Parlamentskorrespondenz Nr. 133 vom 02.03.2010

Theater bewegt Schule - Linz09-Schulprojekt im Parlament präsentiert

Wien (PK) - Können KünstlerInnen die Schule verändern? - Fördern Theaterprojekte nachhaltig die Kreativität in den Schulen? - Öffnet die Kunst Wege zur Schulreform? - Antworten auf diese Fragen hat die Europäische Kulturhauptstadt Linz 2009 im Rahmen ihres Projekts "I LIKE TO MOVE IT MOVE IT" gesucht und gefunden. 75 zeitgenössische Theater-, Tanz-, und Performance-KünstlerInnen haben 2009 in 90 oberösterreichischen Schulen mehrere Wochen lang mit 2000 SchülerInnen und 700 LehrerInnen gearbeitet, Kreativität und Bildung miteinander verknüpft und gemeinsam Grenzen überschritten. Die Erfahrungen, die sie dabei gesammelt haben, fassten KünstlerInnen, SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen und DirektorInnen unter dem Titel "dogma09" zu einem 10-Punkte-Manifest mit Grundsätzen für Theater-Projekte an Schulen zusammen.

Eines dieser erfolgreichen Linz09-Projekte mit dem Titel I LIKE TO MOVE IT präsentierten SchülerInnen der Hauptschule 2 Tabor in Steyr auf Einladung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer heute Abend im Parlament. Die Jugendlichen mit Wurzeln in Oberösterreich, Afghanistan, Tschetschenien, Kroatien, Russland, Türkei, Kosovo, Mazedonien und Italien begeisterten das Publikum, indem sie Mittel der Sprache, der Bewegung und des Gesangs theatralisch einsetzten, um auf ungemein intensive Weise ihre Erfahrungen, Gedanken und Träume zu den Themen Heimat, Identität und Migration mitzuteilen. Was etwa "Heimat" für MigrantInnen und Flüchtlinge bedeuten kann, würde hör- und spürbar, als die Steyrer SchülerInnen aus aller Welt gemeinsam mit ihren "einheimischen" SchulkollegInnen die oberösterreichische Landeshymne "Hoamatland" sangen und zugleich und ebenso tief berührend ihr Heim- und Fernweh nach den Ländern ihrer Großeltern zum Ausdruck brachten.

Präsidentin Prammer zeigte sich begeistert von diesem Projekt sowie über die neuen Wege, die es in der Bildungspolitik weise. "I like to move it move it" mache deutlich, was Kinder leisten können, wenn man sie fördere und ihre Begeisterung wecke. Barbara Prammer dankte allen KünstlerInnen, LehrerInnen und SchülerInnen, die sich für dieses Projekt von Linz09 engagiert haben. Ihr Wunsch lautete, aus seinem Erfolg die richtigen Schlüsse für die Bildungspolitik zu ziehen: "Denn es gehe um unsere Kinder und um das heikelste und wichtigste Gut, die Demokratie, die nur von bewussten Menschen weitergetragen werden kann".

Linz09-Intendant Martin Heller und der für die Darstellende Kunst bei Linz09 zuständige Leiter Airan Berg erläuterten in ihren Statements das Schulprojekt von Linz09, das sich zu einem Herzstück des Linzer Kulturhauptstadtprogramms entwickelte. Heimische und internationale TheaterkünstlerInnen wurden in Schulen eingeladen, um gemeinsam mit LehrerInnen und SchülerInnen aller Schultypen in ganz Oberösterreich Projekte aus den Bereichen Sprech-, Tanz-, Figuren-, Musik- oder Schattentheaters zu entwickeln. Was als intensiver Dialog zwischen Kunst und Bildung gedacht war, entwickelte sich zu einem nachhaltigen Projekt, das Gegenwart und Zukunft verbindet. Statt Frontalunterricht Mitwirkung aller in einem kreativen Prozess, der Toleranz, Teamgeist, Improvisationsfähigkeit und Flexibilität fördert und die Jugendlichen auf die Anforderungen im Berufsleben vorbereitet.

