Parlamentskorrespondenz Nr. 890 vom 21.11.2007

EU-Ausschuss des Bundesrates begrüßt EU-Reformvertrag

Stärkung der nationalen Parlamente ist Chance und Auftrag

Wien (PK) – Der EU-Ausschuss des Bundesrates diskutierte heute eingehend den EU-Reformvertrag. Der Vorsitzende des Ausschusses, Bundesrat Gottfried Kneifel (V), unterstrich die Notwendigkeit, die Bürgerinnen und Bürger ausreichend über die Inhalte der Vertragsänderung aufzuklären und zu informieren. Hier sei nicht nur die Regierung gefordert, sondern jeder einzelne Mandatar und jede einzelne Mandatarin, sagte Kneifel. Vor allem sollte in der Kommunikation mit den Menschen die Tatsache im Mittelpunkt stehen, dass die EU ein beispielloses Friedensprojekt ohne Alternative darstellt, so Kneifel.

Kernpunkt aus der Sicht der nationalen Parlamente stellt nach übereinstimmender Auffassung der Mitglieder des Bundesrats das Recht dar, europäische Gesetzesentwürfe auf das Prinzip der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Das sei ein Auftrag, so Bundesrat Kneifel (V), noch schneller und anspruchsvoller zu arbeiten. Auch Bundesrat Albrecht Konecny (S) sprach von einem "Instrument, das Zukunft hat". Das Recht eines Drittels der nationalen Parlamente, Einspruch erheben zu können, sei etwas, was gegen die bisherige Usance der EU gehe. Es werde an den MandatarInnen liegen, die Möglichkeiten auch zu nützen, appellierte er. Seiner Auffassung nach wird auch eine entsprechende Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrats notwendig ein. Darüber hinaus werde man ein formalisiertes Vorverfahren unter den Parlamenten brauchen, bemerkte er, da nicht jedes Parlament alles prüfen könne. Dem schloss sich Bundesrätin Eva Konrad (G) an. Bundesrat Gottfried Kneifel (V) kündigte auch an, nachdem der Vertrag Rechtskraft erhalten haben wird, werde vor jedem Plenum der EU-Ausschuss des Bundesrats einberufen werden.

Konecny sah auch die Chance, den, wie er meinte, "naturgegebenen Regelungszwang", der oft in Brüssel herrsche, etwas einzudämmen. Nicht alles, was man regeln kann, müsse auch geregelt werden, sagte er. Deshalb werde man sich wahrscheinlich auch sehr oft mit der Frage der Verhältnismäßigkeit auseinandersetzen müssen. Auch Bundesrat Karl Boden (S) kritisierte, die EU befasse sich zu oft mit Kleinigkeiten. Staatssekretär Winkler hielt in diesem Zusammenhang fest, dass laut Reformvertrag Kompetenzen von der EU wieder an die nationalen Staaten zurückverlagert werden können, wodurch man nicht mehr von einer Einbahnstraße sprechen könne. Er verteidigte die Kommission insofern, als er darauf hinwies, dass viele Regelungen dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger, etwa dem Konsumentenschutz, dienen. Außerdem basierten viele Regelungen auf den Interessen unterschiedlicher Institutionen und Staaten.

Den Bundesrätinnen und Bundesräten standen sowohl Staatssekretär Hans Winkler als auch Sektionschef Harald Dossi vom Bundeskanzleramt zur Verfügung.

Einstimmiges Kommuniqué: Vertrag bringt klare Verbesserungen

Die Mitglieder des Ausschusses verabschiedeten am Ende der Debatte ein Kommuniqué, in dem sie die politische Einigung über den Vertrag von Lissabon begrüßen. Die vorgesehenen Änderungen würden klare Verbesserungen im österreichischen Interesse beinhalten, so der Text, und der Neutralitätsstatus Österreichs bleibe von den Änderungen unangetastet. Der Ausschuss betonte insbesondere die Bedeutung der Rolle der nationalen Parlamente im europäischen Gesetzgebungsprozess. Schließlich gehen die Bundesrätinnen und Bundesräte davon aus, dass die Bundesregierung die österreichische Bevölkerung umfassend über den Reformvertrag informiert und mit ihr einen breiten Dialog führt, um Vorschläge und Ideen sowie bestehenden Sorgen und Bedenken zu berücksichtigen.

