Edtstadler: Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat sind keine Selbstverständlichkeiten
Wien (PK) – In Zeiten wie diesen werde einem die Unabkömmlichkeit der Menschenrechte jeden Tag vor Augen geführt, sagte Bundesministerin Karoline Edtstadler im heutigen Ausschuss für Menschenrechte mit Blick auf die Menschenrechtsverletzungen durch Russland in der Ukraine. An Krieg in der Nachbarschaft dürfe man sich niemals gewöhnen – ebenso wenig wie daran, dass iranische Frauen - und Männer, die sich mit ihnen solidarisieren - hingerichtet werden, betonte sie. Die Situation in Afghanistan würde ebenso vor Augen halten, dass es bei der Gleichberechtigung weltweit viel zu tun gibt. Die Europäische Menschenrechtskonvention sei aus gutem Grund ins Leben gerufen worden, um Gräueltaten zu verhindern. Die Menschenrechte dürften aber genauso wenig als selbstverständlich gelten, wie die Demokratie und der Rechtsstaat, sagte die Verfassungsministerin vor den Nationalratsabgeordneten im neu renovierten Hohen Haus.
Neben den Menschenrechtsverletzungen auf internationaler Ebene wurden bei der aktuellen Aussprache auch die europäischen Agenden und die Informationsfreiheit thematisiert.
Auf der Tagesordnung standen außerdem mehrere Oppositionsanliegen, die allesamt vertagt wurden.
Aktuelle Aussprache mit Ministerin für Verfassung und EU
Dass Russland durch den Angriffskrieg nicht mehr Mitglied im Europarat ist und somit auch nicht mehr Vertragsstaat der Menschenrechtskonvention, sprach Johann Weber (ÖVP) im Zuge der Aussprache über aktuelle Fragen aus dem Arbeitsbereich des Ausschusses an. Der Ausschluss Russlands aus dem Europarat sei ein unausweichlicher, alternativloser Schritt gewesen, womit der russischen Bevölkerung aber auch die Möglichkeit genommen wurde, sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden, sagte Edtstadler dazu. Man dürfe nicht aus dem Blickwinkel verlieren, dass Millionen an russischen Zivilist:innen enorm unter Putin leiden.
Von mehreren Abgeordneten wurde die Situation im Iran angesprochen. Harald Troch, Petra Bayr (beide SPÖ) und Nikolaus Scherak (NEOS) wollten wissen, welche Maßnahmen und Sanktionen auf europäischer Ebene geplant seien. Laut Ministerin Edtstadler gelte es, eine Einschätzung des juristischen Dienstes des Rats abzuwarten, ob die Taliban als kriminelle Organisation einzustufen seien.
Für Susanne Fürst (FPÖ) war vor dem Hintergrund des heimischen Anti-Korruptionsvolksbegehrens der Brüsseler Korruptionsfall von Interesse. Sie wollte von der EU-Ministerin wissen, ob demzufolge entsprechende Initiativen auf europäischer Ebene diskutiert werden. Edtstadler konnte keine konkreten Schritte nennen, meinte aber, es sei für das EU-Parlament wichtig, das Vertrauen der Bürger:innen zurück zu gewinnen.
Stephanie Krisper (NEOS) sprach Menschenrechtsverletzungen gegenüber Asylwerber:innen, konkret im EU-Mitgliedstaat Griechenland an und fragte, ob ein Vertragsverletzungsverfahren angeregt wurde. Österreich habe dies nicht getan, antwortete Edtstadler. Es obliege der Kommission, ein solches einzuleiten. Die substantiellen Probleme im Bereich des Asylverfahrens seien aber bekannt, weshalb aktuell auch keine Rückschiebungen nach Griechenland erfolgen würden, so die Ministerin.
