Parlamentskorrespondenz Nr. 363 vom 23.04.2020

Verfassungsausschuss gibt grünes Licht für 12. COVID-19-Gesetz

Verstärkter Einsatz von Videotechnologie bei Verwaltungsverfahren, mehr Zeit für Integrationsprüfungen

Wien (PK) – Ein verstärkter Einsatz von Videotechnologie bei Verwaltungsverfahren und Verwaltungsstrafverfahren sowie mehr Zeit für die von Drittstaatsangehörigen abzulegende Integrationsprüfung. Das sind die Eckpunkte des 12. COVID-19-Gesetzes, für das der Verfassungsausschuss des Nationalrats heute grünes Licht gegeben hat. Zudem soll es auch AMA-Gremien ermöglicht werden, Beschlüsse im Umlaufweg bzw. per Videokonferenz zu fassen. Der Beschluss erfolgte mit den Stimmen der Koalitionsparteien, die Opposition hatte zuvor vergeblich gefordert, den Entwurf einer zweiwöchigen Begutachtung zu unterziehen. Auch andere Oppositionsanliegen, etwa was einstweilige Anordnungen des Verfassungsgerichtshofs oder das Löschverbot von Fake News im Internet betrifft, fanden keine Mehrheit

Aufgenommen hat der Ausschuss heute auch die Beratungen über Gesetzentwürfe der SPÖ und der NEOS: Sie wurden nach einer kurzen Debatte vertagt. Im Rahmen einer Aktuellen Aussprache stand die für Verfassungs- und EU-Angelegenheiten zuständige Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler den Abgeordneten Rede und Antwort.

Videoeinsatz bei Verwaltungsverfahren, Fristverlängerung für die Integrationsprüfung

Im Konkreten werden mit dem 12. COVID-19-Gesetz (437/A) Änderungen im Integrationsgesetz, im Zustellungsgesetz und im AMA-Gesetz vorgenommen. Zudem wird das im März beschlossene Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz adaptiert, insbesondere was Vorgaben für Behörden in Bezug auf die Durchführung von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsstrafverfahren in der derzeitigen Ausnahmesituation betrifft. Unter anderem geht es dabei um Einschränkungen des mündlichen Verkehrs zwischen Behörde, Parteien und anderen Beteiligten, den forcierten Einsatz von Videotechnologie auch bei mündlichen Verhandlungen und Vernehmungen sowie um Verhaltensmaßregeln in jenen Fällen, wo die physische Anwesenheit von Personen erforderlich ist, etwa bei Lokalaugenscheinen. Zudem sollen spezielle Bestimmungen gewährleisten, dass auch die Rechte von Personen, die über keine technischen Einrichtungen zur Teilnahme an audiovisuellen Verhandlungen verfügen, gewahrt bleiben.

Das Gesetz ist laut Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler notwendig, weil die im März beschlossene Fristunterbrechung für nicht dringend notwendige Verwaltungsverfahren und Verwaltungsstrafverfahren Ende April ausläuft. Die Regierung habe nicht vor, diese Fristunterbrechung per Verordnung zu verlängern, sagte sie. Es sei wichtig, dass Österreich stückweise zur Normalität zurückkehre, die Funktionsfähigkeit des Staates müsse gewährleistet sein. Die Behörden müssten aber in der Lage sein, Verfahren vom Standpunkt des Gesundheitsschutzes betrachtet, so sicher wie möglich abzuwickeln.

Opposition ortet Unschärfen und Unklarheiten

Die Befürchtung der Opposition, dass die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widersprechen könnten, teilt Edtstadler nicht. Sie hält es für vertretbar, Amtshandlungen auch in Abwesenheit betroffener Personen durchzuführen, zumal ihre nachträgliche Einbindung gewährleistet sei. Die Bestimmung, wonach der Amtsleiter bestimmte Personen von Verhandlungen ausschließen kann, wenn diese keine Schutzmaske tragen, soll aber noch nachgeschärft werden.

Die Oppositionsparteien blieben allerdings skeptisch und stimmten auf Initiative der SPÖ einhellig für die Durchführung einer Ausschussbegutachtung. So orten unter anderem Christian Drobits (SPÖ) und seine Fraktionskollegin Selma Yildirim Unklarheiten und Unschärfen im Gesetzentwurf. Yildirim ist es außerdem ein Dorn im Auge, dass Videokonferenzen nicht als Ausnahmefall normiert werden.

Seitens der NEOS sieht Felix Eypeltauer nicht ein, dass Personen per se von einer Amtshandlung ausgeschlossen werden können, wenn sie keinen Mundschutz tragen, und zwar auch in jenen Fällen, in denen Abstände von mehreren Metern eingehalten werden können. Das sei überschießend, sagte er. Zudem hält er es für problematisch, dass Personen ohne Smartphone oder andere geeignete technische Einrichtungen nicht an audiovisuellen Verhandlungen teilnehmen können. Nikolaus Scherak erinnerte an die Zusage der Regierungsparteien, künftig wieder Begutachtungen von Gesetzen durchzuführen.

