Parlamentskorrespondenz Nr. 1065 vom 08.10.2015

Regierung will anerkannten Flüchtlingen "Integrationsjahr" anbieten

Sozialminister Hundstorfer präsentierte im Sozialauschuss erste Eckpunkte

Wien (PK) – Die Regierung will anerkannten Flüchtlingen künftig nach dem Vorbild des "Freiwilligen Sozialen Jahres" ein "Freiwilliges Integrationsjahr" anbieten. Entsprechende gesetzliche Bestimmungen sollen in das Budgetbegleitgesetz aufgenommen werden, berichtete Sozialminister Rudolf Hundstorfer heute den Abgeordneten im Sozialausschuss des Nationalrats. Das Integrationsjahr soll ihm zufolge eine Mischung aus Ausbildungsverhältnis und freiwilliger Tätigkeit sein und bis spätestens zwei Jahren nach Zuerkennung des Asylstatus angetreten werden können. Hundstorfer geht davon aus, dass man damit rund 1.000 Flüchtlingen pro Jahr eine Perspektive bieten kann.

Anbieten können sollen das Freiwillige Integrationsjahr all jene Organisationen, die auch Zivildiener beschäftigen bzw. bei denen ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Freiwilliges Umweltjahr absolviert werden kann. Die betroffenen Flüchtlinge werden krankenversichert und unfallversichert sein, nicht aber pensionsversichert und arbeitslosenversichert. Es gehe darum, Füchtlingen eine Beschäftigung und gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, die deutsche Sprache besser zu lernen, skizzierte Hundstorfer. In diesem Sinn müssen die jeweiligen Organisationen auch Sprachkurse anbieten. Dauern soll das Integrationsjahr zwischen sechs Monate und einem Jahr, eine Verlängerungsmöglichkeit ist nicht vorgesehen.

Um Flüchtlingen die Integration zu erleichtern, strebt Hundstorfer überdies an, mehr jugendlichen AsylwerberInnen eine Lehrausbildung zu ermöglichen. Die Liste der Lehrberufe, die AsylwerberInnen offen stehen, wurde bereits auf zwölf ausgeweitet, nun ist man dabei, in Tirol ein praxistaugliches Modell als Vorbild auch für andere Bundesländer auszuarbeiten. Vor allem in der Gastronomie gebe es im Westen Österreichs viele offene Lehrstellen, die nicht besetzt werden können, gab Hundstorfer zu bedenken. Er ist zuversichtlich, dass es gelingen wird, junge AsylwerberInnen aus der Ostregion Österreichs zu einem Umzug in die westlichen Bundesländer zu bewegen, wenn sie dort eine Beschäftigungsperspektive haben. Die Zahl der derzeitigen Lehrverhältnisse bezifferte der Sozialminister mit rund 110.

Nichts geändert hat sich laut Hundstorfer an der Vorgabe, dass bei offenen Lehrstellen Inländer Vorrang haben. Es ist auch nicht vorgesehen, AsylwerberInnen in überbetrieblichen Lehrwerkstätten auszubilden.

Allgemein geht Hundstorfer davon aus, dass die Zahl der beim Arbeitsmarktservice vorgemerkten Flüchtlinge in den nächsten Wochen und Monaten um (korr. auf) rund 30.000 Personen wachsen wird. Derzeit sind ihm zufolge 19.000 Flüchtlinge beim AMS als arbeitssuchend registriert, von dieser Zahl müsse man aber rund 6.000 abziehen, da sie zwar in der Statistik als Flüchtlinge geführt werden, zum Teil aber schon jahrelang in Österreich sind und nach einer längeren Beschäftigungsphase arbeitslos wurden. 9.000 bekämen vom AMS ein "volles Service", jedoch ohne Arbeitslosengeld, die übrigen 4.000 haben zumindest ein Teileinkommen.

