Parlamentskorrespondenz Nr. 100 vom 02.02.2022

EU-Ausschuss des Bundesrats: Botschafter Pécout stellt Frankreichs Ratsvorsitzprogramm vor

Erste Beratungen zu den Auswirkungen geplanter EU-Klimaschutzmaßnahmen auf Länder und Gemeinden

Wien (PK) – Ein souveränes Europa mit wirtschaftlichem Wachstum und gemeinsamen Werten stehe im Zentrum der Ratspräsidentschaft seines Landes, sagte der französische Botschafter in Österreich, Gilles Pécout, heute im EU-Ausschuss des Bundesrats. Er stellte den LändervertreterInnen die Schwerpunkte des aktuellen französischen Ratsvorsitzes vor und betonte dabei, dass dies nicht die Prioritäten Frankreichs in Europa seien, sondern die Prioritäten Europas. Er sei sich auch der Herausforderungen bewusst, etwa der unterschiedlichen Positionen in Bezug auf Kernenergie, Migration und EU-Erweiterung.

Zwei Vorschläge der EU-Kommission zur Hebung der Energieeffizienz und zum Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe im Rahmen des Klimaschutzpakets "Green Deal" standen im zweiten Teil des Ausschusses auf der Tagesordnung. Auf Initiative von Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ/W) wurden diese beiden Tagesordnungspunkte mit dem Ziel einer gemeinsamen Stellungnahme in der nächsten Ausschusssitzung einstimmig vertagt. Ebenso einstimmig vertagt wurde ein Vorschlag für neue Eigenmittel für den EU-Haushalt.

"Aufschwung, Stärke, Zugehörigkeit" als französisches Motto

"Relance, Puissance, Appartenance" ("Aufschwung, Stärke, Zugehörigkeit") lautet das Motto der EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs, die das Land seit Jahresbeginn für das erste Halbjahr 2022 innehat. Neben der Bewältigung der COVID-19-Gesundheitskrise und den Herausforderungen des Klimawandels betreffen die Aktivitäten des Ratsvorsitzes vorrangig Migrationsfragen, den Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte sowie die digitalen Veränderungen in allen Lebensbereichen, geht aus dem Ratsprogramm hervor. Frankreich habe sich ein engagiertes Programm vorgenommen, resümierte Ausschussvorsitzender Christian Buchmann (ÖVP/St).

Sein Land habe naiv gedacht, dass die französische Ratspräsidentschaft die erste Präsidentschaft nach COVID-19 sein werde, so Gilles Pécout. Die Gesundheitskrise dauere aber an und mache den Willen für ein gemeinsames Europa so wichtig wie nie zuvor. Vor diesem Hintergrund erläuterte der Botschafter die drei Kernbereiche des Programms. Unter dem Schlagwort "Stärke" gehe es um die Souveränität Europas. Es gelte, den Schengen-Raum durch verstärkten Schutz der EU-Außengrenzen sowie Verbesserungen bei Migrationssteuerung und Asylpolitik zu stärken. Ein souveränes Europa müsse in guter Nachbarschaft mit Ländern am Westbalkan oder in Afrika leben, betonte Pécout.

Mit seinem Vorsatz, zum Aufschwung der EU beizutragen, meint Frankreich ein Modell des Wirtschaftswachstums, das mit einem grünen Europa vereinbar ist. Dabei gehe es etwa um einen Grenzausgleichsmechanismus für Kohlenstoff sowie um Biodiversität. Auch die Bewältigung der Digitalisierung und soziale Aspekte wie eine Richtlinie für Mindestlöhne sind laut Pécout Vorhaben im Zusammenhang mit dem europäischen Aufschwung. Beim dritten Bereich, der Zugehörigkeit, gehe es um ein humaneres Europa und gemeinsame Werte. Die Bedeutung von Regionen, betonte der Botschafter vor den LändervertreterInnen, stehe dabei nicht im Konflikt mit einer Zugehörigkeit zu Europa.

Pécout nannte auch Herausforderungen der französischen Ratspräsidentschaft, insbesondere in Punkten, in denen Österreich einen anderen Standpunkt vertritt. Neben dem Bereich der Migration und der EU-Erweiterung um Westbalkanstaaten sprach er hier die unterschiedlichen Positionen bei der Kernenergie an.

