Parlamentskorrespondenz Nr. 180 vom 21.02.2023

Politik am Ring: Ganzheitliche Korruptionsbekämpfung über Gesetzesverschärfungen hinaus gefordert

Parlamentsfraktionen diskutierten notwendige Maßnahmen, um Korruption nachhaltig zu bekämpfen

Wien (PK) – Im aktuellen Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International – dieser vergleicht die Wahrnehmung des Korruptionsniveaus von Politik und öffentlicher Verwaltung in 180 Staaten weltweit – rangiert Österreich auf Platz 22, neun Plätze weiter hinten als noch 2021. Dazu haben unter anderem das Ibiza-Video, die Chat-, Inseraten- und Umfrageaffären, die infolgedessen zutage getreten sind, sowie fehlende beziehungsweise nicht umgesetzte Maßnahmen betreffend Korruptionsbekämpfung, Informationsfreiheit und Transparenz beigetragen. Diesen Abwärtstrend soll das laut Verfassungsministerin Edtstadler "strengste Antikorruptionsgesetz der Welt" aufhalten. Das Korruptionsstrafrecht werde umfassend reformiert und zentrale Bestimmungen wie der Kauf beziehungsweise Verkauf von politischen Mandaten oder sogenannte Vorabkorruption – wenn künftige Amtsträger:innen beispielsweise im Wahlkampf einen Vorteil annehmen und dafür ein pflichtwidriges Amtsgeschäft versprechen – sollen unter Strafe gestellt werden. Generell soll es höhere Strafen für Korruptionsdelikte geben, schwere Korruptionsdelikte sollen künftig einen Amtsverlust zur Folge haben.

Kann die von der Regierung geplante Reform des Korruptionsstrafrechts das Vertrauen der Bevölkerung in Politik und Verwaltung wiederherstellen? Welche zusätzlichen Maßnahmen sind nötig, um die langjährige negative Entwicklung aufzuhalten? Darüber diskutierten gestern in der Internet-TV-Sendung Politik am Ring unter der Moderation von Gerald Groß Vertreter:innen der fünf Parlamentsfraktionen mit Bettina Knötzl von Transparency International Austria und dem Rechtsanwalt und ehemaligen Staatsanwalt Volkert Sackmann.

Kampf gegen Korruption nicht nur mit neuen Gesetzen

Für ÖVP-Abgeordnete Corinna Scharzenberger ist ein gut funktionierender Rechtsstaat das effektivste Mittel der Korruptionsbekämpfung. Maßnahmen, um diesen zu stärken, seien bereits gesetzt worden, dieser Weg soll weiter beschritten werden – um einerseits korruptes Verhalten erfolgreich zu bekämpfen und andererseits das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Nina Tomaselli, Grünen-Fraktionsführerin sowohl im Ibiza- als auch im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss, erklärte, dass ihre Partei – die nicht nur für saubere Umwelt, sondern auch saubere Politik stehe – diese Themenfelder jahrelang aus der Opposition heraus forciert habe. Seit man in Regierungsverantwortung sei, wäre man in die Umsetzungsphase gekommen. Es seien bereits viele Fortschritte zu verzeichnen, auf die man stolz sein könne, nichtsdestotrotz habe die Bevölkerung in den letzten Jahren sehr viele Korruptionsfälle "verdauen" müssen, was sehr zu bedauern sei. Für die Politik, und damit seien alle Parteien gemeint, so Tomaselli, gelte es, die Lehren daraus zu ziehen und richtige Maßnahmen zu setzen, um – angelehnt an die Formulierung von Bundespräsident Van der Bellen – das "einsturzgefährdete Haus der Demokratie" zu stützen.

Einen pessimistischeren Befund stellte Selma Yildirim, Justizsprecherin der SPÖ, aus: Das schärfste Korruptionsgesetz – wie Ministerin Edtstadler es bezeichne – werde Korruption nicht verhindern, da dazu nach wie vor die nötigen Instrumente, wie beispielsweise der Wille, effektiv zu kontrollieren und unabhängige Korruptionsbekämpfung zu ermöglichen, fehlten. In der Regel werde vom Ausland Druck auf Österreich ausgeübt, für Verbesserungen zu sorgen, wie auch die Veröffentlichung des Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International gezeigt habe. Erst dann komme die Regierung ins Tun – jedoch viel zu spät und viel zu zögerlich.

FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan meinte, es sei "utopisch", zu glauben, man könne Korruption ein für alle Mal beseitigen. Blicke man auf die letzten Jahrzehnte zurück, werde augenscheinlich, dass es Korruption immer gegeben habe. Ihm fielen Verfehlungen einer jeden Partei ein,  nicht nur jene seiner eigenen, so Stefan angesprochen auf die Ereignisse 2019 auf Ibiza. Korruption sei ein "Riesenproblem", müsse aber differenziert betrachtet werden.

Noch viele Höhenmeter notwendig

Johannes Margreiter, Justizsprecher der NEOS, setzte Korruption mit einem Virus gleich, das den Staat befalle und sich mehr und mehr ausbreite. Deshalb müsse man sich fragen, wie das "Korruptionsvirus" nachhaltig bekämpft werden könne. Die Symptome seien längst da, es gelte daher, effektive Mittel dagegen zu finden. Strafverschärfungen im Gesetz greifen zu kurz, so Margreiter, man müsse sowohl in der Politik als auch in der Zivilgesellschaft viel früher ansetzen. Es müsse Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie schlecht Korruption sei, und es brauche von der Gemeindeebene aufwärts Transparenz. Das Strafrecht komme ganz zum Schluss, so der Befund des NEOS-Abgeordneten, und auf diesem Weg seien noch "viele, viele Höhenmeter" zu erklimmen.

Bettina Knötzl, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität sowie Präsidentin des Beirates von Transparency International Austria, bestätigte, dass es tatsächlich so sei, dass jene Länder, die Transparenz leben, im Korruptionswahrnehmungsindex vorne liegen. Ein Kulturwandel dahin gehend sei in Österreich dringend nötig, man müsse sich von der "heiligen Kuh Amtsgeheimnis" verabschieden und endlich ein Informationsfreiheitsgesetz beschließen. Der ausverhandelte Entwurf dazu liege bereits jahrelang in der Schublade, die Beschlussfassung  lasse aber auf sich warten – und das werde, siehe Index, abgestraft. Fehlende Gesetze seien aber nicht der alleinige Grund für den Absturz im Ranking, fügte die Expertin hinzu, es müsse auch ein gesellschaftlicher Wandel her.

Das Informationsfreiheitsgesetz, so ÖVP-Abgeordnete Scharzenberger, bringe einen Paradigmenwechsel, damit werde ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Information geschaffen. Die Begutachtungsfrist sei abgelaufen, aber es seien noch Fragen offen, beispielsweise wie eine praktikable Umsetzung machbar sei, so Scharzenberger. Dieser große Schritt, den die Regierung mit dem Informationsfreiheitsgesetz gehen wolle, müsse wohldurchdacht sein. Kritik dazu kam von SPÖ-Abgeordneter Yildirim, die einwarf, dass das Informationsfreiheitsgesetz bereits 2016 paktiert worden sei und bereits kurz vor der Beschlussfassung gestanden sei, die ÖVP habe den Beschluss damals jedoch verhindert.

Auch der ehemalige Staatsanwalt und nunmehrige Rechtsanwalt Volkert Sackmann kritisierte das Fehlen eines Informationsfreiheitsgesetzes: Es sei kein Argument, zu sagen, etwas sei kompliziert. Wenn jeder zuschauen könne – wenn also Transparenz gegeben sei –, werde nicht mehr "in den Topf gegriffen", so der Experte. Um das künftig endlich verhindern zu können, sei es höchst an der Zeit, endlich ins Tun zu kommen und ein Informationsfreiheitsgesetz zu beschließen, so Sackmann.

