Parlamentskorrespondenz Nr. 254 vom 10.03.2022

Familienausschuss: Opposition sieht Handlungsbedarf bei Unterhaltssicherung, Kinderbetreuungsgeld und Long-Covid

Anträge von SPÖ, FPÖ und NEOS vertagt; Regierungsfraktionen kündigen moderne Familienrechtsreform und Änderungen beim Kindschaftsrecht an

Wien (PK) – Fragen rund um die Reform der Unterhaltssicherung, die Schaffung von rechtlichen Grundlagen für das sogenannte Doppelresidenzmodell, Probleme bei der Abwicklung des Kinderbetreuungsgelds oder die psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen dominierten den zweiten Teil des heutigen Ausschusses für Familie und Jugend. Basis dafür bildeten zahlreiche Initiativen der Opposition, die alle vertagt wurden.

Mehr rechtliche Sicherheit für getrennt lebende Eltern durch die Einführung des Doppelresidenzmodells

Für die Einführung eines Doppelresidenzmodells für Kinder von nicht in häuslicher Gemeinschaft lebenden Eltern treten die NEOS ein (560/A(E)). Dies würde es nämlich den Eltern ermöglichen, die Obsorge bzw. Betreuung ihrer Kinder flexibler und eigenständiger zu gestalten, argumentiert Abgeordneter Michael Bernhard. Gleichzeitig würde das Modell, das nicht verpflichtend vorgeschrieben werden sollte, die Kooperation zwischen den Eltern verbessern und für mehr Rechtssicherheit in Fragen des Unterhalts sowie in Bezug auf sozial- und arbeitsrechtliche Ansprüche sorgen. Ein konkretes Problem zeige sich etwa bei der Schulfahrtbeihilfe und der Schülerfreifahrt, die nur für den Schulweg zum Hauptwohnort des Kindes gewährt werden. Dadurch würden viele Familien in Österreich benachteiligt und es den betroffenen SchülerInnen erschwert, beide Elternteile gut erreichen zu können. Es brauche daher eine entsprechende Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes (249/A(E)).

Auch nach Einschätzung der Freiheitlichen möchten immer mehr Eltern nach einer Trennung gleichermaßen Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und sie im Alltag betreuen, ist FPÖ-Abgeordnete Edith Mühlberghuber überzeugt (1081/A(E)), die ebenfalls eine gesetzliche Absicherung für das Doppelresidenzmodell fordert. Diese Aufteilung der Rechte und Pflichten stelle im Sinne der Gleichberechtigung von Müttern und Vätern eine äußerst positive Entwicklung dar, die von der Politik aktiv unterstützt werden müsse. Zur Umsetzung seien aber nicht nur rechtliche Anpassungen, sondern auch ausreichende budgetäre Mittel erforderlich, wie unter anderem für die Neuregelung der Familienbeihilfe und der Wohnbeihilfe sowie für die Ermöglichung des Pflegeurlaubs für beide Elternteile. Derzeit bestehe die "absurde Situation", dass die gemeinsame gleichmäßige Betreuung des Kindes durch beide Eltern erhebliche finanzielle und rechtliche Risiken mit sich bringen könne. So seien im Streitfall oftmals gerichtliche Unterhaltsrückforderungen die Folge, geben die freiheitlichen AntragstellerInnen zu bedenken (192/A(E)).

Die Problematik sei ihr sehr wohl bewusst, räumte Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne) ein, es gebe aber noch einige offene Fragen, da etwa die Familienbeihilfe an den Hauptwohnsitz gekoppelt sei. Es werde aber intensiv an einer modernen und progressiven Familienreform und vor allem einer Anpassung des Kindschaftsrechts gearbeitet. Dabei werde es nicht in Richtung eines Doppelresidenzmodells gehen, sondern auf die elterliche Verantwortung abgestellt, teilte sie mit. Es müsse jedenfalls gewährleistet sein, dass das Kindeswohl im Mittelpunkt stehe.

Abgeordnete Eva Maria Holzleitner stand den Vorschlägen der NEOS und der FPÖ skeptisch gegenüber. Sie bedauerte erneut, dass das Parlament in dieser wichtigen Frage nicht ausreichend eingebunden werde. Auch die diesbezüglichen Anfragebeantwortungen hätten wenig Klarheit gebracht.

Sowohl die beiden Entschließungsanträge der NEOS als auch jene der Freiheitlichen wurden mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt.

