Parlamentskorrespondenz Nr. 407 vom 30.06.2000
VERSÖHNUNGSFONDS PASSIERT VERFASSUNGSAUSSCHUSS EINSTIMMIG
Wien (PK) - Die Mitglieder des Verfassungsausschusses verabschiedeten heute einstimmig das Versöhnungsfonds-Gesetz in der Fassung eines Vier-Parteien-Abänderungsantrages. Parlamentarier aller Parteien sowie Bundeskanzler Schüssel verliehen Ihrer Freude und Anerkennung darüber Ausdruck, dass diese außerordentlich sensible Materie in so relativ kurzer Zeit beschlussfähig vorliegt und zollten dafür der Regierungsbeauftragten Dr. Schaumayer und deren Mitarbeitern für ihre engagierte Arbeit ausdrückliche Anerkennung. Dank wurde allgemein auch Präsident Fischer ausgesprochen, der wesentlich zur gemeinsamen Initiative der Parlamentarier beigetragen hatte.
Mit dem Versöhnungsfonds-Gesetz sollen Leistungen an SklavenarbeiterInnen und ZwangsarbeiterInnen während des nationalsozialistischen Regimes ermöglicht werden. Der von den Abgeordneten Dr. Cap (S), Dr. Khol (V), Ing. Westenthaler (F) und Mag. Stoisits (G) eingebrachte Antrag (180/A) sieht die Errichtung eines Fonds mit der Bezeichnung "Versöhnungsfonds" zur Erbringung von Leistungen an ehemalige Sklaven- und Zwangsarbeiter des nationalsozialistischen Regimes auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich vor. Dieser Fonds hat zum Ziel, durch eine freiwillige Geste der Republik Österreich gegenüber natürlichen Personen, die durch das nationalsozialistische Regime zu Sklaven- oder Zwangsarbeit auf dem Gebiet des heutigen Österreich gezwungen wurden, einen Beitrag zu Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit zu leisten. Vorgesehen sind einmalige Geldleistungen in Höhe von 105.000 S (an SklavenarbeiterInnen), 35.000 S (ZwangsarbeiterInnen in Industrie und Gewerbe bzw. bei öffentlichen Einrichtungen) und 20.000 S (ZwangsarbeiterInnen in Landwirtschaft und persönlicher Dienstleistung). Auch für betroffene Kinder und Minderjährige sind Zahlungen vorgesehen. An Frauen, die während der Zeit ihres Einsatzes als Zwangsarbeiterinnen Kinder in Ostarbeiterinnen-Entbindungsheimen zur Welt brachten oder zum Schwangerschaftsabbruch genötigt wurden, kann eine zusätzliche Leistung von 5.000 S erbracht werden. Ehemalige Kriegsgefangene sind nicht leistungsberechtigt. Ein Rechtsanspruch ist nicht vorgesehen. Durch den Abänderungsantrag wird sichergestellt, dass anspruchsberechtigte Personen, welche eine Leistung aus der Stiftung der Bundesrepublik Deutschland erhalten, keine Forderungen mehr an den österreichischen Fonds stellen können. Eine Beilage des Ausschussberichts enthält eine Liste jener Lager, deren Inhaftierte als Leistungsberechtigte des Versöhnungsfonds-Gesetzes in Frage kommen.
Leistungen müssen persönlich beantragt werden, wobei der Anspruch glaubhaft gemacht werden muss. Es werden nur Anträge berücksichtigt, die innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt werden; die Verlängerung der Antragsfrist um höchstens ein Jahr ist möglich. Das Gesetz tritt in Kraft, sobald sichergestellt ist, dass die vorgesehenen Mittel in Höhe von 6 Mrd. S zur Gänze verfügbar sind und die Abkommen zur Sicherung des Rechtsfriedens mit den USA und jenen Staaten, in denen Partnerorganisationen eingerichtet sind, unterzeichnet sind. Der Fonds ist auf drei Jahre befristet. Stichtag für die Entschädigung ist der 15. Februar 2000 und damit jener Tag, an dem Maria Schaumayer zur Regierungsbeauftragten ernannt wurde.
