Parlamentskorrespondenz Nr. 484 vom 21.06.2001

HEFTIGE DISKUSSION UM ANZEIGEPFLICHT FÜR ÄRZTE

2. Ärztegesetz-Novelle passiert Gesundheitsausschuss

Wien (PK) - Im Mittelpunkt der heutigen Debatte im Gesundheitsausschuss stand die 2. Ärztegesetz-Novelle, die u.a. die rechtlichen Grundlagen für Einrichtung von Gruppenpraxen schafft. Die Diskussion betraf jedoch vor allem jenen Passus der Regierungsvorlage, der eine ausdrückliche Anzeigepflicht des Arztes bei sexuellem Missbrauch oder gewalttätigen Übergriffen gegenüber Minderjährigen an die Sicherheitsbehörde, und zwar ohne jede Ausnahme, vorsieht. Da diese Regelung auf massive Kritik stieß, brachten die Regierungsfraktionen im Laufe der Sitzung einen Abänderungsantrag ein, der folgende Einschränkung vorsieht: "Richtet sich der Verdacht gegen einen nahen Angehörigen, so kann die Anzeige so lange unterbleiben, als dies das Wohl des Minderjährigen erfordert und eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger und gegebenenfalls eine Einbeziehung einer Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt erfolgt."

Weiters standen noch das Apothekerkammergesetz 2001 sowie die Vereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Oberösterreich zur Sicherstellung der Patientenrechte (Patientencharta) auf der Agenda des Gesundheitsausschusses.

FREIE FAHRT FÜR GRUPPENPRAXEN

Das Kernstück der 2. Ärztegesetz-Novelle stellt die Schaffung von sogenannten Gruppenpraxen dar. Um den stationären Krankenanstaltensektor durch flexible ambulante Einrichtungen zu entlasten sowie um die Versorgungslücken im ländlichen Raum zu schließen, soll die Möglichkeit geschaffen werden, die ärztliche Tätigkeit im Rahmen von Gruppenpraxen auszuüben, heißt es in der Regierungsvorlage. Erstmals können nunmehr Behandlungsgesellschaften eröffnet werden, wobei als Rechtsform die offene Erwerbsgesellschaft zur Verfügung steht. Damit auch Kassenverträge für Gruppenpraxen ausverhandelt werden können, sollen parallel dazu Änderungen beim Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz vorgenommen werden. ( 629 d.B.)

Im Zusammenhang mit den Gruppenpraxen kritisierte Abgeordnete Theresia Haidlmayr (G) im besonderen, dass - obwohl es versprochen wurde - keine Barrierefreiheit im Gesetz festgeschrieben wurde. Sie brachte diesbezüglich einen Entschließungsantrag ein. Außerdem bemängelte die G-Mandatarin, dass die Gruppenpraxenregelung auf Ärzte und Dentisten beschränkt wurde.

Für die Anliegen der behinderten Menschen machte sich auch Abgeordnete Brunhilde Plank (S) stark. Dieses Gesetz belege, betonte sie, dass die Bedürfnisse der Behinderten wieder einmal nicht ernst genommen wurden. Was die Anzeigepflicht betrifft, so werde sie dazu führen, dass die Opfer ein zweites Mal zu Leidtragenden werden und der Missbrauchszyklus sich weiterdreht, warnte die Rednerin.

Die Vorlage bringe zwar eine Reihe von positiven Änderungen, meinte Abgeordnete Anna Huber (S), doch sie habe auch massive Bedenken. Als Beispiel führte sie die ersatzlose Streichung der sogenannten "Flüchtlingspassage" an. Dadurch werden Menschen, die aus ihren Ländern flüchten mussten, gezwungen, alle erforderlichen Papiere vorzulegen, um den Arztberuf ausüben zu können. Scharf kritisierte sie auch die Wiedereinführung der Anzeigepflicht, was von allen namhaften Experten abgelehnt werde. Dies sei ihrer Auffassung nach kontraproduktiv, zumal 80 % der Missbrauchsfälle innerhalb der Familie vorkommen. Auch der Abänderungsantrag bringe keine Fortschritte, da vieles nicht geklärt sei und der Rachegedanke vor dem Opferschutz stehe.