Kernenergie und zahlreiche weitere Themen im Interesse der BundesrätInnen

Stefan Schennach (SPÖ/W) hakte hier ein und nannte die Positionen von Frankreich und Österreich in Bezug auf die Atomkraft "kaum kompatibel". Frankreich sei anderer Meinung, achte aber, dass sich die österreichischen BürgerInnen in einem Referendum klar gegen Kernkraft ausgesprochen haben, betonte der Botschafter. Für sein Land sei Kernenergie eine Übergangslösung, um zu einer Dekarbonisierung zu gelangen. Zur Taxonomie-Verordnung, die festlegt, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten ökologisch nachhaltig sind und dazu auch Atomkraft zählt, sagte Pécout: "Es wäre falsch zu glauben, dass sich die Taxonomie von der Position Frankreichs ableitet."

Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S) interessierte sich dafür, wie Frankreich zu einer Erweiterung der EU um Staaten des Westbalkans steht. Frankreich habe eine präzise Balkanstrategie. Wenn Nordmazedonien und Albanien Mitglieder werden sollen und dazu bereit seien, werde sich Frankreich nicht dagegen aussprechen, so der Botschafter.

Den Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg sprach Johannes Hübner (FPÖ/W) an. Seiner Meinung nach seien sich alle EU-Staaten außer Frankreich einig, dass das Pendeln zwischen zwei Sitzen nicht sinnvoll sei. Es handle sich um eine historische und politische Tradition, die es sich verdient habe, aufrechterhalten zu werden, sagte Pécout dazu. Der Sitz des EP sei aber kein Verhandlungsthema für die französische Ratspräsidentschaft.

Marco Schreuder (Grüne/W) nahm Bezug auf die europäische Medienlandschaft. Der Sender ARTE etwa habe gezeigt, dass die Zusammenarbeit über Länder hinweg funktioniere. Schreuder sprach sich daher für eine gesamteuropäische Strategie als Antwort auf die Übermacht von US-Plattformen aus, etwa eine europäische Plattform.

Mit Blick auf die Landwirtschaft wollte Martin Preineder (ÖVP/N) wissen, wie Frankreich zum Spagat zwischen höheren Ansprüchen etwa in Bezug auf biologische Landwirtschaft und höheren Preisen stehe. Es brauche Mittel des Ausgleichs für die wirtschaftliche Entwicklung und die Achtung der Umweltnormen, sagte Pécout. Elisabeth Grossmann (SPÖ/St) fand es erfreulich, dass sich Frankreich ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen in Führungsgremien von Unternehmen vorgenommen habe. Sie erkundigte sich nach den Chancen, dass eine entsprechende Regelung durchgesetzt werde. Man könne auf die Unterstützung einer gewissen Anzahl an Ländern zählen, sagte der französische Botschafter dazu. Auch Österreich unterstütze das Vorhaben, das ihm besonders am Herzen liege. Von mehreren BundesrätInnen nach den Ergebnissen der Konferenz zur Zukunft Europas gefragt, gab Pécout Auskunft, dass diese am 9. Mai vorliegen werden und dann Schlussfolgerungen gezogen werden sollen.

Ambitionierte Ziele bei Energieeffizienz

In ihrer Überarbeitung der Energieeffizienzrichtlinie schlägt die EU-Kommission vor, die Reduktionsziele für den Primär- und Endenergieverbrauch bis 2030 auf 39 beziehungsweise 36% anzuheben, gemessen an den aktualisierten Basisprojektionen aus dem Jahr 2020. Zur Erreichung dieser unionsweiten Senkung des Energieverbrauchs müssten die Mitgliedstaaten nationale Richtziele festlegen, wobei die jährliche Endenergie-Einsparverpflichtung auf 1,5% des Endenergieverbrauchs erhöht wird. Die öffentliche Hand soll laut Entwurf mit gutem Beispiel vorangehen und pro Jahr den Energieverbrauch um 1,7% senken. Mindestens 3% der Gebäude der öffentlichen Verwaltung sollten dazu klimagerecht saniert werden. Bei öffentlichen Vergaben soll künftig sichergestellt werden, dass Energieeffizienzanforderungen berücksichtigt werden.

