Parlamentskorrespondenz Nr. 130 vom 15.02.2017

Bundesrat ortet noch viel Diskussionsbedarf bei der Regulierung des europäischen Strommarkts

EU-Ausschuss diskutiert Verordnungsvorschläge der EU zur Energieunion und überlegt Mitteilung an Brüssel

Wien (PK) – Die EU arbeitet intensiv an der Verwirklichung der Energieunion. Die Rahmenstrategie dafür wurde im Februar 2015 beschlossen, sie stellt einen mehrere Politikfelder übergreifenden, strategischen Rahmen für die Neuausrichtung der Energiepolitik dar. Grundlage für die Energieunion ist eine integrierte Lenkung und Überwachung, damit alle Maßnahmen zur Erreichung der Ziele der Energieunion beitragen. Es bedarf aber darüber hinaus auch einer koordinierten Krisenprävention, -vorsorge und –bewältigung, die aufgrund der unterschiedlichen Bestimmungen in den Mitgliedstaaten fehlt. Dem EU-Ausschuss des Bundesrats lagen in diesem Zusammenhang drei Verordnungsvorschläge vor. Diese betreffen das Governance-System der Energieunion, die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor und die Agentur der EU für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, um deren Aufgaben an die Realität des heutigen Strommarktes anzupassen. Die Legislativvorschläge zur Energieunion werden die EU in den kommenden zwei Jahren beschäftigen, das heißt, auch unter der österreichischen Ratspräsidentschaft.

Die LändervertreterInnen konnten dem Paket zwar Positives abgewinnen, zumal die Europäisierung in diesem Bereich gerade für einen kleinen Staat einen wichtigen Aspekt darstellt, dennoch sahen sie noch größere Problembereiche. Die Bedenken richteten sich vor allem gegen einen unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand und gegen die Einengung regionaler und nationaler Gestaltungsspielräume. Einige Bundesländer sehen das Subsidiaritäts- und das Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzt und haben dies auch in Stellungnahmen gegenüber dem Ausschuss festgehalten. Ähnlich kritisch äußerte sich auch die Wirtschaftskammer.

Es gelte, hier die richtige Balance zu finden, und darum werde man sich in den kommenden Ratsarbeitsgruppen bemühen, hieß es dazu aus dem Wirtschaftsressort. Im Ausschuss kam man überein, die drei Punkte zu vertagen und bei einer der nächsten Sitzungen eventuell eine Mitteilung zu verabschieden.

Berichts-, Planungs- und Überwachungsvorschriften sollen vereinheitlicht und gestrafft werden

Mit der Verordnung über das Governance-System für die Energieunion – eine wichtige Schnittstelle zu den Richtlinien in Bezug auf Erneuerbare Energien und Energieeffizienz - soll ein Rechtsrahmen festgelegt werden, der zwei Ziele verfolgt und damit die Umsetzung der Energieunion, insbesondere auch deren energie- und klimapolitischen Ziele gewährleisten soll: Einerseits will die EU die geltenden Planungs-, Berichtserstattungs- und Überwachungsvorschriften in den Bereichen Energie und Klima straffen und konsequenter aufeinander abstimmen. Die genannten Vorschriften sind derzeit in zahlreichen Einzelrechtsakten festgeschrieben, was teilweise zu Überschneidungen und Inkohärenz führt. Sie werden nun zusammengeführt, Häufigkeit und Zeitplan angeglichen. Dadurch soll die Transparenz und Zusammenarbeit erhöht werden. Andererseits zielt die Regelung auf einen - wie in den Erläuterungen formuliert – "robusten politischen Prozess" zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission ab, was insbesondere der Verwirklichung der Energieunion und den Energie- und Klimazielen dienen soll.

Wie das zuständige Wirtschaftsministerium ausführt, orientiert sich der Vorschlag an den fünf Dimensionen der Energieunion: Sicherheit der Energieversorgung, Solidarität und Vertrauen; ein vollständig integrierter europäischer Energiemarkt; Energieeffizienz als Beitrag zur Senkung der Nachfrage; Verringerung der CO2-Emissionen der Wirtschaft und schließlich Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.

Die Mitgliedstaaten sind gemäß Verordnungsvorschlag aufgerufen, in den integrierten nationalen Energie- und Klimaplänen für alle fünf Dimensionen der Energieunion ihre nationalen Ziele bzw. Beiträge, ihre Strategien und Maßnahmen zu erläutern, um diese Ziele zu erreichen. Zudem müssen sie die aktuelle Lage und Prognose mit derzeitigen Strategien und Maßnahmen beschreiben und für die von ihnen geplanten Strategien und Maßnahmen eine Folgenabschätzung (impact assessment) durchführen.

Wie der zuständige Sektionschef des Wirtschaftsministeriums unterstrich, gibt die Kommission den Mitgliedstaaten die konkreten Ziele zur CO2-Reduktion, Energieeffizienz und erneuerbaren Energien nicht vor, diese müssen sich die einzelnen Staaten selber setzen. Aufgrund dieses offenen flexibleren Prozesses sei es aber nötig, dem Ganzen einen stringenteren Rahmen zu geben. Sollten die Ziele dann nicht erreicht werden oder keine Kohärenz mit den europäischen Zielen aufweisen, dann werde gegengesteuert. Wichtig sei es, dass dabei die Vorleistungen, die einzelne Länder bereits erbracht haben, berücksichtigt werden, sagte er in Übereinstimmung mit dem Mitgliedern des Ausschusses.

Die nationalen Energie- und Klimapläne beziehen sich jeweils auf einen Zehnjahreszeitraum (1. Bericht 2021-2030). Sie sind erstmals nach fünf Jahren zu aktualisieren, in der Folge nur mehr alle zehn Jahre. Zweijährige Fortschrittsberichte über den Stand der Durchführung sollen die Umsetzung der darin vorgesehenen Strategien und Maßnahmen sicherstellen.

Österreich will seine nationale Energie- und Klimastrategie bis Juni 2017 vorlegen, wobei die Länderkompetenzen berücksichtigt werden, sicherte man seitens des Wirtschaftsressorts zu.

Mehr Solidarität und engere Zusammenarbeit im Krisenfall

Mangelnde Zusammenarbeit aufgrund unterschiedlicher nationaler Ansätze in den EU-Mitgliedstaaten ortet die EU-Kommission vor allem im Hinblick auf Krisenprävention, -vorsorge und –bewältigung. Es mangle an Information und Transparenz, die Risiken würden unterschiedlich bewertet, unterschiedliche Maßnahmen würden zu unterschiedlichen Zeitpunkten gesetzt, Aufgaben und Zuständigkeiten würden uneinheitlich sein und es gebe keine gemeinsame Definition von Krisensituationen – so die Bestandsaufnahme der EU-Kommission. Das spiegle die Realität des heutigen vernetzten Strommarktes nicht mehr wider.

Die vorgeschlagene Verordnung über die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor enthält nun für all diese Fragen einheitliche Vorgaben, um durch koordiniertes Vorgehen, gemeinsame Methoden und Zusammenarbeit Krisensituationen zu verhindern und zu bewältigen. In diesem Rechtsakt geht es vor allem darum, Strukturen aufzubauen. Eine größere Vergleichbarkeit und Transparenz soll dazu führen, dass während einer Krise Strom dorthin geliefert wird, wo er am dringendsten benötigt wird. Der Text stehe auch im Einklang mit den vorhandenen Rechtsvorschriften zur Cybersicherheit und zu kritischen Infrastrukturen, so die EU-Kommission.

Der Gesetzesvorschlag enthält keine zwingende Solidaritätsklausel wie sie es etwa im Gasbereich gibt, unterstrich der zuständige Sektionschef. Die österreichische Verhandlungsposition sei darauf bedacht, dass die Investitionen, die einzelne Staaten im Vorfeld geleistet haben, auch anerkannt werden. Jedenfalls sollten Solidaritätsleistungen nicht gratis sein.

Mehr Kompetenzen für die EU-Regulierungsbehörde

Schließlich sollen per EU-Verordnung auch die Aufgaben und Kompetenzen von ACER, der Agentur der EU für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden an die Realitäten des heutigen Strommarktes angepasst werden.

