Parlamentskorrespondenz Nr. 851 vom 07.07.2021

Nationalrat: Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz erhält notwendige Zweidrittelmehrheit

Auch SPÖ und NEOS stimmen für das Ökostrompaket

Wien (PK) – Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) hat eine wichtige Hürde genommen. Der Nationalrat erteilte heute mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS seine Zustimmung zum von der Regierung vorgelegten Gesetzespaket. Zuvor hatten die Abgeordneten auf Drängen der SPÖ noch einige Änderungen vorgenommen, damit wurde nicht zuletzt die notwendige Zweidrittelmehrheit sichergestellt. Das neue Förderregime für Ökostrom muss allerdings auch noch vom Bundesrat und teilweise auch von der EU-Kommission gebilligt werden. Ergänzend zum EAG-Paket hat der Nationalrat eine Novelle zum Umweltförderungsgesetz beschlossen – sie sieht insbesondere die Integration der Fernwärmeförderung in das Umweltförderungsgesetz vor, wobei in den kommenden Jahren jährlich bis zu 30 Mio. € an Fördermittel bereitgestellt werden.

Mit dem EAG und begleitenden Gesetzesänderungen soll der Ausbau erneuerbarer Energieträger in Österreich vor dem Hintergrund des Pariser Klimaschutzabkommens weiter vorangetrieben werden. Ziel ist es, den heimischen Stromverbrauch ab dem Jahr 2030 zu 100% aus erneuerbaren Energiequellen abzudecken und Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Umweltministerin Leonore Gewessler sprach in diesem Sinn von "einem großen Tag für den Klimaschutz".

Überwiegend positive Reaktionen kamen auch von Seiten der Abgeordneten, wobei sich die SPÖ insbesonders auch über die Entlastung sozial schwacher Haushalte bei der Ökostrom-Pauschale und die zusätzlichen Fördermittel für Fernwärme erfreut zeigte. Demnach sollen künftig 550.000 Haushalte keine oder nur eine reduzierte Abgabe zahlen. Kritik kommt hingegen von der FPÖ: Ihrer Meinung nach gefährdet das Gesetzespaket den Wirtschaftsstandort Österreich, zudem sieht sie eine "Kostenlawine" auf die Bevölkerung zukommen.

1 Mrd. € Förderungen pro Jahr

Konkret sieht das Gesetzespaket, das neben dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz auch begleitende Änderungen in zahlreichen weiteren Gesetzen wie dem Elwog umfasst, vor, in den kommenden Jahren bis zu 1 Mrd. € pro Jahr an Förderungen für umweltfreundliche Stromerzeugung bereitzustellen, wobei neben maßgeschneiderten Marktprämien für die einzelnen Energieträger wie Photovoltaik und Windkraft auch Investitionszuschüsse, etwa für die Umrüstung von Anlagen oder die Erweiterung von Stromspeichern, in Aussicht genommen sind. Zudem werden auch erneuerbares Gas und Wasserstoff in das Förderregime aufgenommen und regulatorische Freiräume ("Sandboxes") zur Förderung innovativer Ansätze festgelegt. Bestimmte Projekte wie Wasserkraftwerke an wertvollen Gewässerstrecken mit sehr gutem ökologischen Zustand sind allerdings von Förderungen ausgeschlossen.

Geschaffen werden mit der Sammelnovelle darüber hinaus gesetzliche Grundlagen für private – nicht vorrangig gewinnorientierte – Energiegemeinschaften. Damit sollen Privathaushalte und kleine Betriebe motiviert werden, selbst Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu erzeugen und zu begünstigten Konditionen mit anderen Teilnehmern der Gemeinschaft zu teilen. Ebenso gehören die Erstellung eines integrierten österreichischen Netzinfrastrukturplans, die Überarbeitung der Herkunftskennzeichnung für Strom und Gas, die Einrichtung einer EAG-Förderabwicklungsstelle, ein vereinfachter Netzzugang für Ökostromanlagen sowie die Vorschreibung eines "Dekarbonisierungspfads" zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energie bzw. von Abwärme im Bereich der Fernwärme- und Fernkälteversorgung zum umfangreichen Paket.

Entlastung sozial schwacher Haushalte

Der im Zuge der Beratungen von ÖVP, SPÖ und Grünen gemeinsam eingebrachte und bei der Abstimmung mitberücksichtigte Abänderungsantrag soll unter anderem sicherstellen, dass sozial schwache Haushalte durch die mit der Stromrechnung vorgeschriebene Ökostrom-Pauschale nicht übermäßig belastet werden. So sind künftig mehr Haushalte als bisher zur Gänze von der Abgabe befreit, wobei als maßgebliches Kriterium die GIS-Gebührenbefreiung festgelegt ist. Zudem wurde für weitere einkommensschwache Haushalte ein Kostendeckel von 75 € zulasten der übrigen Endverbraucher verankert. Übersteigen die Kosten der Ökostrom-Pauschale 100 € pro Haushalt, müssen auch Unternehmen anteilig mitzahlen.

