Parlamentskorrespondenz Nr. 207 vom 05.03.2020

Sozialausschuss: Anschober setzt bei Pflegereform auf breiten Dialog

Über Zukunft der "Hacklerregelung Neu" soll erst nach Vorliegen von mehr Daten entschieden werden

Wien (PK) – Sozialminister Rudolf Anschober hat heute im Sozialausschusses des Nationalrats seine Absicht bekräftigt, die Diskussion über die Pflegereform möglichst breit zu führen. Er rief auch die Abgeordneten auf, sich mit Vorschlägen und Ideen einzubringen, es sei an der Zeit, die schon seit langem geführte Reformdiskussion erfolgreich zu einem Abschluss zu bringen. Ziel Anschobers ist es, nach der laufenden Dialogtour in den Bundesländern im Mai mit der eigentlichen Task-Force zu starten. Im Endergebnis soll eine neue Zielsteuerungskommission – nach dem Vorbild der Zielsteuerungskommission Gesundheit – ein gemeinsames Vorgehen von Bund, Ländern und Gemeinden sicherstellen, wobei er als realistischen Zeithorizont für deren Einrichtung 2021 sieht.

Unterstützt werden die Bemühungen Anschobers um einen möglichst breiten Dialog durch eine vom Sozialausschuss einstimmig angenommene Entschließung: Der Minister wird demnach ersucht, auch verschiedene Vorschläge der SPÖ zum Thema Pflege im Rahmen der Task-Force zu prüfen und zu bewerten, wobei es etwa um die Schaffung eines Pflegegarantiefonds oder die Einrichtung von Pflegeservicestellen in allen Bundesländern geht. Der der Entschließung zugrundliegende SPÖ-Antrag wurde allerdings mit SPÖ-Grünen-NEOS-Mehrheit abgelehnt, auch ein weiterer SPÖ-Antrag und zwei FPÖ-Anträge zum Thema Pflege fanden im Ausschuss keine Mehrheit.

Kassenreform: Fusionskosten und Fusionsgewinne im Herbst besser abschätzbar

Thema einer Aussprache über aktuelle Fragen mit dem Sozialminister waren auch die Kassenreform und die im freien Spiel der Kräfte beschlossene neue Langzeitversichertenregelung, wobei sich Anschober nicht festlegen wollte, ob die abschlagsfreie Frühpension bei 45 Arbeitsjahren wieder abgeschafft wird. Bevor der politische Diskurs beginnt, brauche es validere Daten, sagte er gegenüber Abgeordneter Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Laut Anschober wurde die Alterssicherungskommission beauftragt, erste Realzahlen – z.B. welche Gruppen profitieren und wie viele Fallzahlen gibt es tatsächlich – in die Prognoserechnung einzubauen. Auf Basis dieser Daten soll dann die Entscheidung fallen.

Auch was das drohende Defizit bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) betrifft, will Anschober die weitere Entwicklung abwarten. Die im Raum stehenden 1,7 Mrd. € seien eine sehr vorsichtige Prognose, sozusagen ein Worst-Case-Szenario, hielt er zum von Abgeordnetem Alois Stöger angesprochenen Thema fest. Zudem würden einige Daten fehlen. Im September werde man genauer abschätzen können, wie hoch die Fusionskosten und die Fusionsgewinne tatsächlich sind. Leistungskürzungen für PatientInnen oder zusätzliche Selbstbehalte sind für Anschober keine Option, die Kassenreform dürfe nicht dazu führen, dass es für die PatientInnen irgendwelche Verschlechterungen gibt.  

Nur vage Auskunft gab Anschober über für heuer budgetierte Aufwendungen im Pensions- und Pflegebereich. Er wolle der Budgetrede von Finanzminister Gernot Blümel nicht vorgreifen, sagte er auf entsprechende Fragen von NEOS-Abgeordnetem Gerald Loacker. Etwaige Einsparungen durch die Ausstattung der E-Card mit einem Foto würden erst 2021 budgetwirksam.

Pflegelehre für Anschober nur in Form eines Spezialmodells vorstellbar

Zum Thema Pflegelehre merkte der Minister an, er sei strikt dagegen, dass 15-Jährige mit PatientInnen arbeiten. In diesem Sinn kann er sich nur ein Spezialmodell vorstellen, das z.B. auf ältere Lehrlinge fokussiert. Es dürfe auch nicht darum gehen, nur zu billigen Arbeitskräften zu kommen. Um dem drohenden Personalmangel im Pflegebereich zu begegnen, hält Anschober verschiedene Schritte für notwendig, wobei er offensiv auch auf jene 30.000 Betroffenen zugehen will, die zwar eine Pflegeausbildung haben, jedoch nicht (mehr) in diesem Bereich arbeiten.