Auch Abgeordneter Hannes Bauer (S) lehnte den Entwurf ab, weil er im Widerspruch zum Prinzip "Helfen statt Strafen" stehe. Abgeordneter Manfred Lackner (S) schloss sich dieser Auffassung an und wies darauf hin, dass in Expertenkreisen großer Unmut herrsche. Aus diesem Grund sprach er sich für die Vertagung dieses Tagesordnungspunktes und die Abhaltung eines öffentlichen Hearings aus, was jedoch von der Ausschussmehrheit abgelehnt wurde. 

Abgeordneter Kurt Grünewald (G) stand der Anzeigepflicht ebenfalls negativ gegenüber und bedauerte, dass keine Gespräche im Vorfeld stattgefunden haben. In einem Abänderungsantrag gab er zu bedenken, dass durch die Einführung der Anzeigepflicht die Situation der Opfer verschlechtert und die wertvolle Arbeit der Opferschutzeinrichtungen zunichte gemacht werde. Auch der Abänderungsantrag sei ihm von den Formulierungen her "zu gummihaft" und bringe keine massive Verbesserung.

Kritik übte er auch an der ersatzlosen Streichung jener Paragraphen, die die Behandlung von Flüchtlingen hinsichtlich der Ausübung von freien Berufen betrafen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf ein Schreiben des UN-Flüchtlingskommissars. Grünewald bemängelte schließlich noch die unzureichende Kompetenzabgrenzung von Gruppenpraxen gegenüber Ambulatorien und Krankenanstalten.

Abgeordneter Günther Leiner (V) bezeichnete die Novelle als "sehr guten Wurf", der gerade für die ländlichen Regionen eine Reihe von Vorteilen bringe. Nun liege es jedoch am Hauptverband, damit das Gesetz kein zahnloses Instrument bleibe, gab er zu bedenken. Abgeordneter Erwin Rasinger (V) befasste sich mit dem F-V-Abänderungsantrag und meinte, dass eine Klarstellung notwendig war. Der gefundene Konsens sei aus seiner Sicht durchaus zu vertreten.

Die Anzeigepflicht für Ärzte sei bis 1998 im Gesetz enthalten gewesen, wurde dann abgeändert und jetzt komme es zu einer teilweisen Rückführung zur ursprünglichen Situation, erläuterte Bundesminister Mag. Herbert Haupt. Gespräche mit Experten haben ergeben, dass im Interesse des Kindes in manchen Fällen von einer Anzeige Abstand genommen werden soll. Aus diesem Grund wurde ein Abänderungsantrag ausgearbeitet, der eine Einschränkung im Falle von nahen Angehörigen vorsieht, führte Haupt aus. Für äußerst wichtig halte er dabei die vorgesehene Vernetzung und Koordinierung der einzelnen Behörden und Kinderschutzeinrichtungen. Bei schwerer Körperverletzung habe der Arzt zudem auf bestehende Opferschutzeinrichtungen hinzuweisen.

Weiters erinnerte Haupt daran, dass die nunmehr vorgesehene gesetzliche Möglichkeit, Gruppenpraxen einzurichten, auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zurückgehe, das von der letzten Regierung jedoch nicht umgesetzt wurde. Er erwarte sich positive Effekte vor allem für die ländlichen Regionen, wo ein ausreichendes Angebot im niedergelassenen Bereich derzeit noch fehle. Zudem komme es zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, da die oft sehr teuren medizinischen Geräte, etwa im radiologischen und internistischen Bereich, gemeinsam genutzt werden können. Zum ersten Mal habe man auch versucht, mit einem Qualitätskriterium vor Ort zu arbeiten, führte der Minister weiter aus. Sollten nämlich die Qualitätsstandards nicht erfüllt werden, könne man die Kassenverträge verlieren, erläuterte er. Was die Berufstätigkeit von Ärzten aus dem Ausland betrifft, so müssen hier - im Sinne der Patientensicherheit - die Qualitätsstandards hoch gehalten werden. Der Gesetzgeber habe es sich sehr wohl gut überlegt, weshalb die Rahmenbedingungen verändert werden, versicherte er.

Hinsichtlich des barrierefreien Zugangs zu Arztpraxen für behinderte Menschen teilte Haupt mit, dass ihm ein Verfassungsgutachten vorliege, das zum Schluss komme, dass es sich dabei um eine Angelegenheit des Baurechts und des Föderalismus handle. Aus diesem Grund konnte ein derartiger Passus auch nicht im Gesetz verankert werden. Er werde sich jedoch weiterhin intensiv mit diesem Problem befassen und sich bemühen, auf anderem legistischen Wege zum Ziel zu kommen. Zur Problematik der Kompetenzabgrenzung, die von Abgeordnetem Grünewald angesprochen wurde, sagte Haupt, dass es sehr schwierig sei, jedes Detail im vorhinein zu regeln. Man gehe davon aus, dass diese Frage vor Ort gelöst werde.

Bei der getrennten Abstimmung wurde die Regierungsvorlage in der Fassung eines F-V-Abänderungsantrages teils mehrheitlich, teils einstimmig angenommen. Einhellige Zustimmung fand ein Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen, der die Umsatzsteuerfreiheit von Gruppenpraxen vorsieht. Mit den Stimmen von FPÖ und ÖVP wurde sodann ein F-V-Entschließungsantrag betreffend Zusammenarbeit bei strafbaren Handlungen gegen Minderjährige angenommen. Der Justizminister wird darin ersucht, eine Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden mit den Jugendwohlfahrtsträgern und Opferschutzeinrichtungen, insbesondere Kinderschutzgruppen an Krankenanstalten zur Gewährleistung des Kindeswohls und zur Aufhellung des Sachverhalts sicherzustellen.

Abgestimmt wurde zudem über eine Ausschussfeststellung, die von FPÖ und ÖVP angenommen wurde: Bezüglich der Bestimmung, dass der Pensionssicherungsbeitrag bis zu 20 % der Pensionsleistung der jeweils betroffenen Sparte betragen darf, geht der Ausschuss davon aus, dass hievon nur Gebrauch gemacht wird, wenn alle vorgeschriebenen und getroffenen Rationalisierungsmaßnahmen nicht ausreichen, um den Fonds kostendeckend zu führen.

Die beiden Abänderungsanträge der Oppositionsparteien wurden ebenso wie ein G-Entschließungsantrag betreffend Barrierefreiheit von Gruppenpraxen sowie ein S-Vertagungsantrag abgelehnt. Keine Mehrheit fand auch ein S-Entschließungsantrag betreffend Schließung datenschutzrechtlicher Lücken im Ärztegesetz 1998 ( 224/A[E]).

PATIENTENCHARTA MIT OBERÖSTERREICH VEREINBART – OPPOSITION HOFFT AUF BUNDESEINHEITLICHE REGELUNG

Im Anschluss an die ausführlichen Beratungen zum Ärztegesetz wandten sich die Abgeordneten dem Thema Patientencharta, einer Vereinbarung zwischen Bund und Land Oberösterreich, zu. ( 537 d.B.) Obwohl die Vorlage einstimmig angenommen wurde, meldeten die Gesundheitssprecher der beiden Oppositionsfraktionen, Manfred Lackner (S) und Kurt Grünewald (G), insofern Bedenken an, als ihrer Auffassung nach die einzelnen Verträge mit den Bundesländern nur Notlösungen sein können. Sie hoffen auf eine bundeseinheitliche Regelung, auch wenn sie sich der kompetenzrechtlichen Schwierigkeiten durchaus bewusst sind.