Justiz  von Politik freispielen

Zusätzlich zu einem Informationsfreiheitsgesetz brauche es – auch das sei eine jahrelange zentrale Forderung von Transparency  International und weiteren zum Teil internationalen Organisationen, die gegen Korruption ankämpfen – eine weisungsunabhängige Bundesstaatsanwaltschaft, ergänzte Bettina Knötzl. Um die Justiz von der Parteipolitik zu entkoppeln, müsse ein "Unabhängigstellen" der Weisungskette erfolgen.  Anstelle der Justizministerin oder des Justizministers als oberstes Weisungsorgan stünde dann ein unabhängiger Bundesstaatsanwalt beziehungswiese eine unabhängige Bundesstaatsanwältin. Dass es eine Überprüfung innerhalb der Staatsanwaltschaft geben müsse, werde niemand bestreiten, sie am allerwenigsten, so Knötzl, diese aber habe fernab der Parteipolitik zu erfolgen.

Mit dem Modell einer Bundesstaatsanwaltschaft könnten auch die NEOS gut leben, sofern noch die letzten ungeklärten Details – betreffend Bestellungsmodus und Dauer der Bestellung – erörtert werden, so Johannes Margreiter. Es biete den richtigen Ausweg, um die Justiz von der Politik "freizuspielen". Neben dem Informationsfreiheitsgesetz würde eine Bundesstaatsanwaltschaft enorm dazu beitragen, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzuholen, zeigte sich Margreiter überzeugt. FPÖ-Justizsprecher Stefan bekundete eine differenziertere Sichtweise: Zwar habe die Rechtsprechung völlig unabhängig zu sein, der Staatsanwalt beziehungsweise die Staatsanwältin sei aber dem Staat verpflichtet; es müsse daher einen politisch Verantwortlichen, eine Verantwortliche an der Spitze der Weisungskette geben, der sich auch vor dem Parlament verantworten müsse. Es dürfe kein "Überjustizminister" geschaffen werden, der weder greifbar noch absetzbar sei. Entpolitisieren und Unabhängigmachen klinge immer sehr gut. Wer Österreich kenne, wisse aber, dass eine solche Besetzung immer politisch sein werde, zeigte sich der Abgeordnete überzeugt.

Nina Tomaselli (Grüne) führte aus, sie sei, auch wenn der "Turnaround" der ÖVP in Sachen weisungsfreie Bundesstaatsanwaltschaft noch nicht "voll und ganz" passiert sei, guter Dinge, dass die Regierungsfraktionen in den Verhandlungen um die Ausgestaltung einer weisungsfreien Spitze in der Justiz zu einer Einigung kommen werden. Die Reformen, die ihre Parteikollegin Justizministerin Alma Zadić initiiert habe, müssen weiter vorangetrieben werden, da Parteipolitik in einer unabhängigen Justiz nichts verloren habe. Ein Hauptproblem sei der gleiche Zugang zum Recht für alle: Werden Menschen mit mehr Mitteln besser behandelt? Haben diese andere Möglichkeiten? Darauf müsse besonders geschaut werden, über eine politische Nahebeziehung dürfe keine Weisung erfolgen, deshalb brauche es rasch die Bundesstaatsanwaltschaft, so Tomaselli.

Eine andere Möglichkeit, eine unabhängige Justiz zu forcieren, warf Moderator Gerald Groß ein, nämlich eine:n parteipolitisch unabhängige:n Justizminister:in. Diese Idee würde er durchaus begrüßen, so Volkert Sackmann. NEOS-Abgeordneter Margreiter hingegen zeigte sich skeptisch und bekundete, eine Lanze für die Politik brechen zu wollen: Anstatt zu rufen: "Politik weg!",  solle vielmehr für Qualität in der Politik geworben werden. Man könne durchaus darüber nachdenken, eine dem Auswahlverfahren für Mitglieder der EU-Kommission ähnliche Prüfung – beispielsweise im Rahmen eines Hearings im Parlament – für potenzielle Regierungsmitglieder einzuführen, in dem diese auf Korruptionsresistenz getestet werden. Unter diesen Voraussetzungen wäre es kein Problem, dass eine parteipolitisch zuordenbare Person das Justizministerium führe.

