Parlamentskorrespondenz Nr. 1373 vom 29.11.2022

Rechnungshof fordert umfassende Strategie zur Lebensmittelverschwendung in Österreich

Bundesministerin Gewessler verweist auf neues Aktionsprogramm und bessere Datenlage

Wien (PK) - Österreich bekennt sich zur Umsetzung der im Jahr 2015 von allen UN-Mitgliedstaaten beschlossenen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Eines der Ziele ist die Verringerung der Lebensmittelverschwendung, dessen Einhaltung im Zeitraum 2016 bis 2019 nun auch vom Rechnungshof unter die Lupe genommen wurde. Auf Basis der ihnen zugänglichen Daten gehen die Prüfer:innen davon aus, dass jährlich 790.790 Tonnen an vermeidbaren Lebensmittelabfällen in Österreich anfallen. Ein zentrales Problem liege aber darin, dass aktuelle, systematisch und umfassend erhobene Zahlen durch das Klimaschutzministerium fehlen. Durch den Bericht habe ihr Haus jedenfalls einen wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung in dieser Frage geleistet, zeigte sich Präsidentin Margit Kraker heute im Rechnungshofausschuss überzeugt. So habe das Klimaschutzministerium bereits drei von vier zentralen Empfehlungen umgesetzt.

Bundesministerin Leonore Gewessler machte darauf aufmerksam, dass die geforderte Vereinheitlichung der Systematik im Wesentlichen realisiert werden konnte. Auch auf europäischer Ebene soll es bald eine einheitliche Datenlage geben, um sich ein kohärentes Bild über die gesamte Lebensmittelkette machen zu können.

Rechnungshof zeigt großes Ausmaß an Lebensmittelverschwendung auf

Der Rechnungshof hat von Jänner bis Mai 2020 die Umsetzung eines Unterziels der insgesamt 17 Sustainable Development Goals (SDG) umfassenden Agenda 2030 überprüft, nämlich die Verringerung der Lebensmittelverschwendung (III-319 d.B.). Von jenen 790.790 Tonnen an vermeidbaren Lebensmittelabfällen, die in Österreich jährlich anfallen, tragen die Haushalte mit 206.990 Tonnen den höchsten Anteil bei. In der Außer-Haus-Verpflegung landen 175.000 Tonnen vermeidbare Lebensmittelabfälle im Müll. Der Handel verursacht mit 120.000 Tonnen die geringsten vermeidbaren Lebensmittelabfälle aller Sektoren. Diese Zahlen würden jedoch nur einen "näherungsweisen Überblick" bieten, heißt es im Bericht, da sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben wurden. Der Rechnungshof vermisst zudem eine umfassende Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung, die alle Sektoren – also auch Landwirtschaft und Produktion – miteinschließt.

Der Rechnungshof empfiehlt dem Klimaschutzministerium daher, in regelmäßigen Abständen in Einklang mit den EU-Vorgaben Daten zu den vermeidbaren Lebensmittelabfällen entlang der gesamten Lebensmittelkette zu erheben. Problematisch sei zudem, dass es auf globaler Ebene und bis zum Jahr 2019 auf EU-Ebene keine Methodik und keine Mindestqualitätsanforderungen für eine einheitliche Messung der Lebensmittelverschwendung gegeben hat. Aufgrund des fehlenden Datenmaterials sei es auch nicht möglich, zu beurteilen, ob Österreich das Ziel, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung pro Kopf zu halbieren, erreichen wird.

Gemäß Regierungsprogramm 2020–2024 soll es für den Lebensmitteleinzelhandel verboten werden, genusstaugliche Lebensmittel zu entsorgen. Das derzeit in Österreich praktizierte und auf Freiwilligkeit basierende Kooperationsmodell funktioniere laut dem Ressort sowie Vertreter:innen sozialer Einrichtungen gut, berichtet der Rechnungshof. 2017 wurden vom Einzelhandel mit 12.250 Tonnen doppelt so viele Lebensmittel an soziale Einrichtungen weitergegeben wie im Jahr 2013. Für den Fall eines gesetzlichen Verbots der Entsorgung von genusstauglichen Lebensmitteln aus dem Lebensmitteleinzelhandel äußerten die sozialen Einrichtungen wiederholt Bedenken, und zwar im Hinblick auf die Gewährleistung finanzieller und personeller Ressourcen sowie ausreichender Kühlungs-, Lager- und Verteilungskapazitäten. Der Rechnungshof empfiehlt daher, im Falle einer gesetzlichen Verpflichtung auch die notwendigen infrastrukturellen, logistischen und finanziellen Rahmenbedingungen mit zu bedenken.

FPÖ-Mandatar Alois Kainz erkundigte sich nach dem Umsetzungsstand der Empfehlungen, und zwar vor allem was die nationale und europäische Datenlage, die Einrichtung einer nationalen Koordinierungsstelle sowie das Monitoring betrifft. Yannick Shetty (NEOS) wies darauf hin, dass bis 2020 drei Ministerien und sieben verschiedene Organisationseinheiten mit dem Thema Lebensmittelverschwendung betraut waren. Hermann Gahr (ÖVP) hielt es aufgrund der Schnittstellenproblematik für wichtig, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Positiv sei, dass mittlerweile eine Koordinierungsstelle eingerichtet wurde. Es brauche Maßnahmen auf allen Ebenen, bekräftigte auch Ulrike Fischer von den Grünen. Der Aktionsplan Lebensmittelverschwendung sowie die Einführung einer einheitlichen Methodik sei daher zu begrüßen. Karin Greiner (SPÖ) ging auf die zentralen Empfehlungen des Rechnungshofs ein und fragte, ob die Koordinierungsstelle schon einen messbaren Output erzielt habe und welche weiteren Initiativen geplant seien. Handlungsbedarf gebe es etwa bei den Sozialmärkten, die derzeit vor großen Problemen stünden, genügend Lebensmittel zu bekommen. Konkret wollte sie wissen, ob die Kombination der qualitativen und quantitativen Zielgrößen im Abfallvermeidungsprogramm schon umgesetzt wurde.

Gewessler weist auf neues Aktionsprogramm gegen Lebensmittelverschwendung hin

Bundesministerin Leonore Gewessler hält es für sehr relevan, dass das Thema Lebensmittelverschwendung gerade jetzt verstärkt in Mittelpunkt gerückt werde. Es sei richtig, dass die interministerielle Koordinierungsstelle im vorigen Jahr ihre Tätigkeit bereits aufgenommen habe und erste Ergebnisse präsentieren konnte. So sei etwa ein neues Aktionsprogramm gegen Lebensmittelverschwendung auf die Beine gestellt worden. Im Rahmen von Arbeitsgruppen sollen weitere wichtige Themen behandelt werden, wie etwa Fragen der Haftung oder der notwendigen Infrastruktur bei den Sozialmärkten. Anfang Dezember werde es einen Round Table mit Vertreter:innen der Sozialeinrichtungen und dem Handel geben, um über kurzfristig wirksame Maßnahmen zu beraten, kündigte die Ministerin an. Wichtig sei auch der Bereich der Bewusstseinsbildung, da das eigene Ausmaß der Lebensmittelverschwendung von den meisten Konsument:innen unterschätzt werde.

Der Bericht wurde einstimmig zur Kenntnis genommen. (Fortsetzung Rechnungshofausschuss) sue