SPÖ weist auf "Baustellen" beim Kinderbetreuungsgeld hin und fordert rasche Lösungen

Seit vielen Monaten sei bekannt, dass es Probleme bei der Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes gebe, wenn die Eltern in unterschiedlichen EU-Staaten leben, gibt Abgeordnete Petra Wimmer (SPÖ) zu bedenken (1818/A(E)). Darauf habe nicht nur die Volksanwaltschaft bereits im Jänner 2020 aufmerksam gemacht, sondern auch der Rechnungshof in einem aktuellen Bericht. Die Betroffenen würden vor allem darüber klagen, dass sie trotz wiederholter Kontaktaufnahme mit den zuständigen Stellen im In- und Ausland, mehrere Monate, teils auch Jahre, auf die Erledigung ihrer Anträge warten müssten und von den Behörden nicht unterstützt würden. Bürokratische Tücken und die lange Bearbeitungsdauer beim Kinderbetreuungsgeld seien aber vor allem für AlleinerzieherInnen existenzbedrohend.

Eine weitere Baustelle würde nach Ansicht der SPÖ beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld bestehen. Obwohl die Coronakrise zu einer hohen Arbeitslosenrate geführt habe, müssten werdende Eltern nämlich nachweisen, dass in den 182 Kalendertagen vor der Geburt des Kindes bzw. unmittelbar vor Beginn des absoluten Beschäftigungsverbots eine kranken- und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit im Inland ununterbrochen ausgeübt wurde. Die SozialdemokratInnen treten für einen Beobachtungszeitraum von einem Jahr ein, innerhalb dessen das Erfordernis einer 182-tägigen Beschäftigung (nicht zusammenhängend) erfüllt werden muss (772/A(E)).

Die Probleme bei der Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes, wenn Eltern in unterschiedlichen EU-Ländern leben, seien sehr komplex, da es oft beim Datenaustausch große Schwierigkeiten gebe, meinte Abgeordnete Alexandra Tanda (ÖVP). Bezüglich des Antrags zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld machte sie darauf aufmerksam, dass schon jetzt der Steuerbescheid 2019 zur Berechnung herangezogen werde. Sie stellte in beiden Fällen einen Vertagungsantrag, der jeweils mehrheitlich angenommen wurde.

Debatte über Reform der Unterhaltssicherung

Obwohl nun schon seit fünf Jahren eine Reform der Unterhaltssicherung versprochen werde und die COVID-19-Pandemie die Lage vor allem von Alleinerziehenden zusätzlich verschärft habe, seien die politisch Verantwortlichen weiterhin säumig, beklagt NEOS-Vertreter Michael Bernhard (2257/A(E)). Es werde zwar immer wieder Geld etwa in Form des Familienbonus ausgeschüttet, diese Mittel seien jedoch nicht zielgerichtet und würden sich auch nicht am konkreten Bedarf der Familien orientieren. Nach Ansicht von Bernhard brauche es nun endlich eine nachhaltige Unterhaltssicherung, um Kinderarmut zu beseitigen und um für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen. Im Konkreten müssten die rechtliche Lücken hinsichtlich der Ausdehnung von Unterhaltsvorschüssen und der Verbesserung der Einbringbarkeit der Alimente geschlossen und die Verfahren beschleunigt werden.

Es sei äußerst bedauerlich, dass es nach fünf Jahren noch immer keine Unterhaltsgarantie gebe, konstatierte SPÖ-Vertreterin Eva Maria Holzleitner. Ihre Fraktion habe zahlreiche Anträge zu diesem Thema eingebracht und auch schon diverse Modelle vorgestellt.

Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne) kündigte eine Lösung im Zuge der geplanten Familienrechtsnovelle an. Man bekenne sich zu einer Modernisierung des Unterhaltsvorschussgesetzes, merkte Elisabeth Scheucher-Pichler im Namen der ÖVP an, da es zu mehr Rechtssicherheit und einer Beschleunigung der Verfahren kommen müsse. Die Einführung einer Unterhaltsgarantie sei jedoch nicht im Regierungsprogramm vorgesehen, stellte Ausschussvorsitzender Norbert Sieber (ÖVP) klar.

Der Entschließungsantrag wurde ebenfalls vertagt.

