Sozialausschuss ebnet Weg für wesentliche Teile der angekündigten Pflegereform
Mehr Befugnisse für Pflegekräfte, Pflegebonus für Angehörige, Zweckzuschüsse an die Länder für Gehaltserhöhungen und Ausbildung
Wien (PK) – Der Sozialausschuss des Nationalrats hat heute den Weg für wesentliche Teile der von der Regierung angekündigten Pflegereform geebnet. Die Abgeordneten stimmten insgesamt vier Gesetzesinitiativen der Koalitionsparteien zu, die unter anderem eine Ausweitung der Befugnisse von Pflegeassistent:innen und Pflegefachassistent:innen, einen Pflegebonus für Angehörige in Höhe von 1.500 € sowie eine Erhöhung des Demenz-Zuschlags beim Pflegegeld bringen. Zudem wird der Bund den Ländern 520 Mio. € für Gehaltserhöhungen für Pflegepersonal sowie 225 Mio. € für Ausbildungszuschüsse zur Verfügung stellen. Die Beschlüsse fielen überwiegend mit ÖVP-Grünen-Mehrheit, nur die Änderung des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes wurde auch von den NEOS mitunterstützt.
Die Oppositionsparteien bewerteten zwar einzelne Punkte des Pakets positiv, halten die Maßnahmen insgesamt aber für unzureichend und wenig nachhaltig. Dadurch werde man den Mangel an Pflegekräften nicht beheben, sind sie überzeugt. So vermissen sie etwa Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Pflegebereich. Anträge der Opposition fanden allerdings keine Mehrheit bzw. wurden vertagt.
Sozialminister Johannes Rauch zeigte sich demgegenüber erfreut, dass erste Beschlüsse zur Umsetzung des von Regierung angekündigten Reformpakets noch vor dem Sommer gefasst werden können. Das sei ein wichtiges Signal an die Betroffenen und werde "in der Szene" auch positiv aufgenommen, sagte er. Die Betroffenen hätten das Gefühl, dass sich etwas bewege. Immerhin nehme der Bund mehr als 1 Mrd. € in die Hand, um die Situation zu verbessern. Darauf verwiesen auch Vertreter:innen der Koalitionsparteien, die von einem "großen Wurf" und dem "größten Reformpaket seit der Einführung des Pflegegelds" sprachen.
Nachhaltig abgesichert werden sollen die vorgesehenen Verbesserungen laut ÖVP und Grünen im Zuge der demnächst startenden Finanzausgleichsverhandlungen. Sozialminister Johannes Rauch stellte zudem in Aussicht, das ursprünglich für Herbst 2023 geplante Pflegestipendium bereits Anfang nächsten Jahres umzusetzen. Demnach sollen Personen, die sich via AMS zu einer Pflegefachkraft umschulen lassen, ein monatliches Stipendium von 1.400 € erhalten.
Ebenfalls noch nicht Teil des vorliegenden Pakets sind unter anderem die geplante Einführung einer Pflegelehre im Rahmen eines Modellversuchs sowie die Überführung von im Herbst 2020 gestarteten Schulversuchen in das Regelschulwesen. Hierzu laufen derzeit Vorarbeiten im zuständigen Wirtschaftsministerium bzw. im Bildungsministerium, wie in den Erläuterungen zum Gesetzespaket festgehalten wird. Demnach soll der Gesetzentwurf zur Pflegelehre spätestens Anfang 2023 vorliegen. Auch eine Weiterentwicklung der 24-Stunden-Betreuung und weitere Maßnahmen im Berufs- und Ausbildungsrecht sind in Planung, etwa was die Spezialausbildungen im Bereich des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege und neue Berufsbilder – Stichwort Community Health Nurse – betrifft.
Mehr Befugnisse für Pflegekräfte
Umgesetzt wird die Pflegereform unter anderem durch eine Änderung des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes (2653/A). Demnach soll es Pflegeassistent:innen künftig gestattet sein, laufende Infusionen – ausgenommen Zytostatika und Bluttransfusionen – bei liegendem periphervenösen Gefäßzugang an- und abzuschließen, etwa wenn das für einen Toilettengang oder pflegerische Maßnahmen nötig ist. Bisher war diese Tätigkeit der Pflegefachassistenz vorbehalten. Pflegefachassistent:innen wiederum sollen auch subkutane Injektionen und Infusionen verabreichen sowie Venen- bzw. Hautkanülen legen bzw. entfernen dürfen. Die bisherige Einschränkung auf die Injektion von Insulin und blutgerinnungshemmenden Arzneimitteln entfällt.