Dass die EU beabsichtige, "Hate Speech" und "Hate Crime" zu sogenanntem "EU Crimes", also zu "EU-Verbrechen" zu machen, brachte Faika El-Nagashi (Grüne) in die Runde. Bislang würden darunter nur besonders schwerwiegende Verbrechen mit transnationaler Komponente fallen. Laut Edtstadler würde dies allerdings einer EU-Vertragsänderung und somit Einstimmigkeit bedürfen. Österreich sei mit seinen scharfen Gesetzen Vorreiter auf diesem Gebiet.
Von Peter Weidinger und Hans Stefan Hintner (beide ÖVP) auf Rechtstaatlichkeit in Ungarn und den Konditionalitätsmechanismus angesprochen, berichtete Edtstadler, dass Ungarn das Verfahren ernst nehme und Schritte setze. 55 % der EU-Gelder seien ja "eingefroren" worden. Ob die Reformschritte Wirkung zeigen, werde sich erst herausstellen.
Harald Troch (SPÖ) und Nikolaus Scherak (NEOS) thematisierten die Informationsfreiheit, woraufhin die Verfassungsministerin betonte, dass ihr die Umsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes in der laufenden Legislaturperiode ein Anliegen ist, worum sie sich schon seit Jahren bemühe. Die Begutachtung des Gesetzentwurfs sei abgeschlossen, Stellungnahmen seien eingeholt worden und mittlerweile mehr Bewusstsein und Sensibilität für das Thema vorhanden, meinte sie. Der Beschluss des Informationsfreiheitsgesetzes wäre ihrer Meinung nach ein wichtiger Schritt, um das Vertrauen der Bürger:innen zurückzugewinnen.
Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) wollte von der Ministerin wissen, ob sie Bedarf sieht, den Grundrechtekatalog zu erweitern – etwa hinsichtlich eines Rechts auf Wohnen oder eines Rechts auf saubere Umwelt – und die Unteilbarkeit der Menschenrechte im österreichischen Verfassungsrecht weiter zu stärken. Der einfachgesetzliche Rahmen in Österreich sei gut, antwortete darauf Edtstadler. Nicht alles müsse auf Verfassungsebene stehen.
Weitere Themen der aktuellen Aussprache waren soziale Grundrechte, Religionsfreiheit, das Internet Governance Forum und der gemeinhin als inakzeptabel gewertete Angriff auf die Demokratie am Beispiel der Stürmung des Regierungsgebäudes in Brasilien.
SPÖ für Weiterentwicklung des Grundrechtekatalogs
SPÖ-Mandatar Harald Troch regt die Erarbeitung eines umfassenden Grundrechtekatalogs und die Wiederaufnahme von diesbezüglichen Allparteienverhandlungen an. In dem Entschließungsantrag (3057/A(E)), der von ÖVP und Grünen vertagt wurde, wird auf das Regierungsprogramm 2020-2024 verwiesen, worin das Vorhaben beschrieben wird, die Bundesverfassung zur Stärkung der Grund- und Menschenrechte weiterzuentwickeln. Unter Einbindung von Expert:innen soll die allfällige Erweiterung des Grundrechtsschutzes geprüft sowie die Erarbeitung eines einheitlichen Katalogs von "Staatszielbestimmungen" erreicht werden.
Obwohl die Erweiterung des Grundrechtekatalogs im Regierungsprogramm stehe, gehe bei sozialen Grundrechten "nichts weiter", argumentierte Harald Troch (SPÖ) seinen Antrag, mit dem er die Diskussion darüber ins Parlament bringen wolle. Es herrsche jedoch "hoher Handlungsbedarf", da ihm zufolge etwa durch die Corona-Pandemie die Armut stark zugenommen habe.
Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) begrüßte die SPÖ-Initiative und sprach sich für die Diskussion des Grundrechtekatalogs mit allen Fraktionen im Parlament aus. Dazu brauche es jedoch nicht den Antrag der SPÖ. Zudem habe es in den letzten drei Jahren Gespräche mit NGOs und dem Koalitionspartner gegeben.