Opposition vermisst Strategie zur Bewältigung der Wirtschaftskrise

Neben dem Bereich Asyl schnitten die Abgeordneten in der Aussprache mit dem Sozialminister auch zahlreiche andere Themen an. So kritisierte Grün-Abgeordnete Birgit Schatz, dass die Bundesregierung keinerlei Strategie habe, um aus der krisenhaften Situation, in der sich Österreich befinde, herauszukommen. Immer nur zu sagen, der Regierungspartner oder die Sozialpartner wollten nicht, sei zu wenig, meinte sie in Richtung Hundstorfer. FPÖ-Abgeordneter Peter Wurm machte geltend, dass sich angesichts der tristen Konjunkturaussichten auch die Lage am Arbeitsmarkt nicht entspannen werde. Team-Stronach-Abgeordnete Waltraud Dietrich hob die hohe Arbeitslosigkeit unter den türkischen MigrantInnen hervor.

NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker wies darauf hin, dass seine Partei eine Studie beauftragt habe, um zu eruieren, warum sich die Unternehmen nicht in der Lage sehen, eine ausreichende Zahl von neuen Arbeitsplätzen zur Verfügung zu stellen. Am häufigsten wurden ihm zufolge die hohen Lohnnebenkosten und das restriktive Arbeitsrecht in Österreich genannt. Für Loacker sind das Themen, die unbedingt auf dem immer noch ausstehenden Arbeitsmarktgipfel angesprochen werden müssen. In "Sonntagsreden" kündige man zwar immer eine Senkung der Lohnnebenkosten an, aber passieren tue das Gegenteil, klagte er. Seiner Meinung nach ist es auch unverständlich, dass die SPÖ weiter an der Forderung nach einer sechsten Urlaubswoche festhält, obwohl ältere ArbeitnehmerInnen es jetzt schon sehr schwer hätten, einen Job zu finden. Ein weiteres Problem ist für Loacker der ständig steigende Bundeszuschuss zu den Pensionen.

Seitens der ÖVP sprach Sozialsprecher August Wöginger die Situation älterer Arbeitsloser an. Gertrude Aubauer wies auf die nach wie vor enorme Differenz zwischen Frauenpensionen und Männerpensionen hin. Werner Groiß äußerte die Befürchtung, dass durch den Zustrom von AsylwerberInnen das Problem der Scheinselbstständigkeit wieder Aufwind erhalten könnte.

FPÖ-Abgeordneter Werner Neubauer thematisierte die geplante Wohnbauoffensive, seine Fraktionskollegin Dagmar Belakowitsch-Jenewein weiter bestehende Probleme mit inadäquaten AMS-Kursen. Waltraud Dietrich vom Team Stronach wollte wissen, ob es in Bezug auf die Anhebung des Frauenpensionsalters Bewegung gibt. SPÖ-Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig erkundigte sich nach dem aktuellen Stand der Demenz-Strategie.

Für Anliegen behinderter Menschen machten sich Grün-Abgeordnete Helene Jarmer und ÖVP-Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg stark. Huainigg sprach sich etwa dafür aus, im Zuge der Novelle des Gesundheitsberufegesetzes die Möglichkeit zu schaffen, Pflegetätigkeiten auch an PädagogInnen bzw. Assistenzkräfte zu delegieren, um pflegebedürftigen Kindern zu ermöglichen, einen Kindergarten bzw. eine Schule zu besuchen.

Hundstorfer: Arbeitsmarktgipfel wird kommen

In Beantwortung der Fragen teilte Sozialminister Hundstorfer unter anderem mit, dass in den Monaten Jänner bis September in rund 19.000 Fällen eine Eingliederungsbeihilfe zur Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen gewährt wurde. Wie rasch über 50-Jährige wieder einen Arbeitsplatz finden, hängt ihm zufolge nicht nur von der Ausbildung, sondern auch von der Region ab. Aus der Türkei gibt es laut Hundstorfer keine Zuwanderung mehr. Arbeitslose mit türkischem Migrationshintergrund seien schon lange in Österreich bzw. sogar hier geboren. Allgemein hob der Sozialminister hervor, dass die Zahl der Arbeitsplätze im September 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 30.000 gestiegen ist.

Gegenüber Abgeordnetem Loacker versicherte Hundstorfer, der Arbeitsmarktgipfel werde kommen, vielleicht sogar "rascher, als Sie glauben". Er verteidigte außerdem die Forderung nach einer sechsten Urlaubswoche. Wenn man sich von den Leuten erwarte, dass sie länger im Erwerbsleben stehen, müsse man ihnen auch längere Erholungsphasen geben, argumentierte er. Im Übrigen hätte ihm zufolge auch das neue Modell der sechsten Urlaubswoche an eine längere Betriebszugehörigkeit angeknüpft und wäre für die Unternehmen insgesamt kostenneutral gewesen.