Außerdem wird die Bestimmung, wonach Pflegeassistent:innen nur noch bis Ende 2024 in Krankenanstalten tätig sein dürfen, aufgrund des hohen Bedarfs an Pflegepersonal aus dem GuKG gestrichen.
Bonus von 1.500 € für pflegende Angehörige
Geändert wird auch das Bundespflegegeldgesetz (2655/A). Wer eine nahe Angehörige bzw. einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegt und deshalb seinen Job aufgegeben hat bzw. als pflegende:r Angehörige:r versichert ist, soll ab 2023 einen Bonus von 1.500 € pro Jahr erhalten. Voraussetzung ist der Bezug von Pflegegeld zumindest in Stufe 4 durch die pflegebedürftige Person. Anspruchsberechtigt ist jene Person, die den größten Teil der Pflege leistet. Zudem können pflegenden Angehörigen künftig Zuschüsse für Kurse zur Wissensvermittlung im Bereich Pflege und Betreuung aus dem Unterstützungsfonds für Menschen mit Behinderung gewährt werden, wobei den Erläuterungen zufolge an Zuwendungen von bis zu 200 € pro Jahr und pflegebedürftiger Person gedacht ist.
Um die erschwerten Pflegebedingungen bei dementiellen Beeinträchtigungen der pflegebedürftigen Person besser zu berücksichtigen, wird der pauschale Erschwerniszuschlag zum Pflegegeld für Erwachsene mit einer schweren geistigen bzw. psychischen Behinderung von monatlich 25 auf 45 Stunden erhöht. Zudem wird die erhöhte Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder in Hinkunft nicht mehr teilweise auf das Pflegegeld angerechnet, was für betroffene Familien eine finanzielle Entlastung von 60 € bewirkt. Die Frist für die Beantragung von Pflegekarenzgeld wird auf bis zu zwei Monate erstreckt.
Ausbildungszuschuss von 600 €
Für Erstausbildungen im Pflegeberuf soll es ab September einen steuer- und abgabenfreien Ausbildungszuschuss in der Höhe von 600 € geben. Das betrifft etwa Ausbildungen zur diplomierten Krankenpflege, zur Pflegefachassistenz und zur Pflegeassistenz, unabhängig davon, ob diese an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen, an Fachhochschulen oder in Form von Lehrgängen erfolgen. Ebenso sind bestimmte Pflichtpraktika im Pflegebereich umfasst.
Umzusetzen ist dieser Teil des Pflegepakets allerdings von den Ländern. Mit dem vorliegenden Pflegeausbildungs-Zweckzuschussgesetz (2654/A) werden lediglich die Rahmenbedingungen für finanzielle Zuschüsse des Bundes geregelt. Demnach wird der Bund den Ländern bis zum Jahr 2025 insgesamt 225 Mio. € überweisen, wobei 2022 50 Mio. €, 2023 und 2024 je 75 Mio. € und 2025 25 Mio. € zur Verfügung gestellt werden. Damit sollen zwei Drittel des Zuschusses (400 €) abgedeckt werden, für das dritte Drittel müssen die Länder selbst aufkommen.
Keinen Anspruch auf den Ausbildungszuschuss werden Personen haben, die eine AMS-Unterstützung – etwa ein Fachkräftestipendium oder Arbeitslosengeld – erhalten. Übrig gebliebene Mittel können von den Ländern auch für andere Zwecke wie die Ausbildung zu Lehrenden für Gesundheits- und Krankenpflegeberufe verwendet werden.
