber das Recht eingeräumt, jedem einzelnen Zweig der Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung mit der Wirkung einer Pflichtversicherung beizutreten.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt für Familienangehörige wird in einem Annex geregelt: Ehegatten und Kindern bis zu einem Alter von 21 Jahren, sofern sie vor Erreichen dieses Alters aus Gründen der Familienzusammenführung nach Österreich kamen, wird vom Außenministerium eine Bescheinigung ausgestellt, bei deren Vorlage einem künftigen Arbeitgeber in der Regel sofort eine Beschäftigungsbewilligung erteilt wird (56 d.B. ). Ebenso einstimmig nahm der Ausschuss ein Abkommen zwischen der EU und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Freizügigkeit samt Anhängen zur Kenntnis (79 d.B. ).

Ein G-Entschließungsantrag über die Weiterentwicklung der Aussen- und Sicherheitspolitik der EU durch die neutralen Mitgliedsstaaten Irland, Schweden, Finnland und Österreich wurde vertagt. Die Grünen wollen darin Sicherheit nicht nur auf den militärischen Aspekt reduziert wissen, weshalb sie die Bundesregierung auffordern, mit den anderen neutralen und bündnisfreien Mitgliedern der EU im Rahmen der GASP insbesondere nichtmilitärische friedenspolitische Initiativen anzuregen und zu fördern. So soll die EU vor allem auf zivile, friedensbildende Einrichtungen wie OSZE, VN und Europarat setzen. Weiters mögen ein Frühwarnsystem und entsprechende Instrumentarien zur präventiven politischen Lösung entwickelt werden. (2/A[E])

Ebenfalls einstimmig angenommen wurden zwei weitere Abkommen, die am Schluss der Tagesordnung standen. Mit dem Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Slowakischen Republik über die Zusammenarbeit in den Bereichen der Kultur, der Bildung und der Wissenschaft werden einerseits geeignete Zusammenarbeitsbereiche in den bilateralen Kulturbeziehungen umrissen und andererseits eine gemischte Kommission eingesetzt, die in periodischen Abständen zusammentritt und mehrjährige Arbeitsprogramme festlegt.

Die Zusammenarbeitsbereiche umfassen das Gebiet der Kultur im Sinne von Kunst (Theater, Musik, bildende Kunst, Volkskunst), von Bibliotheken, Literatur und Verlagswesen, Film, Volkskultur, Medien, Denkmal- und Kulturgüterschutz, ferner das Universitätswesen einschließlich der Stipendien und der Entsendung von Lektoren, das Bildungswesen (namentlich das allgemeinbildende und das berufsbildende Unterrichtswesen), das Archivwesen, Jugendkontakte und Sport. (63 d.B. )

Österreich und die Schweiz haben ein Abkommen unterzeichnet, das die Militär- bzw. Zivildienstpflicht ihrer Doppelbürger auf einen der beiden Staaten beschränkt. Im Einzelfall wird jeweils an den Hauptwohnsitz des Doppelstaatsbürgers angeknüpft. Lebt ein Doppelbürger in einem Drittstaat, soll er vor Vollendung seines 19. Lebensjahres schriftlich erklären, gegenüber welchem seiner beiden Heimatstaaten er seine Dienstpflicht erfüllen will. Zivile Ersatzdienste werden dem Wehrdienst vollständig gleichgestellt (75 d.B.).

Der SP-Entschließungsantrag betreffend ein gemeinsames Vorgehen aller im Nationalrat vertretenen Parteien zur Beendigung der Massnahmen der 14 EU-Staaten (133/A[E]) wurde schliesslich dem diesbezüglich eingerichteten Unterausschuss zugewiesen. (Schluss)