Staatssekretär Winkler: EU wird demokratischer

Am Beginn der Debatte informierte Staatssekretär Hans Winkler die Bundesrätinnen und Bundesräte kurz über wesentliche Aspekte des Reformvertrags, genannt "Vertrag von Lissabon". Dieser sei formell vom Europäischen Rat angenommen werden, am 13.Dezember soll er in Lissabon unterzeichnet werden. Der Vertrag soll so rasch wie möglich dem parlamentarischen Ratifizierungsprozess unterzogen werden, unterstrich der Staatssekretär und fügte hinzu, dass er eine Debatte und kritische Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit für unumgänglich halte. Es werde wahrscheinlich nur in Irland eine Volksabstimmung geben, sodass der Ratifikationsprozess Ende 2008 abgeschlossen sein und der Vertrag von Lissabon mit 1.Jänner 2009 in Kraft treten könne.

Mit dem Vertrag von Lissabon sei eine lange Phase, in der sich die EU mit sich selbst beschäftigt habe, zu Ende gegangen, meinte Winkler. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach den gescheiterten Referenden über den EU-Verfassungsentwurf in Frankreich und den Niederlanden die Diskussion erlahmt sei und während des österreichischen Vorsitzes wieder begonnen habe.

Winkler erklärte, beim vorliegenden Reformvertrag handle es sich um Änderungen der bestehenden Verträge, wobei noch keine konsolidierte Fassung vorliege. Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf des EU-Konvents enthalte der Vertrag nunmehr keinerlei Bestimmungen über Symbole wie Hymne oder Fahne. Von Bedeutung sei die Tatsache, dass es keine ausdrückliche Bestimmung mehr gibt, wonach das Gemeinschaftsrecht Vorrang vor dem nationalen Recht hat. Dies sei ein zusätzliches Argument dafür, dass keine Volksabstimmung notwendig ist.

Winkler begrüßte den Vertrag auch inhaltlich, da er seiner Meinung nach eine Lösung von Problemen darstellt und nun vieles erreicht werde, was sich die Bürgerinnen und Bürger gewünscht haben. Er mache die Union demokratischer, sagte er und wies auf die Stärkung der nationalen Parlamente hin, was auf eine österreichische Initiative zurückzuführen sei. Im Zuge der Stärkung des Prinzips der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit könnte in Hinkunft ein Drittel der nationalen Parlamente jeden Gesetzesentwurf der Kommission beeinspruchen. Das europäische Parlament werde endgültig zu einem gleichberechtigten Partner in der Gesetzgebung, so Winkler weiter, und eine Million von EU-Bürgerinnen und Bürgern würden die Möglichkeit erhalten, im Rahmen einer europäischen Bürgerinitiative Anliegen an die Kommission heranzutragen.

Die Union werde auch handlungsfähiger, zeigte sich der Staatssekretär überzeugt, zumal wesentlich mehr Beschlüsse als bisher nicht mehr der Einstimmigkeit unterliegen. Dies sei selbstverständlich ein zweischneidiges Schwert, meinte er, weil Staaten überstimmt werden können. Daher würde das Einstimmigkeitsprinzip in besonders sensiblen Bereichen, wie in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder auch hinsichtlich der Trinkwasserreserven aufrecht erhalten.

Neutralitätsstatus bleibt erhalten

Winkler hielt dezidiert fest, dass die Neutralität in keiner Weise vom Vertrag berührt werde, Österreich könne nicht gezwungen werden, an militärischen Aktionen teilzunehmen. Auch die Beistandsklausel und die Solidaritätsklausel schafften keinerlei Militärallianz. Nach wie vor gebe es ausdrückliche Ausnahmen für Neutrale. Er kritisierte daher Aussagen, wonach Österreich gezwungen werde, an Militäraktionen teilzunehmen, als "abenteuerliche Unterstellungen".

Was die Institutionen betrifft, so werde die Europäische Kommission ab 2014 um ein Drittel verkleinert, wobei jedoch ein gleichberechtigtes Rotationsprinzip unter den Mitgliedsstaaten festgeschrieben sei. Auch das Europäische Parlament werde verkleinert, durch eine neue Aufteilung der Sitze werde Österreich aber mit 19 Abgeordneten statt mit 18 Abgeordneten vertreten sein. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik werde in ihrer Identität gestärkt, die Säulenstruktur des Vertrags abgeschafft. Der neue Außenminister werde gleichzeitig auch Vizepräsident der Kommission sein und werde auch dazu beitragen, die gemeinsame Außenpolitik zu straffen.

