Parlamentskorrespondenz Nr. 1508 vom 13.12.2018

Nationalrat beschließt Sozialversicherungsreform

Regierungsfraktionen loben Jahrhundertprojekt, Opposition ortet Drei-Klassen-Medizin

Wien (PK) – Bei den Sozialversicherungen (SV) wird sich einiges ändern. Mit ÖVP-FPÖ-Mehrheit beschloss der Nationalrat heute die im Vorfeld breit diskutierte Reform der Sozialversicherungsträger. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein würdigte die Entscheidung mit den Worten "Wir schreiben Geschichte." Die Regierung zeige den Mut zu einer Reform, "die seit Jahrzehnten notwendig war". Eindeutige Gewinner der Sozialversicherungsreform seien die Versicherten. Die Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ pflichteten ihr bei, die Vorteile der verschlankten Sozialversicherungsstruktur würden für die PatientInnen durch eine bessere ärztliche Versorgung und mehr Leistungsgerechtigkeit spürbar. "Daher gibt es große Zustimmung für die Reform", befand Dagmar Belakowitsch (FPÖ).

Ganz anders der Tenor unter den Oppositionsparteien: SPÖ und JETZT sehen in der Strukturreform den Anfang einer "Drei-Klassen-Medizin" und übten massive Kritik an der Neuaufstellung der Entscheidungsgremien in den Kassen. Dabei würden die Interessen der Arbeitgeberseite über Gebühr gestärkt. Von einer echten Leistungsharmonisierung könne bei der Reform keine Rede sein, stimmten die NEOS in die Kritik ein. Gerald Loacker (NEOS) verwies beispielsweise auf Privilegien bei den Krankenfürsorgeanstalten für öffentlich Bedienstete, die man nicht antasten wolle, zulasten der ArbeiterInnen und ArbeitnehmerInnen. "Die FPÖ ist im Liegen umgefallen", erklärte SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner das Zustandekommen des Reformgesetzes. "Sie hat ihre Wähler und Wählerinnen auf Geheiß der ÖVP verraten."

Das sogenannte Sozialversicherungs-Organisationsgesetz führt unter anderem zu einer Reduktion der Sozialversicherungsträger von 21 auf 5, heißt es im Regierungsvorschlag. Die Gebietskrankenkassen werden in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengefasst, die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft mit jener der Bauern zur Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) verschmolzen und die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau mit der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter zur neuen BVAEB fusioniert. Erhalten bleiben die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), wobei Letztere eine Reihe von Sparauflagen zu erfüllen hat. An die Stelle des Hauptverbands tritt künftig ein verschlankter Dachverband, die Zahl der FunktionärInnen sinkt. Gleichzeitig sollen UnternehmervertreterInnen in der neuen Selbstverwaltung mehr Einfluss in den Kassen bekommen sowie die Aufsichtsrechte des Sozialministeriums und des Finanzministeriums ausgeweitet werden.

Während der Debatte brachten Abgeordnete der Regierungsfraktionen und der Opposition mehrere Anträge zur Gesetzesvorlage ein. Mehrheitlich Zustimmung erhielten zwei Abänderungsanträge von ÖVP und FPÖ sowie ein Entschließungsantrag der Koalitionsparteien, mit dem die Bundesländer weiterhin die Möglichkeit zur Nutzung der Rücklagen der Gebietskrankenkassen erhalten. Nur eine Minderheit billigte die NEOS-Vorschläge zur Sozialversicherungsreform, festgehalten in einem Abänderungs- und einem Entschließungsantrag. Genauso mehrheitlich abgelehnt wurden ein Entschließungsantrag von JETZT zur Selbstverwaltung und ein Antrag auf Rückverweisung des Gesetzesentwurfs in den Sozialausschuss.

Neben der Sozialversicherungsreform beschloss der Nationalrat heute mehrheitlich eine weitere Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG): jene zur Telerehabilitation , wobei ergänzend auch das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz (GSVG), das Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) und das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert wurden. Mit einem im Rahmen der Sitzung von den Koalitionsparteien eingebrachten Abänderungsantrag wird festgelegt, dass Zeitungskolporteure und -zustellerInnen künftig jedenfalls nach dem GSVG – und nicht nach dem ASVG – pflichtversichert sind.

