Parlamentskorrespondenz Nr. 721 vom 21.06.2022

Reform zur psychiatrischen Unterbringung passiert Justizausschuss

2. Erwachsenenschutz-Gesetz: Kosten höher als erwartet

Wien (PK) – Für eine umfassende Reform zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung haben heute die Abgeordneten im Justizausschuss einstimmig grünes Licht gegeben. Auch den Evaluierungsbericht zum 2. Erwachsenenschutz-Gesetz nahmen die Abgeordneten einhellig zur Kenntnis.

Zwei Anträge der SPÖ, die vertagt wurden, betrafen die Berücksichtigung der Ergebnisse der Kinderkostenstudie sowie die Berechnungsgrundlage des Unterhaltsvorschusses. Derzeit werde intensiv an einer Reform des Kindschafts- und Unterhaltsrechts gearbeitet, kündigte Justizministerin Alma Zadić in diesem Zusammenhang an.

Reform nach Ergebnissen der Sonderkommission

Die vorliegende Reform zur psychiatrischen Unterbringung soll sozial-, gesundheits- und rechtspolitisch vor allem dazu beitragen, dass psychisch kranke Menschen besser psychiatrisch versorgt sind, so die Erläuterungen. Mit der entsprechenden Novelle schlägt die Regierung Änderungen im Unterbringungsgesetz (UbG), im Sicherheitspolizeigesetz, im IPR-Gesetz, im Außerstreitgesetz und in der Notariatsordnung vor (1527 d.B.). Das Paket wurde aufgrund von Ergebnissen einer Sonderkommission geschnürt, erläuterte die Justizministerin. Die Kommission war eingerichtet worden, nachdem im Jahr 2016 ein geistig verwirrter, obdachloser Mann am Brunnenmarkt in Wien ohne ersichtlichen Grund eine Passantin mit einer Eisenstange erschlagen hatte. Die Sonderkommission habe in der Analyse unter anderem "fehlende oder unklare Regelungen für den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Berufsgruppen und Behörden sowie Standards für das zielgerichtete Vorgehen bei psychischen Erkrankungen" festgestellt. In der Reform sei außerdem eine dazu am Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie beauftragte Studie sowie die Ergebnisse aus einer umfassenden Arbeitsgruppe berücksichtigt worden. Mit einem mitbeschlossenen Abänderungsantrag wurden keine inhaltlichen Änderungen, sondern nur redaktionelle Richtigstellungen vorgenommen, wie Bettina Zopf (ÖVP) erörterte.

Ein wichtiges Anliegen der Reform sei es auch, das UbG mit den Anforderungen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Einklang zu bringen, so Zadić. Ein wesentlicher Punkt, den etwa auch Heike Grebien (Grüne) thematisierte, ist aus Sicht der Justizministerin auch, dass künftig weniger über die Patient:innen, sondern mehr mit ihnen gesprochen werden soll. Ein weiterer Abschnitt sehe Sonderregeln für Minderjährige vor, womit der Kritik Rechnung getragen werden soll, dass es sich bei der Materie um ein reines "Erwachsenenpsychiatriegesetz" handle.

Konkret sollen etwa zur "Unterbringung ohne Verlangen" in einer psychiatrischen Abteilung Ärzt:innen ermächtigt werden können, die entsprechende Bescheinigung auszustellen. Zu wenige Ärzt:innen hätten bisher die Einweisung in die Psychiatrie veranlassen können, mit der Novelle werde der Kreis erweitert, so die Justizministerin.

Klargestellt werden soll unter anderem auch, welche Aufgaben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, die einweisende Ärztin oder Arzt und die Fachärztin oder der Facharzt der psychiatrischen Abteilung im Rahmen der Klärung der Voraussetzungen der Unterbringung haben. Vorgesehen ist in diesem Zusammenhang weiters eine Weisungsbindung der Träger einer Sonderkrankenanstalt für Psychiatrie bzw. einer Krankenanstalt, die über psychiatrische Abteilungen verfügt.

Zur Verbesserung der Rechtssicherheit in der Kommunikation und Kooperation zwischen den verschiedenen Stellen, die mit psychisch kranken Personen mit Selbst- und Fremdgefährdungspotential zu tun haben, soll geregelt werden, wer wem welche Daten zu welchem Zweck übermitteln darf. So soll sich etwa die Ärztin oder der Arzt im Zuge der Aufhebung der Unterbringung um eine angemessene weitere soziale und psychiatrische Betreuung bemühen können, wenn er oder sie das für erforderlich hält. Klargestellt werden sollen unter anderem auch die Regelungen zu eigenmächtigem Fernbleiben und Behandlung außerhalb der psychiatrischen Abteilung. Die Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung der betroffenen Person und des Patienten bzw. der Patientin sollen außerdem gestärkt sowie die gerichtlichen Entscheidungsbefugnisse über eine medizinische Behandlung neu geregelt werden.

Ein Punkt des Behördenversagens am Brunnenmarkt sei gewesen, dass sich der Täter illegal in Österreich aufgehalten habe, gab Harald Stefan (FPÖ) in diesem Zusammenhang zu bedenken. Positiv bewerteten sowohl Nikolaus Scherak (NEOS) als auch Selma Yildirim (SPÖ) die umfassende Erarbeitung der Reform und die Einsetzung der Arbeitsgruppe. Darauf zu achten werde sein, dass die Ergebnisse nicht an der Umsetzung scheitern, etwa im Sinn einer negativen Kompetenzabgrenzung, so Yildirim.

Mitverhandelt und vertagt wurde ein Entschließungsantrag der FPÖ für eine Evaluierung des Erwachsenenschutzgesetzes (2540/A(E)), etwa betreffend den erwünschten Kontakt des/der Vertretenen zu dem/der Erwachsenenvertreter:in, aber auch zu nahen Angehörigen und zur Beratungssituation. Eine Evaluierung sei gesetzlich bereits vorgesehen, die Ergebnisse sollen im Jahr 2023 vorliegen, kündigte die Justizministerin im Ausschuss an.

Evaluierungsbericht zum 2. Erwachsenenschutz-Gesetz

Leitgedanke der grundlegenden Reform des damaligen Sachwalterrechts war mit dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz, das am 1. Juli 2018 in Kraft getreten ist, die Förderung der Selbstbestimmung von Menschen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind.

Der nunmehrige Evaluierungsbericht (III-376 d.B.) zeigt unter anderem, dass der kalkulierte Mehraufwand für diesen Bereich seit 2019 überschritten worden ist, erörterte Justizministerin Zadić. So sei ein Mehraufwand für Einrichtungen zur Pflege und Erziehung Minderjähriger in der Regierungsvorlage noch nicht enthalten gewesen. Der Mehraufwand für den Personalausbau bei den Erwachsenenschutzvereinen wäre demnach von vornherein um 3,4 Mio. € höher anzusetzen gewesen. Zum anderen habe sich die Annahme, dass die Erwachsenenschutzvereine durch den Rückgang der gerichtlichen Erwachsenenvertretungen ab 2020 deutlich entlastet werden können, nicht bewahrheitet. Vielmehr habe sich einerseits ein massiver und kontinuierlicher Anstieg des Aufgabenumfangs der Vereine in den Bereichen Clearing/Beratung/Registrierung sowie Bewohner:innenvertretung und andererseits kein Rückgang bei den von den Vereinen in der gerichtlichen Erwachsenenvertretung gezeigt, berichtet das Justizministerium.

Insgesamt wird der finanzielle Mehraufwand durch das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz dem Bericht zufolge von rund 9,6 Mio. € im Jahr 2018 auf etwa 16,9 Mio. € im Jahr 2022 steigen. Zusammen mit dem - valorisierten - Finanzierungsbedarf bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes geht das Justizressort von einem Gesamtförderbedarf für diesen Bereich für das Jahr 2022 von etwa 58,85 Mio. € aus. Im Vordergrund stehe aber jedenfalls die Unterstützung der Betroffenen, sodass diese Mehrkosten jedenfalls geboten und zu rechtfertigen seien, unterstrich Justizministerin Zadić in diesem Zusammenhang. Auch Gertraud Salzmann betonte seitens der ÖVP, es gelte, das Selbstgestaltungsrecht so gut es geht zu ermöglichen.

