Parlamentskorrespondenz Nr. 485 vom 05.06.2013

Saatgutverordnung: Bundesrat beschließt Subsidiaritätsrüge

EU-Ausschuss sieht Gefahr für Erhalt der Biodiversität

Wien (PK) – Der Entwurf für eine EU-Saatgutverordnung, der bereits im Vorfeld heftiger Kritik in der Öffentlichkeit ausgesetzt war, stieß auch heute im EU-Ausschuss des Bundesrats auf massive Bedenken. Die in der Zwischenzeit vorgenommene Entschärfung des Entwurfs durch die EU-Kommission war den LändervertreterInnen entschieden zu wenig, deshalb beschlossen sie einstimmig einen von den Bundesräten Edgar Mayer (V/V) und Stefan Schennach (S/W) eingebrachten Antrag auf begründete Stellungnahme (Subsidiaritätsrüge).

Demnach scheint der Kommissionsvorschlag nicht geeignet, die Biodiversität und den Weiterbestand althergebrachter Sorten zu gewährleisten. Massive Einwände gibt es insbesondere auch gegen die Möglichkeit der Kommission, in wesentlichen inhaltlichen Fragen delegierte Rechtsakte zu erlassen. Das würde der Kommission weitgehende Freiheiten ohne Befassung der Mitgliedstaaten einräumen, worin die Ausschussmitglieder auch ein nicht unerhebliches demokratiepolitisches Problem sehen.

Seitens des Lebensministeriums, das die Kritik des Ausschusses teilt, rechnet man mit langwierigen und zähen Verhandlungen auf EU-Ebene, die nicht vor 2016 abgeschlossen werden können.

EU will Saatgutproduktion harmonisieren

Die geplante Saatgutverordnung (Verordnung über die Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt) ist Teil eines legislativen Gesamtpakets, das auch Tier- und Pflanzengesundheit umfasst und auf eine durchgehende Kontrolle im Bereich der Lebensmittelsicherheit abzielt. Die neue Saatgutverordnung soll zu einer Harmonisierung der Produktion von Saatgut und anderem Vermehrungsgut führen. Das geltende System der Registrierung von Sorten und der Zertifizierung von Saat- und Pflanzgut wird zwar beibehalten, vorgesehen ist aber, den Anwendungs- und Geltungsbereich der Verordnung über die kommerzielle Vermarktung hinaus auf Privatpersonen auszudehnen. Die Regelung beschränkt sich nicht mehr nur auf den Binnenmarkt, sondern betrifft auch den Export. Weiters will man seitens der EU auch jene Arten, die nicht in der Artenliste angeführt sind - das sind insbesondere Zierpflanzen - dem Regelungsbereich unterwerfen.

Der Vorschlag der Kommission hatte vor allem Befürchtungen ausgelöst, dass der freie Tausch von Saat- und Pflanzgut zwischen Bauern und Gärtnern strafbar werden könnte. Organisationen wie Arche Noah und Global 2000 haben zudem davor gewarnt, auch gefährdete und seltene alte Sorten dürften ohne aufwändige amtliche Zulassung nicht weitergegeben werden, was sich negativ auf die Vielfalt und die bäuerliche Saatgut-Kultur auswirken würde.

Aufgrund der Proteste entschärfte die Kommission ihren ursprünglichen Vorschlag und legte diesen in einer abgeschwächten Version vor. Nunmehr werden Ausnahmen für Material für Nischenmärkte, Erhaltungssorten sowie heterogenes Material gewährt. Darüber hinaus sind für Erhaltungssorten und Kleinunternehmer (bis zu 10 Beschäftigte, bis zu 2 Mio. € Jahresumsatz) weitreichende Befreiungen von den Registrierungsgebühren vorgesehen. Überdies soll der Austausch von Vermehrungsmaterial zwischen Privatpersonen vom Anwendungsbereich ausgenommen werden. Das betrifft in erster Linie HobbygärtnerInnen und den Nachbau von Saatgut durch LandwirtInnen für den Eigenbedarf. Weiters ausgenommen von der verpflichtenden Registrierung ist auch Pflanzenvermehrungsmaterial, das ausschließlich für Genbanken und für die Erhaltung genetischer Ressourcen bestimmt ist.

Sorge um den nachhaltigen Bestand der Biodiversität

Diese Ausnahmeregelungen waren den Ausschussmitgliedern jedoch nicht weitgehend genug. In ihrer Subsidiaritätsrüge unterstreichen die Bundesrätinnen und Bundesräte ihre Sorge um den nachhaltigen Bestand der in Österreich herrschenden Biodiversität, sollte die Verordnung in der nun vorliegenden Form Realität werden. Die Vorgabe, dass Vermehrungsmaterial aller wichtigen Obst-, Gemüse- und Getreidesorten grundsätzlich nach einem aufwendigen technischen Testverfahren für genetische Stabilität, Einheitlichkeit und Unterscheidbarkeit bis auf wenige Ausnahmen weitergegeben dürfen, ist nach Ansicht des Ausschusses überschießend, zumal gerade lokal angepasste Sorten diesen Kriterien oft nicht entsprechen. Die MandatarInnen warnen fernen davor, dass die Wahlmöglichkeiten für KonsumentInnen krass eingeschränkt würden.

