Parlamentskorrespondenz Nr. 942 vom 04.11.2009

Ein Korrespondent auf Spurensuche

Wien (PK) - Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und die Vereinigung der Parlamentsredakteure und –redakteurinnen luden zu einer Buchpräsentation in die Bel Etage des Palais Epstein, und viele, auch viele Mitglieder der schreibenden Zunft, folgten am Mittwoch Abend dieser Einladung. Präsentiert wurde das Buch "Dem Österreichischen auf der Spur" des Wien-Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung, Charles E. Ritterband. "Expeditionen eines NZZ-Korrespondenten" lautet der Untertitel des Buchs, das mit Karikaturen von Michael Pammesberger illustriert ist.

Präsidentin Prammer begrüßte die Gäste, allen voran den Autor, der in Begleitung seines Königspudels Samy gekommen war. Prammer zeigte sich erfreut über die neue Form der Kooperation mit der Vereinigung der ParlamentsjournalistInnen, die in ähnlicher Form auch eine lose Fortsetzung finden werde. Diese Zusammenarbeit ergebe sich nicht zuletzt dadurch, dass Journalismus und Parlament dem Wort verpflichtet seien, worauf hinzuweisen gerade in einer Zeit der Bilder wichtig sei. Ritterband sei jemand, der genau hinschaue und zuhöre, und Österreich tue dieser "Blick von außen" gut. Man sage den ÖsterreicherInnen eine gewisse Selbstverliebtheit und eine nicht so stark ausgebildete Fähigkeit zur Selbstkritik nach, sagte Prammer; durch einen so vorgehaltenen Spiegel könne auch der eigene Blick geschärft werden. Danach las der Autor aus seinem Werk, und unter der Moderation des Vorsitzenden der Vereinigung der ParlamentsjournalistInnen, Johannes Huber, gab es auch Gelegenheit zu Gespräch und Diskussion.

Das Buch

Zwei Persönlichkeiten fallen einem sofort ein, wenn das Stichwort "wichtige Schweizer in Wien" fällt: der päpstliche Nuntius und der Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung. Peter Zurbriggen kam über die Stationen Mosambik, Georgien und das Baltikum 2009 nach Wien, und mancher Nuntius stieg nach Wien zum Kardinal auf. Charles E. Ritterband ist seit 2001 für die NZZ in Wien, nach Stationen in Jerusalem, Washington, London und Buenos Aires. Ihm winkt kein Kardinalshut; er ist bereits zu noch viel höheren Ehren gelangt, bescheinigt ihm doch Andreas Khol in einem Geleitwort, als Korrespondent der NZZ in Wien "als der 5. Evangelist" zu gelten.

Seit nunmehr acht Jahren ist Ritterband, der selbst familiengeschichtlich in Wien verwurzelt ist und einen Teil seiner Kindheit hier verbracht hat, "dem Österreichischen auf der Spur" und widmet sich den "Expeditionen eines NZZ-Korrespondenten". Dass sich seine Zuständigkeit als Korrespondent auch auf Ungarn, Rumänien und Bulgarien erstreckt und dass er nebenher als Lehrbeauftragter der Universitäten Wien, Innsbruck und Krems sowie an Fachhochschulen in Wien und Graz wirkt, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Im jetzt bei Böhlau erschienenen und mit Karikaturen von Michael Pammesberger illustrierten Buch ist sein Fokus ausschließlich auf Österreich gerichtet, genauer: auf "das Österreichische", und damit einer doch weithin rätselhaften Entität, die sich jedem, der sich ihr nähert, mindestens im gleichen Maß entzieht, in dem sie sich offenbart.