Die Debatte über die Reform wurde über weite Strecken sehr emotional geführt, was die Vorsitzenden, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Zweite Präsidentin Doris Bures, auch mehrfach zum Einschreiten veranlasste. Neben Ermahnungen und dem Ersuchen, die Debatte sachlich zu führen, wurden auch einige Ordnungsrufe, etwa an Josef Muchitsch (SPÖ) für den Vorwurf der Lüge, ausgesprochen. Sobotka entschied sich nach wiederholten gleichartigen "tatsächlichen Berichtigungen" außerdem dazu, diese an das Ende der Debatte zu verlegen, was ihm Kritik vom geschäftsführenden Klubobmann der SPÖ Jörg Leichtfried einbrachte. Bures verzichtete später darauf, diese Praxis weiterzuführen. Die SPÖ opponierte mit mehrfachen tatsächlichen Berichtigungen, insbesondere gegen die Darstellung, dass die 21 Sozialversicherungsträger zu 5 zusammengeführt werden, und verwies auf die – in anderer Form – weiterbestehenden Betriebskrankenkassen und die Versorgungsanstalt des Notariats (Details zur Sozialversicherungsreform siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1209/2018 ).

Opposition bezweifelt veranschlagte Einsparungen…

Im Zeitraum 2020 bis 2023 erwartet die Regierung mit der Reform kumulierte Einsparungen bei Verwaltungs- und Sachaufwand im Ausmaß von 1 Mrd. €, stößt bei der Opposition damit aber auf große Zweifel. "In der Luft zerfetzt" hätten Rechnungshof und parlamentarischer Budgetdienst die Berechnungen in der Regierungsvorlage, hielt JETZT-Klubobmann Bruno Rossmann ÖVP und FPÖ "Zahlentrickserei" vor. Daniela Holzinger-Vogtenhuber, Sozial- und Gesundheitssprecherin der Liste JETZT, stellte aus Sorge um massive Einsparungen bei den Gesundheitsleistungen in den Bundesländern infolge der Kassenreform einen Rückverweisungsantrag. Das Gesetz müsse im Sozialausschuss nochmals eingehend diskutiert werden, zumal die Einsparungssumme von 1 Mrd. € im Gesetzestext nirgends aufscheine. Außerdem forderte sie, die demokratische Legitimität der Selbstverwaltung der Sozialversicherung durch die Einführung einer Sozialwahl zu stärken. Die Versicherten müssten die Kontrolle über die Verwendung ihrer Beiträge beibehalten.

…warnt vor "Drei-Klassen-Medizin"

SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner stellte die angekündigte "Patientenmilliarde" ebenfalls in Abrede, wie auch die übrigen Versprechen der Regierung im Zusammenhang mit der Sozialversicherungsreform. Statt gleicher Gesundheitsleistungen für alle Bürgerinnen und Bürger gebe es künftig eine "Drei-Klassen-Medizin", in der die sieben Millionen ÖKG-Versicherten die "großen Verlierer" darstellten, so Rendi-Wagner. Die Strukturen würden dabei nicht schlanker, vielmehr richte die Regierung eine zusätzliche "fette" Verwaltungsebene in der Österreichischen Gesundheitskasse ein, mit ausgeweitetem Einfluss der Wirtschaft. Für die Patientenversorgung bliebe da keineswegs mehr Geld übrig, betonte die Klubobfrau, die im Gegenteil die Einführung von Selbstbehalten und Ambulanzgebühren herandrohen sieht. "Brandgefährlich für das solidarische Gesundheitssystem" nannte sie das Handeln der Regierung, werde damit doch eine "gut funktionierende, ausfinanzierte Gesundheitsversorgung aufs Spiel gesetzt". Rossmann nimmt wie SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch außerdem an, "der Gesundheitsbereich soll für den privaten Markt geöffnet werden", immerhin verschiebe sich im neuen Selbstverwaltungssystem der Sozialversicherungen der Einfluss zugunsten der Arbeitgeberseite. Im Rahmen einer "rücksichtslosen Machtpolitik" installiere die Regierung neue Posten für ihre eigenen FunktionärInnen, so Muchitsch. "Da geht es Ihnen nicht um die Versicherten."

Anhand einer Tafel am Rednerpult wies er auf vergleichsweise niedrige Verwaltungskosten im bisherigen Sozialversicherungssystem hin, das nicht zuletzt aufgrund seines vielfältig besetzten  Funktionärskreises die beste Versorgung für die gesamte Bevölkerung sichergestellt habe. Dieses System werde nun zerstört, prophezeite Muchtisch wie schon Rendi-Wagner eine Drei-Klassen-Medizin, mit weniger Leistungen für den Großteil der PatientInnen. Die SPÖ werde alles tun, um die Reform, die eine Reform für Großkonzerne, privat Versicherte und Reiche sei, beim Verfassungsgerichtshof zu Fall zu bringen. Die SPÖ-Abgeordneten Rainer Wimmer, Gabriele Heinisch-Hosek, Alois Stöger und Verena Nussbaum bekräftigten die Reformkritik ihrer Partei. So ortet Stöger etwa eine "Rückkehr in das 18. Jahrhundert". Die Regierung führe das Verhältnis von Herr und Knecht wieder ein. Nicht mehr die ArbeitnehmerInnen würden künftig darüber entscheiden, welche Gesundheitsleistungen sie für ihre Beiträge erhalten, sondern die UnternehmerInnen. Schon die erste schwarz-blaue Regierung habe mit der Einführung von Selbstbehalten und Ambulanzgebühren viel Schaden angerichtet, sagte Stöger, diese Politik werde nun fortgesetzt. "Warum fahren Sie das Gesundheitssystem gegen die Wand?" wollte auch Nussbaum wissen und sprach von einer Enteignung der ArbeitnehmerInnen und dem "größten Diebstahl der Zweiten Republik". Wimmer ist überzeugt, Bauern, Selbständige und BeamtInnen werden weiterhin bessere Leistungen erhalten, während die Österreichische Gesundheitskasse zur "Kasse der Armen" mutiere.

Stöger und Muchitsch wandten sich darüber hinaus gegen das ständige "Schlechtmachen" von FunktionärInnen durch die Regierungsparteien. Es seien die FunktionärInnen, die dafür sorgen, dass ein System funktioniert, machte Stöger geltend. Auch die Behauptung, die Sozialversicherungen würden Reformen verweigern, wiesen er und seine FraktionskollegInnen zurück. Die Betriebskrankenkassen hätten längst damit begonnen, ihre Leistungen zu harmonisieren und andere Reformschritte zu setzen, sagte Heinisch-Hosek, die in der Regierungspolitik eine Gefährdung des sozialen Friedens und der Demokratie ausmacht.

…und prangert parteipolitisches Kalkül an

"Die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger entpuppt sich als Schmäh", zeigte sich Beate Meinl-Reisinger, Klubobfrau der NEOS, entrüstet. Tatsächlich seien nur die Gebietskrankenkassen betroffen, die übrigen Krankenkassen blieben "unangetastet". Die sogenannte Patientenmilliarde gebe es ebenso wenig wie verbesserte Leistungen oder mehr Kassenärzte, stattdessen würden lediglich die Funktionäre und Funktionärinnen "umgefärbt". Das Gesetz sei wahrscheinlich verfassungswidrig, bestätigte sie Muchitsch mit Blick auf die Neuausrichtung der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen. NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker findet ebenfalls, bei der Reform gehe es vorrangig um politisches Kalkül, das im Austausch roter FunktionärInnen mit türkisen und blauen EntscheidungsträgerInnen resultiere. Die Zusammenlegungen der Sozialversicherungen führten nicht wie versprochen zu Leistungsharmonisierungen und Einsparungen, da die Strukturen innerhalb der neuen Träger unverändert blieben bzw. sozialdemokratisch geprägte Versicherungen wie jene der Eisenbahner an solche mit ÖVP-Mehrheit, konkret die Beamtenversicherung, gekoppelt würden.

Nötig ist aus Loackers Sicht vor allem ein Risikostrukturausgleich zwischen den Trägern, sodass die Gesundheitskosten unter den Versicherungen gleichmäßig aufgeteilt werden. Mit einem Entschließungs- und einem Abänderungsantrag versuchte er, die ihm zufolge erforderlichen Sozialrechtsänderungen anzustoßen. Unter anderem sollten zwecks bedarfsgerechter Finanzierung der Gebietskrankenkassen die Arbeitsunfall-Versicherung umfassend reformiert und die "Hebesätze" der Pensionsversicherung, über die aus Beiträgen der Erwerbstätigen die PVA finanziert wird, gesenkt werden.

ÖVP und FPÖ: Reform bringt mehr Geld für Patientenversorgung…

"Die größte Reform der Sozialversicherungen" werde heute beschlossen, traten die RednerInnen von ÖVP und FPÖ den Aussagen der Opposition entschieden entgegen. FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch verurteilte besonders die Haltung der SPÖ, unter deren Führung des Sozialressorts trotz jahrzehntelanger Diskussionen über eine Sozialversicherungsreform eine solche nicht zustande gekommen sei. "Verlierer sind die roten Funktionäre, die gestern auf der Straße gestanden sind und Ambulatorien zugesperrt haben", richtete sie den SozialdemokratInnen aus, keineswegs die erwähnten sieben Millionen ÖKG-Versicherten. In deren Interesse reduziere man nun die SV-Funktionärszahl und modernisiere die Versicherungsstruktur, sodass sie den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts gerecht werde. ÖVP-Klubobmann August Wöginger zog nach: ArbeiterInnen und ArbeitnehmerInnen würden mit der Reform bundesweit für gleiche Beiträge die gleichen Leistungen erhalten, anstatt ihre Beitragszahlungen in der Verwaltung verschwinden zu sehen. "Wir halten, was wir versprochen haben."

