Parlamentskorrespondenz Nr. 943 vom 12.12.2008

Kasachstan: Ein Vielvölkerstaat auf dem Weg nach Europa

Präsident Graf im Gespräch mit seinem kasachischen Amtskollegen

Wien (PK) - Eine Parlamentarierdelegation aus Kasachstan besuchte heute Vormittag unter der Leitung des Vizepräsidenten der Nationalversammlung Tugzhanov Eraly das Parlament und wurde vom Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf zu einer gut einstündigen Unterredung gebeten. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand die Arbeit der "Völkerversammlung" Kasachstans, die unmittelbar nach der Erlangung der Unabhängigkeit Kasachstans geschaffen wurde, um den Dialog zwischen den 130 verschiedenen Ethnien und 45 Konfessionen des Vielvölkerstaates Kasachstan zu gewährleisten und die Lösung von Konflikten auf der Grundlage der Verfassung und der Menschenrechte in friedliche Bahnen zu lenken. Dieser Weg habe sich als richtig erwiesen, sagte Eraly. Die Völkerversammlung Kasachstans und ihre regionalen Strukturen arbeiten gleichermaßen mit staatlichen Institutionen sowie mit nationalen Vereinigungen und mit der Zivilgesellschaft zusammen. Das Ergebnis sei beachtlich: In kurzer Zeit wurden in Kasachstan 619 nationale Vereine gegründet, 20 von ihnen haben offizielle Funktionen inne, mehr als 100 nationale Schulen sowie 195 Sprachschulen wurden eingerichtet, es bestehen 19 nationale, teilweise staatlich geförderte Zeitungen, 6 nationale Theater und viele nationale Fernseh- und Radiostationen, berichtete Tugzhanov Eraly. Der Friede zwischen den Völkern konnte gewahrt und das Bewusstsein gestärkt werden, dass das Miteinander der Völker und ihr gemeinsames Heimatgefühl die wichtigste Basis für die erfolgreichen staatlichen Reformen und die dynamische wirtschaftliche Entwicklung Kasachstans sei. "Die Multiethnizität Kasachstans ist seine Stärke", sagte Vizepräsident Eraly.

Präsident Graf, der den kasachischen Gästen im Gegenzug die Minderheitenpolitik Österreichs erläuterte und sie über die großen Herausforderungen informierte, vor denen Österreich infolge der Zuwanderung der letzten Jahrzehnte vor allem in den Ballungszentren stehe, erkundigte sich nach der konkreten Arbeit der kasachischen  Völkerversammlung sowie nach ihrem Verhältnis zum Parlament. Außerdem bat er die Vertreter der deutschen, der koreanischen und der polnischen Minderheit, die der Delegation angehörten, um Auskunft über die historische Entwicklung und die aktuelle Situation ihrer Ethnien in Kasachstan.

Die Völkerversammlung, die seit 2007 auf der Grundlage eines eigenen Gesetzes arbeite, sei ein Organ zur Beratung des Staatspräsidenten und das führende Expertengremium in allen Fragen der Völkerverständigung, teilte Vizepräsident Egaly mit. Ihre Mitglieder werden auf Vorschlag der Völkerversammlung vom Präsidenten ernannt. Die Beschlüsse der Versammlung seien Empfehlungen für Erlässe des Präsidenten an die Ministerien. Die Völkerversammlung sei kein Ersatz für das aus zwei Kammern bestehende Parlament Kasachstans, 9 Mitglieder der Völkerversammlung seien derzeit auch Mitglieder des kasachischen Parlaments, erfuhr Präsident Graf.

Die deutsche Minderheit in Kasachstan, die teils auf die Gründung von Kolonien durch deutsche und österreichische Auswanderer zur Zeit der russischen Zarin Katharina der Großen im 18. Jahrhundert, teils auf die Verbannung Deutscher von der Krim und aus der Ukraine während des 2. Weltkriegs durch Stalin zurückgeht, hat seit 1989 durch Auswanderung nach Deutschland von 1 Million Menschen auf 250.000 abgenommen, berichtete ihr Vertreter. Jene Deutschen, die sich entschlossen haben, in Kasachstan zu bleiben, widmeten sich energisch der Wiederbelebung ihrer Sprache und Kultur, betreiben eine eigene Zeitung und sehen gute Zukunftsperspektiven in Kasachstan. Ähnlich äußerte sich auch der Vertreter der koreanischen und jener der polnischen Minderheit, diese beiden ethnischen Gruppen in Kasachstan haben ihren Ursprung in der Verbannungspolitik Josef Stalins. Die Gäste betonten den Weg des Europarats- und OECD-Mitglieds Kasachstan "nach Europa", der in der Anpassung der kasachischen Rechtssprechung an europäische Standards seinen Ausdruck finde (Schluss).

HINWEIS: Fotos von diesem Besuch finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at