Parlamentskorrespondenz Nr. 333 vom 10.05.2001
NATIONALRAT ZUM AKTUELLEN THEMA SOZIALE INTEGRATION UND ZUWANDERUNG
Wien (PK) - FPÖ-Klubobmann Ing. WESTENTHALER (F) begründete die Themenwahl seiner Fraktion für die Aktuelle Stunde zu Beginn der heutigen Sitzung des Nationalrats mit dem Hinweis auf die aktuelle europäische Diskussion zur Integrationspolitik im Spannungsfeld von Arbeitsmarkt und Zuwanderung. Er erinnerte an die Fehler der SPÖ, die während der vergangenen Jahrzehnte die Grenzen für die Zuwanderung nach seiner Ansicht zu weit aufgemacht habe. Eine Million Ausländer leben heute in Österreich, ein Großteil von ihnen seien nicht in den Arbeitsmarkt, sondern in das österreichische Sozialsystem zugewandert, klagte Westenthaler. Daher sei die Generallinie der Bundesregierung "Integration vor Zuwanderung" richtig.
Integration setze Spracherwerb und das Erlernen kultureller Grundwerte sowie heimischer Gepflogenheiten voraus, sagte Westenthaler und brachte das Modell des Integrationsvertrages zur Sprache, das in den Niederlanden erfolgreich umgesetzt und nun auch in Deutschland - auch von SPD und Grünen - gelobt werde. Der niederländische Integrationsvertrag sehe eine Prüfung und den Verlust sozialer Begünstigungen vor, wenn jemand nicht an den Kursen teilnehme. Wer nicht bereit sei, die Sprache zu lernen, sich zu integrieren, zu arbeiten, könne nicht erwarten, ein Leben lang im Sozialsystem verbleiben zu können, sagte Westenthaler.
Bundesminister Mag. HAUPT stellte einleitend fest, dass Österreich bei der humanitären Hilfe für Ausländer Hervorragendes leiste. 70.000 bosnische Kriegsflüchtlinge haben Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen erhalten, viele Flüchtlinge wurden aufgenommen und integriert. Kritik an der österreichischen Asylpolitik hielt der Minister aktuelle Zahlen entgegen, aus denen hervorgehe, dass auf 580 Österreicher jeweils ein Asylwerber komme. In Deutschland betrage dieses Verhältnis 830 : 1, in Frankreich 2.600 : 1, im Durchschnitt der EU 1.310 : 1. Die Zahl der Asylanträge sei 2000 im Jahresabstand von 2.096 auf 18.284 gestiegen. Im ersten Quartal 2001 betrug die Zahl der Anträge bereits 7.488, wobei der Großteil auf Flüchtlinge aus Afghanistan entfiel. Der Minister bekannte sich zum Grundsatz "Integration vor Neuzugang", unterstrich die Bedeutung des Spracherwerbs bei der Integration und besprach das Integrationsvertragsmodell der Niederlande positiv.
Auf eine aktuelle WIFO-Studie zum Thema Arbeitsmarkt und Zuwanderung eingehend, setzte der Minister seine Prioritäten bei Qualifikationsmaßnahmen, der Erhöhung der Beschäftigungsquote älterer Menschen, der Erhöhung der Erwerbsquote der Frauen und nannte erst dann die Zuwanderung von Schlüsselarbeitskräften. Denn angesichts einer nach wie vor Besorgnis erregenden Arbeitslosigkeit der in Österreich lebenden Ausländer gab Haupt Ausbildungsmaßnahmen für Ausländer mit mangelnder Qualifikation Vorrang vor neuer Zuwanderung. Probleme auf dem IT-Sektor führte der Minister auf einen Nachholbedarf im schulischen Bereich zurück. Die Schulen on-line zu bringen ist für ihn daher die wichtigste Maßnahme der Bundesregierung im Bildungsbereich.