Mit einem bei der Abstimmung mitberücksichtigten Abänderungsantrag wird unter anderem sichergestellt, dass auch Personen, die vor dem September eine Erstausbildung in einem Pflegeberuf begonnen haben, ab diesem Zeitpunkt den Zuschuss erhalten. Zudem sollen etwaige vergleichbare Leistungen der Länder – beispielsweise Ausbildungszuschüsse für Sozialbetreuungsberufe ohne Pflegeassistenzmodul – gleichfalls bis zu einer Höhe von 600 € von sämtlichen bundesgesetzlichen Abgaben und von Sozialversicherungsbeiträgen befreit sein.
Höhere Gehälter für Pflegepersonal
Schließlich wollen ÖVP und Grüne mit dem sogenannten Entgelterhöhungs-Zweckzuschussgesetz (2656/A) die angestrebte Gehaltserhöhung für Pflegepersonal budgetär absichern. Den Ländern werden zu diesem Zweck für die Jahre 2022 und 2023 insgesamt bis zu 520 Mio. € überwiesen. Gemäß den Vorgaben sind die Mittel für die Verringerung bestehender Gehaltsunterschiede für gleiche Tätigkeiten und für die Abgeltung zusätzlicher Aufgaben durch Kompetenzerweiterungen zu verwenden, wobei Details auf Basis kollektivvertraglicher Vereinbarungen geregelt werden sollen. Bei – laut Erläuterungen – rund 120.000 im Pflegesektor beschäftigten Personen (Vollzeitäquivalenten), steht durchschnittlich ein Betrag von ca. 2.160 € pro Jahr und Person zur Verfügung.
Auch die Umsetzung dieses Teils des Pflegepakets liegt grundsätzlich in der Verantwortung der Länder, wobei der Sozialausschuss davon ausgeht, dass die Verhandlungen so bald wie möglich beginnen und sowohl die zuständigen Gewerkschaften und Interessenvertretungen als auch die in Betracht kommenden Arbeitgeber:innen bzw. Arbeitgeberverbände in die Gespräche eingebunden werden. Zudem streben ÖVP und Grüne bundesweit möglichst einheitliche Regelungen an, wie in einer mit ihrer Mehrheit angenommenen Ausschussfeststellung festgehalten wird. Darin werden auch Akontozahlungen zu den Zweckzuschüssen in Aussicht gestellt, was SPÖ-Abgeordneter Alois Stöger allerdings als verfassungswidrig wertete.
SPÖ fordert Schwerarbeitspension für Pflegekräfte
Mit den vier Gesetzesanträgen der Koalitionsparteien mitverhandelt wurden zahlreiche Entschließungsanträge der Opposition, mit denen SPÖ, FPÖ und NEOS ihre Forderungen in Sachen Pflegereform unterstreichen. So drängt die SPÖ unter anderem darauf, durch die Einrichtung eines ausreichend dotierten Pflegegarantiefonds kostenlose Pflegeleistungen sicherzustellen, eine Ausbildungsoffensive zu starten und die Arbeitssituation in Pflegeberufen rasch zu verbessern (2349/A(E)). Außerdem sind ihnen die Aufnahme von Pflegeberufen in die Schwerarbeitspension (2424/A(E)), eine Klarstellung der Rechtslage bei Nachtgutstunden für Pflegepersonal (1538/A(E)) und ein auf September 2022 vorgezogener Start des angekündigten Pflegestipendiums (2505/A(E)) ein Anliegen.
FPÖ urgiert Rechtsanspruch auf Übergangspflege
Für einen Rechtsanspruch auf sogenannte Übergangspflege setzt sich die FPÖ ein (2339/A(E)). Dabei geht es um rehabilitative Pflege im Krankenhaus nach einer Akutbehandlung, bevor der Patient bzw. die Patientin nach Hause entlassen wird. Der Rechtsanspruch soll bis zu 12 Wochen pro Kalenderjahr umfassen und vom zuständigen Sozialversicherungsträger finanziert werden. Auch in Deutschland hätten Versicherte Anspruch auf Übergangspflege im Krankenhaus, begründen die Freiheitlichen ihre Forderung nach einem Fördermodell.