ACER wurde 2010 gegründet und hat seinen Sitz in Ljubljana. Die Agentur soll die Arbeit der nationalen Energieregulierungsbehörden ergänzen und koordinieren, bei der Erstellung europäischer Netzvorschriften mitwirken, verbindliche Einzelentscheidungen zu den Bestimmungen für den Zugang zu grenzübergreifenden Infrastrukturen und deren Betriebssicherheit treffen, die EU-Organe in Energiefragen beraten und die Entwicklungen auf den Energiemärkten überwachen und darüber berichten.

Im Hinblick auf die Energieunion hält die Kommission die Stärkung von ACER durch neue Aufgaben für notwendig, vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung und Umsetzung von Netzkodizes und Leitlinien. ACER soll in Zukunft auch gegenüber regionalen Betriebszentren (ROCs) sowie nominierten Strommarktbetreibern (NEMOs) Stellungnahmen und Empfehlungen abgeben können und hat auch neue Kompetenzen hinsichtlich der Angemessenheit der Stromerzeugung und der Risikovorsorge.

Die Kommission begründet ihren Vorstoß damit, dass sich der europäische Energiemarkt mit grundlegenden Änderungen konfrontiert sieht. Die EU hat sich vor allem der Energieeffizienz verschrieben. Der Anteil des aus erneuerbaren Energiequellen erzeugten Stroms ist stark angestiegen, die physikalischen Eigenschaften von regenerativ erzeugtem Strom machen es notwendig, die Marktregeln und die Vorschriften für den Netzbetrieb flexibler zu gestalten. Die noch immer stark unterschiedlichen und wenig koordinierten Vorgangsweisen und Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten führen zu Verzerrungen auf dem Stromgroßhandelsmarkt, was sich negativ auf den grenzüberschreitenden Handel und die Investitionen auswirkt, führt die Kommission ins Treffen. Auch auf technologischer Seite finden signifikante Veränderungen statt, insbesondere infolge der Digitalisierung. Der Strommarkt der nächsten zehn Jahre werde gekennzeichnet sein durch eine variablere und dezentralere Stromerzeugung, eine zunehmende Abhängigkeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie neue technologische Möglichkeiten für die KonsumentInnen, ihre Energiekosten zu verringern und mittels Laststeuerung, Eigenverbrauch oder Speicherung aktiv an den Strommärkten teilzunehmen, argumentiert die EU-Kommission ihre Initiativen zu einer Neugestaltung des Strommarktes. Strom soll jederzeit ohne Einschränkungen durch unverzerrte Preissignale dahin gelangen, wo er am meisten benötigt wird, und die Position der KonsumentInnen gleichzeitig gestärkt werden, so das formulierte Ziel der Kommission.

Viel Skepsis bei den Bundesrätinnen und Bundesräten

Die drei Gesetzesentwürfe riefen bei den Bundesrätinnen und Bundesräten eher gemischte Gefühle hervor. So äußerte Ausschussvorsitzender Edgar Mayer (V/V) große Vorbehalte im Hinblick auf unverhältnismäßigen bürokratischen Aufwand im Zusammenhang mit den Berichtspflichten und stellte auch den Kompetenzzuwachs bei ACER in Frage. Ähnlich äußerte sich Stefan Schennach (S/W), der die regionale und nationale Gestaltungsfreiheit gefährdet sieht. "Strom und Energie gehören zu jenen Bereichen, wo der Staat mitlenken muss" so Schennach, diese könne man nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Grundsätzlich hält er aber das Governance-System mit der Straffung der Berichte sowie Solidarität im Krisenfall für den richtigen Weg, auch im Sinne der von der EU angestrebten Energiesicherheit und Energieautarkie.

Den Aspekt der Energiesicherheit stellte auch Monika Mühlwerth (F/W) in den Vordergrund und betrachtete in diesem Sinne die Gesetzesvorschläge der EU durchaus positiv. Einen bejahenden Zugang hat auch Heidelinde Reiter von den Grünen (G/S). "Daraus kann etwas Gutes werden", meinte sie, das Governance-System ermögliche eine Vergleichbarkeit. Der Strommarkt sei heute enorm komplex, weshalb nicht nur eine enge Zusammenarbeit notwendig sei, sondern auch eine übernationale Regelung. Reiter begrüßte es zudem, dass sich die Mitgliedstaaten ihre Ziele selbst setzen können, was Gestaltungsmöglichkeit und Flexibilität mit sich bringe.

