Parlamentskorrespondenz Nr. 853 vom 08.07.2022

Familienbeihilfe: Lösung für Vertriebene aus der Ukraine und Rücknahme der Indexierung

Wien (PK) – Die unter der türkis-blauen Regierung eingeführte Indexierung der Familienbeihilfe ist Geschichte. Da diese Maßnahme laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs einen Verstoß gegen Unionsrecht darstellt, wurde heute im Nationalrat eine entsprechende Novellierung des Familienlastenausgleichs- und des Einkommensteuergesetzes vorgenommen. Diese Gesetzesreparaturen wurde von allen Fraktionen außer der FPÖ mitgetragen.

Mehrheitlich angenommen wurde zudem ein im Zuge der Sitzung eingebrachter Antrag der Regierungsfraktionen, durch den geflüchtete Menschen aus der Ukraine einen Anspruch auf Familienbeihilfe und den damit verbundenen Sozialleistungen erhalten. Die Regelung soll rückwirkend ab 12. März in Kraft treten und gilt bis zum Tag der Beendigung des Aufenthaltsrechts der Vertriebenen, längstens jedoch bis zum 4. März 2024. Davon profitieren werden rund 79.000 Personen, die seit Kriegsbeginn aus der Ukraine geflüchtet und in Österreich registriert sind, der Großteil davon Frauen und Kinder.

Die systematische, rasche, koordinierte und unabhängige Aufklärung und Ahndung von in der Ukraine begangenen Kriegsverbrechen und möglicher weiterer Verstöße gegen das Völkerrecht ist Kern einer Initiative der Koalitionsparteien, die von SPÖ und NEOS mitgetragen wurde. Insbesondere ist den Abgeordneten dabei auch die Ahndung sexueller und geschlechterspezifischer Gewalt sowie die Unterstützung von Opfern und Zeug:innen ein Anliegen.

Außerdem stand die SPÖ-Forderung nach der Aufhebung der derzeit bestehenden Diskriminierung von schwulen und bisexuellen Männern sowie transidenten Personen beim Blutspenden auf der Agenda. Mit der Begründung, dass der Gesundheitsminister bereits eine entsprechende ab September geltende Verordnung angekündigt habe, wurde der Antrag von der Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt.

Änderungen im Familienlastenausgleichsgesetz und Einkommensteuergesetz sollen EU-konforme Rechtslage herstellen

Seit Anfang 2019 war die Familienbeihilfe für EU-Bürgerinnen und -Bürger, die in Österreich arbeiten, für ihre nicht hier lebenden Kinder an die Lebenshaltungskosten des jeweiligen Heimatlandes angepasst. In seinem Urteil stellte der EuGH fest, dass die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag als Familienleistungen im Sinne der EU-Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nicht aufgrund des Wohnorts von Berechtigten oder deren Angehörigen gekürzt werden dürfen. Außerdem verstoße die Indexierung auch gegen die Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer:innen innerhalb der Union. Wanderarbeitnehmer:innen seien in gleicher Weise wie inländische Arbeitnehmer:innen an der Festsetzung und Finanzierung der Beiträge beteiligt, die der Familienbeihilfe und den Steuervergünstigungen zugrunde liegen, ohne dass es auf den Wohnort der Kinder ankomme. Bundesministerin Susanne Raab hatte bei der Debatte im Ausschuss darüber informiert, dass die Abwicklung der Nachzahlungen bei Vorliegen von Kontodaten automatisiert erfolgen werde. Dies gelte für die überwiegende Zahl der rund 81.000 Fälle. Bei bereits ausbezahlten höheren Familienbeihilfen soll es keine Rückforderungen geben.

ÖVP: Österreich werde europäisches Recht umsetzen

Österreich werde selbstverständlich europäisches Recht umsetzen, betonte ÖVP-Abgeordnete Alexandra Tanda, die Abwicklung der Nachzahlungen werde rasch und automationsunterstützt erfolgen. Auch Norbert Sieber (ÖVP) betonte, das EuGH-Urteil sei zur Kenntnis zu nehmen. Er halte aber weiter daran fest, dass eine Anpassung der Familienbeihilfe an den Wohnort gerecht wäre, was auch von vielen namhaften Expert:innen bestätigt wurde. Sogar der Rechnungshof habe auf "massive Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten" im Familienbeihilfensystem hingewiesen, zumal es in den letzten Jahren zu massiven Anstiegen bei der Auszahlung an Kinder im Ausland gekommen sei. Die Regelung war auch auf EU-Ebene ein größeres Thema, wobei vor allem Großbritannien eine Indexierung eingefordert habe. Bezüglich der Kritik von Seiten der SPÖ erinnerte Sieber daran, dass es der frühere Kanzler Kern war, der sich sogar für eine Absenkung der Familienbeihilfe auf das jeweilige Landesniveau ausgesprochen habe. Was die Lösung für die Vertriebenen aus der Ukraine angeht, so habe sie zwar etwas gedauert, räumte Sieber ein, "aber oft liege der Teufel im Detail". Nun gebe es aber einen guten Gesetzesvorschlag, der zudem eine rückwirkende Auszahlung der Familienbeihilfe ermögliche.