NEOS für umfassende Kostenanalyse zur besseren Finanzplanung
Die NEOS sprechen sich für eine umfassende Kostenanalyse der Pflege in Österreich aus, um eine bessere Finanzplanung zu ermöglichen (2478/A(E)). Dabei soll auch erhoben werden, welche Summen an Pensionsbezügen und Mindestsicherungsentgelt zur Abdeckung von Heimkosten genützt werden. Zudem soll durch eine Änderung des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes sichergestellt werden, dass diplomierte Krankenpfleger:innen von Ärzt:innen verordnete Medizinprodukte tatsächlich weiterverordnen können (2256/A(E)).
ÖVP: Größtes Reformpaket im Pflegebereich seit Einführung des Pflegegeldes
Im Zuge der Debatte qualifizierte Ernst Gödl (ÖVP) das vorliegende Gesetzespaket als größtes Reformpaket im Pflegebereich seit Einführung des Pflegegeldes. Die Bundesregierung nehme mit 1 Mrd. € sehr viel Geld in die Hand, um die Situation zu verbessern und Pflegeberufe zu attraktivieren. Er rief die Opposition auf, das auch anzuerkennen.
Kritik von FPÖ-Abgeordnetem Gerhard Kaniak, wonach die Pflegemilliarde trotz einer aktuell vorliegenden Bundesfinanzgesetz-Novelle nicht im Budget abgebildet sei, hielt Gödl entgegen, die meisten Vorhaben würden erst im nächsten Jahr finanziell wirksam und seien damit auch erst im Budget 2023 zu verankern. Zudem seien die Beschlüsse noch nicht erfolgt und könnten damit auch nicht budgetär abgebildet werden, was die Opposition allerdings in Zweifel zog.
Nicht gelten ließ Gödl auch kritische Anmerkungen der Opposition zum Bonus für pflegende Angehörige: Er wies darauf hin, dass das Pflegegeld nirgends so hoch sei wie in Österreich und auch pflegenden Angehörigen zugutekomme. Deutschland ist für ihn kein Vorbild – man habe sich in Österreich festgelegt, dass man bei der Steuerfinanzierung der Pflege bleibe. Die Pflegelehre sieht Gödl durchaus als möglichen Weg, zu mehr Personal zu kommen.
Zur Frage des Handlungsspielraums des Bundes merkte Gödl an, es gebe eine klare Zuständigkeit der Länder für Sachleistungen im Pflegebereich. Das sei ein Ausfluss des föderalen Prinzips. Die Länder hätten im Zuge der Verhandlungen auch zu verstehen gegeben, dass sie daran nicht rütteln wollen. Der Bund könne aber über Zweckzuschussgesetze steuernd eingreifen.
Grüne: Pflegereform kommt endlich in Umsetzung
Umfassendes Lob für das Pflegepaket äußerte auch Bedrana Ribo (Grüne). Heute sei "ein großer Tag", meinte sie. Jahrzehntelang sei die Pflegereform in Regierungsprogrammen gestanden, nun komme sie endlich in Umsetzung. Es sei eine gesellschaftliche Notwendigkeit, das Problem anzugehen, die Hilferufe aus der Pflege seien nicht zu überhören, so Ribo. Ausdrücklich begrüßte sie in diesem Sinn etwa die angestrebten Gehaltserhöhungen und die Maßnahmen für pflegende Angehörige.
Ribo räumte allerdings ein, dass es weiterer Schritte bedürfe, um die Rahmenbedingungen im Pflegebereich zu verbessern. Viele Zuständigkeiten würden aber bei den Ländern liegen, der Spielraum des Bundes sei ein nicht sehr großer. Als umso bemerkenswerter wertete es Grünen-Sozialsprecher Markus Koza, dass nun erstmals der Bund Geld zur Verfügung stellt, damit die für Entlohnungsfragen zuständigen Sozialpartner die Gehälter für Beschäftigte im Pflegebereich anheben können.
Zu den Oppositionsanträgen hielt Ribo unter anderem fest, die geforderte Verbesserung bei den Nachtgutstunden sei bereits angekündigt und werde fix kommen. Der NEOS-Antrag zu den Heilmitteln ist ihrer Meinung nach hingegen schwierig umzusetzen. Auch zu den Vorschlägen der SPÖ bezüglich Schwerarbeitspension äußerte sie sich skeptisch. Schließlich würde es gerade im Pflegebereich wenig Menschen geben, die tatsächlich 540 Versicherungsmonate erwerben. Verbesserungen bei der Nachtschwerarbeit seien aber Teil des angekündigten Pflegepakets, bekräftigte die Abgeordnete. Auch weitere Forderungen der SPÖ sieht sie erfüllt.