ÖVP und Grüne für rasche Beschlussfassung

Seitens der Koalitionsparteien hoben Agnes Sirkka Prammer (Grüne) und Wolfgang Gerstl (ÖVP) die Notwendigkeit einer raschen Beschlussfassung des Gesetzes hervor. Die Behörden bräuchten so schnell wie möglich praxistaugliche Regelungen, die es ihnen erlaubten, den Betrieb wieder hochzufahren und notwendige Amtshandlungen wieder durchzuführen. Parteienrechte seien ein heikler Punkt, räumte Prammer ein, sie sieht aber keine Alternative zum Entwurf. ÖVP-Verfassungssprecher Gerstl gab zu bedenken, dass das Gesetz im Falle einer Begutachtung frühestens Anfang Juni in Kraft treten könnte, was in Anbetracht des bevorstehenden Auslaufens der Fristunterbrechung viel zu spät sei. Als Bürgermeister sei es ihm wichtig, dass auch Bauverhandlungen per Videokonferenz abgehalten werden können, sagte ÖVP-Abgeordneter Johann Singer.

Mehr Zeit für die Ablegung von Integrationsprüfungen

Keine Einwände äußerten die Oppositionsparteien in Bezug auf die geplante Änderung des Integrationsgesetzes. Da derzeit keine Integrationsprüfungen zur Erfüllung des Moduls I abgenommen werden und betroffenen Drittstaatsangehörigen außerdem eine Kursteilnahme de facto nicht möglich ist, wird die Frist für die Ablegung der Integrationsprüfung bis 31. Oktober, mit begleitenden Fristhemmungen, verlängert. Die Änderung des AMA-Gesetzes hat zum Ziel, auch dem AMA-Verwaltungsrat und dem AMA-Kontrollausschuss Beschlüsse befristet im Umlaufweg bzw. per Videokonferenz zu ermöglichen.

FPÖ fordert Erweiterung des AMA-Verwaltungsrats

Die FPÖ nahm die Änderung des AMA-Gesetzes zum Anlass, um ihre alte Forderung nach einer Erweiterung des AMA-Verwaltungsrats zu bekräftigen. Neben VertreterInnen der Sozialpartner sollen dem Gremium demnach auch VertreterInnen der Parlamentsparteien angehören. Susanne Fürst und Peter Schmiedlechner erwarten sich davon eine bessere Vollziehung und Kontrolle, auch was die der AMA übertragenen Auszahlungen von Unterstützungsleistungen an LandwirtInnen aus dem Härtefallfonds betrifft. Ein entsprechender Antrag der FPÖ (442/A) fand über die eigene Fraktion hinaus jedoch keine Unterstützung. Es wäre problematisch, Gesetzgebung und Vollziehung miteinander zu vermischen, zudem seien auch in anderen Unternehmen öffentlichen Rechts keine VertreterInnen der Parlamentsparteien im Aufsichtsgremium, begründeten Singer und Nikolaus Berlakovich (ÖVP) ihre Ablehnung.

Opposition urgiert verfassungsrechtliche Prüfung aller COVID-19-Verordnungen und -Erlässe

Von den anderen beiden Oppositionsparteien mitunterstützt wurde hingegen die Forderung der FPÖ (477/A(E)), sämtliche Verordnungen und Erlässe im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise auf ihre Gesetzes- und Verfassungskonformität zu überprüfen und gegebenenfalls abzuändern oder aufzuheben. Die FPÖ hatte den Vorstoß mit dem Hinweis auf wachsende Kritik nicht nur seitens der Bürgerinnen und Bürger, sondern auch aus dem Kreis ausgewiesener Verfassungs- und VerwaltungsexpertInnen begründet. Angesichts von Verordnungen, die den zulässigen Rahmen sprengten, und vieler anderer Unklarheiten, noch dazu in Verbindung mit hohen Strafen, sei eine rasche Evaluierung ganz wichtig, bekräftigte Susanne Fürst. Auch Nikolaus Scherak (NEOS) und Thomas Drozda (SPÖ) erachten eine Prüfung durch den Verfassungsdienst für dringend geboten.

Grün-Abgeordnete Astrid Rössler qualifizierte eine explizite Aufforderung an die zuständigen MinisterInnen angesichts der bereits erfolgten Nachjustierungen hingegen als überflüssig. Zudem verwies sie darauf, dass alle Sondergesetze und -verordnungen ein Ablaufdatum haben. Auch bei der Strafhöhe habe man nachgebessert. Eine nachträgliche Evaluierung nach Bewältigung der Krise wäre aber sinnvoll, um Lehren für die Zukunft zu ziehen, meinte Rössler und begründete damit die Vertagung der Initiative.

Kanzleramtsministerin Edtstadler wies auf die von Gesundheitsminister Rudolf Anschober eingesetzte Expertengruppe hin, in der auch der Verfassungsdienst vertreten ist.