Grüne: Gute Lösung in Sachen Familienbeihilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine

Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne) zeigte sich zufrieden mit der Reparatur der Gesetze, die den Forderungen der Grünen entspreche. Sie habe immer wieder erklärt, dass ihre Fraktion die Indexierung der Familienbeihilfe für ethisch nicht vertretbar halte. Es sei einfach ungerecht, wenn Kinder ungleich behandelt würden. Vor allem 24-Stunden-Betreuer:innen waren von dieser unmenschlichen und diskriminierenden Maßnahme besonders betroffen, zeigte Bedrana Ribo (Grüne) auf. Auch aus ökonomischer Sicht war die Regelung aus Sicht von Neßler keine gute Idee, da es in Österreich einen massiven Fachkräftemangel gebe. Äußerst positiv sei jedoch die Tatsache zu beurteilen, dass es gestern in den Verhandlungen mit der ÖVP gelungen sei, eine Lösung für die Flüchtlinge aus der Ukraine  in Sachen Familienbeihilfe zu finden.

FPÖ hält weiterhin an Indexierung der Familienbeihilfe fest

Abgeordnete Edith Mühlberghuber (FPÖ) verteidigte einmal mehr die Anpassung der Familienleistungen an die Kaufkraft jener Länder, in denen die Kinder von in Österreich arbeitenden Eltern wohnen. Auch aus Sicht ihrer Fraktionskollegen Erwin Angerer und Christian Ries war es gerechtfertigt, die österreichischen Familien zu bevorzugen und deren Einkommen zu sichern. Dieser Grundgedanke stand hinter der Indexierung der Familienbeihilfe und war ein richtiger Schritt in Richtung mehr Fairness, war Mühlberghuber überzeugt, die dazu einen Entschließungsantrag einbrachte. Auch wenn das Urteil des EuGH zur Kenntnis genommen werden müsse, sollte man sich diesem Thema noch einmal grundsätzlich annehmen. Sie stehe auf dem Standpunkt, dass es den Nationalstaaten überlassen werden müsste, ob und unter welchen Bedingungen Familienbeihilfe ins Ausland transferiert werden soll.

SPÖ sieht sich in ihrer Kritik an der Indexierung und der hartnäckigen Forderung nach Zugang zur Familienbeihilfe für Ukrainer:innen bestätigt

Heute sei ein guter Tag für die Familien und die Kinder, konstatierte Petra Wimmer (SPÖ) , die sich zufrieden mit der Rücknahme der Indexierung zeigte. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass die von der ÖVP-FPÖ-Regierung beschlossene Regelung unfair und nicht EU-rechtskonform sei. Der EuGH habe die Bedenken vollinhaltlich bestätigt und festgehalten, dass Arbeitnehmer:innen aus dem EU-Raum, die in Österreich arbeiten und zum Sozialsystem beitragen, auch die gleichen Leistungen wie heimische Beschäftigte erhalten müssen. Sie hoffe, dass die Beihilfen unbürokratisch und lückenlos an die Familien der über 125.000 Kinder, die seit über dreieinhalb Jahren auf ihr Geld warten, ausbezahlt werden. Es sei bedauerlich, dass es erst ein EuGH-Urteil gebraucht habe, um Änderungen vorzunehmen, und dass die Volkspartei dennoch weiter an der Idee der Indexierung festhalte, stellte Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) fest. Dies sei ein Schlag ins Gesicht jener Frauen, die während der Corona-Krise mit Sonderzügen ins Land geholt wurden, damit sie die älteren Menschen in Österreich pflegen. Diese Sichtweise vertrat auch Selma Yildirim (SPÖ). Sie beklagte, dass Österreich trotz besseren Wissens damals auf den Zug des Populismus aufgesprungen sei und eine Neiddebatte geschürt habe.

NEOS wünschen sich mehr Bewusstsein für Kinderrechte und Chancengleichheit

Von einem guten Tag für die Kinder Europas sprach NEOS-Mandatarin Fiona Fiedler. Ihre Fraktion habe seit Einführung der indexierten Familienbeihilfe massive Kritik daran geübt und bei der EU-Kommission eine Beschwerde eingebracht. Erfreulich sei überdies, dass nach gut vier Monaten endlich auch ukrainischen Vertriebenen der Zugang zur Familienbeihilfe ermöglicht werde. Man hätte schon früher einen diesbezüglichen Antrag der NEOS annehmen können, meinte Fiedler, die sich generell mehr Bewusstsein für Kinderrechte und Chancengleichheit wünschte. Dazu gehöre auch, dass ausländische Jugendliche, die gerade eine Ausbildung absolvieren, nicht abgeschoben werden sollen.