Als nicht notwendig erachtet Ribo einen Rechtsanspruch auf Übergangspflege im Krankenhaus. Es würde ohnehin niemand aus dem Krankenhaus entlassen, wenn eine Pflege zu Hause nicht sichergestellt sei. Die von den NEOS geforderte Kostenanalyse würde ihrer Meinung nach die Pflegereform nur unnötig verzögern.
FPÖ: Maßnahmen sind nicht ausreichend und nicht nachhaltig
Die Hoffnung der Koalitionsparteien auf eine breite Zustimmung zu den Gesetzesvorlagen wurde allerdings nicht erfüllt. Es sei zwar grundsätzlich "sehr erfreulich", dass den Ankündigungen der letzten Wochen nun Taten in Form von Gesetzesvorlagen folgen, sagte etwa FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak, diese seien aber "weder umfangreich genug, noch schnell genug, noch nachhaltig genug".
So gehen nach Meinung von Kaniak die neuen Befugnisse für Pflegepersonal nicht weit genug. Es brauche eine generelle Kompetenzneuregelung, mahnte er. Zudem vermisst er Entlastungen im Bürokratiebereich und bezweifelt, dass es zu einer nachhaltigen Gehaltserhöhung kommen wird. Das wäre aber eine Voraussetzung, um mehr Menschen für Pflegeberufe zu gewinnen. Zudem nage es ein bisschen an der Glaubwürdigkeit, dass die Pflegereform auch in der gerade vorliegenden zweiten Budgetnovelle nicht abgebildet sei, meinte er. Ebenso brauche man beim Pflegebonus für Angehörige "eine deutlich bessere Lösung".
Bedauern äußerte Kaniak weiters darüber, dass sich in Bezug auf die Weiterverordnung von Heilmitteln durch Pflegepersonal keine Lösung abzeichne. Die derzeitige Situation sei geradezu "absurd", beklagte er. So müssten die Krankenpfleger:innen ärztliche Rezepte anfordern, um Wundversorgungen mit Spezialverbänden fortsetzen zu können. Gleiches gelte für benötigte Heilnahrung. Ausdrücklich lobte Kaniak hingegen den erhöhten Demenz-Zuschlag beim Pflegegeld.
Um den Forderungen der FPÖ Nachdruck zu verleihen, brachte Kaniak einen Entschließungsantrag ein. In Anlehnung an ein von der FPÖ ausgearbeitetes "Kärntner Pflegemodell" plädierte die Freiheitliche Fraktion unter anderem für die Einführung eines Pflegeschecks, eine umfassende soziale Absicherung für pflegende Angehörige, eine steuerliche Entlastung von Pflegeberufen und die Einführung einer Pflege-Lehre nach Schweizer Vorbild. Auch an der geforderten Übergangspflege in Krankenhäusern hielt Kaniak fest und wies darauf hin, dass dies in den Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt sei.
SPÖ: Gesetzespaket enthält keine echten Reformen
Seitens der SPÖ kritisierten Josef Muchitsch, Christian Drobits, Alois Stöger und Philip Kucher das vorliegende Gesetzespaket. Er habe durchaus Respekt davor, dass man etwas für die Pflege tue, sagte Stöger, bei der Umsetzung gebe es aber zahlreiche Mängel. Auch SPÖ-Sozialsprecher Muchitsch vermisst eine echte Reform und machte geltend, dass es zu keinerlei Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen für Pflegeberufe komme. Jene Pflegekräfte, die im Beruf bleiben, hätten immer mehr und mehr Arbeit. Auch seien die angestrebten Gehaltserhöhungen nur befristet finanziert.