Aus der Sicht des Bundesrates, so heißt es im Antrag, stellt der Vorschlag nicht ausreichend sicher, dass es zu keiner Schlechterstellung seltener Sorten kommt.  

Inakzeptabel erachtet man vor allem aber auch die große Zahl an delegierten Rechtsakten, die der Kommission in sehr wichtigen inhaltliche Bereichen Gestaltungsmöglichkeiten überantwortet. Die Auslagerung so vieler wesentlicher Fragen an die Kommission sei nicht im Sinne der demokratischen Kontrolle und Transparenz, halten die Bundesrätinnen und Bundesräte unmissverständlich fest. Sie plädieren eindringlich dafür, jene Möglichkeiten zu Erlassung delegierter Akte, die die Biodiversität betreffen, ersatzlos zu streichen. Aus ihrer Sicht müsste sich der Anwendungsbereich der Verordnung auf die kommerzielle Nutzung beschränken. In Zukunft dürfte es auf keinen Fall zu überzogenen Saatgut-, Sortenzulassungs- und Kennzeichnungsbestimmungen in bevorstehenden EU-Verhandlungen kommen.

Die Ausschussmitglieder stellen schließlich grundsätzlich fest, dass der gegenständliche Vorschlag das Subsidiaritätsprinzip verletzt, bei dieser Regelung fehle das notwendige Gleichgewicht zwischen industrieller Produktion und dem Erhalt der Saatgutvielfalt.

EU-Vorschlag ist glatte Ohrfeige für die Biodiversität

In der Diskussion zeigten sich die Ausschussmitglieder einig in ihrer Ablehnung des EU-Vorschlags. Vorsitzender Edgar Mayer (V/V) sprach von überbordenden und überschießenden Regelungen und verwies zudem auf massive Vorbehalte in seinem Bundesland Vorarlberg sowie auf die Stellungnahmen des EU-Ausschusses des niederösterreichischen Landtags der darauf aufmerksam macht, dass vom vorliegenden Entwurf die Regelungskompetenz der Länder betroffen ist.

Auch Bundesrat Martin Preineder (V/N) wandte sich strikt gegen die EU-Pläne und unterstrich, es müsse für kleine ZüchterInnen, die regionale Sorten erhalten und weiterentwickeln, sowie für HobbygärtnerInnen auch in Hinkunft möglich sein, Saatgut zu tauschen. Dies sei auch für die biologische Landwirtschaft eminent wichtig. Ähnlich äußerte sich Bundesrat Ferdinand Tiefnig (V/O), der die Bedenken seitens des Obstbaus in die Diskussion einbrachte und unterstrich, dass man sich rechtzeitig wehren müsse.

Dem schlossen sich die Bundesräte Marco Schreuder (G/W) und Stefan Schennach (S/W) an. Schreuder plädierte dafür, diesen Punkt auch im Plenum zu diskutieren. Für Schennach gilt es vor allem, altes, nachhaltiges Saatgut im Interesse der Biodiversität zu schützen. Für ihn geht die Kommission auch insofern einen eigenartigen Weg, weil sie mit der Saatgutverordnung den Versuch startet, den Markt zu unterbinden. Generell bezeichnete er den Verordnungsentwurf als eine "glatte Ohrfeige für die Biodiversität" und begrüßte es, dass Landwirtschaftsminister Berlakovich die Petition von Global 2000 unterzeichnet hat. Auch die Supermärkte hätten die Bedeutung der Frage erkannt und die Petition ebenfalls unterstützt.

Die von den Bundesräten geäußerten Vorbehalte wurden auch vom Vertreter des Landwirtschaftsressorts geteilt. Die kleinen und mittleren Betriebe dürften nicht auf der Strecke bleiben, sagte er und zeigte sich auch hinsichtlich der Ausweitung der delegierten Rechtsakte äußerst skeptisch. Die vorgesehenen Regelungen könnten in die Subsidiarität eingreifen, betonte er und warnte seinerseits davor, dass die Bestrebungen nach Homogenität zu einem Verlust von speziellen Sorten führen könnten. Dem pflichtete die Vertreterin der Arbeiterkammer aus der Sicht der KonsumentInnen bei. Es könne nicht sein, dass der Wunsch der KonsumentInnen nach Produkten aus altem Saatgut behindert wird. Außerdem hielt sie die Tatsache, dass sich die Kommission mit Hilfe der delegierten Rechtsakte zunehmend Rechte herausnimmt für demokratiepolitisch gefährlich. (Fortsetzung EU-Ausschuss Bundesrat) jan


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