Faktisches Pensionsantrittsalter steigt weiter an

Das faktische Pensionsantrittsalter steigt nach Auskunft von Hundstorfer weiter an. Als Grund dafür nannte er nicht nur ein Minus von 17 % bei den Invaliditätspnsionen, auch die übrigen Pensionsantritte seien um 10 % gesunken. "Am Ende des Jahres werden wir wieder um etliche Monate älter geworden sein", ist er zuversichtlich. Das Frauenpensionsalter hält Hundstorfer derzeit für nicht angreifbar, "schauen wir, was die Zukunft bringt."

Gesetzentwurf zum neuen Wohnbaupaket geht demnächst in Begutachtung

Demnächst in Begutachtung gehen wird laut Hundstorfer der Gesetzentwurf zur neuen Wohnbauoffensive, nachdem es gelungen sei, die letzten Stolpersteine auszuräumen. Die Zuständigkeit liegt beim Wirtschaftsministerium. Hundstorfer zufolge sollen als Teil des Konjunkturpakets in den nächsten Jahren 5,2 Mrd. € an "frischem Geld" zur Verfügung gestellt werden. Dass das neue Wohnbaupaket nicht über die Länder, sondern über eine eigene Wohnbaubank abgewickelt werden soll, begründete er damit, dass Gelder der Europäischen Investitionsbank "abgeholt" werden sollen. Dafür brauche es auch Bundeshaftungen.

Abgeordnetem Huainigg berichtete Hundstorfer, dass es derzeit aufgrund des enormen Andrangs einen Rückstau bei der Bearbeitung von Anträgen für einen Vermerk im Behindertenausweis gemäß Straßenverkehrsordnung gebe. Man habe bereits zusätzliches Personal ins Sozialministeriumservice transferiert, um die Anträge rascher abzuwickeln, unterstrich er. Es müsse aber jeder Einzelfall geprüft werden. Was das bevorstehende Auslaufen der Übergangsfrist für den barrierefreien Zugang von Gebäuden betrifft, rechnet Hundstorfer damit, dass es weiter Diskussionen über die Zumutbarkeit baulicher Veränderungen geben wird. Es gebe für Geschäfte und Gewerbetreibende aber Leitfäden. In Bezug auf die Demenzstrategie stellte Hundstorfer eine Präsentation der Ergebnisse für 14. Dezember in Aussicht.

Sozialausschuss genehmigt Sozialabkommen mit Australien

Gegen die Stimmen der FPÖ angenommen wurde von den Abgeordneten ein neues Abkommen zwischen Österreich und Australien im Bereich der sozialen Sicherheit (779 d.B.). Unter anderem werden darin die Anrechnung von Versicherungszeiten und die Vermeidung von Doppelversicherungen bei grenzüberschreitendem Arbeitseinsatz geregelt. Seit dem Abschluss des geltenden Abkommen 1992 seien sowohl innerstaatlich als auch zwischenstaatlich wesentliche Rechtsänderungen eingetreten, wird das neue Abkommen begründet.

Wie SPÖ-Abgeordneter Dietmar Keck berichtete, bekommen derzeit 879 Personen in Österreich eine Pension nach australischem Pensionsrecht. In 7.736 Fällen überweise Österreich eine Pension nach Australien. NEOS-Abgeordneter Loacker nahm die Debatte zum Anlass, um darauf hinzuweisen, dass Australien das Pensionsantrittsalter schrittweise auf 67 Jahre anhebe. Sozialminister Hundstorfer teilte Abgeordnetem Groiß mit, dass es, abseits der EU, mit 16 Ländern ähnliche bilaterale Abkommen gebe. Gespräche laufen derzeit mit Albanien, Brasilien und Japan. Außerdem soll das Abkommen mit Kanada überarbeitet werden.

Weiters auf der Tagesordnung des Sozialausschusses standen rund zwei Dutzend Oppositionsanträge. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs