Parlamentskorrespondenz Nr. 280 vom 19.03.2019

Unterrichtsausschuss vertagt erneut Kopftuchverbot für Volksschulkinder

Regelung soll soziale Integration an Schulen unterstützen - Opposition fordert zusätzliche Maßnahmen

Wien (PK) – Das Kopftuchverbot für Kinder an Volksschulen wurde heute vom Unterrichtsausschuss des Nationalrats erneut vertagt. Die Oppositionsparteien erwarten von der Regierung Zugeständnisse für flankierende Maßnahmen, um die soziale Integration muslimischer Mädchen umfassend zu fördern. Für die Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ wiederum ist das angedachte Verhüllungsverbot ein entscheidendes Signal, Kindern ein Heranwachsen ohne Ausgrenzung und Zwang zu ermöglichen. Die von ihnen dazu vorgeschlagene Verfassungsbestimmung im Schulrecht erfordert jedoch auch die Zustimmung von SPÖ oder NEOS im Nationalratsplenum, weswegen das Thema noch weiter diskutiert wird.

Die Hoffnung von Bildungsminister Heinz Faßmann auf einen "parteiübergreifenden Konsens" in Form einer Ausschussannahme des entsprechenden ÖVP-FPÖ-Gesetzesantrags (495/A ) erfüllte sich damit vorerst nicht. Faßmann deutete aber Überlegungen zur Umsetzung zusätzlicher Integrationsmaßnahmen an. So laufen ihm zufolge Gespräche mit den Bundesländern, den Einsatz von SchulsozialarbeiterInnen über "Kostenteilung" weiterzuführen. Grundsätzlich betonte der Minister, gemäß der Bildungsziele seien geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen, wie durch ein Kopftuch eindeutig gegeben, immer zu hinterfragen. "Mädchen sollen genauso selbstbewusst wie Buben aufwachsen", die Verhüllung einer Gruppe in der Primarstufe sei daher zu unterbinden. "Wir sind auf der Suche nach einem gemeinsamen und verbindlichen Kern in einer pluralistischen Gesellschaft", warb Faßmann für den Antrag mit Verweis auf die Menschen- beziehungsweise Kinderrechte.

Vorangegangen war dem Vertagungsbeschluss ein Expertenhearing, in dem die rechtliche und gesellschaftliche Dimension der Regelung ebenso ausgeleuchtet wurde wie deren Umsetzung in der Praxis. Als Fachleute diskutierten mit den Ausschussmitgliedern die Autorin Zana Ramadani, der Soziologe Kenan Güngör, die Verfassungsjuristen Heinz Mayer und Gerhard Hesse, sowie Ebrahim Afsah, Professor für islamisches Rechtswesen und Ethik.

Ramadani: Staat muss Kinderrechte schützen

Für die in Nordmazedonien geborene deutsche Autorin und Patriarchatskritikerin Zana Ramadani werden junge Mädchen durch ein Kopftuch um ihre Kindheit und ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung gebracht. Das von der österreichischen Regierung angestrebte Verbot schütze "Freiheit und Kinderrechte", verhindere eine Frühkonditionierung der Betroffenen und stelle somit einen wichtigen Schritt gegen die Ausbreitung des islamischen Fundamentalismus dar. Jungen Mädchen ein Kopftuch aufzuzwingen, ist für Ramadani "Missbrauch", der zu psychischen Schäden und Ausgrenzung aus dem öffentlichen Raum führe, denn Kinder würden dadurch auf ihre sexuelle Komponente reduziert. "Auch wenn nur ein Kind betroffen ist", müssten die Abgeordneten für das Verbot stimmen, denn das wäre "ein Einzelfall zu viel". Wenn der Staat hier nicht handle, mache er sich mitschuldig.

Afsah: Kein Kopftuchgebot für Volksschulkinder im Islam

Professor Afsah, der am Institut für Islamisch-theologische Studien der Universität Wien Rechtswesen und Ethik lehrt, bestätigte, der Staat habe zu entscheiden, wo das Kindeswohl durch spezifische Auslegungen einer Religion gefährdet ist. "Hindernisse der Chancengleichheit sind aus dem Weg zu räumen." Abgesehen davon sehe der Islam für Kinder bis zum Ende des zehnten Lebensjahres "kein religiöses Gebot der Verschleierung vor", hielt der Islamrechtsexperte fest. Gegenüber den Grundrechten auf Religionsfreiheit und dem Recht der Eltern auf religiöse Erziehung ihrer Kinder sei die Umsetzung des Kopftuchverbots für den beabsichtigten Personenkreis also kein großes Problem. Die Praxis des Kopftuchtragens vor der Geschlechtsreife führt Afsah auf Entwicklungen des politischen Islam zurück, wobei er auf den zunehmendem Einfluss Saudi Arabiens auf muslimische Gemeinden im Ausland hinwies.

Mayer: Kopftuchverbot als Einzelmaßnahme wenig hilfreich

Heinz Mayer, emeritierter Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprofessor der Universität Wien, hat Bedenken, ob das Kopftuchverbot in der geplanten Form nicht mehr schadet als nützt. Zwar habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Einzelfallentscheidungen das nationalstaatliche Recht, das Kopftuch zu verbieten, bestätigt, doch blende das Verhüllungsverbot für Volksschulkinder die ganze Tragweite des Problems aus. Als Einzelmaßnahme sei das Kopftuchverbot wirkungslos zur Sicherung der Kinderrechte, zumal es nur während der Schulstunden gelte. Zu bedenken gab Mayer außerdem, dass auch Sikhs mit ihren Turbanen davon betroffen wären. In der muslimischen Gemeinschaft würde das allgemeine Verbot womöglich als Feindseligkeit begriffen werden, regte der Verfassungsexperte an, der jeweiligen Schulleitung die Entscheidungskompetenz über ein Verhüllungsverbot am Standort zu geben. Geknüpft werden müsste diese Entscheidung an den nachweislich negativen Einfluss von Kopftüchern auf die Entwicklung von Kindern in der Schülerpopulation.

Güngör: Moderate MuslimInnen nicht verängstigen

Kenan Güngör, deutscher Soziologe und Politikberater mit kurdisch-türkischen Wurzeln, warnte ebenfalls vor einem Schnellschuss in dieser Frage, deren Bedeutung er hervorhob. Konkret sprach er von einer Herausforderung für eine stark säkularisierte Aufnahmegesellschaft, angemessen mit einer verstärkten Religiosität unter muslimischen ZuwanderInnen umzugehen. Mit dem Kopftuchverbot für Volksschulkinder werde "das Pferd von hinten aufgezäumt", vermisste er einen "Gesamtentwurf" zur evidenzbasierten Lösung der Integrationsfrage. Immerhin treffe der Zwang zum Kopftuch vor allem Mädchen nach Abschluss der Volksschule. Die Regelung könnte moderate MuslimInnen – laut Güngör rund 60 bis 70 Prozent der Community - konservativen Gruppen zutreiben, die sich als Schutz vor weiteren staatlichen Einschränkungen präsentierten. Immerhin wachse die Muslimfeindlichkeit in Österreich, zitierte Güngör aus Studien, sodass muslimischen Kindern mit dem Verbot vermittelt werde "ich bin nicht gewollt".