In einigen Punkten adaptiert wurden außerdem die Förderbestimmungen. So sollen Förderabschläge für Photovoltaik-Anlagen auf nicht versiegelten Flächen zur Gänze entfallen können, wenn es möglich ist, die betroffenen Flächen mit nur geringfügigen Beeinträchtigungen weiterhin landwirtschaftlich zu nutzen. Ähnliche Privilegien gelten für Deponieflächen und Bergbaugebiete. Überdies wird die Möglichkeit geschaffen, Förderungen an ökosoziale Kriterien wie faire Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten oder eine regionale – europäische – Wertschöpfung bei Komponenten zu knüpfen. Weitere Änderungen betreffen die – beschränkte – Einbeziehung von Energiegemeinschaften in das Marktprämienmodell, Investitionszuschüsse für Biogas- und Wasserstoffanlagen, den integrierten Netzinfrastrukturplan und Fragen der Preistransparenz.

Darüber hinaus ist vorgesehen, die bestehende Warteliste bei Förderansuchen im Fernwärmebereich abzubauen, was die Bereitstellung von rund 100 Mio. € an Fördermittel zur Folge hat, wie Lukas Hammer (Grüne) erklärte. Außerdem werden in den nächsten zehn Jahren jährlich bis zu 30 Mio. € für einen weiteren Ausbau des Fernwärme- und Fernkältenetzes bzw. für Dekarbonisierungsmaßnahmen in diesem Bereich zur Verfügung gestellt und die Fernwärmeförderung in das Umweltförderungsgesetz integriert. In diesem Zusammenhang haben ÖVP, SPÖ und Grüne auch einen umfassenden Abänderungsantrag zur Novelle zum Umweltförderungsgesetz eingebracht, der ebenfalls bei den Abstimmungen berücksichtigt wurde.

Grüne: Größte Revolution seit der Industrierevolution

In der Debatte hob Lukas Hammer (Grüne) die Tragweite des EAG-Pakets hervor und sprach von einer "grünen Energierevolution". "Wir geben diesem Land ein neues Betriebssystem und starten in die Klimaneutralität", meinte er. Mit dem Paket werde "die größte Revolution seit der Industrierevolution eingeleitet". Künftig würde zur Stromgewinnung nur "ewige Energie" genutzt und keine Ressourcen des Planeten verbraucht.

Bedeutsam ist für Hammer außerdem, dass man nicht jedes Jahr "zum Finanzminister rennen muss", um Fördermittel sicherzustellen. Das bringe Planungssicherheit für die betroffenen Unternehmen. Zudem begrüßte er den "sozial gerechten Deckel" bei der Ökostromabgabe sowie die künftige Möglichkeit, Energiegemeinschaften zu gründen. Damit werde Ökostrom aus Österreich für Österreich produziert. Doppelte Verantwortung sieht Hammer bei der Förderung der Wasserkraft: Hier gehe es auch darum, die letzten freifließenden Flüsse und Bäche zu erhalten.

Ausdrücklich zustimmend zum Gesetz äußerten sich auch Hammers FraktionskollegInnen Astrid Rössler, Elisabeth Götze und Martin Litschauer. Österreich werde damit beim Klimaschutz vom Nachzügler zum Vorreiter, machte Götze geltend. Litschauer hob hervor, dass das Gesetz Österreich unabhängig von Atomstromimporten mache.

ÖVP erwartet sich Schaffung neuer Arbeitsplätze

Ähnlich positiv bewertete auch die ÖVP das Gesetzespaket. Die langen Verhandlungen hätten sich ausgezahlt, "wir haben das beste Ergebnis erreicht", sagte Energiesprecherin Tanja Graf. Künftig werde es nur noch sauberen Storm "Made in Austria" geben. Jede Technologie erhalte ihren eigenen Fördertopf, auch werde es künftig nicht nur auf Dächern, sondern auch auf versiegelten Flächen und auf Flächen mit Agrardoppelnutzung Photovoltaikanlagen geben. Als ein Herzstück des Gesetzes wertete Graf außerdem die Energiegemeinschaften: Jedes Haus und jedes Unternehmen könne vom Stromkonsumenten zum Stromproduzenten werden und sich gleichzeitig zwei Drittel der Netzgebühr sparen. Klar ist für Graf, dass erst die Ökostrom-Pauschale die Energiewende möglich macht.