Zu einer deutlichen Einsparung ist es laut Bericht demgegenüber bei den überwiegend aus Amtsgeldern zu bezahlenden Sachverständigenkosten gekommen, die noch stärker ausgefallen sind als angenommen. Schätzungen zufolge hat es hier etwa im Jahr 2020 gegenüber 2017 Einsparungen von rund 4,5 Mio. € gegeben. Für die Folgejahre sei allerdings vorübergehend wieder mit einer leichten Zunahme der Kosten zu rechnen, so der Bericht.

Auf Fragen von Selma Yildirim (SPÖ) und Johannes Margreiter (NEOS) erörterten Experten des Ministeriums, dass für die Erwachsenenvertretungen nun offenbar vermehrt die Erwachsenenschutzvereine herangezogen würden, wo die Fallzahlen sogar steigen würden. Dass die Sachverständigen-Gebühren deutlich zurückgegangen sind, sei darauf zurückzuführen, dass die Gerichte auf die Clearing-Berichte der Vereine vertrauen. Der Vertretungsbedarf werde aber nicht weniger, solange bestimmte Barrieren etwa bei Banken oder Ämtern gebe, im Sinne von Formalitäten im Alltag. Dazu sei man im Gespräch mit verschiedensten Stellen, es brauche hier ein Umdenken. Einer der Experten bezeichnete es als eine gute Idee, auf das etwa von Philipp Schrangl (FPÖ) angesprochene Thema der Vorsorgevollmacht insgesamt stärker hinzuweisen.

SPÖ-Anträge zu Kinderkostenstudie und Berechnungsgrundlage des Unterhaltsvorschusses

Auch zwei Anträge der SPÖ führten zu einer intensiven Debatte im Justizausschuss und wurden mit der Begründung von ÖVP und Grünen vertagt, dass an einer Reform des Kindschafts- und Unterhaltsrechts gearbeitet werde.

Petra Vorderwinkler (SPÖ) verwies in Bezug auf den SPÖ-Antrag auf den Umstand, dass seit Ende des Jahres 2021 die Ergebnisse der Kinderkostenanalyse vorliegen, diese aber weder politisch bewertet noch als Basis für Reformen herangezogen worden seien. Handlungsbedarf gebe es aber genug, zumal Ein-Eltern-Haushalte durchschnittlich nur 376 € (Unterhalt, Unterhaltsvorschuss oder Halbwaisenrente) erhalten würden. Die mittleren monatlichen Kinderkosten würden jedoch bei rund 900 € pro Kind liegen. Dies führe dazu, dass fast jedes fünfte Kind in Österreich armutsgefährdet sei (2408/A(E)).

Mit dem zweiten Entschließungsantrag setzt sich die SPÖ dafür ein, dass bis zu einer "längst überfälligen" Umsetzung einer Unterhaltsgarantie künftig der Unterhaltsvorschuss auf Basis des Durchschnittseinkommens in Österreich berechnet werden soll, sofern das Kind mit der derzeitigen Berechnungsgrundlage finanziell schlechter gestellt ist (2570/A(E)). Die Absicherung des Unterhalts ist den Sozialdemokrat:innen zufolge ein wesentlicher Baustein, um etwa die hohe Armutsgefährdung von 31% bei Kindern von Alleinerziehenden zu bekämpfen.

Justizministerin Zadić betonte, die kontroversielle Debatte zu diesem Thema im Ausschuss zeige, dass die geplante umfassende Reform zum Kindschafts- und Unterhaltsrecht ausgewogen und umsichtig erfolgen müsse. Sie verwies auf eine ins Leben gerufene Arbeitsgruppe, in der zahlreiche Organisationen eingebunden seien. Entsprechend der kontroversiellen Materie sei noch ausgiebig Diskussionsbedarf vorhanden. (Fortsetzung Justizausschuss) mbu