Muchitsch wertete es überdies als "Hohn", dass von rund 950.000 pflegenden Angehörigen nur 26.000 den Pflegebonus bekommen werden. 600.000 Pensionist:innen gingen ebenso leer aus wie 300.000 Teilzeitbeschäftigte, die vielleicht gerade wegen der Pflegearbeit ihre Arbeitszeit reduziert hätten. Das sieht auch Abgeordneter Drobits so. Er vermisst außerdem Verbesserungen bei der Pflegegeldeinstufung und kritisierte, dass für Heimhelfer:innen, Angehörige von MTD-Berufen und Sozialbetreuungsberufen sowie Hebammen keine Gehaltserhöhungen vorgesehen seien. Den neuen Demenz-Zuschlag und die Nichtanrechnung der erhöhten Familienbeihilfe beim Pflegegeld begrüßte jedoch auch er.
SPÖ-Gesundheitssprecher Kucher kritisierte, dass der gehobene Dienst bei der vorgesehenen Kompetenzerweiterung komplett vergessen worden sei. Nicht einmal den "Minischritt", diesen eine Weiterverordnung von Heilmitteln zu ermöglichen, habe man geschafft. Scharfe Kritik übte Kucher zudem an der geplanten Einführung einer Pflegelehre: Alle Expertinnen und Experten würden das "für einen Topfen halten" und davon abraten, betonte er.
Was die Finanzierungsfrage betrifft, gab Abgeordneter Stöger zu bedenken, dass der Bund mehr als 50% zur Gesamtfinanzierung der Pflege beisteuere. Zweitgrößter "Player" seien die Gemeinden, dann kämen die Betroffenen selbst und erst irgendwann dahinter die Länder. Trotzdem würden diese nun umfangreiche Zweckzuschüsse erhalten. Stöger warnte überdies davor, die Ausbildungszuschüsse von der Sozialversicherung zu befreien. Er befürchtet nicht nur eine Präzedenzwirkung für andere Zahlungen, sondern wies auch auf Nachteile bei der Pension hin.
NEOS fordern Aufwertung des gehobenen Dienstes und hinterfragen Zweckzuschüsse
NEOS-Abgeordnete Fiona Fiedler bemängelte ebenfalls, dass man bei der Aufwertung der Aufgaben auf den gehobenen Dienst vergessen habe. Es brauche hier eine echte Novellierung des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes im Herbst, mahnte sie. Zudem erachtet sie eine umfassende Kostenanalyse im Pflegebereich für unumgänglich. Keiner wisse, wieviel Geld wirklich benötigt werde. Das sei auch im Hinblick auf die weitere Vorgangsweise nach Auslaufen der Zweckzuschüsse in zwei Jahren wichtig.
Fiedlers Parteikollege Gerald Loacker hinterfragte die Aufteilung der Zweckzuschüsse an die Länder nach dem Bevölkerungsschlüssel. Schließlich seien die Menschen in den Ländern unterschiedlich alt und krank, gab er zu bedenken. Zudem bezweifelt er, dass die Länder überhaupt zusätzliche Mittel benötigen. Diese wüssten ohnehin schon nicht mehr, "wohin mit dem Geld", glaubt er. Auch die Kritik der SPÖ an der Befreiung der Ausbildungszuschüsse von der Sozialversicherung, wurde von Loacker geteilt.
Was den Pflegebonus für pflegende Angehörige betrifft, bezeichnete Loacker die seinerzeitige Abschaffung des Pflegeregresses als "Grundfehler". Seither sei die Pflege im Heim "gratis", selbst wenn die pflegebedürftige Person fünf Wohnungen habe. Nun müsse man pflegende Angehörige fördern, damit Betroffene zu Hause gepflegt werden. Loacker hegt auch Zweifel daran, dass die Gehaltsfrage für Angehörige von Pflegeberufen eine zentrale Rolle spielt, als Hauptprobleme würden vielmehr die hohe Arbeitsbelastung und andere Arbeitsbedingungen genannt.
Rauch stellt Einführung des Pflegestipendiums mit Anfang 2023 in Aussicht
Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch bedankte sich ausdrücklich für die rasche Ausarbeitung erster konkreter Gesetzentwürfe. Es sei wichtig, dass die angekündigten Maßnahmen rasch Wirkung zeigen, unterstrich er. Mit Beschlüssen noch vor dem Sommer setze man ein wichtiges Signal, was von den Betroffenen auch positiv aufgenommen werde. Diese hätten das Gefühl, es bewege sich etwas.
Auch die Budgetierung des Reformpakets sieht Rauch gesichert. Für das heurige Jahr seien bereits 50 Mio. € freigemacht worden, der Rest werde 2023 budgetiert, skizzierte er. Für pflegende Angehörige seien in Summe 100 Mio. € zusätzlich vorgesehen. Was die Frage der Nachhaltigkeit der Gehaltserhöhung und der Ausbildungszuschüsse anlangt, meinte Rauch, das Gesamtgefüge der Pflegefinanzierung werde im Zuge der voraussichtlich im Herbst startenden Finanzausgleichsverhandlungen zur Diskussion stehen.
Zur Thema Kompetenzverteilung merkte Rauch an, er brauche für die Umsetzung der Vorhaben die Länder. "Was Sie mir nicht zumuten können, ist, im Zuge der Pflegereform eine Bundesstaatsreform zusammenzubringen", meinte er in Richtung Opposition. Ziel der Bundeszuschüsse sei es jedenfalls, den Personalmangel im Pflegebereich "bestmöglich zu beseitigen", dazu seien große Anstrengungen notwendig. Wichtig ist für Rauch dabei auch, dass sich die Bundesländer nicht gegenseitig Konkurrenz machen, um Pflegekräfte abzuwerben, gleiches gelte für die Konkurrenz zwischen stationärem und ambulantem Bereich.
Was die noch offenen Punkte der Reform betrifft, betonte Rauch, er werde diese "mit voller Vehemenz" weiterverfolgen. So stellte er die Einführung des angekündigten Pflegestipendiums bereits für Jänner 2023 in Aussicht. Die Pflegelehre sieht er als Pilotversuch, dem man eine Chance geben sollte. Dieser sei mit allen Ländern vereinbart worden, auch mit den sozialdemokratisch geführten. Über die soziale Gerechtigkeit der Abschaffung des Pflegeregresses könne man geteilter Meinung sein, sagte Rauch, eine Wiedereinführung hält er aber nicht für diskutierbar.
Auf den gehobenen Dienst sei bei der Kompetenzerweiterung nicht vergessen worden, versicherte Rauch den Abgeordneten. Derzeit gebe es dazu eine Evaluierung, ebenso würden Gespräche laufen. Eine gesetzliche Grundlage für Heilmittel-Weiterverschreibungen durch Gesundheitspersonal sei überdies bereits vorhanden, allerdings brauche es zusätzlich Verträge zwischen den Kassen und den betroffenen Gruppen. Eine Schwerarbeitspension gibt es ihm zufolge schon im Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung, es bedürfe hier aber insgesamt eines neuen Systems.
Den SPÖ-Antrag zur Einrichtung eines Pflegegarantiefonds, den FPÖ-Antrag zur Übergangspflege und den NEOS-Antrag zur Kostenanalyse lehnte der Ausschuss schließlich mehrheitlich ab, die anderen Oppositionsanträge wurden von ÖVP und Grünen vertagt. Auch der erst im Zuge der Beratungen von der FPÖ eingebrachte Entschließungsantrag zum "Kärntner Pflegemodell" fand keine Mehrheit. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs
Links
- 1/A-AS - Ausschuss für Arbeit und Soziales
- 2653/A - GuKG-Novelle 2022
- 2339/A(E) - Förderung der Übergangspflege
- 2349/A(E) - Pflegeoffensive sofort in Angriff nehmen
- 1538/A(E) - Klarstellung der Rechtslage betreffend Schutzmaßnahmen für Pflegepersonal in Pflegeeinrichtungen
- 2478/A(E) - Kostenanalyse Pflege
- 2655/A - Bundespflegegeldgesetz
- 2654/A - Pflegeausbildungs-Zweckzuschussgesetz – PAusbZG
- 2656/A - Entgelterhöhungs-Zweckzuschussgesetz – EEZG
- 2424/A(E) - Pflege und Betreuung ist Schwer(st)arbeit
- 2505/A(E) - Start des Pflegestipendiums bereits mit 1. September 2022
- 2256/A(E) - Weiterverordnung von Heilmitteln