Parlamentskorrespondenz Nr. 745 vom 02.07.2020

Sozialausschuss billigt Entlastungspaket für bäuerliche Betriebe

Solidaritätsbeitrag von PensionsbezieherInnen wird gestrichen, "fiktives Ausgedinge" reduziert

Wien (PK) – Die Regierung hat zur Abfederung der Auswirkungen der Corona-Krise zuletzt auch vereinbart, bäuerliche Betriebe nachhaltig zu entlasten. Dazu gehören insbesondere auch Änderungen im Sozialversicherungsrecht, die heute mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und FPÖ den Sozialausschuss des Nationalrats passierten. Das Maßnahmenbündel soll rückwirkend mit Anfang Jänner in Kraft treten und wird das Budget des Bundes bzw. die Sozialversicherung mit insgesamt rund 27 Mio. € jährlich belasten. Kritik daran kam insbesondere von der SPÖ und den NEOS, sie sehen hier eine ungerechtfertigte Bevorzugung von bäuerlichen PensionistInnen gegenüber anderen Gruppen.

Konkret sehen die Novelle zum Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) und begleitende Änderungen im ASVG und im GSVG (284 d.B.) vor, den im Bereich des BSVG-Pensionsrechts geltenden Solidaritätsbeitrag in der Höhe von 0,5% ersatzlos zu streichen. Das heißt, dass alle Pensionen und Pensionssonderzahlungen künftig abzugsfrei zur Auszahlung gelangen. Zudem wird das so genannte "fiktive Ausgedinge" Pensionen in Hinkunft in einem geringeren Umfang als bisher schmälern, da nur noch 10% statt 13% auf die Pensionsleistung angerechnet werden. Die Mindestbeitragsgrundlage im Bereich der Krankenversicherung wird – analog zum ASVG und zum GSVG – auf 446,81 € gesenkt. Bisher lag sie bei 824,51 € für Einheitswertbetriebe und 1.549,35 € für sogenannte "Optionsbetriebe" ohne steuerliches Einkommen. Auch der SV-Beitragszuschlag von 3% für Optionsbetriebe entfällt.

Verbesserungen gibt es darüber hinaus für Kinder von LandwirtInnen, die hauptberuflich am Hof mitarbeiten. Ihre Pensionsbeitragsgrundlage wird bis zum 27. Lebensjahr von einem Drittel auf die Hälfte der Beitragsgrundlage des Betriebsführers bzw. der Betriebsführerin erhöht, wobei der Bund die anfallenden Mehrkosten für die öffentliche Hand zur Gänze übernimmt. Die Einführung des Pensionskontos mit längeren Durchrechnungszeiten habe dazu geführt, dass mitarbeitende Kinder mit einer niedrigeren Pension rechnen müssten, zumal viele Höfe erst nach dem 30. Lebensjahr übernommen würden, wird dieser Schritt begründet.

Als größten Kostenbrocken weisen die finanziellen Erläuterungen die Streichung des Solidaritätsbeitrags mit rund 10,6 Mio. € sowie die Senkung des fiktiven Ausgedinges mit rund 9 Mio. € (Werte jeweils für 2020) aus. Die Senkung der Mindestbeitragsgrundlage bei der Krankenversicherung wird zu jährlichen Mindereinnahmen von rund 6,6 Mio. € führen.

Eine "Unverschämtheit" nannte SPÖ-Abgeordneter Alois Stöger das Vorgehen der ÖVP bei diesem Gesetzespaket. Aus seiner Sicht erfolge unter dem Vorwand des Ausgleichs von COVID-19-Folgen eine nicht zu rechtfertigende Bevorzugung einzelner Gruppen, nämlich der bäuerlichen PensionistInnen und der JunglandwirtInnen. Sein Fraktionskollege Christian Drobits betonte, die SPÖ schätze selbstverständlich die Leistungen der Bäuerinnen und Bauern und wisse auch, dass viele nur eine geringe Pension beziehen. Das gelte aber auch für andere Gruppen, die ebenfalls berechtigte Ansprüche hätten. SPÖ-Mandatar Markus Vogl stieß ins selbe Horn und sagte, es sei nur schwer erklärbar, warum man für eine Gruppe massive Eingriffe ins Pensionssystem ohne weiteres beschließen könne und andere Gruppen warten lasse. Die Novelle sei letztlich das Eingeständnis eines grundlegenden Versagens der ÖVP-Agrarpolitik, der es in Jahrzehnten nicht gelungen sei, die bäuerlichen Einkommen so abzusichern, dass Bäuerinnen und Bauern am Ende auch eine angemessene Pension erhalten. Dieses Versagen versuche die ÖVP durch immer neue Ausgleichszahlungen, die letztlich andere Gruppen aufbringen müssten, auszugleichen.

Der Argumentationslinie, dass hier eine Ungleichbehandlung vorliege, schloss sich auch Ausschussobmann Josef Muchitsch (SPÖ) an. Er verstehe die Eile nicht, mit der man diese Änderungen umsetze, sagte er und beantragte daher die Vertagung der Novelle, damit sie als Teil einer größeren Pensionsreform debattiert werden könne. Der Vertagungsantrag wurde außer von den SozialdemokratInnen nur von den NEOS mitgetragen und blieb in der Minderheit.

Ähnlich scharfe Kritik wie die SPÖ übten auch die NEOS. Ihr Sozialsprecher Gerald Loacker meinte, hier gehe es um eine in vieler Hinsicht bereits privilegierte Kategorie von PensionistInnen. Die ÖVP betreibe schlichtweg Klientelpolitik und bevorzuge eine Gruppe in sachlich nicht begründeter Weise.