SPÖ fordert Pflegegarantiefonds und Pflegeservicestellen

Die beiden von der SPÖ eingebrachten Anträge zum Thema Pflege wurden von Verena Nussbaum und Dietmar Keck erläutert. So hat die SPÖ ihre Vorstellungen von einer umfassenden Pflegereform in einem Entschließungsantrag (266/A(E)) zusammengefasst. Zu den Forderungen gehören neben der Schaffung eines Pflegegarantiefonds und der Einrichtung von Pflegeservicestellen in allen Bundesländern als zentrale Anlaufstelle für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen unter anderem auch bundesweit einheitliche Qualitätsstandards im Bereich der Pflege. Zudem drängt die SPÖ darauf, "das Modell Burgenland", also die Möglichkeit für pflegende Angehörige, ihre Leistungen in einem Dienstverhältnis zu erbringen, zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen.

Aus dem neu zu schaffenden Pflegegarantiefonds sollen nach Vorstellung der SPÖ sämtliche Pflegeleistungen finanziert werden. Dazu gilt es, die bisherigen Aufwendungen des Bundes und der Länder zusammenzuführen, zudem sollen bei Bedarf zusätzliche Budgetmittel bereitgestellt werden. Aufgabe der Pflegeservicestellen wäre es, pflegedürftige Menschen und ihre Angehörigen in allen Pflege- und Betreuungsbelangen zu unterstützen, etwa was die Evaluierung des Pflegebedarfs, die richtige Auswahl unter den verschiedenen Angeboten, Behördenwege und die Beantragung von Pflegegeld betrifft.

Ein Anliegen ist der SPÖ außerdem mehr Hilfe bei Demenzerkrankungen (265/A(E)). Konkret fordern Abgeordneter Keck und seine FraktionskollegInnen einen höheren Erschwerniszuschlag beim Pflegegeld, mehr Unterstützung für Angehörige und mehr Betreuungsangebote wie Demenz-WGs.

Für beide Anträge erhielt die SPÖ auch die Unterstützung der FPÖ. Im Bereich von Demenzerkrankungen gebe es mehrere Problemfelder, gab Christian Ragger (FPÖ) zu bedenken. Positive Erfahrungen hat man ihm zufolge in Kärnten mit dem Einsatz speziell geschulter Ärzte gemacht.

FPÖ lehnt Anwerbung von Pflegekräften aus Marokko ab

Die FPÖ selbst konnte mit ihren beiden Anträgen hingegen über ihre Fraktion hinaus niemanden überzeugen. Zum einen hatte sie neuerlich ein um 50% höheres Pflegegeld für zu Hause gepflegte Personen ab Pflegestufe 3 beantragt (211/A(E)). Zwar hat der Nationalrat bereits im Jänner eine entsprechende Initiative abgelehnt, die FPÖ hat sich davon aber nicht beirren lassen und umgehend einen neuen Antrag eingebracht. Nichts hält die FPÖ außerdem von der geplanten Initiative eines privaten Betreibers von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, angesichts des Mangels an Pflegepersonal gezielt Pflegekräfte aus Marokko anzuwerben (373/A(E)).

Es sei absurd, dass es permanent darum gehe, Leute von woanders nach Österreich zu holen, statt Ausbildungsangebote auszubauen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern, hielt FPÖ-Abgeordnete Belakowitsch dazu in der Debatte fest. Anstatt Pflegekräfte von einem anderen Kontinent zu holen, sollte man sich besser darum bemühen, die Leute im Beruf zu halten.

Auch in der Vergangenheit seien Krankenschwestern von den Philippinen geholt worden, hielt Markus Koza (Grüne) dem entgegen. Im Übrigen würde wohl auch die von der FPÖ immer wieder propagierte Pflegelehre für BürgerInnen aus Drittstaaten offenstehen, da es sich dabei um einen Mangelberuf handle. Es brauche insgesamt ein ganzes Maßnahmenbündel, um den Personalbedarf in der Pflege zu decken, ist Koza überzeugt.

Grundsätzlich eine große Übereinstimmung zwischen den Fraktionen, was notwendige Reformschritte im Bereich der Pflege betrifft, sieht Grün-Abgeordnete Bedrana Ribo. Sowohl sie als auch Ernst Gödl (ÖVP) halten eine breite Diskussion für wichtig.

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch hob unter anderem die Notwendigkeit hervor, die Arbeitsbedingungen in der Sozialwirtschaft im Allgemeinen und im Pflegebereich im Besonderen zu verbessern. Der SPÖ ist außerdem ein ausreichendes Angebot an öffentlichen Ausbildungseinrichtungen ein Anliegen. SPÖ-Abgeordneter Philip Kucher hinterfragte in diesem Zusammenhang nicht nur Schulgelder für Pflegeschulen, sondern auch Gebühren für Fachhochschul-Angebote im Pflegebereich.

Kritisch sowohl zu den Anträgen der SPÖ als auch zu jenen der FPÖ äußerte sich Gerald Loacker (NEOS). So wirft das von der SPÖ propagierte "Doskozil-Modell" seiner Ansicht nach mehr Fragen auf als es beantwortet, etwa was Urlaubsansprüche betrifft. Er befürchtet außerdem, dass die Anstellung von pflegenden Angehörigen durch die öffentliche Hand die Betroffenen in eine berufliche Sackgasse führen könnte. Die Ablehnung von Pflegekräften aus Marokko hält Loacker für unsachlich, ihm sei es grundsätzlich egal, ob diese aus Marokko oder Norwegen kommen. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs