Parlamentskorrespondenz Nr. 598 vom 02.06.2022

Unterrichtsausschuss: Schulpaket bringt mehr Autonomie für Standorte und Wahlfreiheit für Schüler:innen

Bildungsminister Polaschek erwartet sich durch die Reform der Oberstufe Stärkung der Schulprofile und Individualisierung des Unterrichts

Wien (PK) – Ambitionierte Ziele verfolgt die heute im Unterrichtsausschuss mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und NEOS beschlossene Sammelnovelle von insgesamt sieben Schulgesetzen, nämlich die Förderung der Eigenverantwortung der Schüler:innen sowie den sorgfältigen Umgang mit deren Lern- und Lebenszeit. Erreicht werden soll das durch ein umfassendes Maßnahmenpaket, das unter anderem eine Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Lehrpläne, die Überführung von erprobten Schulversuchen ins Regelschulwesen, eine Flexibilisierung des Systems der Wahlpflichtgegenstände, die Etablierung von alternativen Lehr- und Lernformen sowie bedarfsgerechte Fördermaßnahmen enthält. Eine zentrale Rolle spielt zudem die Umsetzung der seit Jahren diskutierten Reform der Oberstufe. Die Novelle sieht für alle mittleren und höheren Schulen nun grundsätzlich einen Umstieg auf die sogenannte semestrierte Oberstufe (SOST) ab 2023/2024 vor, wobei die Entscheidung darüber aber den Schulstandorten überlassen wird.

Bildungsminister Martin Polaschek begrüßte die damit verbundene Ausweitung der schulautonomen Entscheidungsmöglichkeiten und die Schaffung von zusätzlichen Freiräumen im Bereich der Lehrpläne. Bei Schüler:innen sollen die diversen Maßnahmen zur Stärkung der Eigenverantwortung, Selbstständigkeit und Selbstorganisation beitragen. Keine Zustimmung zur Regierungsvorlage kam von Seiten der SPÖ und der FPÖ. Abgeordnete Petra Vorderwinkler (SPÖ) hätte sich eine Verpflichtung zur flächendeckenden Einführung der semestrierten Oberstufe gewünscht, während Hermann Brückl (FPÖ) vor einem "Verwaltungsmoloch" warnte.

Die Eckpunkte: Wahlfreiheit für Standorte, neue Lehrplankonzeption, Individualisierung des Unterrichts

Eine Erweiterung der schulautonomen Gestaltungsmöglichkeiten beinhaltet der Entwurf zur Sammelnovelle (1487 d.B.), mit der unter anderem das Schulunterrichtsgesetz und das Schulorganisationsgesetz geändert werden. Es geht dabei um die Überführung der Schulversuche "Modulare Oberstufe" (MOST) und "Neue Oberstufe mit verstärkter Individualisierung" (NOVI) ins Regelschulwesen sowie um die Weiterentwicklung der Neuen Oberstufe (NOST) zur semestrierten Oberstufe (SOST). Damit verbunden sind u.a. kürzere Lern- und Beurteilungszeiträume, da Zeugnisse nach jedem Semester vergeben werden. Im Unterschied zur Neuen Oberstufe muss auch nicht mehr jeder Gegenstand in jedem Semester positiv abgeschlossen werden. Die Wahl der Organisationsform obliegt den Schulleitungen, die ab 1. September 2022 mit Zustimmung des Schulgemeinschaftsausschusses autonom darüber entscheiden können, ob sie ab der 10. Schulstufe (6. Klasse AHS, 2. Klasse BHS) die semestrierte Oberstufe einführen wollen oder ob sie bei ganzjährigen Variante bleiben.

Organisatorisch soll sich die Schulautonomie in einem schüler:innenzentrierten Kurssystem für Wahlpflichtgegenstände an mittleren und höheren Schulen ausdrücken. Leitgedanke des Bildungsministeriums bei der neuen Lehrplankonzeption ist, neben dem Wissenserwerb an den Schulen die Entwicklung von Fähigkeiten wie Teamarbeit und Querschnittsdenken entsprechend der Dynamik in Wirtschaft, Technik und Arbeitsmarkt zu stärken. Zur Individualisierung des Unterrichts soll überdies beitragen, dass auch in Pflichtgegenständen Schüler:innen dem Unterricht in einer höheren Schulstufe folgen können. Hier wird besonders auf die Begabtenförderung hingewiesen. Ebenso kann die Schule für Schüler:innen in einzelnen Fächern die Teilnahme am Unterricht eines niedrigeren Semesters ermöglichen, falls Lerndefizite bestehen. Auch die Einrichtung schulautonomer alternativer Pflichtgegenstände, insbesondere Wahlpflichtgegenstände, sieht der Gesetzesentwurf vor. Als Zielvorgabe wird angegeben, dass bis zu 20% der Unterrichtseinheiten in allgemeinbildenden höheren Schulen wählbar sein sollen. Ausgebaut wird zudem der Förderunterricht, der die individuellen Bedürfnisse der Schüler:innen berücksichtigen soll.

