Parlamentskorrespondenz Nr. 628 vom 20.07.2010
ParlamentarierInnen beraten über Hilfe für HIV/AIDS-Betroffene
Wien (PK) – Eingeleitet vom Life Ball, der bedeutendsten Charity-Veranstaltung Wiens, geht dieser Tage die 18. Internationale AIDS-Konferenz mit dem Titel "Rechte hier und jetzt" in der Bundeshauptstadt über die Bühne. Mit 25.000 TeilnehmerInnen aus der ganzen Welt handelt es sich um eine der größten internationalen Konferenzen, die je in Wien stattgefunden haben. Zur Debatte stehen die wissenschaftlichen Fortschritte im Kampf gegen HIV/AIDS und vor allem die Frage, wie die Betroffenen tatsächlich in den Genuss dieser Errungenschaften kommen können. Im Parlament eröffnete Bundesratspräsident Martin Preineder heute Vormittag gemeinsam mit IPU-Vizepräsident Geert Versnick eine ParlamentarierInnen-Tagung über "Legislative Aspekte von HIV im Bezug auf die davon besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen". Diese Konferenz geht auf eine Initiative von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer zurück, die vom Bundesratspräsidenten vertreten wurde, weil die Nationalratspräsidentin bei der seit gestern in Genf stattfindenden IPU-ParlamentspräsidentInnen-Konferenz unabkömmlich ist.
Martin Preineder: Nicht das HI-Virus, Diskriminierung tötet
"Das Fundament des Rechts ist die Humanität" – mit diesem Zitat Albert Schweitzers leitete Martin Preineder seine Ausführungen ein und unterstrich seine Überzeugung, dass eine wirkungsvolle Antwort auf HIV den Schutz der Menschenrechte der Betroffenen voraussetze. Die Therapien für HIV/AIDS-PatientInnen in Österreich greifen, und die Lebenserwartung der Betroffenen sei mittlerweile fast so hoch wie jene von HIV-Negativen, teilte der Bundesratspräsident mit. HIV-Positive würden aber nicht nur unter den Nebenwirkungen der Medikamente leiden, sondern insbesondere unter Problemen in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen. "Wir leiden unter Diskriminierung, nicht das Virus ist tödlich, es ist die Stigmatisierung, die mitunter tötet", laute die Klage der Betroffenen.
Weiters warnte der Bundesratspräsident davor, die nach wie vor unheilbare Krankheit AIDS zu unterschätzen, und schlug angesichts zunehmenden Leichtsinns bei jungen Menschen vor, die Öffentlichkeitswirkung der Wiener Großveranstaltung für Werbung zugunsten der Prävention zu nutzen. Überdies dürfe man auch in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht übersehen, dass zwei Drittel aller HIV/AIDS-Betroffenen in den ärmeren Ländern keine Therapie erhalten. "Wer die Ärmsten dieser Welt gesehen hat, fühlt sich reich genug zu helfen", zitierte Preineder noch einmal Albert Schweitzer.
Daher sei es richtig, dass sich die Konferenz auf Diskriminierung und Stigmatisierung von HIV/AIDS-Kranken konzentriere, sagte Martin Preineder, denn Diskriminierung erschwere Prävention, Behandlung, Betreuung und Unterstützung der Betroffenen. Es sei auch notwendig, Tabuthemen wie Drogenabhängigkeit oder Prostitution ohne Scheuklappen anzusprechen. Die ParlamentarierInnen rief Bundesratspräsident Preineder dazu auf, sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen vertraut zu machen, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu analysieren und steuernd einzugreifen. Bundesratspräsident Martin Preineder schloss mit einem Zitat Laotses - "Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut" - und sprach seine Hoffnung auf viele positive Beiträge der ParlamentarierInnen im Kampf gegen die furchtbare Krankheit HIV/AIDS aus.
Geert Versnicks Botschaft der Toleranz für HIV/AIDS-Betroffene
Geert Versnick leitete sein Referat mit dem Hinweis auf die 3. Weltkonferenz der ParlamentspräsidentInnen ein, die in Genf über demokratische Verantwortung weltweit und insbesondere über die Frage verhandeln, wie die Gesetzgebung zur Verringerung des Demokratiedefizits beitragen und weitere Krisen vermeiden könne. Das sei auch für das Thema der heutigen Konferenz wichtig, sagte der IPU-Vizepräsident und unterstrich das politische "Leadership" der Parlamente. Angesichts der HIV-Epidemie müssten sich die ParlamentarierInnen auch gegenüber ihren WählerInnen für Gruppen einzusetzen, die von Vorurteilen und Diskriminierung hart getroffen werden. "Wir müssen eine Botschaft der Toleranz und des Verständnisses aussenden", sagte der IPU-Vizepräsident.
Die Rechte von Menschen mit HIV müssen geschützt werden, weil sich die Epidemie in Gruppen ausbreite, die am Rand der Gesellschaft stehen: bei Prostituierten, Drogenabhängigen und bei männlichen Homosexuellen. Die Diskriminierung und Stigmatisierung dieser Gruppen – bedauerlicherweise auch durch Gesetze - führe dazu, dass Menschen nicht auf HIV getestet und HIV-positive Menschen nicht adäquat behandelt werden, führte der IPU-Vizepräsident aus.
Moralische Vorbehalte dürften nicht dazu führen, den Zugang dieser Menschen zu Programmen zu erschweren, die der Ausbreitung von HIV entgegenwirken. Nur die Teilnahme dieser marginalisierten, am meisten betroffenen Gruppen werde es möglich machen, die Ausbreitung von HIV zu stoppen.
Eine Gruppe, die durch Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit HIV besonders verwundbar seien, sind die Frauen. Die anhaltende Ungleichbehandlung der Geschlechter begünstige in vielen Ländern die Ausbreitung des HI-Virus von den Hochrisikogruppen auf die ganze Bevölkerung. Die Hälfte der HIV-positiven Menschen sind Frauen. Es sei dringend notwendig, die Geschlechterdiskriminierung zu überwinden, indem man soziale Gewohnheiten durch Gesetze und politische Strategien ändert. Insbesondere mahnte der IPU-Vizepräsident den Respekt vor den Menschenrechten der Frauen ein, die mit HIV leben und schwanger werden. Konfrontiere man diese Frauen mit Zwangsmaßnahmen, Vertrauensbruch und Stigmatisierung, werden sie weniger bereit sein, an PMTC-Programmen ("Prevention of Mother-to-Child Transmission") teilzunehmen.
In seinen weiteren Ausführungen wandte sich der IPU-Vizepräsident gegen die Tendenz vieler Gesetzgeber, die Weitergabe des HI-Virus zu kriminalisieren. Demgegenüber sei schon bei der IPU-Konferenz im Jahr 2007 festgestellt worden, dass vom Strafrecht kein wesentlicher Beitrag zur Eindämmung der HIV-Epidemie zu erwarten sei. Die IPU warnt vor einer Gesetzgebung, die Menschen mit HIV stigmatisieren könnte. Eine solche Gesetzgebung könnte Menschen davon abhalten, sich testen zu lassen, könnte HIV-negative Menschen in einer falschen Sicherheit wiegen und Frauen, statt ihnen beim Schutz vor HIV zu helfen, weiteren Gewaltanwendungen und Diskriminierungen aussetzen.
An all diesen Themen arbeite eine IPU-Expertengruppe aus medizinisch qualifizierten Abgeordneten aus aller Welt, berichtete Geert Versnick. Gemeinsam mit den Parlamenten Südafrikas und Vietnams organisiert die IPU auch Seminare zum Thema HIV für Abgeordnete. Die Seminare zeigten, dass es ohne Kraftanstrengung der Parlamente nicht gelingen werde, universellen Zugang zu Vorsorge- und Behandlungsprogrammen zu schaffen. Geert Versnick setzt dabei auf spezielle Parlamentsausschüsse, die eng mit gesellschaftlichen Kräften und Betroffenen zusammenarbeiten.
Die IPU beschäftigt sich mit HIV-bezogenen Einschränkungen von Zutritts-, Aufenthalts- sowie Wohnrechten und hat Anfang 2010 eine Empfehlung auf Beendigung HIV-bezogener Reisebeschränkungen herausgegeben. Die IPU bemüht sich auch um ein verstärktes parlamentarisches Engagement bei internationalen HIV-Veranstaltungen, so versammelte die IPU 2008 hunderte Parlamentarier zu einer Internationalen AIDS-Konferenz in Mexiko City. HIV ist eine überaus politische Frage, sagte der IPU-Vizepräsident. Es sei Aufgabe der IPU und der ParlamentarierInnen, das richtige gesetzliche Umfeld zu schaffen, das eine wirksame Antwort auf AIDS braucht.
Balance zwischen Strafrecht und öffentlicher Gesundheitsvorsorge
In seinen Erläuterungen zum Programm der Tagung gab Bundesratspräsident Martin Preineder seiner Freude darüber Ausdruck, dass über einige Tabuthemen offen gesprochen werde, weil dies notwendig sei, um die Probleme wirklich angreifen und lösen zu können. So werden sich die KonferenzteilnehmerInnen am Vormittag unter dem Vorsitz von Nationalratsabgeordneter Petra Bayr mit der schwierigen Frage beschäftigen, ob die Weitergabe des HI-Virus strafrechtlich geahndet werden soll. Das Thema sei deshalb schwierig, weil das Virus hauptsächlich durch Geschlechtsverkehr und Drogenmissbrauch verbreitet werde, Sex und Drogen aber kontroversielle Themengebiete darstellten. Ziel der Tagung ist es, einen Weg der Balance zwischen Strafrecht und öffentlicher Gesundheitsvorsorge zu finden, wobei das Wissen über das Virus, seine Übertragungswege und die Möglichkeiten zur Vermeidung der Ansteckung entscheidend sei.
Zu diesem Themenkomplex werden der Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte und UN-Sonderberichterstatter über Folter, Univ.-Prof. Manfred Nowak, die UN-Menschenrechtsexpertin Susan Timberlake (UNAIDS - Joint United Nations Programme) und der russische Duma-Abgeordneten Mikhail Grishankov sprechen.
Die Rechte HIV-positiver Mütter
Am Nachmittag diskutieren die ParlamentarierInnen unter dem Vorsitz des britischen Abgeordneten David Cairns (House of Commons) über "Menschenrechte im Zusammenhang mit der Verhinderung der Übertragung der Infektion von der Mutter auf das Kind" und über diesbezügliche Vorsorge-Programme (PMTCT – "Prevention of Mother-to-Child Transmission"). AIDS ist eine der häufigsten Todesursachen von Frauen im gebärfähigen Alter. Die Menschenrechtssituation und Maßnahmen für Gesundheit und Bildung der Frauen haben daher zentrale Bedeutung. Auf der Tagesordnung stehen Referate des UNICEF-Experten für HIV/AIDS-Fragen, Chewe Luo, der stellvertretenden Ministerin der Republik Südafrika und Vorsitzenden der IPU-Beratergruppe über HIV/AIDS, Frau Hendrietta Bogopane-Zulu, und von Senatorin Marleen Temmerman (Belgien), ebenfalls Mitglied der IPU-Beratergruppe. (Schluss)
HINWEIS: Fotos von dieser Konferenz finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at