Abgeordnete SILHAVY (S) zeigte sich verwundert über die Themenwahl der FPÖ für die heutige Aktuelle Stunde und sprach von einer Täuschungs- oder Rechtfertigungsaktion, zumal die FPÖ weder ein Integrations- noch ein Zuwanderungskonzept habe. Silhavy erinnerte an ausländerfeindliche Äußerungen von FP-Mandataren und charakterisierte die Arbeitsmarktpolitik der FPÖ mit den Worten: "Sie muten den Arbeitslosen alles zu, wenn es nur die Kosten für die Wirtschaft senkt". Das FP-Saisoniermodell habe im Gastgewerbe die Lohnspirale nach unten in Gang gesetzt und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit erhöht. Für Silhavy ist dies ein Beispiel mehr für die menschenverachtende Politik der FPÖ." Silhavy schloss mit der Forderung nach Maßnahmen gegen das "Schwarzunternehmertum".
Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) bedauerte, dass die SPÖ nur die "zweite Garnitur" ans Rednerpult schicke und die Vertreter von ÖGB und Arbeiterkammern in der heutigen Aktuellen Stunde nicht sprechen. Inhaltlich schloss die Rednerin an ihren Klubobmann an, unterstrich den Grundsatz "Integration vor Zuwanderung" und betonte, dass Integrationsleistungen nicht nur von Österreich, sondern hauptsächlich von den Ausländern zu erbringen seien. Man müsse den Menschen vor Augen führen, wie wichtig es sei, die deutsche Sprache zu erlernen. Skepsis zeigte Partik-Pable gegenüber dem Ruf nach ausländischen Fachkräften. "Was machen wir mit diesen Leuten bei einem Konjunktureinbruch?" lautete ihre Frage.
Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) wies auf die Früchte der neuen Integrations- und Zuwanderungspolitik hin, die die neue Bundesregierung eingeleitet habe. Auch er sah den Spracherwerb und die Integration der legal in Österreich lebenden Ausländer in den Arbeitsmarkt als wichtig an. Denn es gehe darum, das inländische Arbeitskräftepotential optimal auszunützen, statt, wie die SPÖ, mehr Zuwanderung zu fordern. Außerdem verlangte der Wiener Mandatar, die Vergabepolitik im sozialen Wohnbau im Sinne einer Integrationspolitik zu überdenken und zu ändern. Zur Forderung nach einem Wahlrecht der Ausländer auf der Ebene der Gebietskörperschaften und öffentlicher Körperschaften sage seine Fraktion so lange nein, so lange die SPÖ durch ihr Nein zur Briefwahl hunderttausenden Menschen das Wahlrecht vorenthält.
Abgeordnete Mag. STOISITS (G) korrigierte zunächst die Behauptung des Abgeordneten Westenthaler, in Österreich lebten eine Million Ausländer. Laut Statistik Österreich seien es 758.024. Über das Integrationsmodell der Niederlande seien die Grünen gerne bereit zu diskutieren. Man müsse dabei aber die gänzlich andere Situation in den Niederlanden berücksichtigen. Stoisits listete auf: In den Niederlanden sei ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz in Kraft, Arbeitgeber können vor Gericht zur Einhaltung des Integrationsvertrages gezwungen werden, die Niederlande haben völlig andere Einbürgerungsbestimmungen als Österreich und setzen ein Programm zur Gleichstellung der Zuwanderer auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt um. Davon sei Österreich weit entfernt, klagte Stoisits und wies beispielsweise darauf hin, dass hierzulande selbst die Familienzusammenführung einer Quote unterworfen sei.
Abgeordnete Mag. KUNTZL (S) meinte, die FPÖ simuliere in der Integrations- und Ausländerpolitik einen Kurswechsel, setzte tatsächlich aber ihre ausländerfeindliche Politik der Vergangenheit fort. Wenn Klubobmann Westenthaler vom Integrationsvertrag spricht, rede er nur wenig von den Rechten der Ausländer, sehr viel von Pflichten und am liebsten von Sanktionen. Die Freiheitlichen suchten lediglich einen neuen Titel, um Leute aus dem Land zu bringen, die ihr nicht passten. Die FPÖ wolle Ausgrenzung statt Integration. Dem gegenüber erinnerte Kuntzl an die Sprachoffensiven der Wiener SPÖ, die von den Ausländern stark angenommen werden. Sie würde sich wünschen, dass auch die Bundesregierung Mittel für Spracherwerbprogramme und für die Integration von Ausländern aufwende. Aus der bereits zitierten WIFO-Studie zog die Abgeordnete den Schluss, dass Österreich die Zuwanderung von Fachkräften brauche, wobei sie darauf hinwies, dass sich Fachleute aufgrund der internationalen Konkurrenz bereits die Länder aussuchen können, in denen sie tätig werden. Sie meiden Länder, in denen Ausländer nicht willkommen sind, und suchen Länder auf, in denen sie erwünscht sind.
Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F) ortete einen massiven Widerspruch zwischen den Aussagen seiner Vorrednerin und Vertretern des ÖGB, die keine Notwendigkeit für Zuwanderung nach Österreich sehen. Schweitzer gab den Gewerkschaftern Recht, stimmte dem Vorschlag zu, einen Ausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben zu schaffen und forderte dazu auf, Arbeitskräftereserven im Inland zu nützen. Herbe Kritik übte Schweitzer an der Bildungspolitik der SPÖ, die die Schülerströme jahrzehntelang fehlgeleitet habe. Die SPÖ habe die Hauptschule ruiniert und sei auch Schuld an den überfüllten AHS und Universitäten. Schweitzer machte auf die Klagen der Betriebe über schlecht qualifizierte Schulabgänger aufmerksam und unterbreitete Vorschläge für eine Reform des Bildungssystems mit einer Aufwertung der Hauptschule zu einer Realschule und des Polytechnischen Lehrgangs zu einem Berufsvorbereitungsjahr, das als Berufsschuljahr angerechnet werde. Mit dieser Neugestaltung des Bildungssystems wäre es möglich, die Arbeitskräftereserven im Inland besser zu nutzen und auf Zuwanderung zu verzichten, schloss Schweitzer.
Die neueste EU-Studie zeige, welche gute Wirtschaftsdaten Österreich derzeit aufweise, erklärte Abgeordnete Mag. PECHER (V). Neben einem dichten sozialen Netz, einem Wirtschaftswachstum in der Höhe von 3,5 %, einer niedrigen Inflationsrate gibt es zudem beinahe Vollbeschäftigung. Aber wir wollen nicht nur eine Politik der Gegenwart machen, meinte Pecher, sondern eine für die Zukunft. Kreative Lösungen müssen etwa für das Problem gefunden werden, dass laut WIFO-Studie in den nächsten fünf bis sechs Jahren 165.000 zusätzliche Beschäftigte fehlen werden. Ihrer Ansicht nach sei es diesbezüglich sinnvoller, erst die vorhandenen Potentiale auszuschöpfen und erst dann über einen Zuzug von Arbeitnehmern zu diskutieren. Wichtig erscheint es ihr auch, ältere Arbeitnehmer länger in Beschäftigung zu halten, die Ausbildungsdauer zu verkürzen und Frauen den Einstieg in die neuen Berufe zu erleichtern.
Abgeordneter ÖLLINGER (G) illustrierte an einem Beispiel, wie es in Österreich hinsichtlich "Integration vor Neuzuzug" aussieht: Eine ausländische Frau, die seit 20 Jahren in Österreich lebt und hier auch ein Medizinstudium absolviert hat, darf nicht arbeiten. Da jedoch gut ausgebildete Arbeitskräfte benötigt werden, ist sie als Gastärztin in einem Krankenhaus beschäftigt, und zwar um 4.000 S, berichtete der G-Mandatar. Seit Jahrzehnten gibt es nun schon mehrere Klassen von Beschäftigten, da ausländische Arbeitnehmer weder bei den Arbeiterkammer-, den Betriebsrats- noch den Gemeindewahlen gleiche Rechte haben, kritisierte Öllinger. Benachteiligungen bestehen aber auch bei den Familienleistungen, der Arbeitslosenversicherung, im Steuerrecht, beim Kinderbetreuungsgeld sowie bei der Sozialhilfe. Erst wenn es gleiche Rechte für alle gibt, könne man in der Integration ein Stück vorankommen, betonte der Redner abschließend.
(Schluss)