Mit in Verhandlung standen zwei Anträge der SPÖ, in dem die Rücknahme der Indexierung der Familienbeihilfe bzw. die Aufhebung der Indexierung der Familienbeihilfe gefordert wurde. Sie gelten ebenso als miterledigt wie der Antrag des Abgeordneten Michael Bernhard auf Novellierung des Familienlastenausgleichsgesetzes und des Einkommensteuergesetzes. Der FPÖ-Entschließungsantrag betreffend Anpassung der Höhe von Familienleistungen für in Österreich arbeitende EU-Bürger:innen, deren Kinder im Ausland leben, fand keine Mehrheit. Auch eine weitere Initiative der Freiheitlichen blieb in der Minderheit. Darin ging es unter dem Titel "Maßnahmenpaket 60 plus für den österreichischen Arbeitsmarkt" um die Beseitigung der finanziellen und bürokratischen Hürden, mit denen Personen konfrontiert sind, die in der Pension noch einer sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung nachgehen wollen. Außerdem plädiert die FPÖ für vierteljährige Valorisierung der Geringfügigkeitsgrenze und für eine Reduktion bzw. Ausgleich der Lohnnebenkosten.

ÖVP, Grüne, SPÖ und NEOS fordern Ahndung von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt in der Ukraine und rasche Aufklärung von Kriegsverbrechen

Die systematische, rasche, koordinierte und unabhängige Aufklärung und Ahndung von in der Ukraine begangenen Kriegsverbrechen und möglicher weiterer Verstöße gegen das Völkerrecht ist Kern eines Antrags von ÖVP und Grünen, der mit Unterstützung von SPÖ und NEOS angenommen wurde. Insbesondere ist den Abgeordneten dabei auch die Ahndung sexueller und geschlechterspezifischer Gewalt sowie die Unterstützung von Opfern und Zeug:innen ein Anliegen. Gefordert wird vor allem ein verstärkter Einsatz der Bundesregierung auf europäischer und internationaler Ebene in dieser Angelegenheit.

Erst im Jahr 2008 habe der UN-Sicherheitsrat Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt in militärischen Konflikten als Kriegsverbrechen anerkannt, zeigte Heike Grebien (Grüne) auf. Solche Verbrechen betreffen nicht nur Individuen, sondern belasten ganze Generationen und Gesellschaften. Es sei daher sehr wichtig, nun den Opfern des Ukraine-Kriegs beizustehen, diese Gewalttaten aufzuarbeiten und den Betroffenen möglichst niederschwellige Hilfsangebote zur Verfügung zu stellen.

Die Zahl der Gewalttaten in der Ukraine würde massiv steigen und man müsse verstärkt auf internationaler Ebene zusammenarbeiten, um diese Verbrechen zu ahnden, so ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler. Während zerbombte Häuser wieder aufgebaut werden können, könne man "zerfetzte Seelen nicht so leicht wieder herrichten". Derartige Traumata würden über Generationen hinweg weitergegeben. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass solche Verbrechen ungestraft bleiben.

Seit März gebe es auf europäischer Ebene ein eigenes Ermittlungsteam, das Beweise im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen in der Ukraine sammle, informierte SPÖ-Mandatarin Petra Oberrauner, dies sei ein erster wichtiger Schritt. Auch Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) sprach sich positiv für dieses Anliegen aus, da es wichtig sei, solidarisch auf der Seite der Frauen in der ganzen Welt zu stehen. Wichtig war ihr zu betonen, dass Opfer von sexueller Gewalt das Recht auf Selbstbestimmung und Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch haben müssen.

NEOS-Mandatarin Henrike Brandstötter zeigte sich ebenfalls von der Notwendigkeit der Initiative überzeugt und erinnerte daran, dass ein fast gleichlautender Antrag ihrer Fraktion noch in der letzten Sitzung abgelehnt wurde. Sie bedauerte, dass der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen für vergewaltigte Ukrainer:innen in Österreich nicht sichergestellt sei.

Die "schrecklichen und leidvollen Verbrechen gegenüber den Menschen, die vom Ukraine-Krieg betroffen sind", werden natürlich von allen verurteilt, unterstrich die freiheitliche Mandatarin Rosa Ecker. Die FPÖ lehne jedoch grundsätzlich alle Anträge ab, in denen andere zu einer bestimmten Politik aufgefordert werden. Damit könne keine einzige Gräueltat verhindert werden.

SPÖ verlangt Nachschärfungen beim Verordnungstext, um diskriminierungsfreie Blutspende sicherzustellen

Auf der Tagesordnung stand weiters ein – mehrheitlich abgelehnter - Entschließungsantrag der SPÖ, in dem sich Mario Lindner erneut für die Aufhebung der derzeit bestehenden Diskriminierung von schwulen und bisexuellen Männern sowie transidenten Personen beim Blutspenden einsetzt. Gerade angesichts der noch immer andauernden Corona-Pandemie sei eine diskriminierungsfreie Blutspende von besonderer Bedeutung für die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens in Österreich. Dass der Minister mittlerweile eine entsprechende Verordnung angekündigt habe, wertete Lindner als großen Erfolg für die Community. Seiner Ansicht nach würde es aber noch Nachschärfungen im Verordnungstext brauchen, um tatsächlich eine diskriminierungsfreie Anwendung sicherzustellen. Kritik übte der Redner auch daran, dass die neue Regelung erst am 31. August in Kraft treten soll. (Fortsetzung Nationalrat) sue

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