Auf die Bedeutung des Pakets zur Schaffung neuer Arbeitsplätze machte Peter Haubner (ÖVP) aufmerksam. Ihm zufolge braucht es 2 Millionen Photovoltaik-Anlagen und 1.200 Windräder um das Ziel zu erreichen, 27 Terrawatt Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu gewinnen.

SPÖ: Energiewende darf nicht zu Lasten sozial schwacher Haushalte gehen

Zur Energiewende bekannten sich auch die SPÖ-Abgeordneten Alois Schroll und Julia Herr. Der SPÖ sei es aber stets wichtig gewesen, dass diese fair ausgestaltet und sozial ausgewogen sei, sagte Schroll. Der Ausbau von Ökostrom dürfe nicht zu einer zusätzlichen Belastung sozial schwacher Haushalte führen.

Durch den Abänderungsantrag wurde Schroll zufolge sichergestellt, dass die Stromrechnung für Haushalte und für KMU in den nächsten Jahren "nicht explodiert". Wer von GIS-Gebühren befreit sei, zahle auch keine Ökostrom-Pauschale, dazu komme der 75-€-Deckel für einkommensschwache Haushalte, skizzierte er. Ausdrücklich begrüßt wurde von ihm auch der Ausbau der Fernwärmeförderung. Herr wies ergänzend darauf hin, dass durch die geplanten Investitionen zehntausende Jobs entstehen würden, die in der Krise dringend gebraucht werden.

NEOS: Verhandlungen haben viel zu lange gedauert

Seitens der NEOS signalisierten Gerald Loacker und Michael Bernhard Zustimmung zur Sammelnovelle, auch wenn die Verhandlungen nach Meinung von Loacker viel zu lange gedauert haben. Im Wesentlichen sei das Paket aber in Ordnung, weil es mehr Marktnähe bei den Förderungen bringe, sagte er. Zudem wertete es Loacker als positiv, dass im Zuge der "zähen" Verhandlungen die gute Intention des Gesetzes "nicht durch Partikularinteressen zerstört worden ist".

Sowohl Loacker als auch Bernhard sehen aber noch etliche offene Probleme, wobei Loacker beispielsweise lange Verfahren bei Flächenwidmungen, Sonderregelungen in einzelnen Bundesländern und den Fachkräftemangel nannte. Ohne Antworten auf diese Fragen werde es mit der Energiewende "düster ausschauen", meinte er. Bernhard machte überdies geltend, dass mit dem Stromsektor nur einer von vielen Sektoren klimaneutral werde und es weitere Schritte zu einer Energiewende brauche. Ein Anliegen ist den NEOS auch, dass die Abgabenquote durch die Ökostromförderung nicht steigt.

Auf einen speziellen Aspekt des Gesetzes ging NEOS-Abgeordnete Karin Doppelbauer ein. Sie vermisst bundeseinheitliche Vorgaben, was die unterirdische Verlegung von 110-kV-Stromleitungen betrifft und sieht Österreich hier säumig. Ein von ihr eingebrachter Entschließungsantrag erhielt allerdings keine Mehrheit.

FPÖ sorgt sich um Wirtschaftsstandort Österreich und erwartet Kostenlawine

Harsche Kritik am Gesetzespaket kam von der FPÖ. Dieses sei sowohl in ökonomischer als auch in ökologischer Hinsicht nicht gelungen, sagte Axel Kassegger. Die neuen Bestimmungen seien von "Angstmacherei" getrieben und unausgewogen. Die FPÖ wolle die Gesellschaft "nicht auf den Kopf stellen" und keine Revolution.

Kassegger sieht durch das Paket nicht nur den Wirtschafts- und Industriestandort Österreich gefährdet, sondern erwartet auch eine Kostenlawine für die Bevölkerung: "Am Ende des Tages werden das die Hackler zahlen", meinte er in Richtung SPÖ. Auch sein Fraktionskollege Walter Rauch hat ähnliche Bedenken.

Für Kassegger ist es außerdem nicht einsichtig, warum man Österreich "mit riesigem Aufwand" von einem Land der Wasserkraft zu einem Land der Photovoltaik und der Windräder machen wolle. Konkret befürchtet er, dass landwirtschaftliche Nutzflächen hektarweise verbaut werden. Zudem könnten Windräder zu einer Austrocknung der Böden führen, auch sei deren Entsorgung schwierig. Man müsse sich die Frage stellen, was das Gesetz für den Naturschutz, den Tourismus, die Kulturlandwirtschaft und die Flächenversiegelung bedeute, warnte auch Rauch. Seiner Erwartung nach werden zudem nicht nur neue Jobs entstehen, sondern auch alte verloren gehen.