Hesse: Kopftuchverbot auch einfachgesetzlich zu regeln

Man habe den Gesetzestext im Entwurf neutral formuliert, stellte Gerhard Hesse, Sektionsleiter des Verfassungsdiensts im Justizministerium, klar. Obwohl eine Gruppe, jene der muslimischen Mädchen, davon stärker betroffen sei als andere, versicherte er, keineswegs würde das Gesetz aufgrund indirekter Diskriminierung zu Fall gebracht. Die EGMR-Judikatur biete eine sichere Grundlage, außerdem gebe es ähnliche Bestimmungen in Frankreich, der Schweiz und der Türkei. Eigentlich bräuchte es für das Verhüllungsverbot von Volksschülerinnen keine Verfassungsbestimmung, führte Hesse die Kernpunkte des Vorschlags aus. Mit Zielen wie der besseren sozialen Integration von Kindern, dem Schutz ihres Rechts auf Teilhabe am Bildungssystem und der Gleichstellung von Mann und Frau sei der Vorrang vor dem Recht auf Religionsfreiheit ohnehin vorhanden. Schließlich erinnerte der Sektionschef noch an das bereits umgesetzte Kopftuchverbot in Kindergärten.

Regierungsfraktionen und Opposition uneins über Wirkung des Verbots

In der Debatte nahm für die FPÖ Ausschussvorsitzender Wendelin Mölzer die Anregung Hesses, das Verbot einfachgesetzlich zu regeln, auf, um der Opposition erneut ein "Angebot" auf Zustimmung zu unterbreiten. SPÖ, NEOS und JETZT gaben sich davon aber unbeeindruckt. "Reden wir darüber, was aus den SprachpädagogInnen, den IntegrationspädagogInnen, den mobilen Teams geworden ist", konterte SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid in ihrem Appell für mehr Unterstützungspersonal an Schulen. Das Kopftuchverbot an Schulen alleine ändere nichts an der Integrationsproblematik, mit der die Standorte konfrontiert seien. In die gleiche Kerbe schlugen ihre BereichskollegInnen Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) und Stephanie Cox (JETZT), die sich für zusätzliche Maßnahmen wie eine bedarfsorientierte Finanzierung der Schulstandorte stark machten.

In Cox' Augen sollte die Volksschule überhaupt ein religionsfreier Raum sein, Hoyos-Trauttmansdorff stieß sich an der Altersgrenze im Gesetzesentwurf. Bald werde wohl über eine Anhebung der Grenze nachgedacht, da der Regierungsplan zur Integrationsförderung nicht ausgereift sei. ÖVP-Abgeordnete Gertraud Salzmann hielt entgegen, natürlich nütze die kopftuchfreie Zeit an der Volksschule den Kindern, indem sie einen "Nachdenkprozess" anstoße. Konkret an Professor Mayer gewandt befand sie, die Entscheidung über ein Kopftuchverbot könne nicht der Schulleitung überlassen werden, weil dazu eine strenge Grundrechteprüfung erforderlich wäre. Ihr Parteikollege Nico Marchetti merkte an, Sikhs der betroffenen Altersgruppe trügen noch keinen Turban, wären also nicht von der Regelung erfasst. In diesem Punkt äußerte allerdings Doris Margreiter (SPÖ) einige Zweifel.

Integrationsförderung als Ziel

Mit ihrem Initiativantrag wollen die Regierungsfraktionen ÖVP und FPÖ das sogenannte Kopftuchverbot für Schülerinnen bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres als Verfassungsbestimmung im Schulunterrichtsgesetz verankern. Rechnung getragen werden sollte damit dem Ziel des österreichischen Bildungssystems, Kinder in ihrer sozialen Entwicklung beziehungsweise bei der Integration zu unterstützen. Die Orientierung an religiösen Werten dürfe nicht zu einer geschlechtsabhängigen Segregation führen, reihen die Koalitionsparteien bei der Grundrechteabwägung die Rechte von Kindern vor das Recht auf Religionsfreiheit.

Als Konsequenz bei einem Verstoß gegen das Verbot des Tragens "weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist", sieht der Gesetzesvorschlag zunächst ein klärendes Gespräch zwischen Eltern und Schulleitung vor. Nützt die dabei schriftlich festgehaltene Aufklärung über die Verbotsgründe nichts, ist eine Geldstrafe von bis zu 440 € geplant. (Fortsetzung Unterrichtsausschuss)rei


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