Dem schloss sich Gudrun Kugler (ÖVP) an, die eine Erweiterung als einen laufenden und andauernden Prozess bezeichnete. In der aktuellen Situation sei für die Bundesregierung jedoch die Einführung von Anti-Teuerungsmaßnahmen sowie die Armutsbekämpfung vorrangig.
Auch Susanne Fürst (FPÖ) unterstützte das Ansinnen einer umfassenden Diskussion mit allen Parteien. Es gebe viele Aspekte, die zu adaptieren seien. Die FPÖ-Abgeordnete zeigte sich aber gegenüber der Aufnahme von sozialen Grundrechten skeptisch.
FPÖ fordert Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention
Die Freiheitlichen setzen sich in ihrem ebenfalls von den Regierungsparteien vertagten Entschließungsantrag (3017/A(E))für eine Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ein. Dafür soll unter Einbeziehung von Expert:innen und allen parlamentarischen Klubs eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe durch seine Judikatur eine neue "Völkerwanderung samt Asylwerberansturm auf Europa" ausgelöst und durch eine "fortlaufende Weiterinterpretation" der Rechte der Konvention eine internationale Ersatzgesetzgebung bzw. ein "sich vollkommen verselbstständigendes Richterrecht" geformt. Diese "souveränitätsbeschränkende Wirkung der dynamischen Interpretation der Rechte aus der EMRK", deren sich der EGMR in seinen Entscheidungen "befleißige", lasse sich am anschaulichsten anhand der nicht stattfindenden Rückschiebung von Terroristen illustrieren, so die Freiheitlichen.
Eine Überarbeitung der EMRK werde bereits von Wissenschaft und Judikatur in Österreich und Europa breit diskutiert, betonte Martin Graf (FPÖ). Es komme immer mehr zu einem "Richterrecht", was der Verfassung widerspreche.
Im Gegensatz dazu sah Petra Bayr (SPÖ) keine Notwendigkeit, die EMRK zu überarbeiten. "Die Menschenrechte seien universell und gebühren jedem", so Bayr. Dem pflichtete Ausschussvorsitzender Nikolaus Scherak (NEOS) bei. Es sei normal, dass Rechtsnormen im Laufe der Zeit anders interpretiert würden, deshalb brauche es jedoch keine Veränderung der EMRK. Laut Scherak richte sich der Antrag an die ÖVP, aus deren Reihen es bereits ähnliche Forderungen gegeben habe.
"Ja, Österreich hat ein Problem mit einer hohen Zahl an Asylanträgen, Schuld daran ist aber nicht der Originaltext der EMRK", hielt Gudrun Kugler (ÖVP) in Richtung der Freiheitlichen fest. Vielmehr sei das Zusammenspiel vieler Normen auf EU-Ebene dafür verantwortlich.
Auch zwei bereits einmal vertagte Oppositionsinitiativen wurden ein weiteres Mal von ÖVP und Grünen auf die Wartebank geschoben. Das betrifft einerseits den Entschließungsantrag der NEOS (747/A(E)), in dem bessere Sanktionsmechanismen gegen Menschenrechtsverletzer gefordert werden, wie etwa Ein- und Durchreiseverbote sowie das Einfrieren von Konten und anderen Vermögenswerten.
Andererseits setzt sich die SPÖ vor dem Hintergrund der angespannten Lage am heimischen Wohnungsmarkt dafür ein, ein "Recht auf Wohnung" im Staatsgrundgesetz zu verankern (2437/A). Dabei sollen Maßnahmen wie Mieterschutz und sozialer Wohnbau sicherstellen, dass eine ausreichende Zahl an Wohnungen zu angemessenen Preisen und Bedingungen zur Verfügung steht. (Schluss Menschenrechtsausschuss) fan/med
Links
- 3057/A(E) - Weiterentwicklung des Grundrechtekatalogs – Schaffung von sozialen Grundrechten
- 2437/A - Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger
- 1/A-ME - Ausschuss für Menschenrechte
- 3017/A(E) - die Überarbeitung der EMRK
- 747/A(E) - Sanktionsmechanismus gegen Menschenrechtsverletzer