Norbert Sieber (ÖVP) verwies hingegen auf die insgesamt schwierige Situation der bäuerlichen Betriebe, die durch die COVID-19-Krise noch verschärft worden sei. Seiner Meinung nach sei es beschämend, wenn ausgerechnet die SPÖ gegen eine Maßnahme auftrete, von der vor allem MindestpensionistInnen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben, profitieren werden. ÖVP-Abgeordnete Bettina Zopf sagte, das fiktive Ausgedinge gehe von einem bestimmten Selbstversorgungsgrad von Bäuerinnen und Bauern aus. Das sei unterdessen längst nicht mehr der Fall, die Reduzierung daher eine überfällige Anpassung an gestiegene Lebenshaltungskosten. 

In ähnlicher Weise argumentierte auch FPÖ-Mandatar Michael Schnedlitz. Den Schritt mit der COVID-19-Krise zu begründen, sei zwar fragwürdig, das Anliegen, den Bäuerinnen und Bauern zu helfen, trage seine Fraktion aber mit.

Über die Novelle gebe es vielleicht geteilte politische Ansichten, sagte Sozialminister Rudolf Anschober. Einigkeit bestehe aus seiner Sicht aber darüber, dass die bäuerlichen Betriebe starken Belastungen ausgesetzt sind und dass man sie daher unterstützen müsse. Der Vorhalt von SPÖ-Abgeordnetem Alois Stöger, wonach es widersprüchliche Zahlen zu den finanziellen Auswirkungen gebe, wies Anschober zurück und verwies auf den Gesetzentwurf, in dem alle Kosten klar dargestellt seien.

SPÖ will gesetzliches Pensionssystem verfassungsrechtlich absichern

Mitverhandelt mit der Regierungsvorlage wurden ein gemeinsamer Antrag von SPÖ und FPÖ sowie zwei weitere SPÖ-Initiativen, die jedoch mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt wurden. SPÖ-Abgeordneter Christian Drobits sagte, es sei wichtig, das österreichische Pensionssystem verfassungsrechtlich abzusichern und damit die Finanzierung nach dem Umlageverfahren, die staatlichen Zuschüsse und das Solidaritätsprinzip langfristig festzuschreiben (140/A). Abgeordneter Markus Koza (Grüne) schlug dazu vor, dass sich die FraktionsführerInnen über eine gemeinsame weitere Vorgangsweise verständigen sollten, damit man im Herbst das Thema weiter beraten könne. Bis dahin sei er für die Vertagung des Antrags.

Zudem plädiert die SPÖ gemeinsam mit der FPÖ dafür, die vergangenes Jahr im Spiel der freien Kräfte beschlossene abschlagsfreie Frühpension nach 45 Arbeitsjahren auf BeamtInnen auszuweiten und künftig auch Zeiten des Präsenz- und Zivildienstes zu berücksichtigen (194/A(E)). Ebenso soll die Pension für Beschäftigte, die zwischen 2014 und 2020 trotz vorliegender 540 Beitragsmonate mit Abschlägen in den Ruhestand getreten sind, neu berechnet werden. Koza (Grüne) wies darauf hin, dass noch keine validen Daten über die weitere Entwicklung des Pensionssystems vorliegen würden. Er beantragte auch für diesen Punkt eine Vertagung bis zum Vorliegen einer gesicherten Diskussionsgrundlage.

Einen Vertagungsantrag stellte Koza auch für einen weiteren Antrag der SPÖ. Mit einer verbesserten Anrechnung von Kindererziehungszeiten (201/A(E)) wollen die SozialdemokratInnen für höhere Frauenpensionen sorgen. Das sei einer der notwendigen Schritte gegen die eklatante Benachteiligung von Frauen bei der Pensionshöhe, argumentierte SPÖ-Abgeordnete Julia Herr. NEOS-Abgeordnete Fiona Fiedler meinte hingegen, ein solcher Schritt würde sich eher negativ auf die Erwerbsquote von Frauen auswirken und damit den gegenteiligen Effekt auslösen. Gudrun Kugler (ÖVP) sagte, die Bundesregierung sehe das Problem sehr wohl und arbeite an Lösungen.

SPÖ: Keine Förderungen ohne Barrierefreiheit

Schließlich befasste sich der Sozialausschuss auf Basis eines SPÖ-Antrags (629/A(E)) noch mit dem Thema Barrierefreiheit. Die SPÖ regt an, die Allgemeinen Rahmenrichtlinien für die Gewährung von Bundesförderungen zu ändern. Konkret sollen nur noch für barrierefreie Vorhaben Fördermittel des Bundes bereitgestellt werden. Eine solche Sanktionsmöglichkeit würde die barrierefreie Gestaltung von öffentlich zugänglichen Gebäuden und Verkehrsanlagen sicher beschleunigen, sagte Christian Drobits (SPÖ). Auch NEOS-Abgeordnete Fiona Fiedler drängte auf einen Beschluss der Maßnahme. Sie verstehe nicht, warum man Anliegen von Menschen mit Behinderung immer auf die lange Bank schiebe, sagte sie.

Der Antrag wurde ebenfalls von ÖVP und Grünen vertagt, nachdem ÖVP-Abgeordneter Laurenz Pöttinger darauf hingewiesen hatte, dass der Nationale Aktionsplan für Menschen mit Behinderung gerade evaluiert werde. Diese solle man abwarten. Heike Grebien (Grüne) befand, der Antrag sei für eine Beschlussfassung noch viel zu unklar formuliert. Ihm sei nicht zu entnehmen, für welche Bauvorhaben solche Sanktionen tatsächlich gelten sollten. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs/sox