SPÖ: Aktionsplan zum Ausbau der psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen und Strategien für Long-Covid

In einem weiteren Entschließungsantrag legt SPÖ-Mandatarin Eva Maria Holzleitner einen umfassenden Aktionsplan zur Sicherstellung der psychosozialen Versorgung junger Menschen in Österreich vor (2283/A(E)). Für die gesamte Bevölkerung stelle die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen eine massive psychosoziale Belastung dar; besonders betroffen davon seien aber immer stärker Kinder und Jugendliche. Laut einer aktuellen Studie des Departments für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit der Donau-Universität Krems würde sich bereits bei 62% der Mädchen und bei 38% der Burschen eine zumindest mittelgradige depressive Symptomatik zeigen. Rund ein Fünftel der Mädchen und 14% der Burschen würden sogar unter wiederkehrenden suizidalen Gedanken leiden.

Die Politik sei mehr denn je gefordert, für eine integrierte, flächendeckende psychosoziale Versorgung für alle Menschen in Österreich zu sorgen, unterstreicht Holzleitner, zumal das Angebot für Kinder und Jugendliche schon vor der Pandemie beschämend gering gewesen sei. Der von der SPÖ präsentierte Aktionsplan enthält neben der Durchführung einer speziell auf Kinder und Jugendliche zugeschnittenen Informationsoffensive vor allem die zentrale Forderung nach der Sicherstellung einer Therapie- und Betreuungsplatz-Garantie für jeden psychisch erkrankten jungen Menschen ohne monatelange Wartezeiten. Im Fokus müssten dabei die Entlastung kinder- und jugendpsychiatrischer Einrichtungen durch wohnortnahe und ambulante Betreuungsangebote sowie die Absicherung der psychosozialen Versorgung in ländlichen Gebieten stehen. Parallel dazu brauche es ein umfassendes Investitionspaket, durch das einerseits Maßnahmen zur Reduktion der akuten aktuellen Krisensituation finanziert werden können als auch langfristige Schritte zur Ausbildung von ausreichend FachärztInnen der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Weiters drängt die SPÖ darauf, dass sich die Regierung intensiver mit Thema Long-Covid befasst (2343/A(E)). Laut einer deutschen Studie weisen 40% der mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen noch sechs Monate nach der Erkrankung Long-Covid-artige Symptome auf, wobei Frauen viel häufiger betroffen seien. Aber auch Kinder und Jugendliche, die die Krankheit oft symptomlos überstehen, seien gefährdet, zeigt Holzleitner auf. Die nach einer Infektion auftretenden gesundheitlichen Probleme würden von Schlafstörungen, Müdigkeit, Konzentrationsproblemen bis hin zu einer deutlichen Leistungsreduktion reichen. Aus Sicht der SPÖ sollten daher umgehend zielgerichtete Strategien zur Rehabilitierung und Behandlung der Krankheit Long-Covid gemeinsam mit ExpertInnen und Betroffenen ausgearbeitet und ein besonderer Forschungsschwerpunkt auf die Zielgruppen Frauen, Kinder und Jugendliche gelegt werden.

Die Regierungsparteien nehmen die Verbesserung der psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen sehr ernst und haben erst vor Kurzem ein Paket in der Höhe von knapp 13 Mio. € präsentiert, unterstrich Abgeordnete Carina Reiter (ÖVP). Daneben gebe es eine Reihe von weiteren Schritten, wie zum Beispiel die Aufstockung des Budgets für die Familienberatungsstellen oder diverse Initiativen der Jugendorganisationen. Dies bekräftigte auch Staatssekretärin Claudia Plakolm, die überdies auf den massiven Ausbau an kostenlosen Beratungsstunden durch PsychotherapeutInnen von Seiten der ÖGK verwies. Es wurden bereits einige wichtige Projekte gestartet, unter anderem in der außerschulischen Jugendarbeit oder im Rahmen von "Gesund aus der Krise". Dadurch sollen niederschwellige Therapieangebote ermöglicht werden.

Man bemühe sich sehr, die Fehler der Vergangenheit auszumerzen, erklärte Abgeordneter Ralph Schallmeiner (Grüne), aber Kapazitätsprobleme könnten nicht von einem Tag auf den anderen behoben werden. Er erwarte sich jedoch viel von der erstmaligen Kooperation zwischen der klinischen Psychologie und der Psychotherapie sowie der neuen Ausbildungsrichtlinie im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Im Obersten Sanitätsrat wurde zudem eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der unter Einbeziehung von Betroffenen Strategien für den Umgang mit Long-Covid erarbeitet werden sollen.

Beide Anträge wurden mehrheitlich vertagt. (Schluss) sue