Es ist ebenso verdienstvoll wie rühmenswert, dass die in dem Band versammelten Beiträge, die in diesen acht Jahren in der NZZ erschienen sind, das "Österreichische" nicht auf das Wienerische beschränkt. Der Autor nimmt das ganze Land in den Blick, sowohl in der Fläche, also geographisch, als auch in der Tiefe, also historisch, als auch hinsichtlich der Abgründe der kulturellen Identität, von der Hochkultur bis zu Franz Gesellmanns Weltmaschine und dem Ende des Knopfkönigs. Natürlich auch die Politik, und die ist hierzulande immer besonders "österreichisch", einschließlich der ministeriellen Wünsche nach Blaulicht, Busspur und Upgradings auf Langstreckenflügen. Zeitungen der besseren Art, und die NZZ zählt gewiss zur besten, können auch als "begleitende Geschichtsschreibung" gelesen werden. Ritterbands versammelte große und kleinere Beiträge sind eine Art historischer Rückspiegel für die jüngere Vergangenheit. Wie wir sind, wir Österreicherinnen und Österreicher, wie wir auf andere wirken, lässt sich in diesem Spiegel zwar nicht vollständig und nicht vollkommen, aber doch recht zuverlässig erkennen.

Die Beiträge folgen einer umgekehrten Chronologie, mit der jüngsten Vergangenheit am Anfang und der weiter zurück liegenden Zeit am Ende. "Haider geht – Strache kommt" reicht vom Oktober 2008 bis zum August 2009. "Politik und Fußball" umkreist – Jänner bis September 2008 – die gemeinsam mit der Schweiz ausgerichtete Fußball-Europameisterschaft. "Wilde Bräuche" ortet Ritterband im Jahr 2007, "Österreich und die Welt" beschreibt Ereignisse des Jahres 2006, "Vom Knopfkönig zur Leichwendfeier" jene des Jahres 2004. "Heimliches und Unheimliches" umfasst Beiträge des Jahres 2003, "Vor den Karawanken und hinter dem Arlberg" die Zeit vom Mai bis zum Dezember 2002. Diese chronologische Zuordnung ist, thematisch begründet, nicht immer durchgehalten, was das Lesevergnügen steigert. Und ist nicht auch dieses Abweichen von einer strengen Systematik etwas sehr Österreichisches? "Mir wern kann Richter brauchen" ist eine in der hiesigen Provinz gern beachtete Maxime.

"Lernen Sie Geschichte, Herr Reporter", legte einst Bruno Kreisky einem – österreichischen – Journalisten ans Herz. Diese Empfehlung ist bei Charles E. Ritterband nicht angebracht. Aber das Buch offenbart doch noch ein gewisses Lernpotenzial des Autors beim Österreichischen und beim Wienerischen. Von letzteren bekennt der Korrespondent, dass er es noch nicht spreche. Wohl wahr, denn sonst hieße der Fleckerlteppich nicht Flickenteppich und das Beiried nicht die Beiried. Als Leser wünscht man sich, nach weiteren acht Jahren in einem weiteren Band den Erkenntnisfortschritt aus weiteren Expeditionen überprüfen zu können. Es lohnte sich wohl auch, die Geheimnisse des Grüßens, die mit "Grüß Gott" und "Guten Tag" lange nicht erschöpft sind, noch tiefer zu durchdringen. Über die These, die Volkspartei sei "erzkatholisch", ließe sich eine ganze Seminarreihe veranstalten. Und – aber lassen wir 's dabei bewenden!

Manche Leserin und mancher Leser wird das Buch wohl hinten zu lesen beginnen, beim Personenregister, und das Auffinden des eigenen Namens wie einen journalistischen Ritterschlag empfinden. Andere mögen sich über einen kleinen Bildungsfortschritt freuen, wenn sie – wie der Rezensent – das geheimnisvolle Wort "dahinserbeln" zu deuten versuchen. Die 23. Auflage des Duden kennt es nicht, aber zum Glück gibt es Google, und dort bekommt man eine Vorstellung von der Bedeutung des in der Stadt des Karl Kraus politisch höchst inkorrekt klingenden Worts, die wohl in der Nähe des sprichwörtlichen – und österreichischen - "Krepierhalfters" liegen mag. Dem Autor und seinem Gefährten auf den Expeditionen, dem königlichsten aller Pudel, seien noch viele Expeditionsjahre gewünscht – und ebenso den Österreicherinnen und Österreichern, die von Ritterbands Einsichten profitieren können und sollten. (Schluss)

Charles E. Ritterband: Dem Österreichischen auf der Spur. Expeditionen eines NZZ-Korrespondenten.

398 Seiten, 24,90 €

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at