Die Strukturen der Sozialversicherungsträger würden dank der Zusammenführung verschlankt, ohne die Bediensteten deswegen zu entlassen oder Spitäler zu schließen. Die früheren Regierungen seien bei derartigen Vorhaben immer an den SPÖ-Funktionärsstrukturen gescheitert, die jetzige handle hingegen im Sinne der Patientinnen und Patienten. Wöginger ist im Übrigen überzeugt, dass die Kassenreform verfassungskonform ist. Ausdrücklich wiesen Wöginger und FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus außerdem darauf hin, dass die Auflösung der Betriebskrankenkassen eine Muss-Bestimmung im Gesetz sei. Daher sei die Darstellung, dass sich die Zahl der Sozialversicherungsträger von 21 auf 5 reduziere, richtig.

…verschlankt die Verwaltung

Die tatsächliche Zahl der Versicherungen sei für die Versicherten völlig uninteressant, meinte FPÖ-Mandatarin Brigitte Povysil, Vorsitzende im Gesundheitsausschuss. Wichtig sei den PatientInnen, ausreichend Kassenärzte vorzufinden sowie medizinische Leistungen einfacher und auf gleich hohem Niveau zu erhalten. Aus diesem Grund reformiere die Regierung nun das veraltete, komplizierte und ungerechte Sozialversicherungssystem, wobei verschlankten Träger und die reduzierte Funktionärszahl die nötigen Einsparungen zur besten Patientenversorgung sicherstellen würden, umschrieb Povysil den Hauptnutzen der Reform mit dem Wort "Effizienz". Gestärkt werde dabei der niedergelassene Bereich, die Länder erhielten aus einem Investitionsfonds Gesundheit jährlich 200 Mio. €. Eine unterschiedliche Behandlungen von PatientInnen abhängig von ihrer Versicherung sei mit dem Reformgesetz ausgeschlossen. Michael Hammer (ÖVP) war völlig einer Meinung, das neue System führe zu einer Leistungsharmonisierung, wovon die Versicherten profitieren würden. Hammer brachte überdies einen Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen ein, wonach den Bundesländern die Leistungssicherungsrücklagen der ÖGK jedenfalls weiterhin zustehen. Der Antrag wurde mehrheitlich angenommen.

Hinter die Reform stellten sich auch Rebecca Kirchbaumer (ÖVP), Werner Neubauer (FPÖ), Georg Strasser (ÖVP), Angelika Kuss-Bergner (ÖVP) und Klaus Fürlinger (ÖVP). Mit dem vorliegenden Paket werde umgesetzt, was seit Jahrzehnten gefordert wird, sagte Kirchbaumer. Durch die Zusammenlegung der Sozialversicherungen könne die Zahl der 20.000 Beschäftigten in den nächsten zehn Jahren um rund 30% reduziert werden. Anders als die Opposition behaupte, würden keine Krankenhäuser geschlossen, keine ÄrztInnen entlassen und keine Leistungen gekürzt, sondern im System und in der Verwaltung gespart.

Das hoben auch Kirchbaumers Fraktionskollegen Strasser und Fürlinger hervor. Es komme zu schlankeren Strukturen bei gleichzeitiger Beibehaltung der Bürgernähe, unterstrich Strasser. Auch bei der Leistungsharmonisierung sieht er die Politik am richtigen Weg. Sie sei stolz, an der Reform mitwirken zu dürfen, ergänzte Kuss-Bergner: Es wäre "der reinste Wahnsinn" würde man alles beim alten lassen und gleichzeitig hoffen, dass sich etwas ändert. Fürlinger meinte in Richtung SPÖ, man könne "Verschwörungstheorien und Mythen" nicht im Raum stehen lassen.