Mehr Spielraum gibt die ausgeweitete Schulautonomie nicht zuletzt bei der Schulzeit und beim Umgang mit Schüler:innen, die sich längeren Heilbehandlungen unterziehen müssen. Erkrankte Jugendliche können somit die Reifeprüfung etwa auch im Spital ablegen. Außerdem soll durch die Verlängerung der Corona-Bestimmungen entsprechende Vorsorge für das nächste Schuljahr getroffen werden.

Debatte über Reform der Oberstufe, Wahlfreiheit für die Schulstandorte und digitale Grundbildung

Aus Sicht von Abgeordneter Gertraud Salzmann (ÖVP) bringe die Novelle eine Reihe von positiven Fortschritten. So habe es etwa in den letzten zehn Jahren einen gewissen Wildwuchs an Schulversuchen gegeben, der nun beseitigt werde. Sie verteidigte auch die Regelung, wonach die Schulstandorte nun selbst entscheiden können, ob sie semestrierte Oberstufe oder die ganzjährige Form wählen. Die Praxis habe gezeigt, dass die SOST nicht für alle Standorte passe. Außerdem könne man eine Reform nur dann umsetzen, wenn man die Schulen mit ins Boot hole. Wichtig war ihr auch zu gewährleisten, dass die individuelle Lernbegleitung für alle Oberstufen gelte.

Die Vorteile würden klar auf der Hand liegen, meinte Abgeordnete Petra Vorderwinkler (SPÖ), da es weniger Schulabbrecher:innen gebe und die Ressourcen zielgerichteter eingesetzt werden können. Angesichts dessen frage sie sich aber, warum die SOST nicht verpflichtend eingeführt werde. Ihre Fraktionskollegin Katharina Kucharowits erkundigte sich nach dem Vorschlag des Ressort zur digitalen Grundbildung. Außerdem wies sie darauf hin, dass bei der aktuellen Mathematik-Matura ein Beispiel enthalten war, das nicht lösbar war.

Dass die Schulstandorte die Möglichkeit haben, zu wählen, ob sie die semestrierte Oberstufe einführen wollen, wurde von Katharina Werner (NEOS) positiv beurteilt. Die Forcierung der Individualisierung sei wichtig, weil dies zu mehr Motivation und somit zu mehr Lernerfolg führen würde.

Für die Abgeordnete Sibylle Hamann (Grüne) standen beim vorliegenden Schulpaket die Prinzipien Autonomie, Individualisierung und Vielfalt im Vordergrund. Dies komme in den verschiedensten Bereichen zum Ausdruck, wie zum Beispiel bei den Fördermaßnahmen, die sich nicht an den Defiziten orientieren, sondern als maßgeschneiderte Unterstützung für jeden einzelnen Schüler konzipiert seien. Erfreut zeigte sich die Mandatarin auch über die Überführung von innovativen Schulversuchen ins Regelschulwesen, weil hier viel pädagogische Pionierarbeit geleistet wurde.

Abgeordneter Hermann Brückl (FPÖ) warnte vor einem neuen "Verwaltungsmoloch", wo keiner mehr einen Überblick habe. Es würden damit nur mehr Hürden aufgebaut und Schulabbrüche verursacht. Die Verlängerung der Corona-Bestimmungen würde seine Fraktion ohnehin ablehnen.

Bundesminister Martin Polaschek erläuterte noch einmal die zentralen Eckpunkte des Entwurfs und zeigte sich überzeugt davon, dass die Schulen nun eigene Profile entwickeln könnten. Was das Problem bei der Mathematik-Matura angeht, so sei dies natürlich bedauerlich, aber man habe sofort nach Bekanntwerden reagiert und sämtliche Schuldirektor:innen informiert. Generell gebe es aber ein Sechs-Augen-Prinzip, was die Ausformulierung der Beispiele betrifft. Zu den Vorschlägen seines Ressorts bezüglich der digitalen Grundbildung sei keine grundsätzliche Kritik eingelangt; es handle sich seiner Meinung nach um einen Meilenstein.