FPÖ will Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Internet gesetzlich verankern

Ein weiteres Anliegen ist der FPÖ die Erarbeitung einer Regierungsvorlage, die das Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Internet absichern soll (476/A(E)). Beiträge von Nutzern auf Plattformen oder deren Profile sollen demnach nicht ohne Angabe von Gründen gelöscht oder gesperrt werden dürfen, zudem sollten verifizierte Nutzer das Anrecht auf umgehende Wiederherstellung gelöschter Beiträge erhalten. Ansonsten sollten gelöschte Beiträge anonymisiert unter Nennung des Löschgrunds veröffentlicht werden.

Hintergrund für die Initiative ist die Einrichtung eines digitalen Krisenstabs der Bundesregierung, der es sich laut Susanne Fürst auch zur Aufgabe gemacht hat, Fake News im Internet zu suchen. Die FPÖ ortet eine schleichende Zensur und gibt zu bedenken, dass sich Faktenlagen ändern könnten, wie sich etwa bei der Beurteilung von Schutzmasken gezeigt habe. "Wir sind alle mündige Bürger", betonte Fürst, als solche könne man zwischen seriösen und unseriösen Nachrichten unterscheiden. Zudem habe jeder das Recht, auch Unsinn von sich zu geben.

Bei der Abstimmung unterstützt wurde der Antrag allerdings nur von den NEOS. Fake News seien eine enorme Bedrohung für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsbildung, machte

Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) geltend und verwies gleichzeitig darauf, dass viele Falschnachrichten aus Russland kommen. Auch Kanzleramtsministerin Edtstadler hält Desinformation für ein "Riesenthema". In diesem Sinn erachtet sie es für wichtig, eine Stelle im Bundeskanzleramt zu haben, die Falschmeldungen aufspürt, um diese richtigzustellen. Die Regierung übe aber keinen Druck auf Facebook & Co aus, um Beiträge zu löschen, verwahrte sie sich gegen entsprechende Andeutungen.

NEOS: VfGH soll einstweilige Anordnungen erlassen können

Um Grund- und Freiheitsrechte sorgen sich auch die NEOS. Wenn Gesetze oder Verordnungen angefochten werden, stehe in der Regel erst nach monate- bzw. sogar jahrelangem Verfahren fest, ob eine freiheitsbeschränkende Maßnahme verhältnismäßig und mit den Grundrechten vereinbar ist, kritisieren sie und plädieren in diesem Sinn für eine Änderung der Bundesverfassung (444/A(E)). Analog zum Bundesverfassungsgericht in Deutschland soll auch der VfGH im Zuge einer Normenprüfung eine vorläufige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile erlassen können. Gerade in der Krise wäre eine solche Möglichkeit wichtig, argumentiert Nikolaus Scherak.

Zustimmend zum Antrag äußerte sich allerdings lediglich die SPÖ. Er verstehe zwar die Zielsetzung des Antrags, sagte ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl, halte aber wenig davon, in einer Krise an den Grundpfeilern der Verfassung "herumzudoktern", zumal der Verfassungsgerichtshof bei Bedarf auch jetzt schon schnelle Entscheidungen treffen könne. Auch Agnes Sirkka Prammer (Grüne) warnte vor einem solchen Schritt. Ihrer Meinung nach wäre es ein "massiver Eingriff in bestehende rechtsstaatliche Strukturen", sollte man dem Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit einräumen, vom Parlament beschlossene Gesetze zu suspendieren. In Deutschland sei diese Norm aus gutem Grund totes Recht. Ähnlich argumentierte auch FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst: Sie hält das derzeitige System der nachträglichen Normenkontrolle durch den VfGH für sinnvoll und wandte sich gegen eine weitere Aufwertung des Verfassungsgerichtshofs.

Dass der Antrag schließlich vertagt und nicht abgelehnt wurde, begründete Gerstl damit, dass nichts dagegen spreche, einmal mit dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs zu erörtern, ob dieser zusätzliche Instrumente brauche.

NEOS fordern transparente und übersichtliche Kundmachung von Verordnungen

Mehr Erfolg könnte eine weitere Initiative der NEOS haben. Um Bürgerinnen und Bürgern den Überblick über geltende behördliche Anordnungen zu erleichtern, sprechen sich Nikolaus Scherak und seine FraktionskollegInnen dafür aus, sämtliche Verordnungen, die von Bund, Ländern oder Bezirksverwaltungsbehörden im Zuge der Corona-Krise erlassen wurden, gebündelt im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) darzustellen (445/A(E)). Gerade Verordnungen auf Bezirksebene seien derzeit zum Teil nur sehr schwer zu finden, moniert Scherak.

Zwar wurde auch dieser Antrag heute vertagt, ÖVP-Verfassungssprecher Gerstl zeigte aber viel Sympathie für das Anliegen. Er will in diesem Sinn mit allen Parteien über eine gemeinsame Initiative verhandeln. Die Diskussion, was alles in das RIS aufgenommen werden könne, laufe schon länger, skizzierte er. Laut Kanzleramtsministerin Edtstadler gibt es Pläne, alle Normen auch über die Website österreich.gv.at zugänglich zu machen. Sie habe auch schon Gespräche mit Städten und Gemeinden geführt, um diese zu bewegen, soviel wie möglich in das RIS einzuspeisen. (Fortsetzung Verfassungsausschuss) gs