…und beendet teuren Stillstand

Seitens der FPÖ hob Werner Neubauer die Notwendigkeit hervor, mit "den Privilegien und der Parteibuchwirtschaft" in den Sozialversicherungsanstalten aufzuräumen. Seit 30 Jahren gebe es entsprechende Versuche, nun würden endlich die richtigen Reformschritte gesetzt. Eine "paradoxe Situation" machte Gerhard Kaniak aus. Die vor mehr als hundert Jahren gegründeten Sozialversicherungen hätten "Großartiges geleistet", doch habe in den letzten drei Jahrzehnten hier Stillstand geherrscht, was zu immer höheren Kosten ohne Leistungsverbesserung geführt habe. Mit einem ÖVP-FPÖ-Abänderungsantrag nahm Kaniak auf den rotierenden Vorsitz im Dachverband der Sozialversicherungen Bezug. Die jährlich zwischen den Obleuten der Sozialversicherungsträger wechselnde Vorsitzführung habe demnach "aus der Mitte der Konferenz" – dem geschäftsführenden Organ des Dachverbands - gewählt zu werden. Ein weiterer in der Debatte eingebrachter Abänderungsantrag der Regierungsfraktionen soll im Fall des gleichzeitigen In-Kraft-Tretens des Pensionsanpassungsgesetzes 2019 und des Sozialversicherungs-Organisationsgesetzes Rechtssicherheit schaffen. Beiden Abänderungen der Gesetzesvorlage stimmte die Nationalratsmehrheit zu.

Hartinger-Klein: Größte Sozialversicherungsreform der Zweiten Republik

Der Nationalrat beschließe heute die "größte Reform der Zweiten Republik" im Bereich der Sozialversicherungen (SV), dankte Bundesministerin Hartinger-Klein den Abgeordneten. Aus der neuen Trägerstruktur und dem verschlankten Dachverband ergäben sich bessere Leistungen für die Versicherten. Nicht nur würden Verwaltungskosten eingespart, das System werde mit weniger Entscheidungsträgern auch "agiler". Das von der Opposition angezweifelte Einsparungsvolumen von 1 Mrd. € beruhe auf den erwarteten 30%-igen Einsparungen bei Personal und Sachaufwendungen pro Jahr, wobei sich die Kosten der Trägerzusammenlegung jährlich amortisieren würden. Das verstärkte Aufsichtsrecht des Bundes ist laut Hartinger-Klein zur Gewährleistung von Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in der SV-Gebarung notwendig. Ungeachtet der Sparmaßnahmen bei der Verwaltung werde das Budget für Gesundheitsleistungen nicht kleiner, unterstrich die Ministerin: "Das Beitragsvolumen wird nicht weniger, das garantiere ich."

Den mehrmals von SPÖ, NEOS und JETZT geäußerten Vorwurf, die im Gesetz festgehaltene Reduktion der Sozialversicherungsträgerzahl von 21 auf 5 entspreche nicht der Realität, ließ Hartinger-Klein nicht gelten. Übersehen werde die Möglichkeit der bestehenden Betriebskrankenkassen, in die ÖGK hineinzuoptieren oder zu einer privaten Gesundheitseinrichtung zu werden. Die Notariatskasse wandle man in eine eigenständige Berufsversorgungsanstalt um. Innerhalb der Träger komme es zu einer "gänzlichen Harmonisierung der Leistungen", etwa durch eine bundeseinheitliche Satzung in der ÖGK. "Bei uns stehen die Patienten und die Versicherten im Mittelpunkt, nicht die Funktionäre", schloss die Sozial- und Gesundheitsministerin.

Telerehabilitation soll Therapien erleichtern

Die Gesetzesänderung zur Telerehabilitation lehnte die SPÖ als einzige Fraktion ab. Zu viele Fragen seien dabei noch offen, die in der Novelle nicht ausreichend geklärt wurden, meinte Dietmar Keck (SPÖ). So sei etwa nicht genau definiert, was unter dem Begriff "Telerehabilitation" verstanden wird und für welchen Personenkreis die Therapiemethode gedacht sei. Auch warum diese Form der Rehabilitation nur in der Pensionsversicherung, nicht aber in der Krankenversicherung vorgesehen ist, konnte er nicht nachvollziehen. Der Abgeordnete zeigte sich zudem nicht nur über die Personalintensivität der Maßnahme besorgt, sondern äußerte auch Bedenken in Bezug auf den Datenschutz. Da die Telerehabilitation in erster Linie zu Hause in den eigenen vier Wänden durch Verwendung von Webcams stattfinde, müsste man auf den Schutz des Privatlebens besonders achten. Grundsätzlich sei es aber ein unterstützenswertes Vorhaben, Maßnahmen zur Telerehabilitation zu beschließen, sagte Keck. (Fortsetzung Nationalrat) rei/gs/fan