Nationaler Qualifikationsrahmen: Vergleichbarkeit im Ausbildungs- und Weiterbildungsbereich nimmt deutlich zu

Seit dem Jahr 2016 gibt es den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR), der für eine bessere Transparenz und Vergleichbarkeit im Ausbildungs- und Weiterbildungsbereich sorgen soll. Dem Österreichischen Austauschdienst (OeAD) als NQR-Koordinierungsstelle kommt dabei die Aufgabe zu, Zuordnungsansuchen zu prüfen und sie auf einem der acht NQR-Qualifikationsniveaus abzubilden. Grundlage für die Arbeit des NQR bildet der Europäische Qualifikationsrahmen, eine Art "Übersetzungstool", um die unterschiedlichen Qualifikationen in den europäischen Ländern verständlicher und vergleichbar zu machen. Damit soll die grenzüberschreitende Mobilität von Lernenden und Arbeitnehmer:innen gefördert und das lebenslange Lernen in ganz Europa erleichtert werden.

Im nun vorliegenden aktuellen Bericht wird darauf hingewiesen, dass es 2021 mehr Neuzuordnungen in den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) des österreichischen Bildungssystems gegeben hat als je zuvor (III-638 d.B.). Neben Qualifikationen aus dem formalen Bereich wie landwirtschaftlicher Meister oder diplomierte Krankenpflege wurden auch mehrere nicht-formale Qualifikationen in den NQR aufgenommen. Was die konkrete Arbeit der Koordinierungsstelle anbelangt, so wurde im Vorjahr zur Weiterentwicklung und zur Prozessoptimierung eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Dadurch konnte ein besseres Verständnis aller Stakeholder, qualitativere Zuordnungsersuchen und letztlich einen Anstieg der Zuordnungen erreicht werden, urteilen die Autor:innen. Das Zusammenspiel aller NQR-Gremien sei ebenfalls verbessert worden, unter anderem durch die Expertisen von Sachverständigen. Erfreulich sei zudem, dass das Instrument in den vergangen Jahren bekannter wurde, was sich daran zeige, dass immer mehr Zeugnisse und Diplome mit dem entsprechenden NQR-Niveau versehen werden. Die europäische Dimension des NQR verdeutlicht sich im Projekt TRANSVAL-EU, in dem die österreichische Organisation mit 16 europäischen Partnern Ansätze zur Validierung transversaler Kompetenzen von niedrigqualifizierten Erwachsenen erarbeitet.

Im letzten Jahr wurden insgesamt 24 neue Zuordnungen vorgenommen, was einen neuen Höchstwert darstelle, erläuterte Bundesminister Martin Polaschek. Die meisten davon betrafen die berufliche Weiterbildung, die Erwachsenenbildung sowie den Gesundheitsbereich. Der Bericht zeige auch, dass die Kritik an den teilweise recht langen Verfahrensdauern ernst genommen und Optimierungsprozesse eingeleitet wurden. Der Abgeordneten Katharina Kucharowits (SPÖ) teilte der Ressortchef mit, dass die Dauer der Verfahren von durchschnittlich sieben Monaten auf vier bis sechs Monate reduziert werden konnte. Bezüglich einer Zusatzfrage zur Situation von Lehrer:innen aus der Ukraine informierte Polaschek darüber, dass eine Übergangslösung für alle jene gefunden wurden, die noch nicht Deutsch sprechen. Da viele Ukrainer:innen über gute Englischkenntnisse verfügen, würden all jene sofort eine Anstellung bekommen, die sich bewerben.

Der Bericht wurde einstimmig zur Kenntnis genommen und gilt somit als enderledigt.

Förderpaket soll Schulen in der Corona-Krise helfen, Nachweis des Studienerfolgs wurde verschoben

Auf der Agenda des Unterrichtsausschuss standen zudem drei COVID-19-Berichte des Bildungsressorts, die ohne Zustimmung der FPÖ mehrheitlich zur Kenntnis genommen und ebenfalls enderledigt wurden. Darin findet man einen Überblick über die Corona-Hilfen in den ersten drei Monaten des Jahres 2022, die den Schulen weiter durch die Pandemie helfen sollen. Für flächendeckende Corona-Testungen bezahlte das Ministerium 2022 bis Ende Jänner 25,39 Mio. € (III-585 d.B.). Bis Ende Februar erhöhten sich die Ausgaben für Tests auf 41,03 Mio. € (III-607 d.B.). Für Corona-Testungen an Schulen wurden im März 2022 zwar keine Antigen-Tests mehr bestellt, jedoch vier Millionen neue PCR-Testkits (III-640 d.B.) Insgesamt stehen heuer 238,0 Mio.€ für Tests zur Verfügung.

Durch ein umfassendes Förderstundenpaket sollen an sämtlichen Standorten pandemiebedingte Lernrückstände nachgeholt werden. Budgetiert sind für das laufende Schuljahr insgesamt 218,547 Mio. € (2022: 174,837 Mio. €) sowie 4,5 Mio. € für zusätzliche Vorbereitungsmöglichkeiten auf die abschließenden Prüfungen. Der Förderunterricht in den Hauptgegenständen wird in geteilten beziehungsweise kleinen Gruppen stattfinden und  zusätzlich soll es individuelle Fördermaßnahmen geben. Weiters sind mehr psychosoziale Unterstützungsangebote für Schülerinnen und Schüler, eine Kampagne für Bewegung und Sport sowie Maßnahmen zur Förderung der Klassengemeinschaft vorgesehen.

Damit Bezieher:innen von Studienbeihilfe trotz des durch die Corona-Pandemie eingeschränkten Studienbetriebs ihren Beihilfeanspruch nicht verlieren, wurde das Sommersemester 2020 für den Bezug von Studienbeihilfe nicht gewertet. Als besondere Unterstützung einkommensschwacher Studierender wurde in der Corona-Krise die Förderungsdauer um ein Semester verlängert und der im Wintersemester erforderliche Studiennachweis um ein Semester nach hinten verlegt.

In seinem März-Bericht zur Nutzung der Corona-Hilfen 2022 weist das Bildungsministerium insbesondere auf die Maßnahmen zur Abwendung der drohenden Insolvenz von Universitäts-Mensen hin. Dafür sind insgesamt 1,6 Mio. € eingeplant. Die pandemiebedingten Schließungen der Mensen im Wintersemester 2021/22 haben dem Bericht zufolge die Österreichische Mensenbetriebsgesellschaft (ÖMBG) in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, da Betriebe während der Lockdowns geschlossen bleiben mussten. Als erste Rate wurde im März ein Betrag von 500.000 € an die ÖMBG überwiesen.

SPÖ-Mandatarin Petra Vorderwinkler wies auf einen Bericht der Zeitschrift "Falter" hin, wonach der Republik eine Pönale in der Höhe von 11 Mio. € drohen soll, da nach dem Auslaufen der flächendeckenden PCR-Tests an den Schulen offenbar die Verträge mit dem Anbieter nicht rechtzeitig gekündigt wurden. Bildungsminister Martin Polaschek unterstrich mit Nachdruck, dass dies nicht stimme und sein Ressort "hochprofessionell arbeite". Es wurde völlig vertragskonform vorgegangen. Im Hinblick auf die nächsten Monate wurde auch schon eine Ausschreibung für fünf Lose in die Wege geleitet. Damit könne man die Abhängigkeit von einem Anbieter reduzieren.

Viele Mandatar:innen erkundigten sich auch danach, wie sich die Schulen auf den kommenden Herbst und Winter vorbereiten, zumal eine neuerliche Corona-Welle nicht auszuschließen sei. Das Ministerium bereite sich intensiv auf den Herbst vor und arbeite gerade in enger Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsressort an einer Gesamtstrategie sowie einem Sicherheitskonzept, das in den nächsten Wochen präsentiert werde, kündigte Polaschek an. Er garantiere auch, dass die Schulen noch vor dem Sommer über den Zeitplan informiert werden. Es sei ihm jedenfalls sehr wichtig, dass die Schulen wieder in die Normalität zurückgeführt werden. Offene Schulen hätten für ihn allerhöchste Priorität.

Beim Thema Förderstunden bekräftigte der Minister, dass ausreichend Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden sollen. Sollten die Rückmeldungen zusätzlichen Bedarf aufzeigen, dann werde man das bei den Verhandlungen mit dem Finanzminister auch einbringen. (Schluss Unterrichtsausschuss) sue