Parlamentskorrespondenz Nr. 999 vom 25.09.2015

Flüchtlingsquartiere: Bundesrat stimmt Durchgriffsrecht des Bundes zu

Umstrittenes Bundesverfassungsgesetz kann am 1. Oktober in Kraft treten

Wien (PK) – Das Durchgriffsrecht des Bundes bei der Bereitstellung von Flüchtlingsquartieren kann wie geplant am 1. Oktober in Kraft treten. Der Bundesrat verzichtete in seiner heutigen Sitzung auf ein Veto gegen den Beschluss des Nationalrats und stimmte dem umstrittenen Bundesverfassungsgesetz mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit zu. Damit kann das Innenministerium künftig auf Grundstücken des Bundes oder in angemieteten Gebäuden auch ohne gesonderte Widmung Flüchtlingsquartiere bereitstellen, wenn die Länder bzw. Gemeinden ihrer Unterbringungsverpflichtung nicht nachkommen. Auch die Änderung des Fremdenpolizeigesetzes, die höhere Strafdrohungen für Schlepper bringt, passierte die Länderkammer.

Ziel des neuen Durchgriffsrechts des Bundes bei der Bereitstellung von Flüchtlingsquartieren ist eine gleichmäßigere Verteilung von AsylwerberInnen in Österreich und eine adäquate Unterbringung. Als Richtwert für die Gemeinden ist eine Flüchtlingsquote von 1,5% der Wohnbevölkerung vorgesehen, die im Bedarfsfall allerdings variabel ist. Die Entscheidung über die Nutzung eines Grundstücks trifft das Innenministerium, Innenministerin Johanna Mikl-Leitner muss den betroffenen Bürgermeister und die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde jedoch mindestens eine Woche vor der tatsächlichen Unterbringung von AsylwerberInnen informieren. Zudem sind gewisse Standards, etwa was Brandschutz und Hygiene betrifft, einzuhalten. Maximal 450 Flüchtlinge dürfen in einem Quartier untergebracht werden. Das Gesetz ist vorläufig mit Ende 2018 befristet.

SPÖ: Flüchtlinge brauchen winterfeste Quartiere

Für das Bundesverfassungsgesetz machten sich unter anderem die beiden SPÖ-BundesrätInnen Reinhard Todt, Daniela Gruber-Pruner (beide Wien) und Mario Lindner (Steiermark) stark. Angesichts des bevorstehenden Winters sei es notwendig, eine ausreichende Zahl winterfester Quartiere bereitzustellen, und zwar solidarisch über das Bundesgebiet verteilt, sagte Todt und sprach von einem "gelungenen und ausgereiften Paket". Es gehe um Solidarität, um Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft, argumentierte Lindner. Gruber-Pruner wies darauf hin, dass Österreich innerhalb der EU Solidarität einfordere, mit dem vorliegenden Bundesgesetz habe man die Möglichkeit, mit gutem Beispiel voranzugehen.

Den Vorwurf, dass mit dem Gesetz über Länder und Gemeinden darübergefahren wird, wollte Todt nicht gelten lassen. Jede Gebietskörperschaft habe es selbst in der Hand, dass das Durchgriffsrecht des Bundes nicht schlagend wird, argumentierte er. Zur Erfüllung der Flüchtlingsquote könnten Gemeinden auch Kooperationen eingehen. Aufmerksam machte Todt überdies darauf, dass der Kostenersatz für die Unterbringung und Verpflegung von AsylwerberInnen ab 1. Jänner auf 21 € pro Tag angehoben wird.

Kritik an der FPÖ äußerte der Kärntner SPÖ-Bundesrat Günther Novak. Die Freiheitlichen würden keinen einzigen Lösungsansatz anbieten, beklagte er. Die SPÖ habe sich hingegen dagegen entschieden, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, um Wahlen zu gewinnen und Humanität Vorrang vor Gruppenegoismus gegeben. Nach Meinung von Novak kann man das Gesetz auch als Chance sehen, als Bürgermeister ist er zuversichtlich, die geforderte Flüchtlingsquote einhalten zu können.