Die Fondsmittel in Höhe von 6 Mrd. S sollen aus Zuwendungen des Bundes und anderer Gebietskörperschaften, aus der Wirtschaft und aus sonstigen Zuwendungen gespeist werden. Innerhalb von zwei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes soll eine weltweite Bekanntmachung erfolgen.
Oberstes Organ des Fonds ist ein Kuratorium, Vorsitzender dieses Kuratoriums ist der Bundeskanzler. Dem Kuratorium gehören neben Ministern, Nationalräten, einem Vertreter der Landeshauptleutekonferenz und Wirtschaftsvertretern, die von der Arbeitsgemeinschaft "Plattform humanitäre Aktion" entsendet werden, ein Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Verbände und Widerstandskämpfer Österreichs, der Leiter des Dokumentationszentrums, der Obmann des Kulturvereines österreichischer Roma, Vertreter der betreffenden Staaten sowie der USA sowie ein von der Regierung der USA zu entsendender Rechtsanwalt an. Zu einzelnen Tagesordnungspunkten können weitere Personen kooptiert werden.
Abgeordneter Dr. KHOL (V) hob die sorgfältigen Beratungen dieser schwierigen Materie hervor und zeigte sich zufrieden, dass eine Lösung gefunden werden konnte, die sachgerecht sei, international respektiert werde und mit der man einer moralischen Verpflichtung nachkomme.
Seitens der freiheitlichen Fraktion nahm Abgeordneter Dr. KRÜGER zum vorliegenden Gesetz Stellung und meinte, dass Österreich zu Recht für das lange Hinausschieben dieser notwendigen Schritte kritisiert worden sei. Dennoch müsse man auch betonen, dass es bereits Entschädigungsgesetze gegeben habe, und eine Vielzahl von Vermögenswerten zurückgestellt worden seien. Man müsse auch Grenzen setzen und daher sei er gegen die von Präsident Muzicant geforderten Wiederaufrollung der Rückstellungsprozesse.
Die sechs Milliarden bezeichnete er als eine durchaus großzügige Geste, auch im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland, wo mit der dortigen Stiftung alles abgedeckt werde. Mit dem Versöhnungsfonds-Gesetz seien zunächst aber nur Zwangs- und SklavenarbeiterInnen umfasst. Die Frage der Arisierung werde eigens in Angriff genommen. Der Abgeordnete verhehlte aber nicht, dass die Herstellung der Rechtssicherheit noch ein schwieriges Unterfangen sein werde.
Präsident Dr. FISCHER erinnerte daran, dass in den 90er Jahren einiges in Gang gebracht worden sei und nannte die bemerkenswerten Reden von Bundeskanzler a.D. Vranitzky und Bundespräsident Klestil in Wien und Jerusalem, den Nationalfonds, die Einführung des Gedenktages und die Einsetzung der Historikerkommission. Das Konzept des Versöhnungsfonds hält er für richtig und vernünftig und konzedierte der Regierungsbeauftragten Schaumayer, ihre Aufgabe balanciert, engagiert, mit Flexibilität und Festigkeit erfüllt zu haben. Die wesentliche Aufgabe der nächsten Monate werde es sein, die erforderlichen Mittel aufzubringen.
Abgeordneter Mag. POSCH (S) unterstrich abermals die moralische Pflicht der Republik und merkte an, dass dieses Gesetz nur eine moralische Entschädigung darstelle, weil man sich der Dimension dessen, was Schadenersatz ist, gar nicht bewusst sei. Er verbindet mit der Einrichtung des Fonds die Hoffnung, die materiellen Probleme zu lösen, die Debatte über diese unselige Zeit dürfe jedoch nicht beendet werden, sie sei notwendiger denn je, so der Abgeordnete.
Abgeordnete Mag. STOISITS (G) schloss sich der positiven Beurteilung an, fügte aber hinzu, dass der Erfolg davon abhängen werde, ob es gelinge, die sechs Milliarden auf die Beine zu stellen. Dennoch gebe es aus ihrer Sicht einige kritische Fragen und Anmerkungen. Diese betrafen u.a. die Insassen der Arbeitserziehungslager, wo die Mortalitätsrate enorm hoch war, sowie italienische Militärinternierte und Zwangsarbeiter in Euthanasielagern. Zum Entwurf für den Ausschussbericht merkte sie an, dass die Entschädigung nicht mit der Erweiterung der EU in Zusammenhang gebracht werden könne. Auch sei die Feststellung falsch, dass die Interessen der Israelitischen Kultusgemeinde berücksichtigt worden seien.
Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) thematisierte den Ungeist jener Zeit, der leider nicht vollkommen verschwunden sei, vielmehr komme er in Schriften, Äußerungen und Vorkommnissen, die dieser Zeit huldigen und sie verharmlosen, verstärkt zur Geltung. "Die Kräfte der Dunkelheit tummeln sich im hellen Tageslicht", so die Mandatarin. Sie zeigte sich auch enttäuscht darüber, dass der Bundeskanzler nicht bereit gewesen sei, auf ihre diesbezüglichen parlamentarischen Anfragen zu antworten. Angesichts der Situation halte sie es für die Spitze der Republik unmöglich, dazu dauernd zu schweigen.
Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL unterstrich, dass die Bundesregierung eine solche Initiative von Anfang an setzen wollte und man daher diese Zielsetzung bewusst in das Regierungsprogramm aufgenommen habe. Auch in der Regierungserklärung befinde sich dazu eine breite Passage. Dass der Antrag heute beschlussfertig auf dem Tisch liege, sei ein persönliches Verdienst von Schaumayer und er wolle auch dem Präsidenten dafür danken, die Verantwortung für eine gemeinsame Initiative der ParlamentarierInnen übernommen zu haben, auch wenn die Situation emotional nicht einfach gewesen sei.
Im Gegensatz zur Abgeordneten Petrovic sieht er darin auch einen Beweis dafür, dass eine breite Diskussion heute einfacher und selbstverständlicher geworden sei. Die Sensibilität habe sich sicherlich erhöht. Ein wunder Punkt sei ohne Frage das Internet und auch der Bildungsauftrag an die nächste Generation sei unbestritten. Schüssel merkte aber auch an, dass es möglich sein müsse, der eigenen Toten des Weltkrieges zu gedenken, ohne die Balance und Objektivität zu verlieren. Es müsse möglich sein, alle wichtigen Themen mit hoher Sensibilität anzusprechen, und wie wir nicht unserer Geschichte entkommen könnten, könnten dies auch andere Länder nicht, auch nicht die Beitrittskandidaten. Die sechs Milliarden bezeichnete er als eine gewaltige Geste.
Regierungsbeauftragte Dr. SCHAUMAYER bestätigte, dass man von Anfang an mit großem Elan unterwegs gewesen sei. Man werde mittels gut vorbereiteter Öffentlichkeitsarbeit für eine rechtzeitige und umfassende Information der Leistungsberechtigten sorgen. In Richtung der Abgeordneten Stoisits stellte Schaumayer fest, dass man die wertvollen Anregungen der Israelitischen Kultusgemeinde berücksichtigt habe. Der Zusammenhang mit der EU-Erweiterung könne selbstverständlich nicht mit der Zwangsarbeit sondern nur mit der Versöhnung hergestellt werden. Was die Arbeitserziehungslager betrifft, habe es sich dabei in den meisten Fällen nur um Kurzaufenthalte gehandelt, das Gesetz schließe aber nicht aus, auch diese Personen zu berücksichtigen, da in erster Linie auf die individuellen Schicksale Bedacht genommen werde. Auch bei Kriegsgefangenen könne es Härtefälle geben, die dann in den Genuss einer Entschädigung kommen. Auf eine Frage des Abgeordneten Dr. Cap bestätigte die Regierungsbeauftragte, dass Angehörige aller Nationalitäten angesprochen seien und man die Botschaften mit ausreichender Information versorgt habe und dies auch in Zukunft tun werde.
Schaumayer unterstrich abschließend die Bedeutung der Herstellung der Rechtssicherheit für die Wirtschaft, betonte aber gleichzeitig, dass die Aufbringung der sechs Milliarden Schilling dafür unerlässliche Voraussetzung sei. In Anlehnung an die Wortmeldung von Dr. Petrovic berichtete sie, dass im Vergleich zur Gesamtkorrespondenz jene Briefe relativ gering gewesen seien, die pamphletartigen Charakter hatten. (Schluss)