Der bemerkenswerte Abend im Parlament klang in einer nachbetrachtenden Diskussion zwischen KünstlerInnen und LehrerInnen aus, die an "I LIKE TO MOVE IT MOVE IT" beteiligt waren. Dabei stellten die KünstlerInnen fest, dass sich die SchülerInnen aller Schultypen den Herausforderung beim Einsatz darstellender Kunstmittel für ihre Präsentationen wie "professionelle" Schauspieler gestellt haben. Die beteiligten PädagogInnen wiederum konstatierten einen großen und bleibenden Unterrichtsertrag: Durch "indirektes Lernen" haben die SchülerInnen ihre sprachlichen Kompetenzen und ihre Ausdrucksfähigkeit enorm verbessert. Auch die Gruppendynamik in den einbezogenen Klassen sei durch "I like to move it move it" positiv beeinflusst worden, konstatierten die LehrerInnen.       

"dogma 09" - 10 Grundsätze für Theater-Kunst-Projekte an Schulen

Nach der Umsetzung des Projekts "I LIKE TO MOVE IT MOVE IT" hatten LehrerInnen, DirektorInnen und KünstlerInnen ihre Erfahrungen bei der Verbindung von Kreativität und Lernen reflektiert und die Ergebnisse in ihrem 10-Punkte-Manifest "dogma 09 " zusammengefasst. Zumindest für die Zeit eines Theater-Kunst-Projekts sollen Bürokratie, Kleinmütigkeit, Einzelkämpfertum, Ergebnisdruck, Fächerdenken und Geringschätzung jeglicher Art von der Schule verbannt werden und statt dessen Kreativität und Körperlichkeit mehr Raum einnehmen. Konkret bedeutet dies:

 1) Unterrichtsimmanenz - Theater-Kunst-Projekte sind kein "Freifach", keine "Nachmittagsbeschäftigung", sondern Teil des Regelunterrichts.

2) Intensität - Die Projekte finden an 2 Schultagen über 7 Wochen statt. In der 8. Woche wird die gesamte Unterrichtszeit nur für das Projekt verwendet.

3) Kompetente Zeitgenossenschaft/Systemfremdheit - Wesentlicher Teil des Projekts ist der außerschulische Blick von KünstlerInnen. Diese sollen über ein qualifiziertes Verfahren eingeladen werden und mindestens 10 Jahre Erfahrung als zeitgenössische KünstlerInnen mitbringen.

4) Systemrelevanz - Projektvoraussetzung ist die Teilnahmezusage von mindestens 12 LehrerInnen. Da die Projekte auf das Klima der ganzen Schule abzielen, soll möglichst der gesamte Lehrkörper einbezogen und ein begleitender LehrerInnen-Workshop organisiert werden.

5) Prozessorientierung - Keine Festlegungen vor Prozessbeginn, keine Stückvorlagen, keine Musikvorgaben, kein Leistungsdruck, kein Ergebnisdruck, keine Benotung. Kein Gestaltungszwang.

6) Fairness/Wertschätzung - Gegenseitige Wertschätzung aller am

Projekt Beteiligten hat höchste Priorität. KünstlerInnen werden gleich bezahlt wie LehrerInnen.

7) Teamorientierung - Jedes Projekt wird von mindestens 2 KünstlerInnen und 2 LehrerInnen geleitet. Das LehrerInnen-Team und das KünstlerInnen-Team arbeiten zusammen.

8) Klassengemeinschaft - Alle SchülerInnen einer Klasse sind in das Projekt eingebunden. Es gibt kein Auswahl- oder Ausschlussverfahren. Die Form der Mitgestaltung ist von den SchülerInnen frei wählbar.

9) Bürokratieferne - Vermeidung von Anträgen und Berichten, kein Formularwesen, Reduktion der Bürokratie auf das Allernötigste.

10) Finanzierung - Die Budgetmittel stammen aus dem Bildungs- und nicht aus dem Kunstbudget. (Schluss)

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at