Stefan Schennach (S/W) verwies auf die internationale Dimension der Flüchtlingskrise. Während in Schweden als am stärksten betroffenen EU-Land acht Flüchtlinge auf 1.000 EinwohnerInnen kommen, in Ungarn vier und in Österreich zwei, seien es im Libanon 220, veranschaulichte er. Mit viel gutem Willen ist es seiner Meinung nach möglich, den derzeitigen Flüchtlingsansturm zu bewältigen. Immer wieder hob die SPÖ in ihren Wortmeldungen auch die große Hilfsbereitschaft der ÖsterreicherInnen hervor.

ÖVP: Österreich kann Probleme nicht allein bewältigen

Seitens der ÖVP hielt Bundesrat Klaus Fürlinger (Oberösterreich), fest, ihm sei bis zur vor kurzem nicht klar gewesen, dass der Bund Gebäude, die ihm selbst gehören, nicht so nutzen dürfe, wie er wolle. Für ihn sei das eine Selbstverständlichkeit, sagte er. Ebenso sei es notwendig, die Aufgaben Österreichs gerecht zu verteilen. Allgemein plädierte Fürlinger dafür, die Flüchtlingskrise mit Hausverstand und Anstand zu bewältigen. Gleichzeitig urgierte er eine intensive Zusammenarbeit auf EU-Ebene. Wer suggeriere, dass Österreich die Probleme alleine bewältigen könne, täusche sich und die WählerInnen, sagte er und wandte sich in diesem Sinn gegen die Errichtung von Grenzzäunen.

Ausdrücklich hinter das Gesetz stellten sich auch der Vorarlberger ÖVP-Bundesrat Edgar Mayer und sein niederösterreichischer Fraktionskollege Gerhard Schödinger. Eine gerechte Aufteilung von Flüchtlingen innerhalb Österreichs sei sinnvoll, betonte Mayer. Nach Meinung von Schödinger, selbst Bürgermeister, dürfen Bedenken der Bevölkerung Gemeinden nicht daran hindern, den Flüchtlingen zu helfen, vielmehr gelte es Überzeugungsarbeit zu leisten.

Bundesrat Harald Himmer (V/W) hob die Notwendigkeit hervor, die Außengrenzen der EU künftig besser zu schützen. Er wollte dabei nicht ausschließen, dass sich neue Grenzzäune als nützlich erweisen könnten. Was die faire Verteilung der Flüchtlinge auf die 28 EU-Staaten betrifft, meinte Himmer, eine solche sei notwendig, er habe aber ein gewisses Verständnis dafür, wenn manche Länder angesichts der "besonderen Ermunterung" zur Flucht nach Europa durch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, Quoten skeptisch beurteilen.

Grüne: Wer neue Grenzzäune baut, fördert Schlepperei

Die Notwendigkeit, Solidarität zu zeigen, hob auch die Tiroler Vertreterin der Grünen im Bundesrat, Nicole Schreyer, hervor. Viele Gemeinden hätten bisher keine Flüchtlinge aufgenommen, obwohl es in ihrem Gemeindegebiet bestens geeignete Gebäude geben würde, beklagte sie. Durch das Gesetz werde nun ein gewisser Druck auf die BürgermeisterInnen aufgebaut.

Schreyers Fraktionskollege Marcus Schreuder (Wien) wies darauf hin, dass viele angesichts des humanitären Notstands gehandelt hätten, als Tausende Flüchtlinge in Ungarn zu Fuß auf der Autobahn unterwegs waren, angefangen von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner über das Rote Kreuz bis hin zu unzähligen BürgerInnen. Nur eine Gruppe habe nicht gehandelt, sondern nur "geraunzt", das seien die Freiheitlichen gewesen, sagte er. Schreuder gab auch zu bedenken, dass, wer neue Grenzzäune wolle, Schlepperei fördere und weitere Tote verursache.

Der Grüne Bundesrat Efgani Dönmez (Oberösterreich) glaubt, dass die Flüchtlingswelle eine der großen politischen Herausforderungen der nächsten Jahre wird, ähnlich dem Klimawandel. Durch eine Abkapselung und neue Grenzzäune können aber keine Probleme gelöst werden, ist er überzeugt. Nicht einmal die chinesische Mauer habe sich als wirksam erwiesen. Verzweifelte Flüchtlinge ließen sich von Hindernissen nicht abhalten. Dönmez hält es in diesem Sinn auch für kurzsichtig, sich darauf zu konzentrieren, Flüchtlinge in Nachbarländer abzuschieben. Mittel- und langfristig notwendig ist seiner Ansicht nach eine weltweite Einschränkung von Militärinterventionen und eine Stärkung der "säkularen Ethik". Es gehe darum, Brücken zwischen Kulturen, Ethnien und Religionen zu bauen.

Für Dönmez war es die letzte Rede im Bundesrat, er scheidet nach den oberösterreichischen Landtagswahlen aus der Länderkammer aus.

FPÖ: Gesetz greift in Länder- und Gemeindekompetenzen ein

Scharfe Kritik am Gesetz übte die FPÖ. Die Wiener Bundesrätin Monika Mühlwerth protestierte nicht nur gegen die Eile, mit der das Gesetz im Bundesrat auf die Tagesordnung gesetzt wurde, sie warf dem Bund auch vor, über Länder und Gemeinden "drüberzufahren". Für sie sind die vorliegenden Bestimmungen ein Ausfluss der Hilfslosigkeit der Regierung in der Flüchtlingspolitik.

Mühlwerth drängte darauf, den Flüchtlingsstrom durch eine bessere Sicherung der Grenzen einzudämmen. Zudem ist sie überzeugt, dass es sich bei den meisten Flüchtlingen um Wirtschaftsflüchtlinge handelt. Mühlwerth vermutet, dass die österreichische Wirtschaft gar nicht unglücklich über den Flüchtlingsstrom ist, da sie "moderne Arbeitssklaven" bekomme. Der heimische Arbeitsmarkt werde bald für AsylwerberInnen geöffnet, prophezeite sie.

Mühlwerths steirischer Fraktionskollege Gerd Krusche bedauerte, dass der Bundesrat das vorliegende Gesetz nicht dazu nutzt, ein Zeichen zu setzen. Seiner Ansicht nach werde mit dem Gesetz nicht nur in Länder- und Gemeindekompetenzen eingegriffen, sondern auch Nachbarrechte ausgehebelt. Er glaubt überdies, dass die im Gesetz verankerte Flüchtlingsquote von 1,5% für die Gemeinden angesichts der aktuellen Entwicklung schon bald hinaufgesetzt wird.

Bundesrat Werner Herbert (F/N) hat vor allem die Befürchtung, dass den Gemeinden durch das vorliegende Gesetz weitere finanzielle Belastungen aufgebürdet werden, etwa durch die notwendige Errichtung von Kanalisationsanlagen. Viele Flüchtlinge werden seiner Meinung nach außerdem aufgrund mangelnder Qualifikationen keinen Arbeitsplatz finden und "in der sozialen Hängematte" landen. Mit steigender Arbeitslosigkeit und Integrationsschwierigkeiten rechnet auch der frühere Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler. Er gab außerdem zu bedenken, dass Solidarität voraussetze, dass man etwas zu verteilen habe.

