Parlamentskorrespondenz Nr. 866 vom 17.11.2008

Parlament: 20 Jahre AMCHA - Hilfsorganisation für Shoa-Überlebende

Wien (PK) - Aus Anlass des 20-jährigen Gründungsjubiläums der Hilfsorganisation AMCHA Österreich lud Nationalratspräsidentin Barbara Prammer heute Abend zu einer Feierstunde in das Palais Epstein. Das hebräische Wort Amcha bedeutet "einer aus dem Volke" und war eines der Kennwörter verfolgter Juden zur Zeit des Nationalsozialismus. Heute bezeichnet AMCHA eine Organisation zur psychosozialen Betreuung von Menschen, die in der Zeit der Shoa seelische Verletzungen erlitten haben, unter denen sie heute noch leiden.

Wie die Generalsekretärin des Nationalfonds Hannah Lessing und Nathan Durst, einer der Gründer von AMCHA Israel im Jahr 1987, im Rahmen des Festaktes erklärten, müssen viele Überlebende der NS-Zeit mit der Erinnerung an schreckliche Erfahrungen wie Misshandlungen oder den Verlust naher Angehöriger leben. Sie leiden bis heute an den traumatischen Spätfolgen des Schreckens. Die Zeit heilt diese Verletzungen nicht, der NS-Terror verfolge die Menschen buchstäblich bis heute. Diesen Opfern und ihren Familien bietet AMCHA einen geschützten Raum und bestmögliche Unterstützung. AMCHA Österreich, beim Festakt vertreten von dessen Präsident Karl Semlitsch, sammelt seit 20 Jahren finanzielle Mittel für diese Unterstützung und setzt damit ein Zeichen der Menschlichkeit für die Überlebenden und ihre Familien.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer zeigte sich von der Arbeit der Hilfsorganisation AMCHA in Israel beeindruckt und hielt es für notwendig, mehr Menschen in Österreich über diese Arbeit zu informieren, da sie zeige, welche Spuren der NS-Terror bei den Menschen hinterlassen habe. Dabei erinnerte Prammer an die Veranstaltung vom 9. November zum Gedenken an die furchtbaren Ereignisse in der "Reichspogromnacht" 1938 und forderte dazu auf, immer wieder der Frage nachzugehen, wie das alles passieren konnte. Es sei auch allen klar zu machen, dass Österreich Verantwortung für seine Geschichte übernehmen müsse. Prammer sah keinen Anlass, das Gedenken an die NS-Zeit zurück zu schrauben, sondern begrüßte es ausdrücklich, dass sich die Bundesjugendvertretung - wie zuletzt in einer Enquete im Parlament - mit dem Thema "Kindheit und Jugend in der NS-Zeit" auseinandersetze.

Die Nationalratspräsidentin kündigte an, Veranstaltungen zum Thema nationalsozialistische Vergangenheit auch über das Jahr 2008 hinaus abhalten und plädierte dafür, eine Erinnerungskultur zu entwickeln und sich auf den Tag vorzubereiten, an dem keine Zeitzeugen mehr zur Verfügung stehen werden. Darin sah die Präsidentin auch eine der künftigen Aufgaben des Nationalfonds und erteilte all jenen eine Absage, die an der Zukunft des Nationalfonds zweifelten. "Es wäre eine Schande für Österreich, den Nationalfond in Frage zu stellen".

Die Generalsekretärin des Österreichischen Nationalfonds Hannah Lessing dankte der Nationalratspräsidentin für diese klaren Worte. Die große Bedeutung der von AMCHA geleistete Hilfe für Menschen betonte Hannah Lessing, indem sie die Lage der Menschen schilderte, die sich hilfesuchend an den Nationalfond wenden. Nach dem Verlust von Angehörigen seien viele von ihnen in Melancholie verfallen und erlebten sich als "zerbrochene Menschen", berichtet Hannah Lessing von Gesprächen mit ehemals Verfolgten, die oft erst spät in ihrem Leben als Opfer der Verfolgung anerkannt wurden.

Die Idee von AMCHA Israel, einen Ort der Hoffnung zu schaffen, erläuterte dessen Gründungsmitglied Nathan Durst und erklärte auch das Symbol von AMCHA, die Rose mit dem Stacheldraht, Zeichen der Erinnerung an die grauenhafte Vergangenheit und zugleich Zeichen der Hoffnung. In sehr persönlichen Worten schilderte Durst, der die Shoa mit einer seiner drei Schwestern in einem holländischen Versteck überlebte, wie schwer es für ihn und für viele andere nach der Befreiung im Jahr 1945 war, als "freier Mensch zu leben", weil er zuvor nie kennen lernen konnte, was Freiheit bedeute. Den meisten Überlebenden der Shoa gelang es nach 1945, ein neues Leben anzufangen und sich äußerlich anzupassen. Die Gründung von AMCHA sei aber notwendig geworden, als sich in den achtziger Jahren herausstellte, dass die Menschen mit dem Älterwerden sensibler und hilfsbedürftiger werden, weil neue Verluste und Einsamkeit alte seelische Wunden wieder aufbrechen lasse. Daher betreut AMCHA derzeit 11.000 Personen in Form von Klubveranstaltungen, durch psychische Hilfe und immer öfter in Form von Hausbesuchen. "Wir wollen den Menschen das Gefühl geben, dass sie heute nicht mehr alleine sind", sagte Nathan Durst.

Die Arbeit von AMCHA koste sehr viel Geld, sagte Durst und bedankte sich gemeinsam mit dem Präsidenten von AMCHA Österreich, Karl Semlitsch, bei allen Unterstützern, die zum Festakt erschienen waren, bei der ehemaligen Sozialministerin Lore Hostasch, dem ehemaligen Zweiten Nationalratspräsidenten Heinrich Neisser, beim Österreichischen Nationalfonds, bei Caritasdirektor Michael Landau, dem evangelischen Altbischof Herwig Sturm und bei Raimund Fastenbauer von der Israelitischen Kultusgemeinde sowie bei den Nationalratsabgeordneten Petra Bayr und Ulrike Lunacek.

Für die musikalische Umrahmung der Feierstunde sorgte die Klezmer Gruppe "Frejlech". (Schluss)

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at

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