Gegenstand der vorliegenden Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und dem Land Oberösterreich ist die Sicherstellung von Patientenrechten, welche als typische Querschnittsmaterie über eine Vielzahl von Bundes- und Landesgesetzen verstreut sind. Von der Patientencharta werden sowohl ärztliche als auch pflegerische Leistungen, weiters Leistungen aller anderen im Gesundheitsbereich tätigen Berufsgruppen sowie kurative und Vorsorgemaßnahmen erfasst. Als Grundsätze der Charta sind der Schutz der Persönlichkeitsrechte der PatientInnen, die Wahrung ihrer Menschenwürde und das Diskriminierungsverbot den einzelnen Regelungen vorangestellt. Derartige Vereinbarungen gibt es bereits mit den Bundesländern Kärnten und Burgenland.

APOTHEKERKAMMERGESETZ: REGIERUNG BEGRÜSST MODERNISIERUNG, OPPOSITION KRITISIERT UNZUREICHENDE UNABHÄNGIGKEIT

Das Apothekerkammergesetz 2001 ( 628 d.B.) fand in der Fassung eines von FPÖ und ÖVP eingebrachten Abänderungsantrages nur die Zustimmung der Regierungsfraktionen, wobei die Meinungen in Bezug auf die Gegnerunabhängigkeit, die Neuregelung der paritätischen Zusammensetzung und die Verfassungsbestimmung im Rahmen des Disziplinarrechts auseinander gingen.

Ein von Abgeordnetem Manfred Lackner (S) eingebrachter Abänderungsantrag, der im Interesse der Unabhängigkeit der Abteilungen vorsieht, deren Kollektivvertragskompetenz auch durch jährliche Zuteilung der erforderlichen Mittel aus dem gesamten Jahresaufkommen der Kammer sicherzustellen, wurde abgelehnt. Lackner bedauerte auch, dass bezüglich der Verfassungsbestimmung im Teil des Disziplinarrechts nicht ausreichend mit der S-Fraktion gesprochen worden war.

Da durch die Ablehnung der SPÖ kein gültiger Beschluss über die Verfassungsbestimmung zustande gekommen wäre, brachte Abgeordnete Beate Hartinger einen Abänderungsantrag ein, der, wie auch Bundesminister Haupt betonte, eine "vorsichtige Präventivmaßnahme" darstellt, wodurch die Verfassungsbestimmung unnötig wird. Er hoffe jedoch noch auf eine einvernehmliche Lösung bis zum Plenum, sein Ressort sei dafür jedenfalls offen.

Abgeordneter Kurt Grünewald ortete eine Schieflage darin, dass das Verhältnis von selbständigen und unselbständigen ApothekerInnen 1:3 betrage, in den Gremien seien diese Gruppen aber im Verhältnis 1:1 vertreten. Diese Verteilung spiegle auch nicht die prozentuelle Aufteilung der Mittel, die von den Mitgliedern aufgebracht würden. Er möchte daher noch einmal mit den Betroffenen diskutieren. Dazu sagte Bundesminister Haupt, dass beide Gruppen der Regelung zugestimmt hätten und alle daran interessiert seien, nach der nächsten Wahl unter besseren Verhältnissen tätig sein zu können.

Das Apothekerkammergesetz 2001 sieht neben Regelungen für das satzungsgebende Organ (Delegiertenversammlung), eine Abgrenzung der Zuständigkeiten der Organe sowie demokratiepolitische Verbesserungen im Wahlrecht (z.B. Zugang zur Präsidentenfunktion auch für angestellte Apotheker) und in den Wahlverfahren vor. Zudem wird auch die Kollektivvertragsfähigkeit der Abteilungen der Apothekerkammer wiederhergestellt und das Disziplinarverfahrensrecht modernisiert.

(Schluss)