Gewessler: Großer Tag für den Klimaschutz

Von einem "großen Tag für den Klimaschutz" sprach hingegen Umweltministerin Leonore Gewessler. Das Gesetz habe einen langen Weg hinter sich, räumte sie ein, damit werde jedoch ein Grundstein zur Klimaneutralität Österreichs gelegt. "Wir handeln aktiv gegen die Klimakrise", bekräftigte sie. Österreich stehe vor einem großen Umbau, der aber zu schaffen sei. Mit dem Gesetzespaket würden nicht nur Emissionen eingespart, sondern auch Investitionen ausgelöst, unterstrich die Ministerin, wobei sie konkret mit Investitionen in den nächsten Jahren im Ausmaß von 30 Mrd. € rechnet.

Neuland wird laut Gewessler mit den Energiegemeinschaften betreten. Es handle sich um eines der progressivsten Modelle Europas, hielt sie fest. Das Paket ist ihrer Einschätzung nach überdies "sozial treffsicher". Zudem würde durch die Forcierung von "grünem Gas" und "grünem Wasserstoff" auch ein erster Schritt in Richtung einer umweltfreundlichen Industrie gesetzt.

Um Verzögerungen zu vermeiden, würden einige Punkte des Pakets gleich in Kraft treten, erläuterte Gewessler, andere erst nach Zustimmung der Europäischen Kommission.

Umweltstaatssekretär Magnus Brunner hob hervor, dass mit dem EAG-Paket das größte Energiepaket seit 20 Jahren, seit der Liberalisierung des Energiesektors, vorliege. Für ihn ist dieses Paket ein "intelligentes", der heimische Energiemarkt werde sauberer, innovativer und inklusiver. Zudem würde man damit den Wirtschaftsstandort stärken und Arbeitsplätze schaffen.

Einwendungen gegen die Tagesordnung

Noch vor der Debatte über das EAG-Paket diskutierte der Nationalrat über von der FPÖ vorgebrachte Einwendungen gegen die Tagesordnung. Dagmar Belakowitsch und ihre FraktionskollegInnen hatten verlangt, eine von der FPÖ beantragte Änderung des Strafgesetzbuchs an die Spitze der Tagesordnung zu stellen. Die Gesetzesinitiative zielt darauf ab, es bei der Strafbemessung als Erschwerungsgrund zu werten, wenn der verurteilte Straftäter Asylwerber war bzw. ist. Begründet wird das mit dem offensichtlichen Missbrauch des Gastrechts. Die FPÖ sieht sich durch den mutmaßlichen Mord an einem 13-jährigen Mädchen durch afghanische AsylwerberInnen bestärkt und nutzte die Einwendungsdebatte zu einem harschen Rundumschlag.

Der Antrag auf Umstellung der Tagesordnung fand bei der Abstimmung allerdings keine Mehrheit. Damit wurde der – vom Justizausschuss negativ beurteilte – FPÖ-Antrag wie vorgesehen gemeinsam mit dem Anti-Terror-Paket verhandelt.

Andreas Hanger (ÖVP) sprach von einem Ablenkungsmanöver der FPÖ und kritisierte seinerseits den FPÖ-Fraktionsführer im Ibiza-Untersuchungsausschuss Christian Hafenecker. Dieser habe die Parlamentsdirektion erst mit einiger Verzögerung über seine Corona-Infektion informiert, klagte er. Auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger äußerte sich dazu kritisch.

Dem hielt Michael Schnedlitz (FPÖ) entgegen, dass aufgrund des niedrigen CT-Werts des PCR-Tests von Hafenecker ausgeschlossen werden könne, dass von diesem eine Ansteckung oder ein Cluster ausgegangen sei. Für ihn ist es vielmehr empörend, dass die ÖVP das zum Thema in der Debatte macht. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl warf Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in diesem Zusammenhang einseitige Kritik und Parteilichkeit vor. Sobotka selbst rief die Abgeordneten mehrfach zur Sachlichkeit auf und unterbrach zur Beruhigung der Lage für kurze Zeit die Sitzung.

Gegen eine Umstellung der Tagesordnung sprachen sich auch Jörg Leichtfried (SPÖ), Jakob Schwarz (Grüne) und Nikolaus Scherak (NEOS) aus. (Fortsetzung Nationalrat) gs

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.