In Bezug auf die Befürchtungen, das Governance-System bringe einen unzulässigen bürokratischen Aufwand mit sich, meinte der Sektionschef des Wirtschaftsministeriums, es sei hier wichtig, die richtige Balance zu finden. Gemeinsame Berichtspflichten können auch die Grundlage dafür sein, voneinander zu lernen und eine fairen Austausch von Best-Practice Modellen zu ermöglichen. Nachdem von den BundesrätInnen auch die Frage aufgeworfen war, ob für das Governance-System statt einer direkt anzuwendenden Verordnung nicht auch eine Richtlinie genügen würde, wies er darauf hin, dass die Bereiche Energieeffizienz und erneuerbare Energien in Form einer Richtlinie geregelt seien. Für gemeinsame Formate im Rahmen der Berichtspflicht sei es daher naheliegend, direkt anwendbare Vorgaben zu schaffen.

Strittig sind auch mögliche Sanktionen bei Nichteinhaltung der gesetzten Ziele. Ohne Druck werde es nicht gehen, meinte etwa Stefan Schennach (S/W). Monika Mühlwerth (F/W) hingegen wies auf unterschiedliche geografische und geologische Voraussetzungen in den Mitgliedstaaten hin, wodurch einzelne Länder in nur unterschiedlicher Weise erneuerbare Energien einsetzen können. Sanktionen hält sie daher für fraglich, besser wäre für sie Hilfe zur Selbsthilfe. Dass dies ein heikles Thema darstellt, bestätigte man auch seitens des Wirtschaftsressorts.

Einen breiten Raum in der Diskussion nahmen die Strompreiszonen und  die mögliche Abkoppelung vom Süddeutschen Strommarkt ein. Ausschussvorsitzender Edgar Mayer (V/V) und Christoph Längle (F/V) unterstrichen vor allem die Problematik, sollte Vorarlberg vom nachbarlichen Markt getrennt werden. Ein ähnliches Problem ortete Ferdinand Tiefnig (V/O) aus oberösterreichischer Sicht. Aus diesem Grund wurde auch der Kompetenzzuwachs von ACER im Rahmen des Strommarktdesigns kritisch gesehen.

Wie der Experte des Wirtschaftsressorts feststellte, hat Österreich in dieser Frage eine eher schwache Verhandlungsposition gegenüber Deutschland, da es kein Abkommen gebe und Deutschland die Trennung einseitig vollziehen könne. Es gebe auch keine europäische Rückendeckung, sagte er und betonte mehrmals die Sensibilität dieser Frage.

Hinsichtlich der Regionalisierung müsse man sehr wachsam sein, damit es nicht zu unsachlichen Entscheidungen kommt, betonte er, außerdem könne man Gas und Strom nicht über einen Kamm scheren. Diese Frage zähle jedenfalls zu einer der wichtigsten im Verhandlungsprozess. Essentiell sei, dass die Festlegung der Strompreiszonen, die im Rahmen der sogenannten "Bidding Zone Review" Ende 2017 und 2018 in eine entscheidende Phase kommt, nicht als technische Angelegenheit, sondern als politisch wesentliche Entscheidung der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten erkannt wird.

Wenn die Verlagerung von Kompetenzen auf ACER auch grundsätzlich kritisch gesehen wird, sei eine Europäisierung nicht völlig negativ zu betrachten. Man sei nur gefordert, die richtige Balance zu finden. Dem schloss sich Heidelinde Reiter (G/S) an, zumal sie die Rolle der Regulierungsbehörde als außerordentlich wichtig einstufte. Diese agiere auch nicht losgelöst von der Politik, argumentierte sie gegenüber Stefan Schennach (S/W), der die Rolle von ACER weitaus kritischer bewertete. (Fortsetzung EU-Ausschuss des Bundesrats) jan


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