Darüber hinaus bekomme die Union in wesentlichen Politikbereichen, wie Soziales, Umwelt und Energie neue Kompetenzen, was den Wünschen der Bürgerinnen und Bürger Rechnung trage. Schließlich appellierte Winkler an die Bundesrätinnen und Bundesräte, zur Information der Menschen beizutragen. Wichtig sei Kommunikation, aber nicht Indoktrination.

EU-Charta der Grundrechte verstärkt Rechtsschutz

Sektionschef Harald Dossi ergänzte, der Reformvertrag bringe Änderungen, damit die Union der 27 funktionieren könne. Wie der ursprüngliche Verfassungsvertrag, stelle er eine Kontinuität der geltenden Rechtslage dar.

Dossi ging konkret auf die EU-Charta der Grundrechte ein, machte vor allem auf die dort verankerten sozialen Grundrecht aufmerksam und unterstrich die damit verbundenen zusätzlichen Möglichkeiten der einzelnen Bürgerinnen und Bürger, Rechtsschutz beim EuGH zu suchen. Er erwähnte auch das Protokoll, das sich mit dem wichtigen Aspekt der Daseinsvorsorge befasst und das dazu erstmals in einer starken rechtlichen Form festlegt, dass die Hauptverantwortung für die Daseinsvorsorge primär bei den Mitgliedsstaaten liegt. Auf die Initiative des Bundeskanzlers sei es auch zurückzuführen, dass die EU nun auch in Fragen des Klimaschutzes Kompetenzen erhalte. Dossi bekräftigte abschließend die Aussage von Staatssekretär Winkler, dass der Neutralitätsstatus durch zwei Sicherungsbestimmungen im Vertrag unangetastet bleibt.

Bürgerinnen und Bürger müssen umfassend sachlich informiert werden

Von Bundesrat Karl Boden (S) wurde kritisch zu negativen medialen Kampagnen in Bezug auf den Vertrag von Lissabon Stellung genommen. Er unterstrich daher die Notwendigkeit einer entsprechenden Information und Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern. Dazu erläuterte Staatssekretär Winkler, dass man Falschmeldungen nur durch Aufklärung und Diskussion auf allen Ebenen und mit allen Bevölkerungsgruppen begegnen könne. Er habe nichts gegen Kritik, aber man müsse Unwahrheiten zurückweisen.

Bundesrätin Eva Konrad betonte die Wichtigkeit der Bürgernähe und Kommunikation, was bisher offensichtlich nicht funktioniert habe. Daher gebe es eine negative kollektive Stimmung, weshalb man endlich beginnen müsse, die EU bürgernäher zu gestalten. Bundesrat Reinhard Todt (S) merkte an, dass der Vertrag in einer Zeit komme, in der viele Menschen Ängste hätten, was auch ein Ausdruck der Perspektivenlosigkeit sei. Auch Bundesrat Hans Ager (V) unterstrich die Notwendigkeit einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Argumenten von Medien sowie Bürgerinnen und Bürgern. Dem stimmte Staatssekretär Hans Winkler zu und informierte, die Regierung beabsichtige eine breit angelegte Information zu starten und zwar darüber, was die EU gebracht habe, über Mythen und Wahrheit in der EU und über den Reformvertrag. Die Homepage werde ausgebaut, das Europatelefon verstärkt und er selbst stehe Schulen, Bürgerforen und allen Bevölkerungsgruppen zur Verfügung.

Zur Frage einer Volksabstimmung in Österreich meinte der Staatssekretär, man sollte nicht so leichtfertig über die repräsentative Demokratie hinweggehen. Man habe keine Angst vor einer Volksabstimmung, aber es herrsche Sorge, dass in der Diskussion Themen aufgebracht werden, die mit der EU nichts zu tun haben, und dann würde der Vertrag auf der Strecke bleiben. Auch Bundesrat Kühnel (V) vertrat die Auffassung, Österreich verfüge über keine plebiszitäre Tradition wie etwa die Schweiz. Dort sei man aber um sachliche Information bemüht und daher dürfe es auch in Österreich nicht nur Informationskampagnen geben. Man müsse langfristig denken und sowohl an den Schulen, als auch an den Fachhochschulen und Universitäten fächerübergreifend Wissen über die EU vermitteln und dieses auch abprüfen.