Ausschussvorsitzender Christian Buchmann (ÖVP/St) verwies in diesem Zusammenhang auf eine gemeinsame Länderstellungnahme. In dieser wird zwar grundsätzlich die Abkehr von fossilen Energieformen im Sinne des Klimaschutzes begrüßt. Die Bundesländer mahnen aber weitreichendere Maßnahmen zur Umsetzung der Energieeffizienz-Richtlinie ein, etwa den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, mehr Energieeffizienz in der Wasserversorgung von Ballungsräumen oder die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft.

In einigen der vorgeschlagenen Bestimmungen seien Anpassungen notwendig, betonte ein Experte des Klimaschutzministeriums. So sollten Unternehmen, die künftig ein Energiemanagementsystem einführen müssen, eine entsprechende Übergangsfrist erhalten und langfristige Energieeinsparungsmaßnahmen sollten Berücksichtigung bei der Anrechnung finden. Der Löwenanteil der Umsetzung dieser Maßnahmen liege bei den Städten und Gemeinden, erklärte ein Vertreter des Städtebunds. Besonders im Altstadtbereich und dem dortigen Denkmalschutz seien für Klimaschutzmaßnahmen aber oft Grenzen gesetzt. Hinsichtlich der Gesamtendenergieeinsparung gab der Experte zudem zu bedenken, dass durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs der Energiebedarf auch steigen könnte. Gesamt seien jedenfalls langfristig planbare Finanzierungsinstrumente für die Städte und Gemeinden notwendig.

E-Autos: EU will Ausbau der Lademöglichkeiten forcieren

Im Green Deal der EU wird eine Absenkung verkehrsbedingter Treibhausgasemissionen um 90% bis 2050 gefordert. Der breite Umstieg auf Elektrofahrzeuge und wasserstoffbetriebene Fahrzeuge kann laut EU-Kommission aber nur gelingen, wenn es überall im Binnenmarkt einheitliche Lade- oder Betankungsmöglichkeiten gibt, wird im diesbezüglichen Verordnungsentwurf festgehalten. Die Mitgliedstaaten sollten bei ihrer Infrastrukturplanung auf gemeinsame technische Spezifikationen setzen, um die Interoperabilität von Anlagen und Fahrzeugen zu gewährleisten. Dazu gehören auch einheitliche und benutzerfreundliche Zahlungsmethoden und eine vollständige Preistransparenz.

Grenzüberschreitend gleiche Standards in der Ladeinfrastruktur seien sehr wichtig, betonte ein Experte des Klimaschutzministeriums. Es sei ein Fortschritt, dass nicht nur der Individualverkehr sondern auch der Schwerverkehr mit Zielen erfasst werde. Die Städte würden hinsichtlich des Ausbaus der Ladeinfrastruktur vor große Herausforderungen gestellt, betonte ein Experte des Städtebunds und hob insbesondere den Platzbedarf für die vorgesehenen Ladestellen für schwere Nutzfahrzeuge hervor. Für eine Technologieoffenheit in diesem Kontext trat eine Expertin der Wirtschaftskammer ein. Derzeit werde der Schwerpunkt zu stark auf Strom und Wasserstoff gelegt, es brauche aber die Einbindung möglichst vieler Technologien.

Neue Eigenmittel für den EU-Haushalt zur Finanzierung der COVID-19-Aufbaumittel

Mit dem Aufbauinstrument "NextGenerationEU" werden bis zu 750 Mrd. € mobilisiert, um die wirtschaftlichen und sozialen Schäden der COVID-19-Pandemie zu mildern. Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission einigten sich darauf, dass die Rückzahlung der Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Union und durch neue Eigenmitteln erfolgen soll. Der Vorschlag der Europäischen Kommission zu neuen Eigenmitteln stand im Ausschuss heute auf der Tagesordnung, wurde aber einstimmig auf die nächste Sitzung vertagt. (Schluss EU-Ausschuss des Bundesrats) kar/rei/pst


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