Kurswechsel bei Korruptionsbekämpfung dank neuer Gesetze?

Ein weiterer gewichtiger Grund, Korruption bekämpfen zu müssen, sei der enorm hohe Schaden, der dadurch jährlich für die Volkswirtschaft verursacht werde, ergänzte Bettina Knötzl die Probleme, die Korruption auslöse, um eine weitere Facette. Der Schaden am Staat werde noch augenscheinlicher, wenn man die Milliardenverluste mitbedenke, deren Ursachung auf korruptes Verhalten zurückzuführen sei. Umso mehr gelte es, alle nötigen Anstrengungen zu unternehmen und der Bevölkerung zu zeigen, wie man künftig korruptionsfrei agieren wolle. So könne das verlorene Vertrauen wiederhergestellt und die Wahrnehmung – Stichwort Korruptionswahrnehmungsindex – ins Positive umgekehrt werden, zeigte sich die Expertin überzeugt. Die nun geplanten Änderungen auf gesetzlicher Ebene seien wichtig, um Lücken zu schließen, sie wolle aber auch betonen, so Knötzl weiter, dass auch die bestehenden Gesetze zum Teil gut seien. Das alles reiche aber nicht, wenn es nicht gleichzeitig zu einem "großen Kulturwandel"  mithilfe von Ethikunterricht in den Schulen oder Compliancecodes in den Medien  komme, befand die Expertin.

Wohin bewegt sich Österreich?

Abschließend nahm Moderator Groß ein weiteres Mal Bezug auf den Korruptionswahrnehmungsindex und stellte die Frage in den Raum, welche Entwicklung die Abgeordneten vorhersehen beziehungsweise wo "die Reise hingehen solle", woraufhin FPÖ-Abgeordneter Stefan betonte, dass es das Ziel Österreichs sein müsse, wieder an die Spitze anzudocken, jedenfalls zu den anderen europäischen Staaten aufzuschließen.

Corinna Scharzenberger (ÖVP) hielt abschließend fest, dass Österreich aufgrund der angesprochenen Maßnahmen – die zum Teil bereits umgesetzt wurden, teils noch umgesetzt werden,  auf einem gutem Weg sei. Dem entgegnete NEOS-Abgeordneter Margreiter, dass sich so lange nichts ändern werde, solange manche Parteien Korruption nur als strafrechtliches Problem begreifen. Es müsse endlich anerkannt werden, dass Korruption schon weit davor anfange, man müsse die Vorschläge der Expertin Knötzl, die die Sensibilisierung für das Thema Korruption bereits im Schulunterricht fordere, aufgreifen. Korruptes Verhalten müsse lange vor den Grenzen des Strafrechts geächtet werden, so Margreiter abschließend.

Sie sehe zunächst noch die Gefahr, dass Österreich im Ranking weiter abrutsche, so Selma Yildirim. Auch wenn im März das Informationsfreiheitsgesetz beschlossen und die unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft eingeführt würden, werde es ohne eine Änderung der politischen Mehrheiten zehn bis 15 Jahre dauern, bis sich der Trend umkehren werde. Optimistischer zeigte sich Nina Tomaselli abschließend: Auf die Frage, wo Österreich sich hinentwickeln solle und auch werde, sei die Antwort klar: "An die europäische Spitze". Die Chancen dazu stehen nicht schlecht, so die Abgeordnete weiter, man habe dahin gehend in letzter Zeit viele positive Entwicklungen verzeichnen können, von den einzelnen gesetzlichen Änderungen über die Rücktritte, ausgelöst durch Untersuchungsausschüsse und Ermittlungen, bis hin zur Botschaft, die inzwischen in jeder "Gemeindestube" angekommen sei, und zwar, dass sich Korruption nicht mehr "ausgeht". Diese Zeiten seien ein für alle Mal vorbei.

Die nächste Sendung von Politik am Ring findet am Montag, dem 20. März 2023, statt. Sie wird wieder live ab 21 Uhr in der Mediathek des Parlaments übertragen. Alle Folgen von Politik am Ring sind dort dauerhaft abrufbar. (Schluss) map