Die EU soll nach außen mit einer Stimme sprechen

Auf die Frage von Bundesrat Franz Eduard Kühnel (V) nach den Verbesserungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hielt Winkler fest, der Vertrag schaffe die Grundlage für eine größere Effizienz. Die EU werde mit einer Stimme nach außen auftreten und der zukünftige Außenminister bzw. die Außenministerin werde auch den Vorsitz im Außenpolitischen Rat führen. Der geplante Auswärtige Dienst werde dabei eine wesentliche Unterstützung sein. Er beruhigte den Bundesrat auch mit dem Hinweis darauf, er sehe keine Möglichkeiten mehr, bis zur Unterzeichnung des Vertrags an diesem noch etwas zu ändern.

Im Bereich Inneres und Justiz werde durch die Abschaffung der Säulenstruktur ebenfalls die Gemeinschaftsmethode im Gesetzgebungsverfahren gelten und damit die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip, antwortete Staatssekretär Winkler auf eine weitere Frage von Bundesrat Kühnel (V). Da es sich hier oftmals um sensible Materien handle, seien aber gewisse Notbremsen eingebaut worden. Die Ausnahmereglung für Großbritannien bezeichnete Winkler als einen Wehrmutstropfen.

Gegenüber Bundesrat Werner Stadler (S) führte Winkler aus, Österreich werde zwar einen Abgeordneten bzw. eine Abgeordnete mehr im Europäischen Parlament haben, aber es werde ab 2014 nicht immer in der Europäischen Kommission vertreten sein. Dennoch gelte hier das Prinzip der gleichberechtigten Rotation. Die Verkleinerung der Kommission stelle einen Beitrag zu mehr Effizienz dar, stelle er fest.

Nachdem Bundesrat Jürgen Weiss (V) die Bestimmungen zu vereinfachten Verfahrensänderungen angesprochen hatte, meinte Staatssekretär Winkler, er halte dies für sinnvoll, weil nicht jede Änderung der Verträge zu einem Konvent oder zu einer Regierungskonferenz führen müsse. Jeder einzelne Staat werde aber auch in Zukunft die Möglichkeit haben, eine Änderung zu verhindern, entweder durch das Abstimmungsverhalten im Rat oder im Rahmen des Ratifizierungsprozesses.

Bundesrätin Eva Konrad (G) sowie Bundesrat Edgar Mayer (V) sprachen abermals den Ratifizierungsprozess in Irland, Frankreich und den Niederlanden an. Staatssekretär Winkler meinte dazu, Irland profitiere wie kein anderes Land von der EU und deshalb sei er zuversichtlich, dass die Volksabstimmung positiv verlaufe. In Frankreich und den Niederlanden werde es keine Volksabstimmungen mehr geben, weil es sich beim Reformvertrag um eine primärrechtliche Anpassung handle, er stelle somit kein Gründungsdokument wie der ursprüngliche Vertragsentwurf dar. Sektionschef Harald Dossi bekräftigte, es gehe darum, Normalität in die Diskussion zu bringen. Die Bundesregierung werde sich bemühen, sachbezogen und nüchtern zu informieren.

Bundesrätin Maria Mosbacher (S) thematisierte die Erweiterung der EU und die Verhandlungen mit der Türkei. Dazu stellte Staatssekretär Winkler fest, die Verhandlungen mit der Türkei seien ein Faktum, sie würden sehr lange dauern und deren Ende sei offen. Österreich vertrete die Auffassung, dass es auch andere Formen der Zusammenarbeit als die volle Mitgliedschaft geben könne. Neben Österreich habe sich auch Frankreich verpflichtet, eine Volksabstimmung über den etwaigen Beitritt der Türkei durchzuführen. Die EU werde sich zukünftige Erweiterungen sehr gut überlegen, eine Aufnahme von mehreren Staaten auf einmal, wie es im letzten Erweiterungsprozess gewesen sei, werde es nicht mehr geben, versicherte Winkler. Er halte aber zukünftige Erweiterungen wie etwa um Kroatien für wichtig. Die EU müsse jedoch auch selbst bereit sein, neue Mitglieder aufzunehmen. (Schluss)


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