Der Wiener FPÖ-Bundesrat Hans-Jörg Jenewein appellierte an die anderen Fraktionen, die Kirche im Dorf zu lassen, was die Kritik an seiner Fraktion betrifft. Auch andere demokratische Länder wie die USA hätten Grenzzäune, hob er hervor. Jenewein sieht auch nicht ein, warum Flüchtlinge selbst dann weiterflüchten, wenn sie bereits in einem sicheren EU-Land, wie zum Beispiel Frankreich sind. Die Politik agiert seiner Einschätzung nach zum Teil blauäugig.

Team Stronach gegen Zwangszuteilung von Flüchtlingen an Gemeinden

Gegen das Gesetz stellte sich auch der niederösterreichische Bundesrat Gerald Zelina vom Team Stronach. Er sei gegen eine Zwangszuteilung von Flüchtlingen an die Gemeinden, bekräftigte er. Die BürgerInnen vor Ort sollten selbst entscheiden, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen wollen.

Nach Meinung von Zelina wäre es zudem vordringlich, sich darüber Gedanken zu machen, wie "die unkontrollierte Masseneinwanderung" in Europa gestoppt werden könne. Er befürchtet unter anderem eine Destabilisierung Europas sowie steigende Arbeitslosigkeit, steigende Wohnkosten, sowie steigende Kriminalität in Österreich und letztendlich eine Unfinanzierbarkeit des österreichischen Sozialsystems als Folge der aktuellen Entwicklung. Zelina forderte UNO-Schutzzonen vor Ort und mehr Hilfsgelder für die Nachbarländer Syriens, nicht nur von Seiten Europas, sondern auch von Seiten der USA und der reichen Golfstaaten.

Ostermayer: Über Gesetz wurde ausführlich diskutiert

Kanzleramtsminister Josef Ostermayer machte geltend, dass ursprüngliche Bedenken von Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer gegen das Gesetz ausgeräumt worden seien. Man habe vor dem Beschluss im Nationalrat ausführlich über den Gesetzentwurf diskutiert, betonte er. In Richtung FPÖ hielt Ostermayer fest, die Behauptung, die meisten Flüchtlinge aus Syrien seien Wirtschaftsflüchtlinge, sei durch nichts bewiesen und daher ein Vorurteil, das ausschließlich dazu diene, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Es obliege den zuständigen Behörden zu entscheiden, wer Flüchtlingsstatus in Österreich enthalte. Eingeräumt wurde von Ostermayer, dass Österreich und die EU vor großen Herausforderungen stehen.

Die Abstimmung über das Gesetz erfolgte namentlich. Dabei stimmten 42 BundesrätInnen für und 9 BundesrätInnen gegen den Entwurf. Ein Antrag der FPÖ, Einspruch gegen den Gesetzesbeschluss des Nationalrats zu erheben, fand keine Mehrheit. Auch die Forderung der FPÖ, über das Gesetz geheim abzustimmen, blieb in der Minderheit.

Änderung des Fremdenpolizeigesetz passiert Bundesrat

Gegen die Änderung des Fremdenpolizeigesetzes äußerten lediglich die Grünen Bedenken. Bundesrätin Nicole Schreyer (G) fürchtet, wie ihre FraktionskollegInnen im Nationalrat, negative Lenkungseffekte. Die Gesetzesnovelle sieht vor, dass der erhöhte Strafrahmen für Schlepper von sechs Monaten bis fünf Jahre Freiheitsentzug bereits ab einer Mindestzahl von drei geschleppten Personen gilt. Derzeit ist im Gesetz von einer "größeren Anzahl von Personen" die Rede, das sind nach geltender Judikatur rund 10 Personen. Nach Meinung von Schreyer könnte die Novelle dazu führen, dass Schlepper sich gleich dafür entscheiden, eine größere Gruppe von Flüchtlingen in ein Fahrzeug zu pferchen, wenn die höhere Strafdrohung bereits ab drei Personen gilt. Der Gesetzesbeschluss des Nationalrats blieb schließlich aber einstimmig unbeeinsprucht. (Fortsetzung Bundesrat) gs


Format